„Antifa-Debatten zu Staat, Patriarchat und drohenden Faschismus“ lautet der Untertitel. Es sind überwiegend Texte aus den Jahren 2015 – 2019, die in der autonomen antifaschistischen Bewegung geführt wurden. Damit sind die Gruppen gemeint, die sich in klarer Distanz zu Staat, Parteien aber auch linken Grossorganisationen organisiert haben. Deshalb sind auch keine Texte der beiden aus der unabhängigen Antifa-Bewegung entstandenen linken Bündnisse Interventionistische Linke (IL) und Ums-Ganze in den Bänden vertreten.
„Orte der Debatten sind auch unsere Zeitschriften und Online-Portale. Die dort geführten Diskussionen und Einschätzungen zum drohenden Faschismus, zu Repression zum Stand der antifaschistischen Bewegung wollen wir uns hier genauer anschauen“, heisst es im Vorwort der HerausgeberInnen vom Immergrün-Verlag. Tatsächlich waren viele der dokumentierten Texte zuerst entweder in antifaschistischen Zeitungen oder auf linken Internetportalen zuerst veröffentlicht, wie in der radikalen Linken üblich mit Alias-Namen oder auch ganz ohne Kennung. Es ist in der Tat sinnvoll, die Texte mit kritischen Blick zu lesen und auch die Kontroversen aufzugreifen, die dort ausgetragen wurden. Denn viele der dort diskutierten Fragen sind heute noch aktuell. Ein wichtiger Streitpunkt in den Papieren ist häufig die Frage, wie breit die Bündnisse sein müssen und dürfen, die die Aufgabe haben, eine drohende Faschisierung der Gesellschaft zu verhindern. Und was genau bedeutet diese Faschisierung und wie unterscheidet sie sich von der bürgerlichen Politik, die schliesslich auch immer mit Staatsgewalt, Ausbeutung und Unterdrückung verbunden ist?
Diese heute sehr aktuellen Fragen prägten auch viele der im Buch dokumentierten Texte. Ein grosser Block der Beiträge dreht sich verständlicherweise um den Umgang mit der aktuellen staatlichen Kriminalisierung von Antifaschist*innen in bürgerlichen Staaten. Schliesslich sind in Deutschland so viele Antifaschist*innen inhaftiert wie lange nicht mehr.
Das Antifa-Ost-Verfahren und der Budapest-Komplex zwingen Antifaschist*innen dazu, sich mit möglicherweise sehr langen Gefängnisstrafen auseinanderzusetzen. Ende September wurde die Antifaschistin Hanna in Nürnberg zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. Maja, die gegen ein Urteil des Bundesgerichtshofs nach Ungarn deportiert wurde, ist besonders von Repression betroffen.
Im Sommer 2025 kämpfte sie mit einen Hungerstreik dagegen an. Zu ihrer Unterstützung gab es in verschiedenen Städten Solidaritätsaktionen. Majas Vater engagiert sich mit einem Protestmarsch von Jena nach Berlin und von Dresden nach Budapest für ihre Freilassung. Um die nicht immer einfache Kooperation zwischen Angehörigen der Inhaftierten und der Antifa-Bewegung dreht sich ein Text aus Jena, der in den Bänden dokumentiert ist. Die Verfasser*innen plädieren für eine enge Zusammenarbeit zwischen autonomen Antifaschist*innen und den Angehörigen der von Repression betroffenen Personen.
An diesen Texten wird auch deutlich, wie sehr Erfahrungen der radikalen Linken in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen ist. So heisst es dort: „Ältere Mitstreiter*innen aus der DDR-Opposition oder der westdeutschen radikalen Linken sagten uns, dass es zu ihren Zeiten wenig Solidarität aus den Elternhäusern gab...“ (S. 181). Dabei gab es seit den 1970er Jahren eine sehr aktive Angehörigengruppe von politischen Gefangenen in der BRD.
Sie engagierte sich über viele Jahre gegen die Haftbedingungen ihrer Söhne, Töchter oder Geschwister aber auch gegen das Gefängnissystem insgesamt. Die Angehörigengruppe gab über viele Jahre im GNN-Verlag eine eigene Publikation heraus, das Angehörigeninfo. Wenn heute aktive Linke davon nichts mehr wissen, ist das auch ein Zeichen, wie schlecht linke Geschichte vermittelt wurde. Denn eigentlich könnte die Existenz dieser Angehörigengruppe mit ihrer langen politischen Kontinuität sogar als eine Erfolgsgeschichte in der kleinen ausserparlamentarischen Linken interpretiert werden. Denn das Angehörigeninfo existiert noch immer, heute unter dem Namen Gefangeneninfo.
Es ist ein Medium von Genoss*innen, die sich auch heute noch für politische Gefangene einsetzen, auch für die inhaftierten Antifaschist*innen. Diese Korrektur soll keinesfalls als Kritik verstanden werden an den Herausgeber*innen der beiden Bände oder an der Solidaritätsgruppe aus Jena. Sie soll vielmehr als Beitrag zur linken Diskussion über die dokumentierten Texte begriffen werden. Sie ist verbunden mit einer Anerkennung des Immergrün-Verlag, die mit den beiden Bänden linke Geschichte der letzten 10 Jahre wieder in Erinnerung gerufen haben und so auch die Möglichkeit geben, sie kritisch zu betrachten.
Historischer Exkurs
In den beiden Bänden gibt es auf knapp 50 Seiten einen historischen Exkurs. Es sind Texte aus den Jahren 1929 – 1937 vor allem aus anarchosyndikalistischen und linkskommunistischen Zusammenhängen, die sich mit mit der damaligen Faschisierung in Deutschland beschäftigten, die sich lange vor 1933 abzeichnete. Besonders interessant ist ein der Bericht über eine Landagitation von Anarchosyndikalist*innen im Sauerland in den Jahren 1929/31.Angesichts der meist rechtsoffenen Proteste von Bäuer*innen und Bauern in den letzten Jahren gibt es hier auch fast 90 Jahre später Anknüpfungspunkte. So findet sich in dem Band ein Bericht über antifaschistische Kaffeefahrten in die sächsische Provinz im Jahr 2022 (S.383) und ein Beitrag der Antifa Falkensee über den schwierigen aber nicht aussichtslosen Widerstand in der Brandenburger Provinz (S. 379ff).
Aus der Fülle der dokumentierten Texte konnten hier nur einige herausgegriffen werden. Schliesslich sollen die Leser*innen die Texte selber studieren und entscheiden, welche Aspekte sie heute noch für interessant befinden und welche sie eher unter der Rubrik „autonome Befindlichkeiten“ einordnen würden.
Viele der Texte enden mit dem Wunsch, sie mögen zu einer Diskussion beitragen, die oft nicht stattgefunden hat. Der Immergrün-Verlag hat mit den Wiederabdruck die Möglichkeit eröffnet, dass diese Diskussion nachgeholt werden kann.



