Oliver Marchart: Hegemonie im Kunstfeld Kämpfe um Kunst und Politik
Sachliteratur
Anhand der Analyse von drei aufeinander folgenden Documenta-Ausstellungen zeigt Oliver Marchart auf, inwiefern und wie Kämpfe innerhalb des Kunstbetriebes gesellschaftliche Machtverhältnisse reproduzieren – aber auch durcheinander bringen können.
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13. April 2014
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Aber es geht noch um viel mehr. An der künstlerischen Ausrichtung der Documenta-Ausstellungen lässt sich nicht nur kunstintern der letzte Schrei erkennen. Sie bringt zwar auch zum Ausdruck, welche Positionen gerade angesagt sind und wer sich gegen wen behaupten konnte. Mit ihren inhaltlichen und formalen Schwerpunkten setzt sie aber auch Signale in Richtung der Kulturproduktion im Allgemeinen. Und damit interveniert sie schliesslich auch politisch.
Das ist auch eine der Thesen, die der Philosoph und Politikwissenschaftler Oliver Marchart, mittlerweile Professor für Kunstsoziologie an der Akademie in Düsseldorf, in seiner Untersuchung der Documenta von 1997 bis 2007 aufstellt. Was im Kunstfeld vor sich geht, so Marchart grundsätzlich, „ist [...] mit anderen gesellschaftlichen Feldern und politischen Kämpfen verkoppelt“ (S. 24). Nicht zuletzt deshalb, und weil das Kunstfeld eine besondere Arena sozialer Geschmacks- und Meinungsbildung ist, sind Kunstproduktion und Ausstellungsgeschehen auch für nicht Involvierte relevant.
Marchart zeichnet nun konkret nach, wie die dX (1997) mit der Kuratorin Catherine David die politische, Sozial- und Kulturtheorie in der Kunst etablierte, wie die D11 (2002) mit Okwui Enwezor dem postkolonialen Diskurs weit über die Kunstwelt hinaus Sichtbarkeit verlieh und wie schliesslich die d12 mit Roger M. Buergel selbst künstlerische Arbeiten politischen Inhalts „konsequent depolitisierte“ (S. 30). Dies sei einerseits durch die betont stilistische und formale Gruppierung von Werken geschehen: Arbeiten wurden nicht thematisch, genealogisch oder in Bezug auf diskursiv-inhaltliche Effekte zusammen gebracht, sondern danach, ob sie etwa farblich oder in figurativer Hinsicht Gemeinsamkeiten aufwiesen. Andererseits habe die rein subjektive, weniger konzeptuelle Auswahl die Depolitisierung forciert. Marchart beschreibt letzteres in Bezug auf Buergel als das „rein voluntaristische Geschmacksdiktat des Kurators“ (S. 38).
Bei der Frage des Politischen in der Kunst geht es also nicht nur um die Kunstwerke selbst oder um die Anzahl von teilnehmenden KünstlerInnen aus nicht nordamerikanisch-westeuropäischen Regionen der Welt, also nicht nur um künstlerische Produktionen mit soziopolitischer Aussage und um Identitäten von KünstlerInnen.
Es geht auch um die kuratorischen Programme und ihre Verortung in allgemeinen politischen Auseinandersetzungen. Auch dass die BetrachterInnen immer schon in ein „spezifisches Macht-Wissen-Dispositiv“ (S. 80) eingespannt sind, sobald sie einen Ausstellungsraum betreten, wird in Marcharts Schilderungen von der zunächst zunehmenden und dann zurückgedrängten Politisierung im Kunstfeld sehr deutlich. Diese Zurückdrängung wird aber nicht nur als ein Aus- oder Abschalten, sondern eine Art von Integration beschrieben: Hegemoniale Verschiebungen gelingen demnach dann besonders gut, wenn sie in der Lage sind, die Entwicklungen, die sie hinter sich lassen wollen, aufzugreifen und zu inkludieren. Dass das Politische irgendwie zur Kunst gehöre, sei auch von der d12 nicht geleugnet, aber letztlich zu formalen Fragen zerkleinert worden. Sie habe Politik in einen anti-intellektuellen „Erfahrungs- und Sinnlichkeitsdiskurs“ (S. 70) aufgelöst.
Der Autor selbst lässt bei all dem keinen Zweifel an seiner eigenen Positionierung pro Politisierung, wobei er die eigene Beteiligung am Team von Enwezor vielleicht das ein oder andere Mal zu oft erwähnt. Das tut der Plausibilität des Vorwurfs an Buergel (und seine Fraktion), eine blosse „Affirmation des Formalen“ (S. 39) zu betreiben, allerdings keinen Abbruch.
Das Buch „Hegemonie im Kunstfeld“ vollzieht aber nicht nur spezifische Entwicklungen nach. Es liefert darüber hinaus ein Modell, mit dessen Hilfe dies auch weiterhin geschehen könnte. Die beiden Titelbegriffe kündigen dabei schon die theoretischen Bezugnahmen an: Dem Kampf um hegemoniale Positionen und kulturelle Vorherrschaft hatten sich der italienische Marxist Antonio Gramsci und, in dessen poststrukturalistischer Erweiterung, Ernesto Laclau und Chantal Mouffe verschrieben; der Feld-Begriff stammt aus der Soziologie Pierre Bourdieus. Beide Ansätze werden im „theoretischen Anhang“ produktiv verknüpft und man versteht, wieso „Kunstanalyse zu betreiben [heisst], Machtanalyse [zu] betreiben“ (S. 94). Gemeinsam sei beiden Ansätzen die Analyse von Beziehungen (statt jener von Substanzen), sie teilten demnach einen „radikalen Relationismus“ (S. 96), sowie die Frage nach konfligierenden Verhältnissen. In Beziehungen zu denken, heisst in diesem Fall nicht nur, die Position Buergels in Abgrenzung von denen Enwezors und Davids zu denken, sondern sie ins Verhältnis zu allen zeitgleichen Entwicklungen im Museums- und Ausstellungswesen, der journalistischen wie akademischen Kunstkritik, dem Kunstmessenbetrieb et cetera zu setzen.
Diese AkteurInnen und Artikulationen stehen nicht im Einklang mit, sondern in Konflikten zueinander. Diese nach aussen, ins Jenseits des Kunstbetriebes offenen Zusammenhänge machen schliesslich den Diskurs (Laclau/Mouffe) beziehungsweise das Feld (Bourdieu) aus. In Bezug auf den Konflikt sieht Marchart dann aber auch Unterschiede zwischen den Theorieansätzen: Bourdieu könne die Kämpfe, die ihm nach alle Felder konstituieren, nicht theoretisieren. Bei Laclau/Mouffe hingegen liege allen Konflikten eine „diskursive Logik des Antagonismus“ (S. 98) zugrunde.
Dass Marcharts Buch auch fünf Jahre nach Erscheinen kaum rezipiert wurde, ist wohl auch ein Anzeichen dafür, welche Strömungen im Kunstfeld trotz vermeintlich verbreitetem „Habitus des Kritischen“ (Helmut Draxler) die Meinungsführerschaft innehaben.
Oliver Marchart: Hegemonie im Kunstfeld. Buchhandlung Walther König, Köln 2008, 22.90 SFr., ISBN: 978-3865604378
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