Allein der Erfolg zählt Jugendkriminalität

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7. Juni 1995

Immer wieder tauchen in den Medien Meldungen über kriminelle Handlungen auf, welche von Jugendlichen begangen wurden. Das Spektrum reicht dabei von Ladendiebstählen und Sachbeschädigungen bis zu Überfällen, Körperverletzungen und Gangkämpfen.

Jugendkriminalität.
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Jugendkriminalität. Foto: Alex Proimos (CC BY 2.0 cropped)

7. Juni 1995
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Statistisch gesehen ist Jugendkriminalität in den letzten fünfzig Jahren um mehrere hundert Prozent gestiegen und zwar auf den verschiedensten Gebieten. Das hat nur eventuell mit einem tatsächlichen Anstieg krimineller minderjähriger und jugendlicher Täter zu tun, denn die Statistiken müssten in Anbetracht der ständig ansteigenden Gesetzesflut, welche immer mehr Tatbestände als kriminell definiert und des perfektionierten Polizeisystems, welches eine Verschiebung der Dunkelziffern bezüglich gesetzwidrigerer Handlungen in die offiziellen Statistiken zur Folge hat, bereinigt werden.

Ob und wie stark die Bereitschaft Jugendlicher, kriminelle Taten zu begehen angestiegen ist, bleibt unklar; sicher ist nur, dass es junge Straftäter gibt. Diese jungen Menschen, die sich auf gesellschaftlich gesehenen Abwegen befinden, geniessen im Vergleich zu ihren älteren und erwachsenen KollegINNen besondere Aufmerksamkeit.

Sie werden vergleichsweise milde behandelt, häufig bemitleidet und oft finden diese armen Jungen und Mädchen Verständnis und werden gar als Opfer gesehen, während gegen ältere straffällige Generationen mit voller Härte und ohne Mitgefühl vorgegangen wird. Das Bild vom Kind als braven Unschuldsengel, prägt die Gesellschaft weiterhin. Das an sich reine Kind wurde auf Abwege geleitet, ist Opfer; die Schuldigen sind Eltern, Lehrer, die Gesellschaft oder sonst was. Was sind denn die Gründe, welche illegale Taten junger Leute begünstigen?

Nehmen wir Diebstahl und Raub als Phänomene der materiellen Bereicherung auf illegale Art, so liegt eine naheliegende Begründung in der Armut und der Angst, die existenziellen Bedürfnisse nicht decken zu können. Das ist in Westeuropa jedoch nur bei einer geringen Anzahl dieser Delikte der Fall. Es geht vor allem um das Erwerben von nichtexistenziellen Gütern, dessen Bedürfnisse durch die allerortspräsente Werbung, die teilweise genau die Jugend als Zielgruppe hat, suggeriert wird.

Da die Anzahl dieser Güter endlos ist, scheint es plausibel, dass das Taschengeld oder der Lehrlingslohn zur legalen Erwerbung all dieser unentbehrlichen Dinge nicht ausreicht, und es deshalb auf einem anderen Weg versucht wird. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die zunehmend anonymer werdende Gesellschaft kriminelle Taten begünstigt.

So eignen sich die grossen Supermärkte von heute perfekt für Ladendiebstähle, die früher in den kleinen Detailhandelsläden noch ein Kunststück waren. In der unübersichtlichen Massengesellschaften der Städte lässt sich auch ziemlich gefahrenlos ein Entreissdiebstahl oder eine kurzer Überfall vollbringen. Der Begriff einer Verantwortung als soziales Wesen und der damit zusammenhängenden sozialen Kontrolle ist dem heutigen Menschen fremd. Diese Funktion, die ursprünglich von der Familie, der Nachbarschaft oder den guten BürgerINNEn wahrgenommen wurde, bleibt heute allein dem Staat überlassen.

Verschiedene Kulturen und damit von den momentan herrschenden Gesetzen verschiedene Wertesysteme führen immer wieder zu kriminellen Vergehen, welche für den Täter moralisch absolut vertretbar und nicht bewusst gesetzwidrig sind. Vor allem für Menschen aus anderen Ethnien aber auch für Jugendliche mit verschiedenen Erziehungen (autoritär, antiautoritär, Selbsterziehung u.a.) oder aus verschiedenen sozialen Schichten ist der Konflikt mit der Justiz vorprogrammiert. Kinder und Jugendliche sind aufgrund der Unkenntnisse der Gesetze, welche an ihrem jeweiligen Aufenthaltort herrschen und dem unkritischen Glauben an ihr Wertesystem diesbezüglich besonders gefährdet. Indem ImmigrantINNen und gewisse soziale Schichten ghettoisiert werden, gibt es Gebiete mit krimineller Infrastruktur, welche wiederum Straftaten begünstigt.

Arbeitslosigkeit, schulisches oder berufliches Versagen führen einerseits zu Minderwertigkeitsgefühlen und anderseits zu einer Ablehnung gegenüber der Gesellschaft, die sie verstossen hat. Sie und ihr Wertesystem werden zu den persönlichen Feinden, und man versucht durch kriminellen Erfolg sein Ego zu beruhigen. Das Versagen in der Leistungsgesellschaft verstört wiederum vor allem Jugendliche, die noch gar keine Gelegenheit hatten sich zu behaupten. Die Identitätssuche und das Brechen mit der elterlichen Autorität und Moral spielt vor allem auch in Jugendbanden eine wichtige Rolle.

Dabei spielen gesetzeswidrige Taten eine Rolle, was den Status des einzelnen betrifft und kitten gleichzeitig die GruppenmitgliederINNEN zusammen. Das Brechen mit den gesellschaftlichen Normen ist relativ bewusst, und die Legitimation der Gruppe reicht für irgendwelche Taten aus. Die sich entwickelnde Gruppendynamik kann dabei die Hemmschwelle ganz zum verschwinden bringen. Jugendliche aus zerrütteten Familien oder ganz einfach solche, die nicht oder nur schlecht von der Familie akzeptiert werden, suchen eher Bestätigung in Jugendbanden, welche nicht anderes als einen Familienersatz sind.

Einen Einfluss auf die kriminelle Bereitschaft haben bestimmt auch gewaltverherrlichende Filme und Videos sowie die auf Gewalt, Verbrechen und Katastrophen orientierten Medien, welche ein negatives Weltbild produzieren. Nicht vergessen dürfen wir, dass Rücksichtslosigkeit und Gewalt in der heutigen Konkurrenzgesellschaft ein Verhaltensmuster geworden ist, welches allgemein Gesetzeswidrigkeiten einschliesst. Allein der Erfolg zählt.

D.S.