Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951-1968

Sachliteratur

Diether Posser erinnert an den „Kalten Krieg“ mit seinen politisch-justiziellen Verfolgungen von Pazifisten, Kriegsgegnern und Verständigungspolitikern zwischen Ost und West.

Diether Posser am SPD-Parteitag im Juni 1976 in Dortmund.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Diether Posser am SPD-Parteitag im Juni 1976 in Dortmund. Foto: image_author

14. März 2023
0
0
6 min.
Drucken
Korrektur
Nancy Faeser (*1970) aus der internationalen Anwaltsindustrie (Clifford Chance mit einem 2019/20 ausgewiesenen Umsatz von 1,8 Mrd. GBP/Pfund), seit Ende 2019 erste SPD-Bundesministerin für Inneres & Heimat der Berliner Ampelkoalition, legte am 15. Februar 2023 im Kabinett ihren Entwurf eines „Gesetzes zur Beschleunigung der Disziplinarverfahren in der Bundesverwaltung und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften“ zur Beschlussfassung vor.

Mit diesem Gesetz sollen angeblich extreme (gemeint rechtsextreme) „Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst“ entlassen werden können. Der Obmann der Grünen im Innenausschuss des Bundestags, Marcel Emmerich (*1991), forderte eine Nachschärfung des Bundesgesetzes, nämlich eine Fristenausweitung auf schon vergangene Dienstverstösse. Der vom Kabinett verabschiedete Fazer-Gesetzentwurf orientiert sich an einer vorangegangenen Regelung des Bundeslands Baden-Württemberg, das Disziplinarmassnahmen mittels eines Verwaltungsaktes anordnet; dies wurde später ausdrücklich vom Bundesverfassungsgericht gebilligt.

Damit knüpft Faeser an den sogenannten Radikalenerlass (Extremistenbeschluss) vom 28. Januar 1972 der SPD/FDP-Bundesregierung unter Willy Brandt sowie den Adenauerlass vom 19. September 1950 der Koalition von CDU/CSU, FDP, DP an. Hintergrund dieser Erlasse war es, die Kräfte, die sich gegen eine einseitige bundesrepublikanische Westorientierung (vor allem im Sinne von USA und NATO) engagierten sowie für eine Öffnung gegenüber der damaligen UdSSR eintraten, öffentlich zu diskriminieren und lebensunterhaltlich zu schädigen. Zielten diese Erlasse in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren vorwiegend auf vermeintlich im linken Spektrum verortete Kräfte, so heute auf solche im angeblich rechten Spektrum.

Diese Zuordnung war früher falsch und auch heute nicht richtig. Das wird deutlich, wenn man sich die Aufsätze Dr. Diether Possers in seinem Sammelband von 1991 anschaut, den ich neulich wieder in die Hand nahm und diesmal gründlich las:

Diether Posser (1922 bis 2010), promovierter Jurist, Sozius in der Anwaltskanzlei des späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann (1899-1976) in Essen, Mitglied der 1952 gegründeten Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP), nach deren Selbstauflösung 1957 SPD-Mitglied, 1968-1988 in NRW Minister für Bundesangelegenheiten, danach dort Justiz- und Finanzminister, stellvertretender Ministerpräsident und 1970-1986 im Parteivorstand der SPD, erinnert an den „Kalten Krieg“ mit seinen politisch-justiziellen Verfolgungen von Pazifisten, Kriegsgegnern, Verständigungspolitikern zwischen Ost und West, Gewerkschaftern, Kommunisten und anderen in der BRD und auch von Menschen, die in der DDR als Spione verdächtigt oder überführt wurden. Angesprochen wird auch die politische Vereinnahmung der Justiz, ihrer Institutionen und Rechtsgrundsätze. Posser berichtet über Fälle, in denen er als Anwalt selbst tätig wurde.

Zunächst und einleitend werden vom Autor „Kriegsende und Kalter Krieg“ (S. 7-59) skizziert. Posser war Kriegsteilnehmer, kam kurz in russische Gefangenschaft, bis er den Amerikanern überstellt wurde und dann bis 1947 in französischer Gefangenschaft verbrachte. Nach Freilassung und abgeschlossenem Jurastudium unterstützte er Gustav Heinemann (CDU), der im Oktober 1950 als Bundesinnenminister aus der Adenauer-Regierung austrat und 1951 eine Anwaltskanzlei in Essen gründete.

Heinemann war, bevor er in die BRD-Regierung eintrat, Vorstandsmitglied und Leiter der Hauptabteilung der Rheinischen Stahlwerke (heute Rheinstahl AG), Oberbürgermeister von Essen, NRW-Landtagsabgeordneter und Präses der gesamtdeutschen Synode der Evangelischen Kirche. Er schied am 10. Oktober 1950 aus der Bundesregierung aus, nachdem Bundeskanzler Adenauer in der Kabinettssitzung am 31. August 1950 mitgeteilt hatte, dass er dem US-Hochkommissar McCloy zugesagt habe, ein Kontingent von 150000 Mann für eine europäische Verteidigungsarmee bereitzustellen.

Dadurch würde - nach Heinemanns Einschätzung - eine friedliche Wiedervereinigung zunichte gemacht: er gründete mit anderen die Gesamtdeutsche Volkspartei (GDV), die sich gegen die Aufrüstung in Ost- und Westdeutschland, für Verständigung zwischen Christen, Sozialisten, Kommunisten, für Volksabstimmungen und für nationale deutsche Einheit aussprach. Damit wandte sich die GVP gegen Adenauers militanten Antikommunismus und Antisowjetismus, der mit bewussten Verleumdungen und Lügen vor dem Parlament und in der Öffentlichkeit vorgetragen wurde. Einen grossen politischen Fehler glaubte Posser in der Zurückweisung der sowjetischen diplomatischen Initiativen, insbesondere der sogenannten Stalinnoten zur Wiedervereinigung von 1952 durch Adenauer, zu erkennen.

Im nachfolgenden Hauptteil des Buches werden spektakuläre politische Gerichtsfälle vorgestellt: so der der katholischen Pazifistin, Frauenrechtlerin und Hochschullehrerin Klara Maria Fassbinder [1890-1974] (60-90), des wegen Landesverrat angeklagten Wirtschafts-wissenschaftlers und Gewerkschaftsfunktionärs Viktor Agartz [1897-1964] (195-218), des CDU-Mitglieds und Verständigungspolitikers Wilhelm Elfes [1884-1969] (91-108), der KPD-Mitglieder und Abgeordneten Karl Schabrod [1900-1981] (226-233) und Heinz Renner [1892-1964] (234-295), des Widerstandskämpfers, Journalisten und IG-Metallfunktionärs Heinz Brandt [1909-1986] (315-357).

Dargestellt werden auch einige politische Prozesse gegen Organisatoren des „Programms der nationalen Wiedervereinigung Deutschlands“ (175-178) oder des „Hauptausschuses für Volksbefragung“, später gegen „Remilitarisierung und für einen Friedensvertrag“ (158-169) 1951/52 und gegen die KPD 1951-1956 (179-182). Posser verweist auf problematische Gerichtsentscheidungen und umstrittenes Justizpersonal im Zusammenhang mit den politischen Prozessen in der BRD und geht dabei auch auf das ehrengerichtliche Verfahren 1955 gegen ihn selbst ein (129-140).

All diese Verfahren waren nur möglich, weil das Adenauer-Regime sich auf ehemalige Nazi-Funktionäre stützen konnte: auf Staatsanwälte, Bundesrichter, Regierungsbeamte, Rechtswissenschaftler wie Paulheinz Baldus (1906-1971), Friedrich Wilhelm Geier (1903-1965), Theodor Maunz (1901-1993) und viele andere. Und manche wirkten sogar noch in den 1970er Jahren im Zusammenhang mit der Berufverbotepolitik.

Dabei kam es zu nachhaltigen juristischen Spitzfindigkeiten gegen politische Andersdenkende und Gegner: schon bei Klara Maria Fassbinder wurde 1953 das Disziplinarrecht missbraucht, um sie als Professorin der Pädagogischen Akademie Bonn zu entlassen; Wilhelm Elfes wurde über das Passgesetz durch Verweigerung eines Reisepasses gezwungen, seine internationalen Friedens- und Verständigungsaktivitäten einzuschränken; und wie selbstverständlich wurde auch der politische Gegner bezichtigt, unrechtmässige Geldzahlungen eingenommen zu haben wie im Fall des KPD-Bundestagsabgeordneten Heinz Renner, der angeblich zu Unrecht Entschädigungszahlungen als politisch Verfolgter des Nationalsozialismus erhalten haben soll.

Diese und ähnliche staatlichen Repressionsmethoden werden auch heute angewandt, etwa um Impf-Skeptiker und Pandemie-Kritiker sowie Friedensaktivisten öffentlich zu diskreditieren und juristisch zu verfolgen. Darüber hinaus gibt es verlogene mediale Begriffsverdrehungen, die aus EU-, Euro- und Globalisierungskritikern „Nazis“ und „Antisemiten“ machen.

Im Sinne zeitgeschichtlich-rückblendender Erinnerung mag die (erneute) Lektüre des Aufsatzbands von Diether Posser nützlich sein. Gewiss gilt grundsätzlich: Geschichte wiederholt sich nicht. Auch wenn sich viele der von den jeweils Mächtigen benützten Methoden und Mittel von Unterdrückung und Repression gegen aktive Dissenter nicht ändern.

Wilma Ruth Albrecht

Diether Posser: Anwalt im Kalten Krieg. Ein Stück deutscher Geschichte in politischen Prozessen 1951-1968. Bertelsmann München 1991. 474 Seiten. ca. 24.00 SFr. ISBN: 978-3570023471.

Dieser Artikel steht unter einer Creative Commons (CC BY-NC-ND 3.0) Lizenz.