Peter Birke / Chris Holmstedt Larsen (Hg.): Besetze deine Stadt! – BZ din by! Häuserkämpfe und Stadtentwicklung in Kopenhagen

Sachliteratur

„Besetze deine Stadt“ fragt nach den Ursachen und Wirkungen der heftigen Proteste nach der Räumung des Ungdomshuset – und zeigt, wie die Kämpfe um Freiräume auf eine neoliberale Stadtentwicklung Bezug nehmen (können).

Das Ungdomshuset Haus in Kopenhagen, Dezember 2006.
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Das Ungdomshuset Haus in Kopenhagen, Dezember 2006. Foto: killerlula (PD)

16. Januar 2021
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Es mag sein, dass die Blütezeit der Hausbesetzer_innenbewegung in den 1980er Jahren und Ausläufer davon höchstens noch Anfang der 1990er Jahre lagen. Es mag sein, dass es seit der sogenannten „Berliner Linie“ nicht nur in Berlin schwer bis unmöglich geworden ist, neubesetzte Häuser länger als einen Tag zu halten. Es mag sein, dass es kaum noch besetzbare, leerstehende Häuser in kommunalem Besitz gibt. Es mag sein, dass einfach die Radikalität und Dringlichkeit fehlt, andere Themen stärker im Vordergrund stehen oder es schlicht keine Häuserkampfbewegung mehr gibt.

Dennoch wird es heute zunehmend wichtiger, die durch die damaligen Besetzungen errungenen Freiräume auch weiterhin zu verteidigen. Seit den 80er Jahren wurden zumindest die bereits besetzten Häuser mehr oder weniger in Ruhe gelassen und die meisten davon wurden legalisiert und erhielten Nutzungs-, Miet- oder Pachtverträge.

In vielen deutschen Städten und Kommunen nimmt aber die Tendenz zu, stadteigene Immobilien an private Investor_innen zu veräussern, sei es nun, als Finanzspritze für die leeren Kassen oder im Rahmen von gezielten Aufwertungs- und Stadtentwicklungsprogrammen. Mit dem Verkauf werden die Eigentumsrechte aus der politischen Hand gegeben – und eine Räumung zur privatrechtlichen Angelegenheit gemacht. Für mehr und mehr ehemals besetzte Häuser, die heute wichtige Orte alternativer Lebensentwürfe und unkommerzieller Kultur sind, wird dieses Bedrohungsszenario tatsächliche juristische Realität.

Ein äusserst prominent gewordenes Beispiel hierfür ist das Ungdomshuset in Kopenhagen. Das 1982 besetzte und dann von der Stadt freigegebene autonome „Jugendhaus“ wurde im Jahr 2000 verkauft und im März 2007 geräumt. Auf die Räumung folgten heftige Ausschreitungen und monatelange Proteste, die Polizist_innen, Politiker_innen, aber auch die Aktivist_innen selbst überraschten.

Wie und wieso es dazu kam ist daher die zentrale Frage, die den Ausgangspunkt für das Buch „Besetze deine Stadt! BZ din By!“ bildet. In diesem Buch versammeln die Herausgeber Peter Birke und Chris Holmsted Larsen Analysen über den „ersten grossen Aufruhr des 21. Jahrhunderts in Dänemark“ (S. 53) und Gespräche mit Aktivist_innen, die sich in der einen oder anderen Form für das Ungdomshuset eingesetzt haben.

Die Dynamik des Widerstands

Die Interviews werden mit sehr unterschiedlichen Beteiligten geführt, darunter Nutzer_innen des Hauses, ein Vertreter einer Nachbar_innengruppe, ein Politiker aus der Kopenhagener Bürgerversammlung und deutsche Unterstützer_innen, die sich in Kopenhagen und Hamburg eingebracht haben. Ein eigenes Kapitel wird den Bewohner_innen der Freistadt Christiania gewidmet, einem seit 1971 besetzten Gebiet in Kopenhagen, in dem mittlerweile um die 1000 Bewohner_innen autonom leben. Dadurch werden sehr unterschiedliche Perspektiven auf das Ungdomshuset, die Räumung, die Proteste, und auch die Stadtentwicklung in Kopenhagen dargestellt.

Es werden Innenansichten zu den Strassenkämpfen und Auseinandersetzungen mit der Polizei und den Verhandlungen mit der Politik eingebracht, sowie die Bedeutung der transparenten Öffentlichkeitsarbeit, der vielfältigen kreativen Aktionen, der breiten Bündnisse und der Unterstützung hervorgehoben. Die Räumung hatte eine starke Politisierung zur Folge („Plötzlich war das Haus weg, aber statt 100 waren es nun 1.000 AktivistInnen“ (S. 103)), die sowohl viele linke Gruppen mit einem gemeinsamen Ziel zusammenbrachte, als auch Anlass für viele bisher eher passive Bevölkerungsgruppen bot, ihren Unmut über die „rechte Monokultur“ (S. 70), die neoliberale Stadtverwertung und die Ausgrenzung vieler Bevölkerungsgruppen zu artikulieren.

Sehr aufschlussreich sind dabei vor allem Peter Birkes Analysen, die das Geschehen um das Ungdomshuset in eine breitere – und auch globale – Entwicklung einbetten und so Zusammenhänge aufzeigen, die erkennen lassen, dass es bei den massiven Protesten um mehr ging, als nur um das Haus als solches.

Das „Unternehmen Stadt“ als globales Phänomen

Seit ungefähr Mitte der 1990er Jahre hielt in Dänemark wie auch in Deutschland eine politische und wirtschaftliche Haltung Einzug, die meist als Neoliberalisierung bezeichnet wird. Charakteristisch ist dabei eine politische Ausrichtung entsprechend (kapitalistischer) ökonomischer Logiken und eine radikale Marktorientierung. Auch die Stadt wird unter diesen Gesichtspunkten betrachtet und in Kopenhagen (wie übrigens auch in Hamburg) als „Unternehmen“ ausgerufen.

Zentrale städtische Versorgungsleistungen, unter anderem eben auch die Wohnungsversorgung, werden privatisiert und den „Kräften des Marktes“ überlassen. Das äussert sich in dem Verkauf kommunaler Wohnungs- und Immobilienbestände, in dem Rückgang oder sogar Wegfall von sozialem Wohnungsbau und – eben ganz marktkonform - in (teilweise exzessiv) steigenden Mieten vor allem im Innenstadtbereich.

Im „Unternehmen Stadt“ stehen nicht mehr die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung im Vordergrund, sondern das effiziente Funktionieren und wirtschaftliche Wachstum der Stadt an sich. Das zeigt auch die Vermarktung der Stadt, deren Ziel es ist, „die ‚innovativen', reichen und beweglichen Betriebe und Bevölkerungsschichten anzuziehen bzw. zum Bleiben zu bewegen, immer in der Konkurrenz mit anderen urbanen Zentren“ (S. 22).

Um diese anzuwerben, wird die Stadt zur Marke gemacht und durch Prestige-Objekte, die die Autoren als „Leuchttürme“ (S. 34) bezeichnen, signalisiert, dass es sich um innovative, offene und moderne Weltstädte handelt. Die Funktion dieser „Leuchttürme“ ist es dabei zum einen, nach aussen zu strahlen; zum anderen „frieren sie den utopischen Gehalt der Vorstellungen ein, die mit der ‚neuen Stadt' verbunden sind.“ (S. 40).

In Kopenhagen steht hierfür zum Beispiel die von einer Stiftung des grössten dänischen Konzern Mærsk gespendete Neue Oper; in Hamburg die Elbphilharmonie und in Berlin Objekte wie die O2-Arena. All diese – die Parallelität ist einfach erstaunlich! – sind eingebettet in neugeschaffene Wohn-, Arbeits- und Vergnügungsviertel für die anzuwerbende „kreative Klasse“: was in Berlin Mediaspree und in Hamburg Hafencity genannt wird, heisst in Kopenhagen Ørestad, ein auf der Insel Amagar komplett neu entstehendes Viertel, das als Standort für eine „Mischung aus Kultur, Kommerz, teurem Wohnraum, prekärer Dienstleistungsarbeit und gehobenen Arbeitsplätzen“ (S. 46) geschaffen wird. Immer in Hafennähe gelegen bzw. auf ehemaligen Hafengebieten erbaut, zeigt sich nicht nur die Ablösung der Industriegesellschaft, sondern auch ein globaler Bezug der „transnationalen“ Stadt (S. 41).

Gentrifizierung und die kreative Stadt

Die „kreative Stadt“ (S. 43) zeichnet sich gleichzeitig durch einen offenen, liberalen und alternativ angehauchten Flair aus. Dafür können selbst Projekte wie Christiania vereinnahmt werden: „Ich führe die Investoren durch die freie Stadt, durch Christiania. Wenn kreative Leute und Gruppen dorthin gehen und diese alternative Architektur erleben, dann kann ich schnell ein Aufleuchten in ihren Augen sehen: Die Zeit ist reif für's Geschäft!“ wird beispielsweise ein Vertreter der städtischen(!) Marketing-Agentur „Wonderful Copenhagen“ zitiert (S. 20).

Dadurch wird der subtile Aufwertungsprozess namens Gentrifizierung in vielen „alternativen“ Vierteln in Gang gesetzt, wie eben auch in Nørrebro, wo das Ungdomshuset stand. Das Viertel Nørrebro passt ganz klassisch in die Aufwertungsschablone: ein verarmtes, heruntergekommenes, innenstadtnahes ehemaliges Arbeiter_innenquartier mit Altbaubeständen, das von jeher als linke Hochburg für die Arbeiter_innenbewegung ebenso wie für die Besetzer_innenbewegung als Schauplatz diente und sich so als ein lebendiges Zentrum „alternativer“ Kultur entwickelte. Die Geschichte der gentrifizierungstypischen Invasionszyklen soll an anderer Stelle erzählt werden.

Viel wichtiger und oft übersehen ist, dass am Ende der Verdrängungsprozesse selten eine völlig homogene neue Sozialstruktur steht, sondern diese eher zu „einer Zersplitterung, Auflösung und Individualisierung städtischer Räume“ (S. 36) führen. In einigen schicken, modernisierten Strassenzügen siedeln sich Künstler_innen, Designer_innen und IT-Fachleute an, einige Ecken weiter wohnen weiterhin Erwerbslose, Migrant_innen und schlecht bezahlte Arbeiter_innen. Diese „kleinräumliche Polarisierung“ (ebenda) spiegelt sich in den widersprüchlichen Zuschreibungen als „hippes Viertel“ einerseits und als “fremd“ und „gefährlich“ andererseits wieder und birgt ein enormes soziales Spannungspotenzial.

Und obwohl Kopenhagen boomt, geht das neoliberale Versprechen, dass wirtschaftliches Wachstum den Lebensstandard für alle Bevölkerungsschichten steigern würde, nicht auf. Soziale Unterschiede werden vielmehr verschärft. Und so ist es kein Wunder, dass das Bild der „kreativen Stadt“ brüchig wird. An dieses Brüchen und Rissen des „Images“ der Stadt gilt es anzusetzen:

„Es ist kein Zufall, dass die Subversion der Bilder dort am stärksten ist, wo sich die Stadt-Realitäten stärker brechen als anderswo. Die Rebellion fand in den Stadtteilen statt, die früher und heute an der Schwelle zwischen der repräsentativen Innenstadt und der untergründigen anderen Stadt liegen.“ (S. 35)

Freiräume als Gegenentwürfe

Vor diesem Hintergrund stellt das Buch auch die Bedeutung von „Freiräumen“ dar und die Beschreibung der Kultur des Ungdomhuset hebt einige Aspekte davon hervor: Selbstverwaltung, basisdemokratische Entscheidungsprozesse, bewusster Umgang mit Hierarchien und Diskriminierung, unkommerzielle Veranstaltungen auch als Plattform für Künstler_innen jenseits des Mainstream, niedrige Preispolitik um die Teilhabe Vieler zu ermöglichen, Vermittlung politischer Inhalte um der gedankenlosen Feier- und Konsumkultur etwas entgegenzuhalten. Es geht darum, einen Ort zu schaffen, in dem eine Gegenkultur, ein anderes Leben, andere Formen des Zusammenlebens möglich werden, die auf anderen Werten und Normen als den gesellschaftlich Praktizierten basieren und so den gesellschaftlichen Konventionen etwas entgegenzusetzen.

In dem lesenswerten Schlusskapitel „Fallstricke der Freiheit“ wird die alltägliche Realität in Hausprojekten, autonomen Zentren und selbstverwalteten Veranstaltungsorten vor dem Hintergrund dieser und anderer politischer Ansprüche kritisch reflektiert. Ein Freiraum ist durch seine blosse Existenz und der Abgrenzung nach aussen nicht automatisch frei von den kritisierten gesellschaftlichen Normen, Hierarchien und Machtverhältnissen.

Diese sind immer und überall vorhanden (in informellen, alternativen Strukturen oftmals viel unsichtbarer), können allerdings hinterfragt, verhandelt, und umdefiniert werden. Und eben genau da(für) sollte ein Freiraum geschaffen werden: für eine kontinuierliche Arbeit daran, „die Machtverhältnisse, geltenden Normen und die Art, zusammen zu leben, zu verändern“ (S. 200). Und letztendlich geht es damit auch immer ein wenig um einen Ort, an dem ein anderes Leben, ein anderes Miteinander, eine andere Gesellschaft ausprobiert werden kann.

Dieser innovative, kreative und alternative Ansatz ist nicht vor Vereinnahmungsangriffen gefeit, wie das oben erwähnte Beispiel von Christiania zeigt. Wichtig ist es deshalb für solche Projekte auch, nicht isoliert in dem geschützten Rahmen des „Freiraums“ zu agieren, sondern in aktiver Auseinandersetzung auf den sie umgebenden gesellschaftlichen Raum Bezug zu nehmen und statt zu einem Standort- zu einem „Störfaktor“ zu werden (S. 194).

Häuserkampf und Stadtentwicklung

Das Buch zeigt, wie wichtig es ist, die Bedrohung von alternativen Projekten und den Erhalt von linken Freiräumen in einem Kontext von neoliberaler Stadtverwertung zu denken und das auch deutlich zu machen. Ein sehr positives Beispiel ist ein Bericht in der Tagesschau anlässlich der Räumung der Liebigstrasse 14 in Berlin: Dort wird das Bild der linken Chaoten und Randalierer differenzierter dargestellt und die Proteste in einen Zusammenhang mit Gentrifizierung & Co. gestellt.

Gleichzeitig müssen Mittel und Wege des Widerstands gegen den Ausverkauf unserer Städte gefunden werden. Es kann nicht sein, dass die für die Räumung des Ungdomshuset verantwortliche Bürgermeisterin Ritt Bjerregård mit Verweisen auf Privateigentum und das dazugehörige Zivilrecht ihre Hände in Unschuld wäscht: „Die Kommune hat [den Jugendlichen] gegenüber keine Verpflichtungen. Ich kann nicht ändern, dass ihnen das Haus eindeutig nicht gehört“ (Arte 2010). Dieser Rechtfertigungsrhetorik müssen politische Strategien entgegengesetzt werden, die Räumungen zu einer hochpolitischen Sache machen.

Im Falle des Ungdomhuset hat sich die Militanz und Ausdauer der Proteste bewährt: im Juli 2008 bekamen die Aktivist_innen ein neues Haus, das allen Forderungen gerecht wurde. Auch boten die Ausschreitungen in Kopenhagen Drohpotenzial für andere bedrohte Projekte, frei nach dem Motto: „Ihr könnt uns ruhig räumen, aber dann habt ihr dieselbe Situation wie in Kopenhagen, nur zehnmal so krass.“ (Aussage von Aktivist_innen in Bezug auf die Köpi in Berlin, S. 124).

Wir sollten uns daran erinnern, dass auch die Besetzungen in den 80er und 90er Jahren ihren Ausgangspunkt in der verheerenden Wohnungspolitik hatten und Widerstand gegen das Programm der flächendeckenden Stadtsanierungen, gegen private Luxussanierungen, spekulativen Leerstand, Wohnungsknappheit, und hohe Mieten waren – eine Aufzählung, die uns doch bekannt vorkommen müsste.

In Zeiten radikaler kapitalistischer Verwertungspolitiken wird es sicherlich immer schwieriger, aber gleichzeitig auch immer wichtiger, Freiräume zu schaffen und zu verteidigen, sie als alternative Lebensräume hochzuhalten, und die Kämpfe darum gleichzeitig als tiefergehenden Widerstand gegen den Umbau zur neoliberalen Stadt und in Allianz mit anderen betroffenen Gruppen und Initiativen zu begreifen. Denn:

„Angesichts der hohen Geschwindigkeit, mit der sich die soziale Struktur der europäischen Grossstädte aktuell verändert, angesichts des Gefälles zwischen Arm und Reich, das in diesen Veränderungen immer grösser wird, des ‚kleinräumigen' Nebeneinanders von Boom und Ausgrenzung, Potenzialen und Repression, ist die Perspektive unwahrscheinlicher geworden, dauerhaft unberührte Inseln der Selbstverwaltung zu schaffen. Aber gleichzeitig sind die Möglichkeiten gewachsen, den Rausch von Inwertsetzung und Aufwertung stören und, wenn auch nur für einige wenige glückliche Momente, relativ weitgehende Forderungen durchsetzen zu können.“ (S. 15)

Franziska Plau
kritisch-lesen.de

Peter Birke / Chris Holmstedt Larsen (Hg.): Besetze deine Stadt! – BZ din by! Häuserkämpfe und Stadtentwicklung in Kopenhagen. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2008. 224 Seiten ca. 19.00 SFr., ISBN 978-3-935936-67-5

Das Buch ist derzeit vergriffen, kann aberhier kostenlos heruntergeladen werden.

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.