Michel Foucault und Noam Chomsky in einem Streitgespräch Macht und Gerechtigkeit

Sachliteratur

Zwei Giganten des Nachkriegsdenkens hat der Journalist Fons Elders 1971 im niederländischen Fernsehen zusammen gebracht: Michel Foucault und Noam Chomsky. Zwei Intellektuelle, die wie wenige die Diskussionen nach 1968 beeinflusst haben.

Noam Chomsky mit dem bolivianischen Vizepräsident Alvaro Garcia Linera in New York.
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Noam Chomsky mit dem bolivianischen Vizepräsident Alvaro Garcia Linera in New York. Foto: Matthew Straubmuller (CC BY 2.0 cropped)

24. September 2008
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Foucault, der bereits in seiner Antrittsvorlesung am Collège de France 1970 sein Vorhaben umriss, die abendländische Geschichte von Vernunft/Wahnsinn neu schreiben zu wollen, eine „Archäologie des Wissens“ vorzunehmen, welche eine wissenssoziologische Analyse der Rolle des Autors beinhaltet, des Redens, bzw. Nicht-Redens über Sexualität, der Klinik, Gefängnisse und Macht. Mit anderen Worten ging es ihm darum, die Raster der Ausschliessung dieser Gesellschaft aufzuzeigen.

Foucault hat gleichzeitig die politische Theorie und Praxis der Linksradikalen, den marxismusinspirierten Gruppen der 1970er und 1980er Jahre entschieden beeinflusst. Mit der Gruppe Gefängnisinformation (GIP) probte er von 1971-1973 ein Gruppenkonzept, welches von vornherein darauf angelegt war, die Initiatorengruppe aufzulösen, sobald die Strafgefangenen sich selbst organisieren um die politische Arbeit autonom zu übernehmen, also als Relais (er mochte die Maschinenmetaphern) fungieren, wie Foucault es nannte. In Überwachen und Strafen (1976) hatte er unter anderem dieses Konzept genau beschrieben.

Noam Chomsky, der dieses Jahr 80 Jahre alt wird, ist der meistzitierte Sprachwissenschaftler der Welt, seine Bibliographie umfasst über 700 Einträge, wobei über die Hälfte davon politische Themen behandeln. Er ist bis heute eine der Symbolfiguren der Antikriegsbewegung in Amerika. Sein linguistisches Hauptwerk zur Universalgrammatik wirkt bis in die Gegenwart auch in den Bereichen der Neurolinguistik, der Lerntheorien und der Psychologie. In den aktuellen Forschungen über Intuition (Bauchentscheidungen vs. Kopfentscheidungen) spielt Chomsky eine wichtige Rolle. Eine sehr gute Einführung in sein Denken liefert Sprache und Politik (Berlin 1999).

Das neu erschienene Bändchen von orange press enthält die gesamte Diskussion zwischen Foucault und Chomsky, moderiert und mit einem aktuellen Vorwort versehen von Elders. Ihm geht es darum, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Denken der beiden herauszuarbeiten, beispielsweise Chomskys Annahme für seine Sprachtheorie, dass die Menschen von Natur aus mit einem System intellektueller Organisation ausgestattet seien, einer universellen Grammatik, die man auch als Anfangszustand des Geistes bezeichnen könne.

Foucault misstraute dieser Annahme, allerdings nicht prinzipiell, er kennt das Werk Chomskys offensichtlich sehr genau und beide sind darum bemüht, die zum Teil unterschiedlichen Begrifflichkeiten, Ansätze und Methoden aufeinander abzustimmen. Die Diskussion, welche mehrmals durch Zwischenfragen des Studiopublikums unterbrochen wird, verläuft jedenfalls sehr sachlich. Und wird gelegentlich sogar richtig lustig, als Elders nach Foucaults Politikverständnis fragt. Foucault:

"Ihre Frage lautet, warum ich so an Politik interessiert bin? Am liebsten würde ich mit einer Gegenfrage antworten: Warum sollte ich nicht? Mit welcher Blindheit, welcher Taubheit, welcher engstirnigen Ideologie müsste ich geschlagen sein, um mich vom Interesse für das alles entscheidende Thema abzuhalten?"

Sicher, unbedingt! Allerdings die Dramen, die damit verbunden waren, seien hier nur kurz gestreift: Jacques Derrida, der sich als ehemaliger Schüler Foucaults anmasste eine kritische Rezension von Wahnsinn und Gesellschaft (1961) zu veröffentlichen, die neben viel Lob für die Arbeit Foucaults eigentlich nur schüchtern darauf hinwies, dass der Professor den langen Epochen in der Geschichte den Vorzug einräume und seine Geschichte des Wahns im Zeitalter der Vernunft, so der Untertitel, eben vor der Psychoanalyse Freuds endete, folgte eine barsche Reaktion: Die zweite Auflage der französischen Ausgabe enthielt ein düsteres Nachwort an Derrida. Aber dies ist eine andere Geschichte.

Chomsky wiederum, der bereitwillig und eloquent auf Fragen zum Anarchosyndikalismus, Arbeiterräten und anderen freien Zusammenschlüssen antwortet, widerspricht der Revolutionstheorie Foucaults, der mit Spinoza argumentiert, bzw. kokettiert, dass der Klassenkrieg geführt würde, um ihn zu gewinnen, nicht weil er gerecht wäre. In diesen seltenen Momenten schimmert durch, wie sehr das unbedingte Denken Foucaults jenes seiner Generation beeinflusst hat, und umgekehrt das analytische Denken Chomskys, jenes eines anderen Teils. Das mag sicher auch eine Frage der unterschiedlichen Persönlichkeiten sein.

Elders berichtet im Vorwort davon, dass der Franzose nach 20 Uhr keinen Philosophenkollegen mehr treffen wollte und sich statt dessen lieber im subkulturellen Zentrum Melkweg in Amsterdam vergnügte. Der Amerikaner dagegen bezeichnete sich in einem anderen Interview als ausgesprochener Familienmensch. Während der niederländische Fernsehsender N.I.O. im Frühjahr 2008 ein weiteres Porträt von Chomsky, produziert von Fons Elders, ausstrahlte, glauben die Fernsehverantwortlichen hierzulande anscheinend, man könne dies dem deutschen Publikum nicht zumuten?

Und dass zumindest diese einzigartige Diskussion endlich auch schriftlich vorliegt ist einem kleinen, unabhängigen und sehr ambitionierten Verlag zu verdanken.

Adi Quarti /Infosperber

Michel Foucault / Noam Chomsky / Fons Elders: Absolute(ly). Macht und Gerechtigkeit. Ein Streitgespräch zwischen Michel Foucault und Noam Chomsky. Orange Press Verlag, Freiburg 2008. 61 Seiten, ca. SFr 14.00, ISBN 978-3-936086-37-9