Markus Bernhardt: Das braune Netz Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und die Inlandsgeheimdienste

Sachliteratur

Im November 2011 wurde die Existenz der neonazistischen Terrorgruppe aufgedeckt, die mehr als 13 Jahre unbehelligt Morde und Bombenanschläge begehen konnte.

1998 durchsuchte Garagenanlage in Jena mit der Bombenwerkstatt.
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1998 durchsuchte Garagenanlage in Jena mit der Bombenwerkstatt. Foto: Reise Reise (CC BY-SA 2.0 cropped)

3. Januar 2020
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Markus Bernhardt beleuchtet die Hintergründe des Zusammenwirkens der Geheimdienste und der NSU.

Im November 2011 kam es zur Aufdeckung der Morde und Anschläge des neonazistischen „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU). Die mindestens aus den Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe bestehende Terrorgruppe ermordete zwischen 2000 und 2006 neun Migranten und 2007 eine Polizistin. Ausserdem soll neben mehreren Banküberfällen der NSU für einen Nagelbombenanschlag in der mehrheitlich von Migranten bewohnten Keupstrasse in Köln verantwortlich sein, wobei 22 Menschen zum Teil schwer verletzt wurden.

Lückenhafte Aufarbeitung

Der Journalist Markus Bernhardt stellt in seinem Buch „Das braune Netz. Naziterror - Hintergründe, Verharmloser, Förderer“ die These auf, dass mehrere Geheimdienste der BRD die Aufenthaltsorte der 1998 untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe kannten und deshalb die Morde und Anschläge hätten verhindern können: „Ohne die Kumpanei der bundesdeutschen Geheimdienste hätte die neofaschistische Terrorgruppe (…) nicht über dreizehn Jahre hinweg Morde, Bombenanschläge und Bankraube verüben können.“ (S. 7)

Das Abtauchen des Trios in den Untergrund könne laut Bernhardt nicht ohne das Wissen führender Mitglieder des neofaschistischen Thüringer Heimatschutzes (THS), dem die drei angehörten, sowie ohne Kenntnis des thüringischen Verfassungsschutzes erfolgt sein. Für die lückenhafte und schwerfällige Aufarbeitung des „grössten Geheimdienstskandals der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte“ (ebd.) macht Bernhardt die herrschende politische Elite verantwortlich: „Sind es doch massgeblich Politiker der Regierungskoalition, die sich mit aller Macht gegen eine umfassende öffentliche Aufarbeitung des Geheimdienstskandals stemmen.“ (S. 9)

Bernhardt spricht sich mit Recht gegen die Fortsetzung der Praxis der sogenannten V-Leute aus: „Vor allem aber wäre die militante Neonaziszene nicht so stark, wenn die Löhne, die die Geheimdienste den von ihnen installierten V-Leuten zahlen, nicht als eine Art staatlicher Transferleistungen in den Aufbau der rechten Szenerie flössen.“ (S. 42)

Er stellt weiterhin die Frage, ob der NSU Teil eines international operierenden neonazistischen Terrornetzwerks war:

„Es dürfte (…) mitnichten ausgeschlossen sein, dass das NSU-Netzwerk über gute internationale Kontakte verfügte und dass Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe während ihrer Zeit im Untergrund nicht nur von deutschen, sondern auch von Faschisten in und aus anderen Ländern unterstützt worden sind.“ (S. 26)

Neben einer „Mitverantwortung der Inlandsgeheimdienste für die Morde“ (S. 112) macht Bernhardt zu Recht den in weiten Teilen der Gesellschaft verankerten Rassismus im weitesten Sinn für die Terrorakte verantwortlich. Die repräsentative Studie „Die Mitte in der Krise – Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland“ aus dem Jahre 2010 ergab, dass über ein Viertel der Befragten über ein gefestigtes extrem rechtes Weltbild verfügte. Für diese Studie wurden im Frühjahr 2010 mehr als 2.400 Menschen befragt. Daraus ergab sich, dass in der Bundesrepublik antidemokratische und rassistische Einstellungen auf einem sehr hohen Niveau existierten. Der NSU konnte sich bei diesen Einstellungsmustern als „Vollstrecker“ eines vermeintlichen „Volkswillens“ sehen.

Bernhardt spricht weiterhin vom Fehlen einer „nötigen Distanz mancher Ermittler (der Geheimdienste, Anm. M.L.) zur rechten Szene“ (S. 112). Hierbei nennt er namentlich den früheren Präsidenten des thüringischen Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, der in dem extrem rechten Ares-Verlag aus Graz publizierte. Die Behauptung Bernhardts, dass Roewer öffentlich ausgeführt hatte, dass der Nationalsozialismus „gute als auch schlechte Seiten“ gehabt habe (S. 46), wird leider nicht mit einer Quelle belegt.

Dann arbeitet Bernhardt die Reaktionen der extrem rechten Parteien in der BRD auf die Aufdeckung des Terrornetzwerks der NSU heraus. In neonazistischen Foren finden sich Andeutungen zu einer Rechtfertigung der Morde und Anschläge. Dagegen verurteilten der antimuslimische Internetblog Politically Incorrect (PI) und die extrem rechte Pro-Bewegung die Verbrechen des NSU, da beide Gruppen Angst vor staatlichen Repressalien befürchteten (S. 37). Die NPD versuchte auch im Hinblick auf ein bestehendes Verbotsverfahren den Eindruck zu erwecken, dass es keine Verbindung zwischen der Partei beziehungsweise einzelnen Mitgliedern und dem NSU gab. Ihr Bundesvorsitzender Holger Apfel thematisierte dagegen die „Verstrickung der Inlandsgeheimdienste in den NSU-Terror“ und stellte sich als unschuldiges Opfer in der Öffentlichkeit dar (S. 38).

Kritik an der Extremismustheorie

Anschliessend kritisiert Bernhardt die Extremismustheorie, die in den Veröffentlichungen des Verfassungsschutzes sowohl des Bundes als auch der Länder verwendet wird. Die beiden Politikwissenschaftler Uwe Backes und Eckhard Jesse sind seit Jahren bemüht, die Extremismustheorie über Staatsschutzorgane oder Regierungsapparate hinaus im akademischen Bereich zu etablieren. Der Extremismusbegriff gilt als „Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen (…), die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte einig wissen.“ (Backes / Jesse 1993, S. 40) Bernhardt befürchtet, dass die Debatten über die erneute Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die NPD dazu genutzt werden, um auch über die verstärkte Überwachung oder gar ein Verbot der Linkspartei nachzudenken.

Für die Bekämpfung der extremen Rechten hält Bernhardt die Extremismustheorie für gänzlich ungeeignet:

„Die Extremismustheorie läuft daher prinzipiell auf die Unterstützung eines autoritären Staates hinaus, der Abweichungen von der jeweils neu definierten ,Mitte' sanktioniert. Die Virulenz einer sozialen Bewegung der ,extremen Rechten' sowie rassistische, nationalistische und antisemitische Stereotype in einem erheblichen Teil der bundesdeutschen Bevölkerung werden von Extremismusforschern zumindest ignoriert und bagatellisiert.“ (S. 72)

Dabei bezieht er sich besonders auf Kritiker_innen der Extremismustheorie aus Wissenschaft und Politik, die auf eine „Extremismus der Mitte“, das heisst eine Interaktion zwischen extremen Rechten und der „Mitte“ der Gesellschaft und des politischen Establishments, verweisen.

Die Extremismustheorie stellt für ihn ein ideologisch motiviertes staatliches Instrument gegen antifaschistische Politik und Aktionen dar, das den Widerstand gegen rechte Denkmuster und Gewalt behindert. Dabei verweist er auf die Kriminalisierung der Proteste gegen neonazistische Aufmärsche in Dresden und Dortmund in den vergangenen Jahren. Um rechte Gewalt und das Vordringen rassistischer Denkmuster in der Gesellschaft zu bekämpfen, fordert Bernhardt,

„verstärkt gegen den gesellschaftlich verankerten Rassismus vorzugehen, endlich die vollkommene Gleichstellung und Teilhabe von Migranten sicherzustellen und einen offensiven Antifaschismus nicht wie bisher als Bedrohung der Demokratie, sondern vielmehr als zwingende Notwendigkeit zu akzeptieren.“ (S. 113)

Weiterhin plädiert er dafür, die Praxis der V-Leute einzustellen, deren Bezahlung für den Aufbau rechter Strukturen mitverantwortlich ist, sowie die sofortige Auflösung der bundesdeutschen Inlandsgeheimdienste.

Insgesamt gesehen bietet das Buch einen guten Einstieg über den Mordserie des NSU und die Verstrickung der bundesdeutschen Geheimdienste. Leider fehlen die Hinweise auf die benutzten Quellen fast durchgängig. Neue sensationelle Enthüllungen werden nicht geliefert, was auch nicht der Anspruch des Autors ist. Bernhardt stellt die Hintergründe des Zusammenwirkens der Geheimdienste mit neonazistischen Terroristen dar und fordert darüber hinaus die Abschaffung aller Inlandsgeheimdienste mitsamt deren extremismustheoretischer Ideologie.

Dass diese provokanten Thesen vor allem bei Vertretern des Verfassungsschutzes oder der Geheimdienste auf vehemente Ablehnung stösst, wundert niemanden. In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel auch die Rezension des Buches von Armin Pfahl-Traughber zu sehen. Pfahl-Traughber war von 1994 bis 2004 Mitarbeiter beim Bundesamt für Verfassungsschutz und publiziert seit Jahren in dem von Backes und Jesse herausgegebenen „Jahrbuch für Extremismus und Demokratie“. Ausserdem gibt er seit 2008 das „Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung“ heraus und ist Professor an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl.

Auf dem Internetblog Endstation Rechts wirft er Bernhardt „verschwörungstheoretische Deutungen“ und das Arbeiten mit „Andeutungen und Unterstellungen in seinem Sinne“ vor. Pfahl-Traughber geht es dabei nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Thesen des Autors, sondern um eine blosse Abwehr von Angriffen von kritischen Einzelpersonen oder Gruppen auf die bundesdeutschen Geheimdienste.

Michael Lausberg
kritisch-lesen.de

Markus Bernhardt: Das braune Netz. Naziterror - Hintergründe, Verharmloser, Förderer. Papyrossa Verlag, Köln 2012. 117 Seiten. ca. 12.00 SFr., ISBN: 978-3-89438-482-1

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