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Aldous Huxley: Schöne neue Welt | Untergrund-Blättle

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Das Überhandnehmen der Oberflächlichkeit Aldous Huxley: Schöne neue Welt

Belletristik

Im Jahre 632 nach Ford herrscht eine globale Wohlstandsgesellschaft, deren Mitglieder künstlich gezüchtet – Alphas, Betas, Gammas, Deltas und die Epsilons – und vorallem mittels Hypnopädie erzogen werden.

Aldous Huxley: Schöne neue Welt.
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Aldous Huxley: Schöne neue Welt. Foto: clement127 (CC BY-NC-ND 2.0)

6. Oktober 2003
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Korrektur
Es gibt keine Eltern, Familien, Ehen oder eheähnliche Gemeinschaften, Religionen – die allesamt durch die Verehrung Fords verdrängt wurden – mehr, die Menschen verstehen sich als Allgemeingut, das von Kindesbeinen an sexuelle Triebe – unter Anwendung von Verhütungsmitteln – offen auslebt, ohne längere Beziehungen einzugehen.

Soma

Das Altern wird chemisch vermieden, der Tod unwichtig. Ziel des modernen Menschen ist es glücklich und zufrieden zu sein. Für depressive Anfälle gibt es die beglückende Droge "Soma".

Sigmund Marx aus dem Psychologiebüro fühlt etwas anders: er zieht das Alleinsein dem vorgeschriebenen öffentlichen Leben vor, meidet Frauen, leidet unter seinem weniger anziehenden Äusseren, und liebt insgeheim Lenina Braun, die im Flaschenabfüllsaal arbeitet. Lenina fühlt sich - seltsamerweise - ebenfalls zu Sigmund hingezogen, würde es gerne mal mit ihm probieren, aber sie wird immer wieder verstört von seinem seltsamen Verhalten.

Die Wilden im Reservat

Dennoch drängt sie ihn zu einem gemeinsamen Urlaub, der die beiden in eines der "Wilden-Reservate" führt. Während des Aufenthalts erfährt Sigmund, dass er nach seiner Rückkehr wegen seines auffälligen Verhaltens nach Island strafversetzt werden soll. Der Zufall verhindert das: er findet im Reservat die durch ein Unglück verschollene Frau seines Chefs, Feline, samt deren gemeinsamen Sohn Michel und erhält die Erlaubnis, beide in die Zivilisation zurückzubringen. Der Skandal kostet den Chef den Posten, die unglückliche Feline ergibt sich völlig dem "Soma" und der "Wilde" wird von Sigmund in den höchsten gesellschaftlichen Kreisen als Exotikum herumgereicht, was Sigmund und Lenina hohes Ansehen bringt.

Doch eines Tages verweigert sich der Wilde. Er, der all seine Bildung aus "William Shakespeares Sämtliche Werke" hat und Lenina von Anfang an vergöttert, kommt mit dem, was ihm als ideale Gesellschaft geboten wird, überhaupt nicht zurecht:

»Ich brauche keine Bequemlichkeit. Ich will Gott, ich will Poesie, ich will wirkliche Gefahren und Freiheit und Tugend. Ich will Sünde!« — Huxley: Schöne neue Welt

Seine idealisierte Schwärmerei zu Lenina hat ein Ende, als sie sich anbiedernd ihm aufdrängt und in ihrer oberflächlichen Art keines seiner Worte versteht. Die edle Liebe schlägt in Verachtung über.

Exil in Island

Sigmund Marx – von den Neidern, und es gibt nur solche in seiner Umgebung, verhöhnt und fallengelassen –, sein Freund Helmholtz Holmes-Watson – ein unglücklicher Denker in der Propagandaabteilung – und der Wilde landen schliesslich vor dem Weltaufsichtsrat [Kapitel 16 und 17: Die Hintergründe und Motive der gesellschaftlichen Entwicklung (Versuch der »Reinen Alpha-Gesellschaft« u.ä.; der WAR ähnelt Holmes-Watson].

Sigmund und Helmholtz werden nach Island geschickt, der Wilde erhält ein Haus in einem kaum bewohnten Gebiet, wo er, innerlich von Abscheu und Liebe zu Lenina zerrissen, von Reportern und Neugierigen belagert und belästigt wird. Als ihm Lenina – ihre Absicht bleibt offen, aber sie weint – in Mitten eines solchen Menschenauflaufes vor die Augen kommt, vertreibt er sie. Schliesslich erhängt sich der Wilde.

Kritik

Der Verlauf der Geschichte wirkt mitunter mutwillig, gezwängt und auch unglaubwürdig (Sigmunds Veränderung, sein Aufstieg und Fall, die Persönlichkeit des Wilden). Angesichts der momentanen Entwicklung – Verherrlichung der Jugend und des Schönen, Genmanipulation, verbissene Unterhaltungssucht, das Überhandnehmen Oberflächlichkeit, der geförderte Konsumrausch u.ä.m. – aktueller denn je.

Stefan Aigner –www.stefan.cc

Aldous Huxley: Schöne neue Welt. Roman. Fischer Taschenbuch, Frankfurt am Main 2013, 22 SFr., ISBN 978-3-596-95015-7.

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