Martin Sudermann: XXX - Ein Atomkraft-Krimi Tod im Wendland

Belletristik

November 2010. Zwei Tage nach einem von heftigen Auseinandersetzungen begleiteten Castor-Transport wird die Leiche eines Demonstranten in der Göhrde entdeckt. Holger Becker, 54 Jahre alt, sportlich und kerngesund, soll in einem knöcheltiefen Bach ertrunken sein.

Gorleben, Sitzblockade, November 2011.
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Gorleben, Sitzblockade, November 2011. Foto: BUNDjugend (CC BY 2.0 cropped)

8. Dezember 2016
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Seine FreundInnen, altgediente Autonome und junge Anti-AKW-AktivistInnen aus dem Wendland, glauben nicht an diese Geschichte. Auch der Journalist Thomas Krüdewagen ist tief erschüttert, als er vom Tod seines alten Genossen und Freundes hört. Er verdächtigt den Energiekonzern WEAG, in den Tod verwickelt zu sein. Auf der Beerdigung Beckers beschliesst er, den Ungereimtheiten auf den Grund zu gehen.

Damit beginnt der neue Krimi von Martin Sudermann. Die bereits aus seinem ersten Krimi („Mordgeschäfte“) bekannte Figur des Journalisten Thomas Krüdewagen, früher selbst gegen Atomkraft aktiv, macht sich auf die Suche nach der ganzen Geschichte. Dabei muss er zunächst Widerstände überwinden und Vertrauen aufbauen, denn die AktivistInnen, mit denen sein alter Freund bis zuletzt gemeinsam unterwegs war, sind skeptisch. Nach und nach erfährt der Journalist, dass sein ehemaliger Weggefährte längst nicht zum alten Eisen gehörte und sich nicht − wie er selbst − ins Privatleben zurückgezogen hat. Holger unterstützte Aktionsgruppen vor allem mit seinem technischen Know-How: Computersicherheit, Webseiten für Online-Demonstrationen und Recherche. Dann sind da noch ein früherer Sprengstoffanschlag auf einen Strommast zum Jahrestag der Atomkatastrophe von Tschernobyl und ein aktueller deutsch-französischer Sabotageversuch an den Gleisen.

Kein Wunder also, dass der Tote immer wieder das Interesse des Staatsschutzes geweckt hat. Während Krüdemann versucht, das Leben seines Freundes nachzuzeichnen und vor allem herauszufinden, wie dieser zu Tode kam, stösst er auf Recherchen Holger Beckers zum Energiekonzern WEAG. Dieser ist verwickelt in korrupte Machenschaften beim Bau eines Atomkraftwerkes in der Türkei. Umweltgruppen vor Ort wehren sich gegen den Bau, der mitten im Erdbebengebiet liegt. Die Liste möglicher Feinde wächst. Oder war es vielleicht doch ein Unfall?

Viele Seiten später und etwas unvermittelt taucht ein weiterer Gegenspieler der AktivistInnen auf, der dem Krimi eine entscheidende Wende gibt und die Protagonisten vor schwierige Entscheidungen stellt: Frei nach der Geschichte der internationalen Spitzel, die für den G8-Gipfel im Ostseebad Heiligendamm 2007 eingesetzt wurden, mischt ein Undercover-Polizist die Szene auf. Auch hier bleibt Sudermann nahe an dem, was bis heute über den britischen Undercover Mark Stone (Mark Kennedy) bekannt ist. Als internationaler Aktivist gelang es ihm, sich tief in die militante Aktivistenszene einzuschleusen.

Auch die Grundgeschichte, der ungeklärte Tod eines Demonstranten beim Castor-Transport 2010 im Wendland, ist real und Anlass für den Roman. Spaziergänger hatten dort zwei Wochen nach dem Transport einen Mann in einem Bach tot aufgefunden, die genaue Todesursache blieb zunächst unklar, die Polizei schloss Fremdverschulden aus.

Sudermann vermischt tatsächlich Geschehenes und Fiktion. Es gelingt ihm, reale Ereignisse des Castor-Widerstandes und die staatlichen Überwachungsmassnahmen in einen fiktiven Krimi zu verwandeln. Die Gefahr der platten Darstellung wie beim sonntäglichen Tatort, etwa wenn Kommissarin Lindholm den Mord an einem Wachmann aufklären muss, dessen Leiche seit einem halben Jahr in den Salzhalden des Erkundungsbergwerks Gorleben verschüttet lag oder Hauptkommissar „Unser-Lehrer-Doktor-Specht“-Casstorff unter Hamburger Autonomen ermittelt, besteht bei Sudermann nicht. Darin liegt auch ein Gewinn, denn er schafft es, das Leben und den Widerstand der AktivistInnen einem breiten Publikum näher zu bringen.

Zwar nehmen an manchen Stellen die Erklärungen rund um das Thema Atomkraft, Datensicherheit oder internationale Verflechtungen der Atomindustrie viel Platz ein und kommen zum Teil etwas langatmig daher. Gerade für LeserInnen, die damit nicht vertraut sind, bietet der Roman jedoch einen guten Einblick. Dabei bleibt das Buch auch für alte Hasen des Anti-AKW-Widerstandes bis zum Ende spannend und überraschend. Einzig überholt von den realen Ereignissen wurde der Autor von dem durch Edward Snowden bekannt gewordenen Überwachungswahn rund um die NSA.

Alice Freitag
kritisch-lesen.de

Martin Sudermann: XXX. Ein Atomkraft-Krimi. Sutton, Erfurt, 2013. 240 Seiten, ca. SFr 15.00, ISBN 978-3-95400-258-0

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