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Heinz Jürgen Schneider: Rote Marine

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Heinz Jürgen Schneider: Rote Marine Linkes Geschichtsbuch

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Sachliteratur

Über 35.000 Menschen versammelten sich am 21. März 1931 in Winterhude im Norden Hamburgs, um Ernst Henning das letzte Geleit zu geben. Es war auch ein Massenprotest gegen den NS-Terror.

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Datum 4. November 2025
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Denn er war ein in Hamburg bekannter Politiker der KPD und beteiligte sich auch im Rotfrontkämpferbund am Kampf gegen den aufkommenden NS-Faschismus. Am 14. März 1931 wurde Henning in einen Bus auf den Rückweg von einer KPD-Versammlung von SA-Männern erschossen. Sein Begleiter wurde schwer verletzt und verlor ein Auge. Eine Berufsschullehrerin, die zufällig auch im Bus sass, wurde ebenfalls durch die Schüsse verletzt.

Die faschistische Mordtat sorgte damals wegen ihrer Brutalität für grosse Empörung. Heute ist Henning kaum noch bekannt. Daher ist es sehr erfreulich, dass Hans-Jürgen Schneider seinen Geschichtsroman „Rote Matrosen“ mit Hennings Beerdigung beginnen lässt.

Schneider ist in der Roten Hilfe vielen als engagierter linker Rechtsanwalt bekannt. Nicht wenige werden ihn als Autor zahlreicher Krimis mit politischem Hintergrund kennen. Mit seinem neuesten Buch „Rote Marine“ gelingt Schneider eine beeindruckende Beschreibung der letzten Jahre der Weimarer Republik. Schneider beschreibt das Leben von 4 Personen aus dem Umfeld der KPD in Hamburg und zeigt, wie sich der NS-Faschismus erst langsam dann immer schneller ausbreitet und schliesslich die Macht übernimmt. Wichtig ist, dass er dabei auch die Arbeit der Genoss*innen gewürdigt hat und sie nicht einfach als Gefährtinnen ihrer Männer darstellt, wie es häufig geschieht.
Der Einstieg mit den Trauerkundgebungen für Ernst Henning, einem frühen Opfer des NS-Terrors, ist gut gewählt. Denn die Leser*innen stellen sich natürlich schnell die Frage, wie es dazu kommen konnte, dass trotz des grossen Widerstands gegen den braunen Terror, die Nazis drei Jahre später die unumschränkte Macht in Deutschland ausüben konnten und die Gegenkräfte tot, im KZ oder auf der Flucht sind.Im Buch geht es immer wieder auch die Fehler in den eigenen Reihen.

So endet das erste Kapitel über den Trauerzug für Ernst Henning mit der Frage. „Ein Gedanke ging allen durch den Kopf und musste noch besprochen werden. Hätte der Parteischutz nicht vor einer Woche im Autobus zwischen Zollspieker und Hamburg sitzen müssen?“

Das Buch überzeugt besonders, weil Schneider unterschiedliche linke gesellschaftliche Milieus darstellt, die damals die KPD unterstützen. Da waren die emsigen Parteiarbeiter*innen, oft in ärmlichen Verhältnissen, die oft schon lange in der SPD aktiv waren, bis sie dann in der KPD ihre politische Heimat fanden. Dazu gehören im Buch Claus und Anni.

Dann gibt es eine junge Genration, darunter viele Frauen, die über die avantgardistische Kunst der jungen Sowjetunion, ihren Filmen, ihren Theaterstücken, Zugang zur kommunistischen Bewegung fanden. Dafür steht im Roman die Kunststudentin und KPD-Sympathisantin Alma Kalender.

Schneider gelingt es überzeugend diese unterschiedlichen Milieus in den realen Kämpfen zwischen 1931 und 1933 darzustellen. Es werden keine Held*innen gezeigt, sondern Kommunist*innen mit und ohne Parteibuch in all ihren Widersprüchen, die an unterschiedlichen Orten ihre politische Arbeit machen. Auch die Rote Hilfe wird mehrmals im Buch erwähnt.

Dabei fällt auf, dass die Protagonist*innen spätestens Ende 1932 einerseits mit einer Machtübertragung an die Nazis rechnen, andererseits, sich aber nicht vorstellen konnten, wie sich dadurch ihr Leben verändern würde. So hatte sich Ende 1932 eine kleine Gruppe in Berlin getroffen die sich auf eine Delegationsreise in die Sowjetunion vorbereiteten, die im Mai 1933 beginnen sollte. Doch sie hat nie stattgefunden. Zu diesem Zeitpunkt war ein Teil der Gruppe schon verhaftet, andere waren auf der Flucht. Wir können im Roman mitverfolgen, wie problemlos sich das Bürgertum an die braunen Machthaber anpasste.

Auch bei der Repression gegen Linke konnten die Nazis an die Vorarbeit in der Weimarer Republik anknüpfen. Im Buch sind mehrere Steckbriefe von Hamburger Kommunist*innen abgedruckt, die bereits von der Polizei der Weimarer Republik angelegt wurden. Die Nazis konnten sie wie auch das Personal, das sie erstellt hatte, gut gebrauchen. Schneiders linkes Geschichtsbuch kommt zum richtigen Zeitpunkt. Angesichts der weltweiten Rechtsentwicklung ist die Lektüre besonders beklemmend.

Am 6. November 2025 wird Heinz Jürgen Schneider ab 19 Uhr im Biergarten Die Laube in der Hohenschönhausener Strasse 80 lesen. Der Eintritt ist frei (https://die-laube.berlin/veranstaltungen/).

Peter Nowak

Heinz Jürgen Schneider: Rote Marine. Verlag Tradition 2024. 500 Seiten. ca. 24.00 SFr. ISBN: 9783384148360.