Power der Provinz! Power dem Underdog! Power all denen, die keine Regeln befolgen! Vorstadt-Gesellschaft

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Über die Arbeiterklasse reden wir nicht, jedenfalls nicht im Detail, weil wir selbst keine Arbeiter sind. Man kritisiert die Arbeiterschaft nicht und riskiert keine Verallgemeinerungen darüber, was es bedeutet, ihr anzugehören. Man weist nicht auf ihre Merkmale hin, wenn man sie bei jemandem findet.

Leerstand von Plattenbauwohngebieten im sächsischen Weisswasser.
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Leerstand von Plattenbauwohngebieten im sächsischen Weisswasser. Foto: Matthias Döll (CC BY-SA 2.5)

8. Juni 1999
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Das gehört sich einfach nicht; sogar heute noch lässt man die Finger davon. Es versteht sich von selbst, dass, wer nicht zur Arbeiterschaft gehört, kein Recht hat, darüber zu reden.

Die Folge ist jedoch, dass erst wenige sich zu sagen getraut haben, dass die Arbeiterklasse nicht mehr existiert. An sich wäre dies nicht weiter erstaunlich - schliesslich ist Europa nicht das erste technisch entwickelte Land, wo die Arbeiterklasse verschwunden ist; man könnte behaupten, es sei eines der letzten - nur dass eben niemand zugeben will, dass es sie nicht mehr gibt.

Das Gegenteil scheint der Fall zu sein, zumindest unter den Mitgliedern der ersten nicht mehr zur Arbeiterklasse gehörenden Arbeitergeneration.


Viele Gewohnheiten sind einfach übersteigerte, gekünstelte Versionen eines altertümlichen Stils, um so extremer, weil ihnen nun die Substanz fehlt.

Dies ist nur noch ein Stil. Nichts Inhaltliches ist mehr da, nichts mehr, dem man zugehörig wäre, obgleich es vermutlich trotzdem möglich ist, sie einer Floskel - der Arbeiterklasse - verbunden zu fühlen, einem sprachlichen Versatzstück, das bestimmte soziale Bräuche und eine bestimmte Redeweise bekräftigen hilft und die Tatsache verdeckt, dass sich dahinter nur noch eine hochgezüchtete Vorstadtgesellschaft verbirgt, die sich ihrer Kultur entledigt hat und nur noch den eigenen Vorspiegelungen lebt:

Eine aufgeblasene Männlichkeits-Moral, einen bis zur Peinlichkeit übersteigerten Patriotismus, einen gewalttätigen Nationalismus und einen Katalog bankrotter antisozialer Gepflogenheiten.

Diese gelangweilte, hohle, dekadent-degenerierte Generation ist nur noch, was sie zu sein scheint: eine männliche Jugendkultur ohne Geheimnis, so abgestumpft, dass sie Gewalt benutzt, um sich wachzurütteln. Sie sticht sich ins Fleisch, um etwas zu spüren; sie versengt sich die Haut, um etwas zu riechen.

ub