Prosa Killroy's Heimsuchung

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Killroy wanderte auf dornenreichem Pfad. Noch konnte er nicht die Vielzahl wilder Blüten sehen, er ahnte nur und wusste um das Dornendickicht der Beschwerlichkeit, wenn er nur um einen Begleiter wüsste. Doch ein steinernes Herz schlug kalt in seiner Brust. Verschlossen wie er sich zeigte konnte er keinen Zugang zu den Menschen finden.

Killroy's Heimsuchung.
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Killroy's Heimsuchung. Foto: Phil Whitehouse (CC BY 2.0)

25. März 2000
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Aber auch das war noch nicht alles. Killroys Heimsuchung. (Zweiter Alptraum). Dem ungewöhnlich heissen Sommer, in dem die Ereignisse auf Killroy einstürzten, war viel zu schnell ein kalter und regnerischer Herbst gefolgt.

Kaum ein Tag dieses Septembers, an dem es nicht regnete, und die Augen gewöhnten sich an die bis in Mittagsstunden verweilenden Nebel, das Dämmerlicht, und misslaunig nahm man hin, dass man selbst genauso mürrisch wie der Nachbar war.

So wie es beim lauten Rezitieren magischer Sprüche auf eigene Gefahr hin geschieht, ist es mit der Warnung zu halten - gratiosi zellianelle o zoriater beelzebub - denn: Wer die Geister ruft ... Killroy stürzt.

In dem Bruchteil eines Augenblickes entzieht sich ihm der Boden unter den Füssen. Inmitten einer Bewegung nach vorne fällt er kopfüber, im Magen das beklemmende Gefühl eines Achterbahnrausches, durch einen schwarzen Schacht. Weder seitliche Begrenzungen noch Tiefe & Zeit liessen sich ausmachen.

Ein Lichtpunkt wird grösser und rast mit zunehmender Helligkeit auf den sich überschlagenden Körper Killroys zu. Körper & Licht verschmelzen und fangen den unkontrollierten Sturz auf, aus dem unversehens ein angenehmes Schweben wird. Die Angst wich. Mit dem Licht kamen tonlose Bilder, die Vergangenheit & Zukunft projizierten.

Er nahm sie gefühllos auf. Es entstanden immer neue kaleidoskopische Bilder, sich überblendend, schliesslich verblassend. Die Zeit hat ihn fallengelassen. Alleine. Nur das Schweigen schalgewordener Stunden knackte wie die grauen Panzer der Kellerasseln in seinem Ohr und wurde zum Takt im orientierungslosen Flug.

Nach einer Zeit sieht Killroy in einen silbernen Wasserspiegel, das in Sepektralfarben zurückgeworfene Licht leitet die Veränderung ein.

Killroy gleitet wie auf einem Luftkissen, über die Oberfläche streicht ein kühler Windhauch, der das verklingende Echo eines Geräuschs an Killroys Ohr trägt. Die Eindrücke werden intensiver, Killroy taucht in ein Meer silbriger Nebel, das Unterste wird zum Obersten gekehrt. Killroy steht bis zu den Knöcheln im feuchten Morast einer geräumigen Höhle. Schlammige Tropfsteingebilde und lehmige Stalagmiten wachsen in die Höhe.

Dazwischen liegen brodelnde Löcher mit schlammigem Auswurf; stossweiser Atem eines Schimären-wesens, der die Lehmklumpen mit Leben beseelt: so vereinigt werden Feuer, Wasser, Luft und Erde zu Helfern des guten & bösen Zweckes. Die Erde schwankt unter Killroys Füssen. "Hört, ihr, die die Welt überfahren werdet, zu eurer Zeit! In einem Augenblick geschaffen, da Gott in einem Fiebertraum lag, die Hände auf die Erde drückte, stöhnend zur Faust verkrampfte. Wer so entsteht ist weise wie Bariah!" (Buch Hiob)

Der Wind steht über den Feldern, das Gras rührt sich nicht. Die Wolken türmen sich übereinander, doch öffnen sich nicht, die Saat geht nicht auf im vertrockneten Lehm. Der Himmel dreht sich mit mächtigen Gebärden, die Büffel ziehen schwerfällig über den verdorrten Boden, die Vögel stürzen aus dem Himmel. Die Elemente verlieren an Bewegung, die zugeordneten Moleküle und Atome die Geschwindigkeit, die Schöpfung erstarrt zu Null Kelvin.

Mathematische Axiome hängen haltlos im Raum, vergeblich auf ihr Medium wartend. Der alte "Jahremacher" Mond und die Sonne kerben tiefe Runzeln in die Menschengesichter. Bariah der aussätzige Bettler windet sich mit schorfigem Rücken und stöhnt auf seinem Lager. Er hält Gericht; unbarmherzig über die Welt und über Gott. "So weise ist Bariah, dass ihn niemand versteht!" (Nur der, der ist weise, wie Bariah weise ist!) Erschöpft fällt Bariah zu Boden. Es gibt keinen Gott, ausser Gott. Diese Welt hatte nie Bestand.

Dreiste trigonometrische Funktionen planen die triphibische Schöpfung des Kosmos. Die Schöpfung wartet vergeblich auf ihren Gott. Bariah erhebt sich und weicht zurück: "Wach auf! Die in deine schläfrigen Gedanken eingesperrte Seele wartet auf Befreiung. Gib den Elementen dein Leben, verinnerliche die Genesis, der Augenblick zerfällt in Tod & Wiedergeburt. Sei wachsam ..."

Wie duften heute Abend streng die Sommerblumen, wie schwer ist heut das Rot des Mohns! Welch unheimliches Licht ... wo bist du? Die Stimme des einst geliebten Wesens entsteht in Killroys Ohr, doch klanglos; und verklingt.

Was bleibt, ist die geschlechtliche Lust - ein Bild inniger Verschlingung - Killroy schiesst Mohnsaftfäden in sie, sein Geschlecht spuckt Myriaden von Samenperlen, die über sie fallen und sich zu einem opalglänzenden Gewand fügen.

Wie sie lustwandelnd durch purpurroten Mohn streicht, mit erwartungsvollen Schenkeln, erneut die Kapsel ritzt. Das Sperma in ihrer Hand verfliegt zum schalen Geruch des Todes.

Ihr feuriger Atem der Vagina presst das Gift aus ihm. Köstlicher als der Duft von Lotusblüten und augenblicklich nahe, der Tod & die Geburt, immer wieder in ihrem weichen Schoss. Mit irrem Blick jagt Killroy durch wogende Mohnfelder. Die Haut in Fetzen gerissen, Hüfte und Schenkel samenbefleckt, folgt er ihrer Spur; spinnwebartig in ein nebliges Labyrinth. Die Erde stöhnt. Die Sonne geht mit einem seltsam blutigen Schein auf, das Licht vor seinen Augen ist rot.

Mit erigiertem Penis salutiert er der aufgehenden Sonne. Erschöpft sinkt Killroy nieder, ihm ist unheimlich und schwül, die Glut der aufgegangenen Sonne verspricht keine Kühlung. Es ist niemand da, der Linderung verspricht. Es ist der Tod. Er fällt, in ihre Augen, toll wie Kirschen.

Als letztes Bild bleiben ihre samenbefleckten Schultern, die Sehnsucht zu dunklen Opiumperlen verkrustet, die ihm den Schmerz seiner fiebrigen Träume nach ihr nehmen. Pi-Vitpi-Vit metallisch klingt das Lied des Morgenvogels.

Der Exzess widersetzt sich der Vernunft. Dem konnte sich auch Killroy nicht entziehen. "Die Gewalt der Liebe weckt in der Hingabe der Herzen das gleiche Element der Unordnung, den gleichen Durst nach Verschmelzung und denselben Nachgeschmack des Todes, den wir im Verlangen der Körper finden." (nach Bataille) Gerade nach solch einem quälenden Traumgebilde erwachte Killroy gestärkt, zwar körperlich erschöpft, wie wenn sich ein starkes Fieber gelegt hat.

Michael Schönauer