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Bangkok Blues

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Do you like Thailand? Bangkok Blues

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Martin, Richard, ich plus Anhang, der in dieser Nacht nichts besseres zu tun hatte, bewegten uns in Richtung McDonald's. Nicht dass wir vorgehabt hätten, unser hart verdientes Geld in Burgers zu investieren, im Gegenteil, wir trafen uns einfach beinahe allabendlich dort auf den Stufen dieses ehrwürdigen Gourmettempels, um Bangkoks Jugend und High Society mit Rock'n'Roll zu beglücken.

Soi Cowboy im Rotlichviertel von Bangkok, Thailand.
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Soi Cowboy im Rotlichviertel von Bangkok, Thailand. Foto: moomoobloo (CC BY-SA 2.0 cropped)Anindya (CC BY-SA 3.0 unported)CYPHE

Datum 7. Juni 1995
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Lesezeit10 min.
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Bangkok, 22.00 Uhr, nahe Patpongroad

Ausgerüstet mit zwei Gitarren, einem Kassettenrekorder als Verstärker und einer Blechkiste, um das ganze rhythmisch zu stützen.

Etwa zwanzig Meter vor uns erblickte ich einen Typen, der aussah, als wäre
er ziemlich am Ende. Sich an seinem Didgeridoo (diesem beliebten Instrument
der Aborigines) stützend, machte er einen unmotivierten und leeren
Eindruck. Ach ja! Jetzt erkannte ich ihn.

Ich hatte ihn bereits einige Male
in meinem Guesthouse getroffen. Er hiess Jim, war Australier und wusste
eigentlich nicht so recht was tun.
Zurück wollte er aber auch nicht.
Jedenfalls stand er nun vor uns in seiner ganzen Pracht: Eingehüllt in
einem überlangen Hemd der Bundeswehr, welches bedeckt war mit Haaren,
die
aussahen, als würden sie regelmässig mit Kuhmist behandelt.

"Hey Jim, Du siehst ziemlich abgefuckt aus!", meinte Richard. "Jeah,
habe
auch schon ein paar Bier in mir." Natürlich wurden wir noch über
den
genauen Grund seiner Verstimmtheit aufgeklärt. Jim hatte für diesen
Abend
noch keine weibliche Partnerin gefunden, was ihm in Anbetracht seines
alkoholisierten Zustandes ziemlich zusetzte. "Wieso gehst du nicht rüber
in
eines der Bordelle und fragst ein Mädchen, ob sie dir einen runter holt?".
Das wollte er aber doch nicht, das sei nicht seine Art, die Prostitution zu
fördern und so. Was er wollte, war nämlich ein "good-girl"
rumkriegen -
eines von den Thai-Mädchen, die ihre Unschuld bis zur Heirat bewahren
und
dieses unverkennbare, einladende, zugleich aber auch schüchtern
distanzierte Lächeln besitzen.

Schlussendlich beschloss er jedoch, sich uns anzuschliessen, und so
trotteten wir im berühmt-berüchtigten Amüsierviertel Bangkoks
weiter
unserem Ziel entgegen. Irgendwann tauchte einer dieser 24-Stunden
Supermärkte auf, und ich dachte daran, mich mit Bier einzudecken. Jim
kam
mit mir. Ich bewegte mich in Richtung Kühlfächer, während sich
Jim
plötzlich sehr zielstrebig in entgegengesetzter Richtung davonmachte.

Bald
entdeckte ich die Ursache seiner plötzlichen Hast: Zwei zierliche Thaigirls, die sich offensichtlich nicht für eine der vielen Eissorten
entscheiden konnten. Als sie jedoch diesen Typen (Jim) erblickten, der sich
nicht eben diskret von hinten an sie heranmachte und mit einem leeren Blick
angaffte, verliessen sie sichtlich verärgert den Supermarkt und liessen
einen verdutzten Jim hinter sich. Tja, dachte ich, ein bisschen Wissen in
Basic-Thai hätte im vielleicht geholfen.

23.00 Uhr, McDonald's, Patpongroad

Wir setzten uns auf die unteren Treppenstufen. Es war sehr lärmig, vor
uns
rauschte der allabendliche Verkehr wie eine riesige Blechlawine vorbei.
Bereits ein wenig angetrunken betrachtete ich die Umgebung: Hinter der
Strasse das Ende der Patpongroad mit den grellen Lichtern, direkt vor uns
unzählige, vorbeiziehende Menschen, viele Thais, sehr gut gekleidet,
meist
in Gruppen.

Freundlich lächelnd oder eher misstrauisch beobachtend
schlenderten sie vorbei. Ich beobachtete ein junges Mädchen in aus dem
Norden Thalilands stammenden, traditionellen Meo-Kleidung, das mit einer
Blechbüchse in der Hand Touristen um Almosen bat - leider mit wenig Erfolg.
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Bangkok City in der Nacht.Foto: Anindya (CC BY-SA 3.0 unported)

Inzwischen waren Martin und Richard damit beschäftigt, die Gitarren an
den
Verstärker anzuschliessen. Der Sound völlig überdrehter Gitarren
quälte sich
durch meine Gehörgänge. Dann war es soweit, wir begannen mit dem
ersten
Song "Hate the police". Ich ergriff die Drummsticks und bearbeitete
mit
aller Kraft die beiden Blechkisten.

"Mami, mami look at your son, you
might
have loved me but now I've got a gun. You better get out of my way 'cause
I
think I had a bad day..." Es fing an mir langsam Spass zu machen.
Diverse
Blicke richteten sich bereits auf uns, und einige Leute begannen einen
Halbkreis zu bilden. Martin fing an, sich zu verlieren. Er begann richtig
zu schreien, während er seine Gitarre wie ein Waschbrett schrubbte.

Die
ganze Szenerie wirkte etwas irreal auf mich, Allein schon die Tatsache,
dass sie in Bangkok stattfand. Ich war mir nämlich durchaus bewusst,
dass
sich unser benehmen nichtso leicht in die Verhaltensmuster der Thais
einordnen liess. Ich meine damit, es ist nicht so ihr Ding, in der Öffentlichkeit auszurasten. Man benimmt sich seinem sozialen Status
entsprechend, was besonders für uns als "reiche Farangs" (westliche
Ausländer) gelten müsste.

Um so mehr machte es Spass, zu provozieren.
Wir
schienen trotz des miesen Sounds - die Gitarren, durch den Radio verstärkt,
klangen wie Motorsägen, und der Gesang wurde beinahe durch den Strassenlärm übertönt - viele Leute recht gut zu amüsieren. Immer wieder
wurden Münzen
oder gar Noten von vergnügt lächelnden Menschen in das bereitstehende
Gitarrencase geworfen. Hinter uns bildete sich gar eine richtige
Fangemeinde: Teenager, Jungs und Mädchen, meist mit McDonald's Milchshake
ausgerüstet.

Einer von ihnen überreichte mir etwas verlegen einen
Zettel,
auf dem "Nirvana, smells like teen spirit" stand.

Natürlich waren wir
gerne bereit,
seinem Wunsch zu entsprechen. Was folgte war zwar mehr Parodie als eine
gelungene Coverversion dieses "Kultsongs", aber die Leute schienen
es
trotzdem zu mögen. Alles in allem war es ein geglücktes Konzert,
wenn ich
da nicht diese Gestalt gesehen hätte. Es handelte sich um einen auf Krücken
gestützten Mann mit nur einem Bein.

Das besondere an ihm war, dass er
uns
mit seinem Blick eingehend fixierte. Es war mir plötzlich nicht mehr
möglich, mit gleicher Intensität meine Blechkiste zu bearbeiten.
Mir war
klar, dass er sich seinen Lebensunterhalt durch betteln auf der Strasse
erkämpfen musste. Und nun sah er uns, weisse Touristen, die sich
amüsierend, locker das zehnfache seiner Tageseinnahmen in ein paar Stunden
verdienten.
Ich versuchte in seine Augen zu schauen, konnte aber darin
nicht die geringste Spur von Neid oder Hass entdecken. Es war mehr
Faszination, glaube ich...

Eine halbe Stunde später mochten wir nicht mehr spielen. Wir zählten
das
Geld: 600 Bath (ca. 30 Schweizerfranken). Ich gab dem Mann mit den Krücken
20 Bath und kaufte mit dem Rest Bier.

01.00 Uhr, Supermarkt, Patpong

Nur noch Richard und ich waren übriggeblieben. Ziemlich betrunken sassen
wir vor einem Supermarkt und betrachteten die Strasse. Wir waren eben mit
einem Spiel beschäftigt, bei dem es darum geht, die vorbeigehenden
Passanten nach ihrem Geschlecht zu bestimmen.

Gar nicht so einfach, wenn
man bedenkt, dass wir uns in einem Quartier befanden, das mit Sicherheit
die grösste Dichte an sogenannten "Lady-boys" in ganz Thailand
aufweist.
Bei "Lady-boys" handelt es sich um Männer, die sich als Frauen
fühlen und
dieses Geschlecht mit Hormonpillen und entsprechender Kleidung approximieren
wollen.

Das grösste Ziel eines jeden Transvestiten ist es, genügend
Geld
für eine Geschlechtsumwandlung zu sparen. Dies erreichen sie meist durch
Engagements in Tanzshows zur Unterhaltung von Touristen, vor allem in
Pattaya und Bangkok.

Ein Transvestit schlenderte an uns vorbei, der nun
beim besten Willen nicht für eine Frau gehalten werden konnte. Richard
war
es nicht möglich, sich ein Lachen zu verkneifen. - Ich dachte an die
letzten zwei Monate, die ich in verschiedenen Bergdörfern im Norden
Thailands verbracht hatte. Was für Gegensätze! Und dennoch sind
auch diese
Leute alle Buddhisten. Sie kennen die Lehren Buddhas und sind bemüht,
wann
immer möglich, ihr Schicksal durch Darbringung von Opfergaben zu ihren
Gunsten zu beeinflussen. Nach weiterem Umherirren landeten wir schliesslich in einer Disco. Ein
Türsteher hatte uns mit dem Versprechen auf vergünstigtes Bier
hereingelockt. Wie sich jedoch schnell herausstellt handelte es sich hier
nicht um irgendeine Disco, sondern um eine jener, deren Hauptzweck in der
Vermittlung von Prostituierten an Touristen besteht. Wir bestellten zwei
Bier und setzten uns in eine der hinteren Ecken.

Man schien sich hier
zweifellos zu amüsieren. Auch die Thai-Mädchen machten nicht gerade
den
Eindruck, als würden sie von irgendwelchen Schicksalsschlägen zum
Verkauf
ihres Körpers gezwungen. Das Lokal und die Stimmung darin machten auf
mich
einen abstossenden, gleichzeitig aber auch anziehenden Eindruck.

In der
Mitte der Tanzfläche versuchten zwei Jungs, wahrscheinlich Deutsche,
mittels neuester Tanzbewegungen den umherstehenden Mädchen zu imponieren.
Ihre alkoholbeeinflussten, affenartigen Posen und Bewegungen hatten aber
eher etwas tragisches an sich. Gleich neben mir sass ein fetter Mann mit
Glubschaugen, wahrscheinlich auch ein Deutscher, der unentwegt seinen Blick
zwischen Taille und Brüste der Mädchen hin und herwandern liess.

Im ganzen
Raum herrschte eine Atmosphäre der Begierde, der Lust. Ganz klar: dies
war
der Tempel des schnellen Sex, der flüchtigen Kontakte, aber vor allem
der
einsamen Seelen. Plötzlich setzte sich ein Mädchen neben mich. Eine
warme
Welle durchflutete meinen ganzen Körper. Sie lächelte mich an -
ein
verzauberndes Lächeln. Sie war unheimlich schön; die Worte blieben
mir im
Munde stecken.

"You want drink?"
"Äh, yes", entgegnete ich zögernd.
Kurz darauf kam der Kellner mit zwei Mekong-Cola zurück.

"What's your name?"
"Peter".
"Your eye very beautifull!"
Ich lächelte verlegen, während ich ihre Hand auf meinem Oberschenkel
spürte. Eine erneute Welle der Erregung durchfuhr meinen Körper.
Gleichzeitig fühlte ich jedoch auch ein unangenehmer Druck in der
Magengegend."Where you from?"
"Switzerland".
"Ohh, you richmoney!!"
Wieder meldete sich mein Magen, kein Wunder nach all den Bieren, dachte ich. "You like Thailand?"

Ich konnte ihr die Frage nicht mehr beantworten. Ich stand auf und
entschuldigte mich bei ihr für einen Moment. Mein einziger Wunsch war
jetzt, mich zu übergeben. Eiligst bahnte ich mir einen Weg durch die
Menge.
Kurz vor dem WC stoppte mich jedoch ein Mann, wahrscheinlich ein
Toilettenaufseher.

"Hey Mister, can not go, people fucking inside!!", meinte er, während
er
mit der Faust auf die hohle Hand schlagend, die Bewegung des
Geschlechtsaktes nachahmte. "Fuck!" fluchte ich und beugte mich
über eines
der Pissoires. Da lag es nun, das 25 Bath fried-rice vermischt mit Pisse.

Ich hatte genug, fühlte mich hundeelend. Das Mädchen von vorhin
war nicht
mehr zu sehen. Ist auch besser so, dachte ich. Schnellstens packte ich
meine Sachen und eilte nach draussen. Ein frischer Wind empfing mich gleich
an der Tür. Es hatte geregnet. Die Strassen voll Müll und ein paar
armselig
gekleidete Männer und Frauen damit beschäftigt, diesen wegzuwischen.

Ich
trottete von dannen, während ich über die letzte Frage meiner Verehrerin
nachdachte:

"Do you like Thailand?"

b.s.