Espero #6: Anarchismus und Revolution Keine Debatte über anarchistische Theorie

Sachliteratur

Schon im Januar erschien die sechste Ausgaben der libertären Zeitschrift espero, welche kostenlos digital verfügbar gestellt wird [espero #6].

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10. Oktober 2023
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Ich weise darauf hin, weil ich verschiedene Erzeugnisse und Entwicklungen zur anarchistischen Theorie im weiteren Sinne, vor allem im deutschsprachigen Raum, abbilden möchte. Der Schwerpunkt „Anarchismus und Revolution“ verspricht auch einige interessante Inhalte.

Gerade die Einleitung von John P. Clark fand ich lesenswert. Sein Beitrag Was ist Öko-Anarchismus, ist ebenso wie Uri Gordons Artikel zu Revolution eine Übersetzung. Gabriel Kuhns Beitrag Revolution ist mehr als ein Wort: 23 Thesen zum Anarchismus (den ich direkt nach dem Erscheinen 2016 gelesen habe), ist weiterhin lesenswert und sollte verbreitet und diskutiert werden.

Dennoch zeigt bereits die Auswahl und Herkunft dieser Autor*innen, dass es im deutschsprachigen Raum weiterhin kaum eine Debatte über anarchistische Theorie gibt. So muss ich gestehen, dass die Beiträge der anderen Autoren für mich persönlich weitgehend uninteressant sind. Sie stellen das Hobby alter weisser Männer dar. Lobenswert, dass sie dem nachgehen, ihre Zeitschrift technisch erneuern, sich Inputs von Autoren aus anderen Ländern suchen und so weiter. Reproduziert wird damit aber ein Bild, dass die Beschäftigung mit dem Anarchismus eine angestaubte Marotte wäre.

Stattdessen könnte man so an sie herangehen, Themen am Puls der Zeit zu wählen und intervenieren zu wollen. Ich will damit nicht sagen, dass die darin entfalteten Gedankengänge allein selbstbezüglich und damit irrelevant wären. So ein Urteil lässt sich nur im Abstand der Zeit fällen, wenn überhaupt. Selbstbezüglicher und irrelevanter, als irgendein Insu-Pamphlet sind sie sicherlich auch nicht. Aber trotzdem schmeckt mir das Ganze nach Knäckebrot ohne Belag.

Schliesslich noch eine offen gehaltene Diskussion wert, ist die Verwendung der Bezeichnung „libertär“. Ich spreche selbst z.B. von libertärem Sozialismus als erstrebenswerte und potenziell Mögliche Konkretisierung von Utopie, auf welche wir unsere verschiedenen Teilprojekte hin orientieren sollten. Es ist Quatsch, dass Adjektiv zu verwerfen, weil es angefangen beim US-amerikanischen Diskurs, von Rechten adaptiert wurde. Andere gekränkte Männer haben dass dann in die BRD importiert.

Eine Reklamation der Bezeichnung „libertär“ erscheint mir sinnvoll, wenn zugleich eine Debatte darum geführt wird, welche Inhalte wir dieser verleihen. Sonst kommt man eben wieder bei Herausgeber des espero Markus Henning raus, der mit seiner Beschäftigung mit der Freiwirtschaftslehre gleich wieder den Bezug zur Anthroposophie und Schwurbelei aufmacht – der neuen, alten Ideologie des losten faschistoid-alternativ-Bürgertums.

Nun ja, wir werden nicht zusammen kommen. Espero verweist auf die Leerstelle einer ernstzunehmenden anarchistischen Theoriezeitschrift.

Jonathan Eibisch

Espero #6: Anarchismus und Revolution. Libertad Verlag, Potsdam 2023. 448 Seiten. ISSN: ISBN: 2700-1598.