Bemerkungen zu Dietmar Daths Romanen Zu Dietmar Daths „Leider bin ich tot“

Belletristik

Über den ehemaligen Chefredakteur der Musikzeitschrift Spex, für dessen Debütroman („Cordula killt dich! Oder: Wir sind doch nicht die Nemesis von jedem Pfeifenheini“) eigens ein Verlag gegründet wurde, ist schon mehrmals geschrieben worden.

Dietmar Dath auf der Frankfurter Buchmesse 2017.
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Dietmar Dath auf der Frankfurter Buchmesse 2017. Foto: Udoweier (CC BY-SA 4.0 cropped)

21. März 2016
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Was noch fehlt, sind Dietmar Daths (*1970, Rheinfelden) Romane, die er am Fliessband ausspuckt, mindestens einen pro Jahr, meistens Klopper, die auch zur physischen Selbstverteidigung angewendet werden können.

Tragende Säulen in Daths Kuppel aus Science-Fiction, Horror, Fantasy, Porno, Naturwissenschaften, Marxismus und Hastenichtgesehn bilden dabei eben jene Schinken in Überlänge, darunter „Feldeváye“ (Suhrkamp, 2014) und „Für immer in Honig“ (Implex, 2005), einer literarischen Adaption der Leninschen Frage „Was tun?“, ausgewalzt auf eine vierstellige Seitenzahl. Anfang diesen und letzten Jahres hat uns Dath, der den Feuilleton der konservativen F.A.Z. durch Filmrezensionen und Kulturporträts mit Adjektiv-Übersättigung entrisiert, insgesamt drei neue Romane in den Trog geworfen, auf dass wir vom ML-Dozenten ohne Professur und Berufung etwas über Physik, Politik und Poesie lernen und verinnerlichen. Herausgekommen sind drei Werke, unverkennbar aus Daths Tippfingern. Und trotzdem zeigt er damit, wie gross und divers seine Story-Palette ist.

Hammer und Zirkel

Die „Liebeserzählung“, wie „Deutsche Demokratische Rechnung“ untertitelt ist, ist schlank geraten und in ihrem Verlauf so simpel gehalten, dass man endlich mal Raum hat, den mathematischen Gedanken- und Kreuzgängen der ProtagonistInnen zu folgen. Der Hauptfigur, Vera Ulitz, folgt man von der Beerdigung ihres Vaters, eines Mathematikers und Entwicklers der früh abgewürgten „Neuen Ökonomischen Politik“ in der Deutschen Demokratischen Republik unter Walter Ulbricht, in den tristen Alltag der frühresignierten Mathetalentierten, Teilzeitalkoholikerin und Ketten-Bäckerin nach Frankfurt a.M. Es folgt: Berlin, grosse Liebe, grosser Krach und die schmerzhafte Wiederentdeckung der politischen Aktion für Vera, die sich um Wohnung und Nachlass des verstorbenen Mathe-Kaders kümmert und dabei Hilfe von journalistischer Seite erfährt.

Der Plot hat seine klaren Nachteile: Er ist bis zur Langeweile vorhersehbar und ausgelatscht. Dafür kommt man bei dem dünnen Brett endlich mal mit dem Bohrer durch, ohne den Einfallswinkel und sonstigen Krimskrams zu berechnen, den Menschen nicht berechnen können, die im Mathematikunterricht lieber „Schuld und Sühne“ gelesen haben statt aufzupassen.

Schliesslich sind Daths Romane Konfliktgebiete zwischen Weltanschauungen und Wissensständen: Duelle zwischen den sozialdemokratischen Saubermännern („Irgendwie antiautoritär, egal, wer gerade die Autorität ist, irgendwie links und irgendwie lieb und Kraut und Rüben“, wie sich Vera an die Meinung ihres Vaters zu diesem Schlag Linksalternativer erinnert) und den berechnenden, allzeitverdrossenen In-Traditionslinie-Steherinnen, deren Hauptmanko im Hier und Jetzt ist, dass ihnen viel vom Swag der Jetztzeit abgeht. Dazu gesellen sich die mathematischen Ausführungen, die Dath so gern im Lehrerin-Schülerin-Modus via Didaktik-Dialoge abspult. Kann die eine dem politischen Hickhack nicht mehr folgen, geht es dem anderen in Daths Romanen so, wenn die Naturwissenschaften durchgepaukt werden. Der Vorteil der „Deutschen Demokratischen Rechnung“ ist, dass man hier auf allen Ebenen nicht den Blindenhund im Handlungsgestrüpp verliert. Da ist „Venus siegt“ ein anderes Kaliber.

„Écumenale Demokratrie in den Frames plus Schaum überall ist gleich das Freiwerk“

Wer die Zukunft, von der „Venus siegt“ handelt, nachvollziehen möchte, der lese ein Geschichtsbuch, sollte es noch welche geben, die die Sowjetunion nicht als Vorhof zum Fegefeuer der Klassenlosigkeit zerrupfen. Denn das Bundwerk, wie die Gesellschaft bzw. der Staat, der sich auf und um die Venus konstituiert hat, heisst, ist eine ins All geschossene Räterepublik: Im Aufbau befindlich, nach Ausrichtung suchend und von der eigenen Unerfahrenheit und äusserer Aggression gebeutelt.

In den schwebenden Städten spielt sich das politische und kulturelle Leben der Gemeinschaft aus menschlichen Hardware- und Software-Individuen ab, während mit Opferbereitschaft, die über das Individuelle hinausgeht, der Planet und seine Ressourcen erschlossen werden. Denn die sind knapp und notwendig. Daraus resultieren auch die Debatten um die politische Praxis: Expansion der Venusischen Organisationsform („permanente Revolution“/„Weltrevolution“) oder Stabilisierung der Venus mit allen Mitteln („Sozialismus in einem Land“).

Letztlich setzt sich Leona Christensen als „leitende Körperschaft“ mit letzterem Programm durch und schwingt sich nach und nach zur paranoiden Despotin, die nicht nur die „Neukörper“ vernichten lässt, Menschen, die nach Daths altem Gedankengang, ihre eigene Art abschaffen und sich selbst als biologischen Legobausatz nach ihrem Belieben neu zusammenschustern. Denn diese Hippies, die wichtige Ressourcen auf ihre eigene Entfaltung legen, scheinen Christensen ebenso hinderlich, wie ein erheblicher Teil an Funktionären in den eigenen Reihen. Auch der Erzähler landet im Folterverlies. Auf die Säuberung folgt der Überfall durch die faschistische Erde. Wie der Krieg ausgeht, kann man erahnen: „Sie rettete Unzählige, wie sie zuvor Unzählige geopfert hatte“, heisst es über die siegreiche Kriegsführung Christensens.

Dath lässt keine Position in „Venus siegt“ oberflächlich: Keine machtgeile Diktatorin, die sich zuviel von Kevin Spacey in „House of Cards“ abgeguckt hat, kein revolutionsromatischer Space-Trotzki ohne Sinn für die Realität. Den Vulgärmarxismus, den Dietmar Dath gern daran identifiziert, dass das historische Denken als Geschichte von Klassenkämpfen im stupiden „An-der-Wand-Entlanggehen“ bis zum unweigerlich eintretenden Kommunismus verendet, stellt er in „Venus siegt“ auf die Füsse, indem er ein Stück Geschichte in eine spekulative Zukunft umtopft. Damit zeigt er, dass Geschichte als Geschichte von Klassenkämpfen auch stets die Geschichte temporärer Rückschläge ist.

Opium naschen

Überzeitlich scheint dagegen die Religion. Das „Opium des Volkes“, wie Karl Marx das ewige Glotzen in den Himmel mit Rock über den Knien und abgenommenem Mützchen zwischen den gefalteten Händen umschrieb, gilt in der globalen Linken eher als Pfui. In „Jenseits von Staat, Macht und Gewalt“ etwa, der ausführlichen Textsammlung des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan, finden sich klare Negationen der Religion als „die Theorie der primitiven Gesellschaft“, die als Instrument der Unterdrückung fungiert: „Die Wirkung von Gewalt ist nur von kurzer Dauer, für dauerhafte Wirkung sorgt der Glaube.“

Da schiesst Dietmar Dath mit seiner jüngsten Publikation „Leider bin ich tot“ etwas quer, tummeln sich im Roman schliesslich neben Grauzonen-Black-Metallern und postmodernen Filmemachern auch Sektenführer, psychotische Priester, gläubige Wissenschaftlerinnen und etwas Übermenschliches in Menschengestalt(en). Das Figuren-Ensemble ist ausufernd, die Handlungsstränge verworren, die Diskurse theorieschwanger. Kurztrips zwischen den Dimensionen und das Autobahn-Erzähltempo machen es schwer, der Story um Übernatürlichkeit, Wissenschaft und tiefem Staat in Gänze zu folgen.

Warum aber macht sich Dath, selbsterklärter Nichtgläubiger, überhaupt die Mühe, sich an einem derartigen Themenkomplex abzumühen? In einem Interview mit dem Deutschlandfunk lieferte er kürzlich eine Antwort: „Also sozusagen, wenn Marx Recht hat und es Opium ist, dann kann man ja sagen, nur ein verbissener Puritaner würde sagen, damit muss es automatisch verboten werden, weil es Opium ist. Man kann ja einen verantwortungsvollen Umgang mit Rauschmitteln durchaus anstreben.“

Institutionelle Religionen und praktizierter Glauben sind auch 2016 nicht aus der Gesellschaft wegzudenken, ihren Einfluss auf Denken und Handeln der Menschen zu ignorieren, wäre mindestens ebenso naiv, wie selbst auf das grosse Spaghettimonster zu warten, das uns eines schönen Tages ohne unser Zutun aus dem Elend befreit. Schliesslich entsprangen auch dem religiösen Idealismus nicht ausschliesslich reaktionäre Konzepte – vom Prinzip der Gotteskindschaft, die alle Menschen auf eine Ebene (unter Gott natürlich) stellen sollte, bis zur praktischen Befreiungstheologie in Lateinamerika.

Dementsprechend finden sich in „Leider bin ich tot“ Quasireligion neben philosophischen Hypothesen, nach denen alles ein Bewusstsein hat, und mafiöse Sektenbanden neben Avantgarde-Metal-Konzerten. Alles schön gleichzeitig ungleichzeitig, neben- und ineinander.

Die Welt werde immer komplizierter und schlussendlich unüberschaubar, ist ein oft abgespultes Lied der Gegenwart. Dietmar Dath dagegen will mit „Deutsche Demokratische Rechnung“, „Venus siegt“ (Vor allem mit diesem!) und „Leider bin ich tot“ zeigen, dass wir auch noch nie so viel wussten und verstehen konnten, auch wenn man sich durch den Informationswust und wirre Narrationen kämpfen muss, um zur Krux zu gelangen. „Wir waren im Begriff, Gott endlich wieder leidzutun“, heisst es auf den ersten Seiten von „Leider bin ich tot“. Wenn wir schreibende DenkerInnen wie Dietmar Dath haben, brauchen wir uns selbst wenigstens nicht leidzutun, höchstens wenn es um Lesepensum und erforderliche Aufmerksamkeit bei der Lektüre geht, die Dath seinen LeserInnen abverlangt.

Pat Batemensch / lcm

Dietmar Dath: Deutsche Demokratische Rechnung. Roman. Eulenspiegel Verlag, Berlin, 2015. 240 Seiten, 22 SFr, ISBN 978-3-359-02471-2

Dietmar Dath: Venus siegt. Hablizel Verlag. Lohmar 2015. 300 Seiten, 11 SFr (als E-Book)

Dietmar Dath: Leider bin ich tot. Suhrkamp Verlag. Berlin 2016. 461 Seiten, 19 SFr