Brigitte Aulenbacher: Feministische Kapitalismuskritik Alter Widerspruch in neuem Gewand

Sachliteratur

Analysen patriarchaler Strukturen, von Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen, aber auch das Verhältnis von Geschlechterordnung und Kapitalismus zueinander, sind in den letzten Jahren wieder verstärkt auf die politische sowie wissenschaftliche Agenda gesetzt worden.

Brigitte Aulenbacher: Feministische Kapitalismuskritik.
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Brigitte Aulenbacher: Feministische Kapitalismuskritik. Foto: MOs810 (CC BY-SA 4.0 cropped)

11. Oktober 2016
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Korrektur
Mit dem Band Feministische Kapitalismuskritik. Einstiege in bedeutende Forschungsfelder von Brigitte Aulenbaucher, Birgit Riegraf und Susanne Völker sowie Frigga Haugs Der im Gehen erkundete Weg. Feminismus-Marxismus, liegen zwei auf den ersten (und wahrscheinlich auch auf den zweiten) Blick ganz unterschiedliche Publikationen vor, die das genannte Themenfeld auf je eigene Weise erkunden. Das erste widmet sich der Wissenschaft, das zweite geht von der Politik aus, das eine verschafft einen Überblick über aktuelle Ansätze feministischer Kapitalismuskritik, das andere richtet den Blick aus autobiografischer Perspektive auf die Genese eines feministischen Marxismus.

Erschienen in der Reihe »Einstiege« des Verlags Westfälisches Dampfboot stellt Feministische Kapitalismuskritik drei aktuelle Forschungsfelder vor. Im ersten Teil Kapitalismus als Herrschaftszusammenhang und die Unterordnung des Leibes skizziert Brigitte Aulenbacher die Spezifik der Strukturen und Dynamiken von Geschlechterordnungen im Kapitalismus: Die Unterordnung der Sorge-Arbeit, sowie die damit einhergehenden gesellschaftlichen Positionierungen von Geschlecht, Ethnien und Klassen im Kapitalismus werden im Sinne eines relationalen Gesellschaftsbegriffs nachgezeichnet. Zugleich zeigt Aulenbacher »Analysezugänge« auf, »denen Gesellschaftstheorie dazu dient, diejenigen Zusammenhänge zu entschlüsseln, [...] die die Gesellschaftsstrukturen im Blick zu behalten suchen«.

Der von Birgit Riegraf – partiell zusammen mit Brigitte Aulenbacher?– verfasste zweite Teil Gerechtigkeit, Arbeit und soziale Ungleichheit in den Gegenwartskapitalismen befragt die aktuellen Figurationen des Kapitalismus nach den Möglichkeiten von Gleichheit, Gerechtigkeit und Anerkennung verschiedener Lebensweisen. »In diesem Feld steht eine Betrachtungsweise im Mittelpunkt, wonach sich gesellschaftlicher Wandel als institutioneller und normativer Wandel besonders gut einfangen lässt«, so wird die Forschungsperspektive resümiert.

Der letzte, von Susanne Völker verfasste Abschnitt, Gesellschaft in Bewegung: Gelebter Kapitalismus und umkämpfter Wandel stellt hingegen die Frage nach gegenwärtiger Praxis ins Zentrum. Dabei stellen der »theoretische und methodologische Rekurs feministischer Ansätze auf Praxistheorien und die aktuelle Zeitdiagnose der Prekarisierungsforschung« den analytischen Zugang dar. Feministische Theorieprojekte, so die Autorin, gilt es nicht als reine Beobachterpositionen aufzufassen, »sondern sind auch [...] Teil der Re-Konfiguration von Welt. In diesem Sinn [...] haben sie auch Teil am und Verantwortung für ein Anderswerden der Welt«. So unterschiedlich die Themenfelder sind, so sind die drei Teile (weitgehend) jeweils einer der drei Autorinnen zuzuordnen und entsprechend verschieden in der Schreibweise und den mitschwingenden Theorieströmungen (etwa dem Poststrukturalismus im dritten Kapitel). Um etwas genauer zu erfahren, was unter den jeweiligen Forschungsfeldern verstanden wird, empfiehlt es sich neben der kompakt gehaltenen Einleitung zunächst den Schluss Feministische Kapitalismuskritiken: Was ist gewonnen? Was ist zu gewinnen? Zum Ausstieg zu lesen.

Denn die Themen der Teile verweisen auf eine »doppelte Chronologie«, wie die Autorinnen festhalten, sie folgen der »Gesellschaftsgeschichte und der Wissenschaftsgeschichte der Geschlechterforschung« sowie der »Entwicklung des Kapitalismus« selbst. So wichtig dieses zweifache Durchschreiten der Geschichte ist, so kompakt ist es allerdings dargestellt, wodurch mitunter die Verständlichkeit abhanden kommt. Nicht primär eine erläuternde Darlegung von Grundbegriffen feministischer Kapitalismuskritik steht im Fokus, sondern eher eine Einführung in akademische Forschungsfelder. Programm ist es, die getrennt zu sehenden Forschungsdisziplinen im übergeordneten Rahmen von feministischer Kapitalismuskritik zusammen zu bringen.

Die politisch-praktische Ebene erhält dabei erst unmittelbaren Einzug im dritten Kapitel. Dann allerdings in einer an Martin Heidegger gemahnenden Sprachvariation, wenn etwa von einem »Ereignen von Welt« oder »(In-der-)Welt-Sein« die Rede ist, mit der zugleich die verschiedenen feministischen politischen Ansätze der letzten 40 Jahre nivelliert oder zumindest ignoriert werden. Ganz zu schweigen von Heideggers problematischer (antisemitischer) Position, die nicht zuletzt mit der Veröffentlichung der Schwarzen Hefte belegt ist. Im Sprachbereich eines diffusen »Ereignens« oder in unspezifischen »Fluchtlinien«, wie es in diesem dritten Teil nahegelegt wird, geht so eine konkrete politische Agenda verloren.

Die Auseinandersetzungen im Umfeld der Zweiten Frauenbewegung vor 40 Jahren bilden auch den Anfangspunkt von Frigga Haugs Der im Gehen erkundete Weg. Haug vollzieht darin eine kritische Revision ihres Wirkens: von einer sozialistisch begründeten Ablehnung des Feminismus bei gleichzeitigem Engagement in der Frauenbewegung zu Beginn der 1970er Jahre, hin zu einem feministischen Marxismus, wie sie ihn in den 1980er Jahren entwarf. »Ich führte als Forscherin und als politische Aktivistin ein Doppelleben« erinnert Haug den Auftakt dieser Zusammenführung, »in dem der eine Teil vom anderen so gut wie nichts wusste. Dies wurde im Jahr 1980 auf beiden Seiten von Grund auf erschüttert«.

So koinzidierte für Haug zu dieser Zeit eine Krise der Arbeiterbewegung mit einer der Frauenbewegung. Der autobiografische Blickwinkel leitet durch die Auseinandersetzungen seit der Zeit der Zweiten Frauenbewegung, durch die inneren und äusseren Widerstände, vor allem in sozialistischen und marxistischen Zusammenhängen und schreibt damit zugleich eine eigene linke, feministische Geschichte: »Das Buch zeigt einen doppelten Lernprozess,« fasst Haug in der Einleitung zusammen »meinen eigenen [...] und den eines sich herausbildenden feministischen Marxismus.« War sie doch selbst eine Protagonistin, die Letzeren kontinuierlich zu etablieren suchte, die neben den unmittelbar marxistischen Zusammenhängen auch in wissenschaftliche, insbesondere in die Arbeitsforschung, involviert war und darin das Verhältnis von Arbeit und Geschlechterbildern empirisch analysierte.

Im Spannungsfeld von Marxismus und Feminismus ging (und geht) es immer auch darum, persönliche Erfahrung und Gesellschaftsanalyse zusammen zu bringen. Haug schlägt hierfür die Erinnerungsarbeit vor, mit der kollektive Momente von individueller Erfahrung, die Verstrickung in die gesellschaftlich vorherrschenden Vorstellungswelten sichtbar gemacht werden können. Angestossen von der Krise der zweiten Frauenbewegung während der 1980er Jahre begann Haug gemeinsam mit ihrer Frauengruppe, die eigene Bindung an gesellschaftliche Vorstellungen zu hinterfragen und den Verbindungen zwischen Gefühlen, Haltungen und Alltagsleben nachzuspüren.

Für sie war dies »die Geburtszeit von Erinnerungsarbeit«. Die politischen Arbeiten über die Jahre, die anhand von eigenen (teilweise sehr selbstkritisch) kommentierten Texten und Dokumenten der jeweiligen Zeit, Eingang in die Darstellung finden, und das Buch selbst münden in die Vier-in-eins-Perspektive als politische Zielvorstellung. Ihr zufolge sollen Erwerbs-, unmittelbare Reproduktionsarbeit, eine (lernende) Selbstentfaltung und das politische Engagement gleichermassen Raum im Leben der einzelnen erhalten – eine radikale Umwälzung der Verhältnisse vorausgesetzt. Insgesamt wird vermittels der narrativen Verquickung von politischer Aktivität, wissenschaftlicher Arbeit und persönlicher Situation das Bild eines feministischen Marxismus gezeichnet, der grundlegende Begriffe der Marx'schen Theorie in einen feministischen Verständniszusammenhang setzt. »Ich bleibe Marxistin« konstatiert die Verfasserin entsprechend, »aber dies bedeutet mir auch anderes. Ich muss vieles erneut studieren und, indem ich nicht einzelne Sätze als Waffe benutze, Marx mit Marx kritisieren lernen«.

Mitunter sind allerdings die Zeitebenen etwas unklar, ob Haug aus dem Jahr 2015 heraus schreibt oder aus der wieder evozierten Vergangenheit, ist nicht immer unmittelbar nachvollziehbar. Ebenso sind Begriffe wie der Sozialismus und der Marxismus durchaus an historische Etappen gebunden, die aus heutiger Perspektive einer gewissen Distanz bedürften. Aber selbst wenn man nicht alle Positionen der Autorin teilt, ist der Band dennoch eine spannende Darstellung der Genese eines feministischen Marxismus, die genauso die Entstehung von Neuem in den Debatten thematisiert, wie die Wiederkehr des immer Gleichen in den Anwürfen gegen feministische Politik.

Auch auf den zweiten Blick bleiben die beiden Bücher also recht verschieden, ergänzen sich aber in gewissem Sinn. Denn während Haug ihren eigenen Weg von der Politik in die Wissenschaft (und zurück) nachzeichnet, beschreiten Aulenbacher, Riegraf und Völker diesen in entgegengesetzter Richtung. Bei Haug bleiben die gegenwärtigen Debatten weitgehend eine Leerstelle und bei der Darstellung der Forschungsfelder in Feministische Kapitalismuskritik tritt der politische Impetus in den Hintergrund, der konstitutiv für Feminismus sowie für eine ernstgemeinte Kapitalismuskritik wäre. So sehr es zu begrüssen ist, dass feministische Kapitalismuskritiken Eingang in die Wissenschaft gefunden haben, so bringt dies mitunter eine gewisse Entpolitisierung mit sich.

Es mag bestimmt Gründe geben, warum die politischen Konsequenzen primär nur noch auf dem Level einer – polemisch gesagt – poststrukturalistisch geprägten Entgrenzung gezogen werden, aber es sollte doch nicht völlig vernachlässigt werden, dass es in der Kritik am Kapitalverhältnis und mehr noch im Feminismus darum geht, ex negativo nach den Bedingungen der Möglichkeiten für ein selbstbestimmtes Leben zu fragen. Während eine wissenschaftliche Perspektive diesen Ausblick ein wenig verliert, bleibt er bei Haug durchgehend präsent. Die Diskussion um das Verhältnis der Kritik am Kapitalverhältnis und feministischer Politik geht jedoch weiter, das zeigen die beiden Publikationen auf je unterschiedliche Weise.

Inka Sauter
Artikel aus: Phase 2 / Ausgabe Nr. 52
www.phase-zwei.org

Brigitte Aulenbacher/Birgit Riegraf/Susanne Völker: Feministische Kapitalismuskritik. Einstiege in bedeutende Forschungsfelder mit einem Interview mit Ariel Salleh (Einstiege. Grundbegriffe der Sozialphilosophie und Gesellschaftstheorie Band 23), Westfälisches Dampfboot, Münster 2015. 179 Seiten, ca. 18.00 SFr. ISBN 978-3896916792

Frigga Haug: Der im Gehen erkundete Weg. Marxismus-Feminismus (Berliner Beiträge zur kritischen Theorie Band 18), Argument Verlag, Hamburg 2015. 384 Seiten, ca. 19.00 SFr. ISBN 978-3867545020