Die Schweizerarmee rüstet sich für den Militärstaat Territorialgrenadiere und anderes

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Auch der Schweizerarmee ist es nicht entgangen, dass die bösen Sowjets verschwunden sind und die Russen damit zum Feindbild nicht mehr taugen.

Grenadierausrüstung mit SIG SG 552 Commando.
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Grenadierausrüstung mit SIG SG 552 Commando. Foto: TheBernFiles (PD)

21. März 1996
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Ganz verschwunden sind sie aus den möglichen Bedrohungszenarien für den Schweizerstaat allerdings nicht; es gibt neuerdings die ominöse Ostmafia.

Die bösen Roten werden also an der Ostgrenze nicht mehr erwartet und die "neutralen" Natoverbindungen der letzten Jahrzehnte durften an die Öffentlichkeit gelangen.

Das alles ist aber für die helvetische Armee nicht Grund genug, um sich in Luft aufzulösen. In Genf wurde am 19. Dezember 1995 sogar ein Zentrum für Sicherheitspolitik eröffnet, wo sich Leute aus dem Militärdepartement, dem Departement für auswärtige Angelegenheiten und der UNO die aktuellen Bedrohungen mitteilen und besprechen können.

Und 1996 hat bekanntlich die Schweiz das Glück, den Vorsitz der OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) innezuhaben. Welch tolle Gelegenheit für die CH-Armee sich ins Szene zu setzen.

Der gute Verein hält sich also weiterhin für unentbehrlich und will dies auch dem Volk beweisen. Dafür wurde modernisiert und ein neues Anforderungsprofil ausgearbeitet. Armee 95 wird das tolle Werk genannt und ist mittlerweile mehr oder weniger realisiert. Stark betont wird die Katastrophenhilfe. Das hierfür zuständige Hilfskorps soll bei Naturkatastrophen, Chemie- und Verkehrsunfällen wie z.B. Flugzeugabstürze zum Einsatz kommen. Die Armee lenkt damit von ihrer Vernichtungsfunktion ab und profiliert sich als lebenswichtige Retterin.

Dass eine organisierte Katastrophenhilfe Sinn macht, wird wohl von niemandem bestritten. Warum dass hierfür aber die Armee zuständig sein soll und nicht eine spezielle Zivileinheit, lässt sich nicht begründen. Panzer, Gewehre und Kanonen führen im allgemeinen zu Katastrophen und verhindern sie nicht. Neben der Katastrophenhilfe sucht die Armee auf einem weiteren Gebiet Volksnähe.

Bekannt ist z.B., dass das Festungswachtkorps mit der Kantons- und Stadtpolizei Zürich zusammenarbeitet. Dabei geht es v.a. um Gebäudebewachung von Gefängnissen und Botschaften, die u.a. vor Demonstrationen und Anschlägen geschützt werden sollen. Ausserdem haben die Militärs dieselben Befugnisse wie die Polizei, so dass sie auch in den Strassen patrouillieren und Personenkontrollen durchführen.

Vor allem hat aber die Reform im Rahmen der Armee 95 neu 24 Territorialregimenter geschaffen. Neben Raumüberwachung, Betreuungsdienst und minimaler Raumsicherung im militärischen Bereich wurden die Territorialregimenter v.a. für den zivilen Bereich geschaffen. Es geht dabei um den sogenannten subsidiären Einsatz, was nichts anderes bedeutet als Aufrechterhaltung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Inland. Die Behörden können Begehren um Zuweisung militärischer Kräfte stellen, wenn v.a. die Polizei mit ihren Mitteln die Lage nicht mehr genügend kontrollieren kann.

Das Feindbild ist ganz klar der Terrorismus, wobei unter dem Eindruck der Kriege in Ex-Jugoslawien und der GUS (Ex-UdSSR) auch ein potentieller Bürgerkrieg berücksichtigt wird. Die Ausbildungszenarios sind dementsprechend Geiselbefreiungen, Häuserkampf und Schutz von Objekten vor TerroristInnen. Neben der Ausbildung in Schiesstechnik werden die Territorialfüsiliere speziell im Nahkampf und im Fachdienst im Bereich der Unterstützung der Behörden geschult. Das Militär übt sich in eigentlichen Polizeifunktionen und arbeitet in der Ausbildung mit der Polizei zusammen, was in der folgenden Äusserung des Klassenlehrers der Offiziersschule für Territorialfüsiliere Major i Gst Huber im Sommer 95 zum Ausdruck kommt: "Unsere Fachdienstausbildung ist ohne weiteres mit derjenigen des Grenzwachtkorps und der Polizei kompatibel.

Ich bin der festen Überzeugung, dass diese Zusammenarbeiten gegenseitig das Vertrauen stärken. Daher erachte ich es als unumgänglich, mit der Polizei und dem GWK gemeinsame Einsätze zu bestehen." Die übliche militärische Ausrüstung wird durch eine aufgabenspezifische ergänzt. Neben Material um Verkehrsleitmassnahmen und Verkehrskontrollen durchzuführen, gehören auch Handschellen, Videoüberwachungsgeräte, Spanndrahtsysteme und Druckmatten dazu.

Die neue Elite der Armee 95 sind, die zu den Territorialregimenter gehörenden, Grenadiere. Jeder vierte Grenadier wird neu als Territorialgrenadier ausgebildet. Sie stellen die eigentlichen Antiterroreinheiten, welche Häuser stürmen oder vor einer aufgebrachten Menschenmenge die Übersicht bewahren müssen und die RädelsführerInnen abführen oder erschiessen. Im Laufe der bereits mehrjährigen Hysterie die innere Sicherheit betreffend führten nicht bloss die Territorialregimenter terroristische Bedrohungsszenarien als Übungen durch, sondern auch herkömmliche Infanterie- und Genieeinheiten. Divisionär Ulrico Hess liess letzten September die Militärübung "Scirocco" mit dem Infanterieregiment 27 und der Genieabteilung 6 durchführen. Dabei ging es um die Sicherung von strategisch wichtigen Bahnlinien zum Schutz vor Terrorakten, wie Hess selbst erklärte.

Dies war also eine eigentlich völlig unsinnige Übung, da in einem solchen höchst hypothetischen Fall, ein Territorialregiment verantwortlich wäre. Laut dem damaligen Ausbildungschef der Armee und heutigen Chef Heer Jean-Rodolphe Christen an einem Medientag im September 95 führe der Aufbau der Territorialregimenter bei den Eltern der Soldaten und bei ParlamentarierInnen zu positiven Rückmeldungen.

Auch Eugen Thomann, mittlerweilen suspendierter Chef der Kantonspolizei Zürich, schrieb in einem Artikel der Allgemeinen schweizerischen Militärzeitschrift vom Juni 95, die Neustrukturierung der Armee führe aufgrund des schlechten Sicherheitsgefühls der Bevölkerung eher zu Sympathien. Terror hin oder her, Tatsache ist, dass sich die neuaufgebauten Territorialregimenter allgemein zur Repression im zivilen Bereich perfekt einsetzen lassen. Es ist durchaus denkbar, dass die ständigen Patrouillen in der Stadt Zürich zur angeblichen Bekämpfung der Drogenszene und des Asylmissbrauchs vom Militär übernommen werden könnten.

Dieses Szenario ist keineswegs unrealistisch, denn die Polizei ist angeblich durch diese Einsätze bis an die Leistungsgrenze gefordert, und genau dann genügt ein einfaches Begehren der Behörden, um einen militärischen Einsatz zu ermöglichen. Viel naheliegender ist allerdings ein Einsatz in der Aufstands- und Unruhebekämpfung. Die einzigen blutigen Einsätze in der Geschichte der CH-Armee geschahen bisher in solchen Situation. 1918 wurde der Generalstreik in Zürich durch General Wille blutig beendet. 1932 starben 13 Personen, nachdem die Armee in Genf auf eine antifaschistische Demonstration geschossen hatte.

Mittlerweilen ist jedem/r klar, dass die Zeiten der sozialen Ruhe auch in der Schweiz zu Ende sind. Streiks und Demonstrationen werden immer häufiger und ernsthafter. Nach der Anti-Blocher-Demonstration vom 23. September 95 in Zürich erklärte der Stadtrat, die Polizei sei bei ihrem Einsatz an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gelangt. Auch Polizeivorstand Robert Neukomm musste diese Tatsache eingestehen. Es wurde über eine Aufstockung des Personalbestandes der Polizei diskutiert, doch eine weit billigere Lösung wäre bei Bedarf der Einbezug eines Territorialregimentes.

Major Huber erklärt denn auch ganz beiläufig, dass z.B. im Umgang mit aufgebrachten DemonstrantInnen besonderes psychologisches Geschick von seinen Territorialfüsilieren gefordert würde. Im Zusammenhang mit Territorialregimentern schrieb Eugen Thomann im bereits erwähnten Artikel, dass das Polizeikorps trotz interkantonaler Zusammenarbeit angeblich bei "aufflackernden Brandherden" schnell überfordert sei. Die Realisierung eines Armeeeinsatzes bei Demonstrationen ist angesichts der noch unausgefeilten Strukturen und Ausbildungen der Armee 95 in nicht mehr allzuweit entfernter Zukunft zu erwarten.

Klar ist, dass mit den Territorialregimentern der Schweizerstaat eine unglaublich starke Repressionsmaschinerie einsetzen kann, die mit den Grundsätzen der Demokratie in jedem Fall unvereinbar ist. Der Weg zur Freiheit ist damit stärker denn je verbarrikadiert worden.

D.S.