Die Bonzenschweine gab es schon vorher, ebenso wie ein korruptes politisches System, in welchem Oligarchen ihre Klientel bedienen, gegeneinander konkurrieren, aber miteinander verbunden sind, in der Niederhaltung von sozialen und demokratischen Bestrebungen. Erklärungsbedürftig scheint mir aber zu sein, warum sie Oligarchen nun selbst die politischen Machtpositionen übernehmen. Immerhin könnte man auch die Ansicht vertreten, dass es für sie viel effektiver ist, eine Kaste von Berufspolitiker*innen vorzuschicken, um ihre Interessen vermittelt durchzusetzen. In diesem Sinne kann gefragt werden, ob die Vergabe der Leitung von Ministerien an Milliardär*innen, als Ausdruck einer tatsächlichen Veränderung im politischen System gelten kann (wenn auch nur einer von einem dutzend). Handelt es sich um einen Indikator dafür, dass (im „westlich-europäischen“ Block) in ökonomischer Hinsicht ein protektionistischer Neofeudalismus auf lange Sicht gesiegt hat? Wenn ja, wie liesse sich das aufziehende politische Regime dann beschreiben?
Bisher erschien es mir naheliegend, vor einem neofaschistischen System zu warnen. Und der Aufstieg der extremen Rechten, weltweit, aber auch in Europa und der BRD verdeutlicht ja, dass diese eine echte Gegenhegemonie darstellen und ihrerseits die Systemfrage stellen. Sicherlich haben prominenterweise auch Donald Trump und mittlerweile Elon Musk faschistische Züge angenommen. Doch ehrlicherweise erklärt dies nicht, warum die Bonzokratie direkt die politische Herrschaft übernimmt (und dabei die zuvor herrschenden neoliberalen Eliten verdrängt).
Ein etwas sperriger Begriff, der dahingehend weiterhelfen kann, ist jener des „Neuen Bonapartismus“, welcher – ausgehend von Nicos Poulantzas marxistischer Staatstheorie – in den letzten Jahren in linken Kreisen wieder verstärkt diskutiert wurde. Der Begriff wird sich nicht allgemein etablieren, weil der den vermurksten Beigeschmack marxistischer Debatten aufweist. Worum es geht, ist, dass neoliberale Eliten ihren Herrschaftsanspruch zugunsten eines neuen Autoritarismus zurückstellen, um ihre Schäfchen in der globalen, kapitalistischen Fucked-up-Verwertungsmaschinerie ins Trockene zu bringen. Dies ermöglicht ein neuartiges Herrschaftsregime, dass es zu verstehen gilt, um es angreifen und Gegenmacht organisieren zu können. Eine theoretische Inspiration bietet der schon 2018 beim Dietz-Verlag von Martin Beck und Ingo Stützle herausgegebene Sammelband Die neuen Bonapartisten. Mit Marx den Aufstieg von Trump & Co. verstehen (kostenlos unter dem Link als pdf verfügbar). Zumindest einen Auszug aus dem Nachwort von Frank Deppe möchte ich hier abbilden.
Bonapartismus reloaded?
„[…] Worin aber besteht heute der Charakter der »organischen Krise« bzw. des »Ausnahmezustandes«, wie er von der nationalistischen Rechten beschworen wird? Am Anfang des 21. Jahrhunderts erodiert die Stabilität kapitalistischer Herrschaft im Rahmen der demokratischen Verfassung. Das ist einerseits Ausdruck von Krisentendenzen, die mit der sozialökonomischen Entwicklung verbunden sind und die nicht nur Angst und Unsicherheit in der Bevölkerung verstärken, sondern auch Konflikte zwischen Kapitalfraktionen im »Block an der Macht« sowie strategische Neuorientierungen für die Sicherung der Herrschaftsverhältnisse – vor allem durch einen starken Nationalstaat – hervorbringen. Andererseits eröffnen der globale Wettbewerb zwischen den neuen Machtzentren in der Weltpolitik und Weltwirtschaft sowie die damit verbundenen Konflikte die Bereitschaft zur Akzeptanz von nationalistischen und fremdenfeindlichen Anrufungen. Diese gehen mit einer Politik der Abschottung nach aussen sowie der Aufrüstung einher und verteufeln die liberale ebenso wie die linke Kritik als Angriff fremder – kosmopolitischer – MächteDer Hegemoniezyklus, der im letzten Viertel des 20. Jahrhundert in der Grossen Transformation und mit dem Siegeszug neoliberaler Politik und Ideologie begann, ist in eine Konstellation der »reflexiven Globalisierung« übergegangen. Die expansive Phase bis zum Jahrhundertende war durch enormes Wachstum, Internationalisierung der Produktion und der Finanzmärkte, Öffnung neuer Märkte (als Folge des Zusammenbruchs des »realen Sozialismus« und der Öffnung Chinas) sowie durch den Beginn einer Produktivkraftrevolution, einer Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse und der Demontage des fordistischen Wohlfahrtsregimes charakterisiert. »Reflexive Globalisierung« bedeutet hingegen, dass die inneren Widersprüche dieser Expansion mehr und mehr auf die Metropolen des Kapitals selbst, von denen diese Prozesse ausgehen, zurückwirken. Die Folgen der Kriege, die der Westen seit 1991 geführt hat, gehören dazu ebenso wie die Folgen der »imperialen Lebensweise«, die vom Wachstum der industriellen Zivilisation profitiert und zugleich Naturzerstörung und Klimawandel, aber auch das Elend in der Welt nachdrücklich verursacht.
Inzwischen werden in Frankreich und Belgien ie Gettos der nordafrikanischen Migranten als Brutstätten des Terrors und damit als Beweis einer gescheiterten Integration gefürchtet. Die rechten Populisten leiten daraus die Notwendigkeit einer gewaltsamen »Zurückführung« ab. Die zunehmenden Flüchtlings- und Migrationsbewegungen in der Welt wirken ebenso auf die Metropolen zurück wie die Krisenpotenziale auf den globalen Finanzmärkten und die Bemühungen einzelner Regierungen um die Aufrüstung und Modernisierung ihrer Armeen. Auf diese Weise wollen sie ihre Machtposition im verschärften internationalen Wettbewerb verbessern. Der Ruf nach dem »starken Staat«, der das eigene Land und Volk gegen diese Rückwirkungen der kapitalistischen Globalisierung abschotten soll, ist seit 2008 sehr viel lauter geworden und richtet sich in der Innenpolitik besonders aggressiv gegen diejenigen »liberalen Kosmopoliten«, die sich noch für »offene Grenzen« bzw. für das Primat »humanitärer Massnahmen« einsetzen. Gleichzeitig betrachtet die rechtsradikale Ideologie (die Religion, Familie, Vaterland und den starken Staat überhöht) Sozialismus und Kommunismus immer noch als ihre Hauptfeinde.
Auf jeden Fall ist das Thema innere und äussere Sicherheit in den entwickelten kapitalistischen Staaten des Westens an die erste Stelle der politischen Agenda (auch bei den Meinungsumfragen) gerückt und hat das Thema soziale Gerechtigkeit auf die Plätze verwiesen. Innere Sicherheit verlangt ökonomische und soziale Stabilität sowie einen starken und handlungsfähigen Staat als Reaktion auf Terrorismus und Migration, eine stabile Regierungsmehrheit und ein vertrauenswürdiges politisches Personal an der Spitze des Staates. Der Ausnahmezustand, über den der starke Staat verfügt, wird offenbar von Mehrheiten der Wahlbevölkerung – wie z.B. in Frankreich nach der Wahl von Macron – als Normalzustand akzeptiert. Der »autoritäre Etatismus« stützt sich eben, wie schon Marx schrieb, auf die staatliche Exekutivgewalt (Armee, Polizei, Justiz), also auf die »repressiven Staatsapparate«.
Deren Erweiterung bildet den Kern der autoritären Transformation demokratisch verfasster Staaten, in denen kein Staatsstreich stattfindet, sondern der autoritäre »Block an der Macht« bei Wahlen Mehrheiten gewinnt. Dass die Polizeikräfte ständig vermehrt werden und – bürgerkriegsähnlich ausgerüstet – nicht nur auf Terroristenjagd gehen, sondern auch Demonstrationen für Bürgerrechte und eine gerechte Weltordnung einschüchtern oder angreifen, gehört ebenfalls zu einem Konsens, der inzwischen von fast allen Parteien übernommen wurde. Dass im Zuge der digitalen »Revolution« die staatliche Überwachung und Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger scheinbar grenzenlos geworden ist, stösst – als Moment des Sicherheitskonsenses – ebenfalls auf breite Zustimmung.
Die zweite Dimension der »organischen Krise«, die dem Aufschwung des Rechtspopulismus und Nationalismus zugrunde liegt, wird durch die »ungleiche Entwicklung« im Kapitalismus reproduziert. In den Kapitalmetropolen selbst hat die Politik der neoliberalen Globalisierung eine enorme Stärkung der transnationalen Konzerne und des Finanzkapitals zur Folge; zugleich wird die Spaltung zwischen Arm und Reich, zwischen dem oberen ein Prozent und dem Rest der 99 Prozent vorangetrieben. Infolge der Flexibilisierung und Internationalisierung der Arbeitsmärkte hat sich ein wachsender Sektor der Prekarität (mit temporärer Beschäftigung und Niedriglöhnen) etabliert, in dem fast ein Drittel der Beschäftigten tätig ist und durch den das Phänomen der »Armut in der Vollbeschäftigung« hervorgebracht wurde.
Wenn es richtig ist, dass der Niedergang des – von den USA geführten – Westens und der Aufstieg des – von China geführten – »Ostens« ein Grundmerkmal unserer Epoche ist, dann werden Machtkonflikte und militärische Auseinandersetzungen zunehmen. Daraus wiederum wird im »herrschenden Block« die Bereitschaft wachsen, autoritäre Lösungen für die Handlungsfähigkeit des Staates zu akzeptieren. Gleichzeitig intensiviert die ungleiche sozialökonomische Entwicklung zwischen verschiedenen Staaten – auf der globalen Ebene, aber auch innerhalb des Westens bzw. der Europäischen Union (EU) – sowohl den Wettbewerbsdruck als auch die Tendenz zur nationalen Abschottung. In der EU hat sich diese Tendenz seit den 1990er-Jahren mit der Osterweiterung, der Verwirklichung des Binnenmarktes und der Einführung des Euro deutlich verstärkt.
Die Etablierung autoritärer Regime in Ungarn und Polen z.B. war auch eine Reaktion darauf, dass über die EU die Waren- und Kapitalexporte aus den »reichen« Staaten (vor allem aus Deutschland und Österreich) die Entwicklung einer nationalen Bourgeoisie hemmen, gleichzeitig aber den Export billiger Arbeitskräfte in die reichen Länder erzwingen. Als sich aufgrund der Krise von 2007/08 die Arbeitslosigkeit erhöhte und die Armut sowie die die öffentliche und private Verschuldung noch einmal zugenommen hatten, war in beiden Staaten der Boden für die Erfolge einer nationalistischen Politik bereitet, die nationale Wirtschaftsförderung und Sozialpolitik ebenso wie die Verweigerung einer gemeinsamen Flüchtlingsund Asylpolitik der EU in den Vordergrund rückt.
Der reaktionäre Charakter dieser Politik erschliesst sich nicht nur über deren antisozialistische und antikommunistische Orientierung, die Verachtung für westliche Demokratiemodelle sowie offene rassistische und völkische Politiken, die sich gegen Roma und Sinti richten und auf imperiale Traditionen der nationalen Geschichte zurückgreifen. Die Abwehr der Feinde an den eigenen Grenzen und die Überhöhung derjenigen Teile des eigenen Volkes, die im Ausland vermeintlich unterdrückt werden, rücken propagandistisch ins Zentrum. Reiche, »liberale Kosmopoliten« im Ausland werden zu gefährlichen Feinden des jeweils eigenen Volkes erklärt – wie im Fall Ungarns etwa der Finanzkapitalist Georg Soros. Politische Stiftungen und Thinktanks aus dem Westen müssen sich einer rigiden Kontrolle der Verwendung ihrer Gelder unterwerfen. […]“ (Frank Deppe 2018: 253-256)