Manfred Sohn: Falsche Feinde. Was tun gegen die AfD? Die AfD als Ausdruck der kapitalistischen Krise

Sachliteratur

Das Buch beleuchtet die bisherige Entwicklung der AfD, ihre Programmatik und die Hintergründe ihrer Ideologie – der Untertitel aber verheisst zu viel.

Tag der offenen Tür im Bundeskanzleramt (Berlin) am 26. & 27. August 2017. Beatrix von Storch (AfD) nützt den Rummel für ihren eigenen Wahlkampf.
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Tag der offenen Tür im Bundeskanzleramt (Berlin) am 26. & 27. August 2017. Beatrix von Storch (AfD) nützt den Rummel für ihren eigenen Wahlkampf. Foto: Mutter Erde (CC BY-SA 4.0 cropped)

19. September 2017
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In den Netzwerken der Neuen Rechten nimmt die Alternative für Deutschland (AfD) eine besondere Stellung ein: Im Gegensatz zu anderen beherrscht die AfD seit ihrer Gründung Ende 2012/Anfang 2013 die Titelseiten und greift in den Diskurs um Flucht und Migration mit offen nationalistischen und rassistischen Positionen ein. Durch ihre vermeintliche Pluralität schafft sie es noch immer, sich in der Wahrnehmung vieler als nationalkonservative bürgerliche Partei von der extremen Rechten abzugrenzen, während sie diese zugleich integriert. Durch Wahlerfolge in den Bundesländern, dem Einzug in die Parlamente und damit verbunden der Einnahme einer Leerstelle im deutschen Parteiensystem schaffte es die AfD, Anhänger_innen aus verschiedenen Lagern zu gewinnen und bietet so eine Scharnierfunktion, durch die verschiedene Akteur_innen und Ideologien der Rechten miteinander verbunden werden. Doch liegt gerade in dieser vermeintlichen Abgrenzung zu weniger massentauglichen Akteur_innen eine der wichtigsten Strategien der Neuen Rechten.

Alte und neue Netzwerke

Dass die AfD dabei von Anfang an auch auf ein etabliertes Netzwerk setzen konnte, zeigt Manfred Sohn im ersten Teil seines Buchs „Falsche Feinde – Was tun gegen die AfD?“ Obgleich die AfD allgemein von allen Seiten eine grosse mediale Aufmerksamkeit genoss, funktionierte besonders die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit als Stichwortgeberin zur programmatischen Entwicklung der Partei. Hier gab es nicht nur seit ihrer Gründung eine besonders wohlwollende Berichterstattung und einen öffentlichen Diskurs über Positionen, über welche die AfD auch intern debattierte. Es kamen auch verschiedene politische Spektren mit Grussworten und Tipps für die Partei zu Wort. Der Autor zitiert beispielsweise den neurechten Publizisten Karlheinz Weissmann, welcher der AfD „Geschlossenheit, Disziplin [und] Angriffsgeist“ (S.19) wünschte.

Im weiteren Verlauf des Buches geht Sohn auf die Ursprünge der Partei ein, die sich aus unterschiedlichen politischen Strukturen zusammensetzten: Einen der wichtigsten Ausgangspunkte sieht der Autor neben dem national-liberalen Flügel der FDP in der ehemaligen „Stahlhelm-Fraktion“ der CDU, aus der auch Alexander Gauland und Albrecht Glaser stammen. In diesem nationalkonservativen rechten Flügel um den ehemaligen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Alfred Dregger lassen sich bereits Inhalte und Strategien erkennen, wie sie heute bei der AfD oder anderen Akteur_innen der Neuen Rechten zu beobachten sind: Bei einer programmatischen Nähe zur damals neu aufkommenden NPD schaffte es Dregger mit seinem rechten Kurs, Erfolge für die bürgerliche CDU zu erzielen, während der NPD der Einzug in den Bundestag nie gelang.

Der Autor geht neben den Ursprüngen der Partei auf ihr Grundsatzprogramm ein und zeigt sowohl dessen Widersprüche auf als auch die Irrelevanz der Einzelheiten dieses Programms für ihre Wähler_innen: Änderungen an dem Wahlprogramm der AfD auf dem Parteitag 2016 hätten sowohl an den Wahlergebnissen als auch an der Grundstruktur der Wählerschaft nicht viel verändert, so Sohn. Diese richte sich eher nach Gefühlslage als nach detaillierten programmatischen Forderungen. Im weiteren Verlauf vergleicht der Autor die AfD mit anderen rechten Parteien und Bewegungen in Europa und der USA und betrachtet ihre Basis. Letzteres fällt jedoch nur sehr knapp aus und beschränkt sich fast ausschliesslich auf demografische Analysen der Wählerschaft. Eine ausführlichere Betrachtung der AfD-Basis, ihrer Ressentiments und Positionen, fehlt hier.

Zerfallsprozesse des Kapitalismus

Vieles, was Sohn schreibt, ist auch anderer Stelle bereits geschrieben worden. Das Buch, erschienen Anfang 2017, unterscheidet sich jedoch von früheren Werken über die AfD darin, dass es auf Entwicklungen innerhalb der Partei eingeht, die in älteren Büchern nicht mehr betrachtet werden. Nichtsdestotrotz bleibt auch dieses Buch lediglich eine kurze Momentaufnahme. Eine Partei wie die AfD, die noch verhältnismässig jung ist und aus unterschiedlichen Spektren der rechten Szene besteht, kann sich schnell wandeln und hat dies in der Vergangenheit bereits mehrfach gezeigt. Während der Machtkampf mit anschliessender Abspaltung des Flügels um Bernd Lucke noch erwähnt wird, ist das Buch bereits wieder zu veraltet um den Rückzug Frauke Petrys von der Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl 2017 oder die mediale Kontroverse um Björn Höcke mit in die Analyse einzuschliessen.

Insgesamt ist Sohns Beschreibung der AfD eingebettet in eine knappe marxistische Analyse der Geflüchtetenbewegungen und der Wirtschaftskrise: Er benennt verschiedene mittelbare Fluchtursachen wie Krieg, Klimaveränderungen sowie die durch billige Exporte aus der EU nicht konkurrenzfähige Wirtschaft nordafrikanischer Staaten und sieht hierin vom Kapitalismus erzeugte Zerfallsprozesse, die sich bisher nur ausserhalb Deutschlands abgespielt haben. Diese Zerfallsprozesse seien auch bewirkt durch die seit 2008 von der Weltwirtschaftskrise bedingten stärker auftretenden Widersprüche und Konflikte des kapitalistischen Systems. Diese Krise des Kapitalismus unterscheide sich von vorangegangenen Wirtschaftskrisen sowohl in ihrem global umfassenden Auftreten als auch in ihrem noch immerwährenden Anhalten. Dann und wann rutscht der Autor hierbei in einen endzeitlich anmutenden Ton herab, etwa wenn er die weltweite Flucht vieler Menschen als den „an den Flüchtlingen exekutierte[n] Beginn der finalen Krise des kapitalistischen Systems“ (S. 64) bezeichnet, die uns die nächsten Jahre und Jahrzehnte weiterbegleiten werde. Woher er die Zuversicht nimmt, dass es sich hierbei um die finale Krise des Kapitalismus handelt, dieser also kurz vor seiner Ablösung steht, lässt er dabei im Vagen.

Was tun?

Schliesslich kommt Sohn in den letzten zwei Kapiteln zur Diskussion der Frage, die im Untertitel bereits an prominenter Stelle angekündigt wird: Was tun? Bei der Beantwortung der alten Leninschen Frage in Sachen Handlungsstrategien gegen die AfD bleibt er allerdings vage. Nach und nach arbeitet er sich an Reaktionen verschiedener Parteien und Medien ab um die Perspektivlosigkeit aufzuzeigen, die dem Kampf gegen die AfD immanent sei, solange man in den Grenzen des kapitalistischen Parlamentarismus bleibe. So beschreibt er zum Beispiel treffend den Wechselkurs der CDU/CSU aus scharfer Distanzierung, symbolischer Annäherung und Übernahme von Positionen der AfD, mit dem sich der AfD-Vize Gauland sehr zufrieden zeigte, da er hierin die Wirkmächtigkeit seiner Partei bestätigt sah. Teilen der Linkspartei attestiert Sohn eine „hilflose Abwehr, die allein um Massnahmen kreist, deren Fixpunkt die jeweils nächsten Parlamentswahlen sind“ (S. 96). Dass er von diesen Reaktionen ausgehend trotzdem nur kurz und knapp auf die vielfältigen Aktionsformen und Strategien verschiedener Antifaschist_innen eingeht, die auf unterschiedlichste Art und Weise seit mehreren Jahren die AfD zu stoppen versuchen, erscheint dabei etwas paradox.

Auch deswegen liest sich das Buch zu grossen Teilen lediglich wie eine Kritik an dem Umgang der etablierten Parteien und Medien mit der AfD. Sohn, ehemaliger Vorsitzender der Linkspartei in Niedersachsen und mittlerweile aus der Partei ausgetreten, scheint mit diesem Buch auch die Gründe für seinen Austritt so offensichtlich machen zu wollen, dass sie jede_r versteht. Er plädiert für einen antikapitalistischen Antifaschismus und kritisiert hierbei nicht nur den nationalistischen Kurs des Wagenknecht-Flügels, sondern zugleich auch die Idee, den Rechtsruck alleine an der Wahlurne aufhalten zu können: „Alle bisherigen Reaktionen auf den Aufstieg der AfD kranken an ein- und demselben Grundfehler: Sie bleiben perspektivisch im Rahmen des kapitalistischen Systems und des ihm eingewobenen Staatsapparats“ (S. 107). Da die AfD ein Reflex auf die Ereignisse des globalen Kapitalismus sei, falle die Lösung des Problems AfD mit der Loslösung vom Kapitalismus zusammen.

Auch wenn der Autor zuletzt auf vergangene und aktuelle Kämpfe eingeht, in denen er Potential für jene Überwindung des Systems sieht, bleibt es bei diesem recht abstrakten Plädoyer. Das Mantra des Buches, nicht nur gegen rechte Bewegungen, sondern auch für ein Gegenmodell zu dem Gesellschaftssystem zu sein, das diese hervorbringt, mag zwar eine berechtigte Kritik an antifaschistischer Feuerwehrpolitik sein. Jedoch lassen sich Sohns Ausführungen, das Ende der AfD liege nur im Ende des Kapitalismus, und sein damit verknüpfter Fünf-Punkte-Plan nicht ganz ernst nehmen, da er in seinem anhaltenden endzeitlichen Unterton dieses Ende eher heute als morgen sieht. Sollte es doch noch länger dauern, stellt sich bis dahin weiterhin die Frage nach einer gut organisierten Feuerwehr.

Yunus Özak
kritisch-lesen.de

Manfred Sohn: Falsche Feinde. Was tun gegen die AfD? konkret texte, Hamburg 2017. 128 Seiten, ca. SFr 17.00, ISBN 3930786818

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