Alex Gräbeldinger: Verloren im Weltall, verwahrlost auf Erden Therapietagebuch eines Punk-Rockers

Belletristik

Der im subkulturellen Bereich wohlbekannte Alkohol-Poet und Punk-Apologet Alex Gräbeldinger führt in seiner bereits dritten Buchveröffentlichung mit dem Titel „Verloren im Weltall“ den sagenhaften und eigentümlichen Erzählstil seines zweiten Bandes kompromisslos und konsequent fort.

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Foto: Aku!

5. November 2017
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Korrektur
Im neuesten Streich von Alex Gräbeldinger werden wiederum detailversessen und penibel Missgeschicke des Lebens und leichtere und gröbere Schicksalsschläge auf eine unkomplizierte und erfreuliche leichte Art erzählt sowie stilsicher als auch wortgewandt beschrieben. Die verschiedenen Episoden bilden zusammen (sie wurden allesamt regelmässig im monatlich erscheinenden Punkmagazin OX veröffentlicht) eine ähnlich eines Romans sehr lebensnahe und zusammenhängende Geschichte. In vertraut souveränem Plauderton nimmt uns der Autor mit in die freien Gefilde der Klubs- und Strassenszenen der deutschen Gegenkultur. Wer hier nun an dieser Stelle aber platte, ordinäre oder alkoholgeschwängerte Bier- und Kneipenprosa erwartet, befindet sich definitiv auf dem falschen Dampfer. Die Sprache, deren sich Gräbeldinger bedient, ist, einmal mehr, auffallend vielfältig und erfrischend eloquent (Vergleiche drängen sich auf von Charles Bukowski bis Max Frisch).

Ausschweifungen im Hamsterrad

Das Buch ist in zwei Teile aufgegliedert. In der ersten Hälfte wird der Leser hineingezogen in die Welt des unkontrollierten Drogenkonsums in Form von rauschenden Alkoholexzessen, nächtelangen Kifforgien vor der Playstation und psychedelischen LSD-Erfahrungen mit epileptischen Nebenwirkungen. Was hartgesottene Fans freuen dürfte: Wie man das bereits aus den beiden Vorgängern kennt, kommt die ironisch betrachtete persönliche Nabelschau, welche dabei jedoch nie zu einem billigen Seelenstriptease verkommt, auf keinen Fall zu kurz. Nach besonders anstrengenden Eskapaden findet sich der Schreiber des öfteren in einem Irrenhaus wieder – die üblichen Gruppentherapien und langwierigen Gespräche mit Psychotherapeuten runden die Anstaltserfahrungen ab.

Eine handfeste Beziehungskrise mit seiner Frau führt letzten Endes zur endgültigen Trennung. Der Liebeskummer treibt den Leidenden darauf zum Wahnsinn und bringt ihn dazu, einmal mehr freiwillig in einer Klapsmühle einzuchecken, welche, was Gräbeldinger mit seinem speziellen Sinn für Humor als besonders erwähnenswert taxiert, im Internet in der Gesamtwertung mit zweieinhalb von fünf Sternen abgeschnitten hat.

Therapietagebuch eines Punk-Rockers

Dort sieht er sich erstmals direkt mit der geschlossenen Abteilung konfrontiert, medikamentöse Unterstützung in Form des Neuroleptikums Olanzapin gibt's obendrauf. Was nun im zweiten Teil des Buches folgt sind penible Beschreibungen der verschiedenen Heilungsformen unseres zum Teil absurden Psychiatriewesens mit solch absonderlichen Namen wie Genusstherapie oder Aquajogging. Trotz der vom Autor so trefflich beschriebenen tristen, nüchternen und autoritär anmutenden Atmosphäre in der standardisierten Irrenanstalt wird man das Gefühl nicht los, dass sich ein Teil der Insassen angesichts des erbarmungslosen kapitalistischen Überlebenskampfes in der Welt da draussen durchaus wohl und betreut fühlen in dem “zuckerwatteartigen“ Seifenblasen-Klima dieses aseptischen Pillenhauses.

Den sadistischen Pfleger mit der Spritze in der Hand der durch die gut geölte psychiatrische Maschinerie schleicht auf der Jagd nach einem neuen Opfer sucht man aber in diesem autobiographischen Roman vergeblich. Abschliessend muss gesagt werden, dass dem Hilfesuchenden durch den kurzen dreimonatigen Aufenthalt, krassere, irreversible, traumatische Langzeitschäden, die durch die permanente, obligatorische, systematische Medikation und die allgegenwärtig zermürbende psychologischen Unterordungszwänge erzeugt werden können, glücklicherweise erspart blieben.

Staatlich verordnete Medikation

Dieser Umstand darf aber nicht falsch ausgelegt werden: Letzten Endes bleibt die Rolle der Angestellten, welche als sklavische Lohnempfänger des institutionalisierten Psychiatriewesens angehalten sind die Patienten zu observieren, durchaus zweifelhaft. Zum einen nimmt nicht jeder Patient diese von oben doktrinierte Hilfe so kritiklos und dankbar an, wie das oftmals erwartet wird, und zweitens befindet sich nicht jeder Insasse (so wie der Autor dieser Schilderung) freiwillig in Gewahrsam. In der Schweiz läuft eine solch gewaltsame Form der Repression dann unter dem Label fürsorglicher Freiheitsentzug (FFE). Aber dies sei nur am Rande erwähnt.

Am Schluss des Buches empfindet man dieses wohlbekannte aufrichtige Bedauern darüber, dass die Lektüre schon zu Ende ist; eigentlich möchte man noch mehr erfahren über das Leben von Alex Gräbeldinger. Zu hoffen bleibt, dass das Werk von uns Lesern unterschwellig nicht voyeuristisch missbraucht wird, denn mit solch einer Lesart würde von dem zweifelsohne tiefergelegten Inhalt nicht viel übrig bleiben. Der tragisch-deprimierende Schluss, der trotz allem in typischer Gräbeldinger-Manier auch noch ein Paar Wohlfühl-Aspekte in sich birgt, regt den Leser aber sicherlich mehr zum Nachdenken an, als ihm persönlich wahrscheinlich lieb ist.

Dimitri Dübendorfer / Ricardo Tristano

Alex Gräbeldinger: Verloren im Weltall, verwahrlost auf Erden. Roman. Tante Guerilla, St. Wendel 2016. 199 Seiten, ca. 12 SFr., ISBN 978-3-9812772-4-1