Gespräche von indigener Anarchie: In einer Welt der Ruinen Texte zur indigenen Anarchie

Sachliteratur

Nach den von Elany 2021 herausgegebenen Gesammelten Schriften zum schwarzen und indigienen Anarchismus wurde nun eine weitere Übersetzung englischer Texte aus diesem Kontext herausgebracht.

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26. Juli 2023
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Mit In einer Welt der Ruinen. Gespräche von indigener Anarchie. Ausgewählte Texte (2022) wird der europäische Anarchismus weiter hinterfragt und dezentriert. Insbesondere Aragon!, der Anfang 2021 starb war ein kritischer Zeitgenosse, welcher auf die Notwendigkeit eines eigenständigen nicht-westlichen Anarchismus hinwies. Dieser kann jedoch nicht einfach historisch rekonstruiert werden, sondern ist im der heutigen Situation vor dem Hintergrund ihrer brutalen, kolonialistischen Vergangenheit zu formulieren. Zugleich fordert er kämpferische indigene Personen auf, sich von ihrem Bezug auf Bürgerrechtsbewegungen zu lösen und anarchistische Wege einzuschlagen. Einige Texte von ihm sind HIER verfügbar.

Im vorliegenden Sammelband schreibt Aragorn! u.a.:

„Ein indigener Anarchismus ist ein Anarchismus der Örtlichkeit. Das scheint unmöglich in einer Welt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, uns nirgendwo zu verorten. Eine Welt, die uns in einem universellen Nirgendwo verortet. Selbst dort, wo wir geboren werden, leben und sterben ist nicht unser Zuhause. […] Letztendlich stellt ein indigener Anarchismus uns als unverrückbaren Teil einer erweiterten Familie dar. Das ist eine Erweiterung des Gedankens, dass alles lebendig ist und wir daher damit verwandt sind, in dem Sinne, wie auch wir lebendig sind. Es ist ausserdem eine Aussage über die klare Priorität. Die Verbindung zwischen lebendigen Dingen, die wir kurz als Familie bezeichnen würden, ist die Art und Weise, wie wir uns selbst in der Welt verstehen. Wir sind Teil einer Familie und wir kennen uns durch die Familie. Die säkulare Sprache einen Moment beiseite gelegt, ist es unmöglich, sich selbst oder einander ausserhalb des Geistes zu verstehen. Es ist das Mysterium, dass ausserhalb der Sprache bleiben sollte, das wir alle miteinander teilen, und dieses zu teilen heisst leben“ (S. 59f.).

Die weisse Vorherrschaft als eigenes Herrschaftsverhältnis zu begreifen und zu bekämpfen, anstatt sie nur sekundär aus staatlicher Trennung oder kapitalistischer Ausbeutung abzuleiten, bleibt weiterhin Aufgabe von weissen/europäischen Anarchist*innen, die damit auch ihre theoretischen Systeme hinterfragen müssen. Die (weitere) Dekonstruktion eines teleologischen Geschichtsverständnis, eine Offenheit für Erfahrungswissen, Beziehungen sowie eine kämpferische Grundhaltung gegenüber der westlichen „Zivilisation“ sind Bestandteile des indigenen Anarchismus.

Im Unterschied zu Edxi Betts würde ich persönlich die Entwicklung einer indigenen anarchistischen Theorie begrüssen, wenngleich diese keineswegs in einem akademischen Rahmen entwickelt werden müsste (was freilich das Misstrauen ihr gegenüber begründet). Im Treffen der Indegenious Anarchist Convergence tauschten über 120 Teilnehmende aus 30 Gruppen über den Stand und die Potenziale eines zeitgenössischen indigenen Anarchismus aus, der sich im wesentlichen an den konkreten sozialen Kämpfen der Beteiligten orientierte.

Das Thema betrifft im Übrigen keineswegs lediglich den nordamerikanischen Kontext, sondern verweist auch darauf, wie der kapitalistische Nationalstaat die diversen kommunalistischen regionalen Traditionen in Europa zerstörte, wobei dies nicht mit der Ermordung ausser-europäischer Gruppen verglichen werden kann.

Jonathan Eibisch

Gespräche von indigener Anarchie: In einer Welt der Ruinen. 2022. Übersetzt aus dem Englischen.