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Björn Höcke: Nie zweimal in denselben Fluss

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Björn Höcke: Nie zweimal in denselben Fluss Die Essenz des Faschismus

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Sachliteratur

Leider erschien es notwendig, dass ich mich inhaltlich mit Faschismus beschäftige. Deswegen habe ich unter anderem das Buch mit Björn Höcke gelesen, der vom gleichaltrigen Sebastian Henning interviewt wird.

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Datum 6. August 2025
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In einer netten Aufmachung und knapp 300 Seiten grösserer Schrift wird dem Boss der AfD in Thüringen und treibender Person des faschistischen „Flügels“ Raum gegeben, um sich als Person zu präsentieren. Schon 2018 ist das mit mit dem Titel Nie zweimal in den selben Fluss erschienen, mit welchem angedeutet wird, dass das kommende faschistische Regime und die Bewegung zu ihm, anders laufen soll, als das historische NS-Regime, mit der ihm innewohnenden Selbstzerstörungstendenz.

Allgemein will Höcke nachhaltiger und dauerhafter die Staatsmacht übernehmen, als es seine Vorgänger getan haben. Darüber hinaus ist seine Ideologie aber alter Wein in neuen Schläuchen: Verkürzte Kapitalismuskritik wird mit relativ billigem Rechtspopulismus verbunden. Die Erzählung von der liberalen Dekadenz, wird mit beschönigtem Rassismus sowie der Zuweisung klarer, patriarchaler Geschlechterrollen verknüpft. Eine ehrwürdige deutsche Geschichte wird mit jener des vermeintlich homogenen Volkes zurecht konstruiert. Und schliesslich behauptet Höcke selbstherrlich, seine Leute – am besten mit ihm als „dienendem Führer“ an der Spitze – könnten den besser strukturierten Staat und eigentliche Politik in der neofeudalistischen Ständegesellschaft machen.

Seit der Veröffentlichung des langatmigen Interviews lief es bestens für die Faschisten. Sie sind auch in der BRD mehr, stärker und selbstbewusster geworden. Im Wesentlichen stellen Höckes Ausführungen eine Zusammenfassung eines Neofaschismus am Puls der Zeit dar – welcher die bestehende Gesellschaftsform auf biegen und brechen reaktionär umkrempeln will. Seit zweidrei Jahren dämmert den Demokrat*innen, was für beobachtende Menschen schon seit sechs Jahren und mehr klar war: Höcke und seine Kameraden wollen genau das umsetzen, was sie propagieren – und was zwischen den Zeilen heraus gelesen werden kann. Offensichtlich begründet gerade dies ihre Anziehungskraft, welche sie mit kontinuierlichen Angriffen auf das politische Establishment, Irrationalismus und Gefühlsduselei unterlegen.

Was konnte ich aus der Lektüre ziehen – ausser dass ich vom Geblubber des Geschichtslehrers mit Nachhilfebedarf genervt war? Fundierte inhaltliche Denkanstösse waren nicht wirklich dabei. Dass Höcke schon in seiner Jugend einen Stock im Arsch und soziale Schwierigkeiten hatte, ist für das Thema weitgehend uninteressant.

Einen wichtigen Punkt trifft er mit der Kritik am Kapitalismus – so miserabel verkürzt diese auch ist. Weiterhin thematisiert er die Entfremdung, welche der Politikbetrieb erzeugt und adressiert damit die vorhandene Politikverdrossenheit in verschiedenen sozialen Milieus. Weiterhin prangert er die Sinnentleerung, die Pseudo-Individualisierung und soziale Fragmentierung der niedergehenden Gesellschaftsform an. Abgesehen davon, dass auch mal ein blindes Huhn ein Korn findet – bei dem ganzen aufgeblasenen Gegacker, das Höcke von sich gibt –, ist es allerdings so, dass eben diese Erscheinungen auch von anderen Lagern problematisiert werden.

Höcke und seinen Kameraden gelingt es ziemlich gut, verbreitete Unzufriedenheit über soziale Ungerechtigkeit, diffuse Unsicherheiten, Entfremdung und Minderwertigkeitsgefühle, zu schüren und zu adressieren. Obwohl er vorgibt, für eine rein sachlich orientierte Politik zu stehen, betreibt er praktisch deren instrumentelle Emotionalisierung und Ästhetisierung, die paranoide Züge aufweisen. Ich habe kein Zweifel daran, dass Höcke absolut vom Wahnsinn überzeugt ist, den er von sich gibt. Und mit ihm sind es Millionen. Faschismus bleibt Faschismus, auch wenn seine Vordenker ihn vermeintlich differenziert begründen, Gewalt dosiert anwenden und die Ausgrenzung von Fremden und Anderen als aufgezwungene Notwendigkeit darstellen.

Dennoch beeindruckt die vorgebliche Klarheit der Aussagen, die inszenierte Zielstrebigkeit, Entschlossenheit und süffisante Gelassenheit, die Sensibilität für Stimmungen und das Selbstbewusstsein von Höcke. Nach der Lektüre wird mir zumindest deutlicher, warum diese Person gleichermassen Ausdruck, wie auch Vorbild für seine Anhänger*innen ist – was ein entscheidender Machtfaktor für ihn sein dürfte. Höcke inszeniert sich als gebildeter und erfahrener, autokratisch-überparteilicher Anti-Politiker. Von dieser Positionierung her, bestehen Parallelen zu einem zu entwerfenden sozial-revolutionären Projekt.

Rein formal gesehen erfüllt der Neofaschismus vieles, was dem real-existierenden Anarchismus eindeutig fehlt. Dass es hinter den Kulissen der AfD und der mit ihr verbundener Akteure weit chaotischer, konkurrierender und wirrer zugeht, als man es in der Selbstvermarktung gerne zeigt, ist wahrscheinlich. Wahr ist aber, dass Höcke gerade deswegen Einigkeit, Klarheit, Orientierung und Führung herstellt. Aus diesem Grund setzt ein signifikanter Teil der Bonzen, welchen die Demokratie lästig geworden ist, auf das autokratische Regime, was die Faschisten einzurichten beabsichtigen.

Der Anarchismus ist als diametraler Gegenpol zum Faschismus zu verstehen. Daher ist es für Anarchist*innen erforderlich, sich mit Faschist*innen zu beschäftigen, auch wenn es ein leidiges Unterfangen ist. Weil die AfD die treibende Kraft bei der Umgestaltung der politischen Verhältnisse ist, wäre eine Erneuerung des Anarchismus in gewisser Weise sogar durch die Widerlegung des Neofaschismus zu vollziehen. Dazu werde ich in einem weiteren Beitrag beide Richtungen in einigen Aspekten gegenüberstellen.

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Björn Höcke im Gespräch mit Sebastian Hennig: Nie zweimal in denselben Fluss. Manuscriptum 2018. 304 Seiten, ca. 24.00 SFr. ISBN 978-3944872728