Kannst du kochen, willst du ficken?
Falls frau sich nun erhofft, mit dieser Schule der Verführung wenigstens das allgemeine Niveau beim Flirten gehoben zu sehen, wird sie enttäuscht. Aber das ist auch nicht das Anliegen, es geht ja in erster Linie darum, das männliche Ego durch Frauen zu bestätigen – das ist das ganze Geheimnis der Entdeckung der eigenen Männlichkeit. Was hier als Verführung präsentiert wird, ist äusserst konventionell und will auch nichts anderes, als das sein: good enough, um eine Frau anzusprechen, ihre Telefonnummer zu ergattern oder eben, aber das ist dann schon für Fortgeschrittene, noch am selben Abend Sex mit ihr zu haben. Die Anbaggersprüche im Buch sind so lahm, dass die Warnung des Autors, sie nicht auswendig zu lernen, sich eigentlich erübrigen müsste: Kannst du kochen?Die eigentliche Anleitung zur Kunst der Verführung besteht nun darin, die Hindernisse für ein Gespräch mit der Frau aus dem Weg zu räumen und dann Anziehung und Vertrauen zu erzeugen. Und dafür ist geistreicher Wortwitz oder auch nur ein einigermassen intelligenter Spruch offenbar verzichtbar. Übungsterrain und Jagdrevier ist der Club. Dem Schüchternen wird er als Königsdisziplin angepriesen. Vor allem lässt sich aber die funktionale Raumaufteilung in Tanzfläche, Bar, Gang zum Klo, Garderobe und Aussenbereich für die eigenen Abschleppmanöver in Dienst nehmen. Beim Bäcker ist das schwieriger und wird auch gar nicht erst in Erwägung gezogen. Soziologisches Halbwissen, vermeintlich evolutionsbiologische Erkenntnisse und Volksweisheiten werden in klare Handlungsanweisungen überführt: ihre Gruppe knacken, dazwischenfunkende Freundinnen ausschalten, das Gespräch eröffnen, die Frau von der Gruppe isolieren und so weiter. Sich dabei als attraktives Alpha-Männchen zu gerieren und dadurch begehrenswert zu erscheinen, ist das Kernstück der hier propagierten Sozialtechnik:
„Frauen reagieren unglaublich feinfühlig darauf, wenn du durchblicken lässt, dass es auch andere Frauen in deinem Leben gibt und gab. […] Es reicht völlig, so etwas ganz ungezwungen immer wieder in einem Nebensatz fallen zu lassen […], um der Dame den Eindruck zu vermitteln: Ja, es gibt oder gab mal Frauen in meinem Leben, und nein, ich renne ihnen nicht hinterher. Ich lebe mein Leben nach meinen Prinzipien und Regeln, ich tue nicht alles, um einer Frau zu gefallen. Das vermittelt Stärke! […] Wenn du unterwegs bist, empfehle ich dir, mit so vielen Frauen wie möglich Kontakt aufzubauen, auch wenn es nur ein kurzer Smalltalk ist. Frauen riechen förmlich den Wert eines Mannes und der steigt, wenn andere Frauen mit dir Kontakt haben.“ (S. 84f.)
Zur Reproduktion des Alpha-Männchens
Ohne Frage, es gibt hier reichlich Anlass sich aufzuregen: über die Manipulation, über toxische Männlichkeit, über anachronistische Rollenbilder und die Faszination für Sozialtechniken. Lohnender ist es aber vielleicht, dem nachzugehen, was dieses Programm dem Selbst abverlangt. Ständig Interesse bei anderen hervorzurufen, ohne sich selbst gefühlsmässig zu involvieren, ist harte Arbeit. Das Buch äussert sich nicht dazu, wie denn zwischen der reinen Performance und dem eigenen Gefühlsleben vermittelt werden soll. Es ignoriert die Gefahr der Entfremdung, indem es Entfremdung als Langeweile umdefiniert, der mit grösseren Herausforderungen begegnet werden muss. Hier liegt die eigentliche Lektion fürs Leben im Kapitalismus.Wer seine Technik so perfektioniert hat, dass ihm seine angestammte Disco zu fad wird, dem stellt Marcel Herzog den ultimativen Kick fürs Selbstbewusstsein in Aussicht: ein echtes Date mit einer Professionellen – nicht mit Pretty Woman, aber mit einer Stripperin. Doch auch das zielt nicht darauf ab, dass Männerphantasien Wirklichkeit werden können, womit es ja dann wenigstens mal um Träume, Wünsche und Gefühle – das eigene Begehren – ginge. Seine Verhaltenslehre interessiert nur: Was, wenn Sozialtechnik auf Sozialtechnik trifft? Ja, was: ihre professionellen Verführungskünste an sich abgleiten lassen, dann Interesse an der Person hinter der sexy Maske heucheln (und wieder: Kannst du kochen?). Nüchtern betrachtet sind die Erfolgsaussichten, damit ihre Telefonnummer zu kriegen, wohl eher niedrig anzusetzen. Aber es verweist darauf, dass der Egotrip fest verankert ist in den kapitalistischen Verhältnissen: Frauen sind dafür da, die Reproduktion der männlichen Arbeitskraft, ihren positiven Weltbezug und Selbstbewusstsein sicherzustellen – und zwar unbezahlt.
Dating wie am Fliessband und Innovation in den Datenfabriken
Das Schlüsselwort Selbstbewusstsein verklammert Reproduktion und Produktion: Sex und Arbeit. Marcel Herzog macht explizit, an wen er sich wendet. Seine Internetseite wirbt für sich mit Flirten für Techniker, Ingenieure und Entwickler. Das hebt vordergründig auf das Klischee des Nerds ab, es ist aber darüber hinaus auch noch aufschlussreich. Diese Berufsgruppen sind von den Zumutungen besonders betroffen, mit denen sich der Kapitalismus unter dem Schlagwort Agile Entwicklung in Form von aktuellen Managementkonzepten und Digitalisierung neuerfindet. Was vor gut 20 Jahren als neue Methode zum Projektmanagement in der Softwareentwicklung startete, hat sich mittlerweile als vermeintliches Zaubermittel zur Herstellung von Innovation in den meisten grossen Wirtschaftssektoren ausgebreitet. Wie so oft haben sich die Erwartungen an diese Revolution der Arbeitswelt nur für das Kapital erfüllt.Für die ITler, Techniker und Maschinenbauer entpuppte sich der erhoffte Zugewinn an Freiheit als Intensivierung der Arbeit: Die vielgepriesene Selbstorganisation der Teams bürdet den Teammitgliedern die Managementaufgaben selbst auf. Der Chef wird verzichtbar, mit unübersehbaren Konsequenzen für die eigenen Aufstiegschancen. Die Anforderungen an die Mitarbeiter steigen auf vielfältige Weise, etwa an ihre Kompetenz zu Führung und Selbstführung und ihre Kommunikationsfähigkeit. Man(n) wird nicht nur ausgebeutet, sondern fühlt sich auch ausgebeutet. Und das zu Recht.
Hier nun setzt die Ratgeberindustrie an: Das aufkeimende Bewusstsein, etwas läuft da falsch für das Selbst, lässt sich offensichtlich leicht dahin umlenken, dass etwas falsch sein muss mit dem Selbstbewusstsein. Um dann ein Angebot bereitzustellen, das auf Methoden der Selbstführung und Kommunikationsstrategien hinausläuft und im Falle der Verführungsschule vor allem trainiert, wie man sich die Gefühle, die einem kommen, wenn man tut, was man tut, vom Leib hält. Und so schliesst sich dann der Kreis: Das von Coach und weiblicher Aufmerksamkeit wieder aufgerichtete Selbst darf sich selbstwirksam fühlen. So gestärkt und mit dem so unbedingten wie unberechtigten Gefühl ausgestattet, nun zu durchschauen, wie die Welt tickt, begibt es sich ohne Murren zurück in die Arbeitsmühle.