Thorsten und Bernd im Gespräch Die zufriedenen Arbeitslosen

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Das Gespräch findet in einer dieser neuen Friedrichshainer Szene-Kneipen statt, die eine Mischung zwischen Wohnzimmer und Technodisco darstellen.

Die zufriedenen Arbeitslosen.
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Die zufriedenen Arbeitslosen. Foto: William Rafti (CC BY 2.5 cropped)

8. Juni 1999
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Bei Holztischen, handgetünchten Wänden und selbstgebastelten Dekorationen in den Nischen und Ecken hat das Ambiente was heimliches, dem der viel zu laute und noch schneller hämmernde Rhythmus der elektronischen Musik diametral entgegen zu stehen scheint. Es ist später Nachmittag und der Laden ist fast leer. Die Bedienung trägt eine dunkelgrüne Cordhose, die an den Füssen viel zu lang und viel zu weit, um zwei Turnschuhe im Quallendesign schlabbert. Sie trägt ferner ein weisses T-Shirt, auf dem in schwarzen klobigen Buchstaben "DJ Dirk" geschrieben steht, und ihre Haare knallrot gefärbt in Pagen-Frisur.

Sie bringt Bernd eine Schale Milchkaffee. Bernd bittet sie, die Musik ein bisschen leiser zu drehen. Sie nickt selbstverständlich; dabei scheint sie ihn zu kennen, denn sie macht eine neckische Bemerkung über irgendeinen Faux-Pas, der Bernds Verein wohl vor kurzem unterlaufen zu sein scheint; worauf Bernd etwas verlegen und etwas geschmeichelt kichert.

Ich setze mich an seinen Tisch und schalte das Tonbandgerät ein:

T: Hallo. (Pause; T zieht die Jacke aus und hängt sie über den Stuhl.) Es stört dich hoffentlich nicht, wenn ich unser Gespräch aufnehme? Das macht's später beim Abtippen leichter.

B: (Schüttelt den Kopf.) Äh-ähh.

T: Bernd, Du bist ein neues Mitglied der Gruppe der "Zufriedenen Arbeitslosen"... äh, darf ich Dich fragen, ob Du selbst arbeitslos bist?

B: Na! Selbstverständlich!

T: ...und zufrieden... ?

B: Naja, was heisst zufrieden? Arthur Schopenhauer und die Buddhisten stehen ja auf dem Standpunkt, das Leben an sich sei schon ein einziges Leiden. Das Höchste, was man sich wünschen dürfe, sei, ohne allzu grosse Schmerzen durchzukommen.  Nein, man darf das Wörtchen "Frieden" nicht zu hoch hängen. Wir nennen uns vor allem darum die "Zufriedenen Arbeitslosen", um den Medien und der staatlichen Propaganda zu widersprechen. Die sehen das zu schwarz und zu düster. Dagegen machen wir Front. Wir sagen: naja gar so schlimm ist es ja nun auch wieder nicht!

T: Arbeitslosigkeit muss für die Betroffenen also keine Katastrophe sein?

B: (greift nach seiner Tasse Kaffee, um einen Schluck zu trinken, verhaspelt sich aber ungeschickt und kleckert, auch über die saubere Jeans-Hose von T)

T: Scheisse, Du depperter Depp Du. (schlägt hastig auf das Hosenbein)

B: Man muss sich Arbeitslosigkeit nicht unbedingt wünschen, aber ein bisschen mehr Gleichmut wär, glaube ich, gar nicht mal schlecht. Angeblich schämen sich viele Arbeitslose, weil sie individuell versagt und wenig Arbeit haben, ist doch eine Tatsache, die man keinem Arbeitslosen vorwerfen darf. Man kann sich meinetwegen noch ärgern, dass man keine Arbeit abbekommen hat, man muss sich aber nicht schäbig fühlen deswegen. T: Und was macht man mit der vielen Freizeit? Wie bringt man seine leeren, unausgefüllten Tage, Wochen und Monate, ja vielleicht sogar: Jahre rum? Man muss sich doch mindestens beschäftigen; braucht man nicht, mehr noch, das Gefühl, von der Gesellschaft gebraucht zu werden, sozusagen der Allgemeinheit nützlich zu sein?

B: Der Allgemeinheit? Was ist das? Was heisst heutzutage schon Nützlichkeit?  Die sonderbarsten Berufe werden kreiert, nur um Nützlichkeit künstlich herzustellen. Schon in der Industriegesellschaft wurde ne Menge Tineff produziert. Mittlerweile haben wir aber auch die Dienstleistungsgesellschaft hinter uns, heute heisst es: Informationsgesellschaft, Kommunikationsdesign, Informationsmanagement, Organisationspsychologie... Sollen ja angeblich gefragte Branchen sein.

Aber was wird dort gemacht? Dort verdient jemand fünfzigtausend Mark für eine Computeranimation zu dem Jingle eines neuen Fernsehsenders oder für das Design eines Maskottchens für eine öffentliche Festivität. Solche Tätigkeiten beziehen sich schon gar nicht mehr auf die Natur, sondern nur noch auf die Gesellschaft, die ja mal des Menschen zweite Natur genannt wurde, aber als im Internet verdoppelte und medial allgegenwärtige Gesellschaft, eigentlich die erste, während die echte Natur nur noch die dritte oder vierte, ja wenn nicht sogar fünfte oder sechste Natur des Menschen darstellt!

Und als wenn das nicht schon die Spitze der Entfremdung, der Simulation wäre - existieren noch für all diese kruden Informationsarbeiter Beratungsunternehmen, die sie in regelmässigen Abständen auf das aktuelle Niveau der Markt- und Technologieentwicklung heben. Genau betrachtet, bezieht sich die durchschnittliche Arbeit sogar schon auf die achte Entfremdungsebene. Meine Güte, wir haben uns schon ganz schön weit entfernt von der guten alten Erde!

T: Das ist natürlich ganz schön abgefahren und ganz schön verrückt, was Du da sagst, das verstehe ich sehr gut, dass Ihr da keine Lust habt mitzumachen.

B: Im besten Fall ist es verrückt, im besten! Doch was ist im schlimmsten? Viele Rohstoffe und vermutlich auch die meisten einfachen Industrieprodukte, vom Erdöl über das Erdgas bis hin zu den Möbeln und Kleidungsstücken, importieren wir doch aus ärmeren Regionen. Aber was will Deutschland dafür exportieren? Seine Kino-Filme bestimmt nicht! Exportiert werden soll natürlich wissenschaftlich-technisches Know-How. Wie gesagt: Informationsmanagement und Werbedesign. Also: Know-How zur schnelleren, sichereren und schlankeren Ausbeutung. Exportiert werden Herrschafts- und Manipulationstechnik.

B: Schon dass wir uns "zufrieden" nennen stellt ja eine Provokation dar! In der herrschenden Ideologie des Staates und der Wirtschaft hat doch der Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger unzufrieden zu sein, damit er als abschreckendes Beispiel vorgeführt werden kann. Man zeigt mit dem Finger auf ihn und sagt: "So übel also Ehrgeiz Leuten, die nicht hart arbeiten und dem Chef die Wünsche von den Lippen lesen! Streng dich an und pass dich an, sonst endest du wie sie!"

Die Obdachlosen wirken natürlich noch viel, viel gruseliger und abschreckender. Sie symbolisieren sozusagen den personifizierten Alptraum vom tiefsten Sturz aus der Hochleistungs- und Ausbeutungsgesellschaft.

T: Oh, da habe ich gerade eine merkwürdige Assoziation. So wie Du redest, klingt das ja, als vollzogen die Obdachlosen auch eine gewisse Informationsfunktion im System?

B: Ja, (lauter) natürlich: Ja! Ja! Sie dienen dem System in ideeller Weise auch, sie haben eine psychologische motivationsfördernde Funktion. Und sie sind in der Öffentlichkeit mindestens so präsent wie die allgegenwärtigen Werbetafeln und Zeitungsschlagzeilen. Während die Werbung jubelt: "So macht das Leben fun!" vermitteln die Obdachlosen sozusagen die gegensätzliche Botschaft: "Hier ist das Leben zu ende!" Hier das Zuckerbrot, dort die Peitsche.

Es ist pervers, aber für den asozialen Erfolgsdruck in der Ellbogenkultur, den herrschenden unmenschlichen Antrieb nach immer mehr Disziplin, Disziplin, tun die Obdachlosen vielleicht sogar mehr als die Informationsdesigner und Werbemanager.

Leider sind ihre Löhne viel geringer. (lacht!) Aber, na-ja, wenn die Obdachlosen höhere Löhne bekämen, schadete das ja ihrer Abschreckungsfunktion. (lacht immer noch, möchte es aber unterdrücken.) Meine Güte, (röchelnd) ist die Welt schlecht!

T: Ja, das ist wirklich ganz schön zynisch, was Du da sagst. Aber ein bisschen was wahres ist da vielleicht dran, wer weiss, wer weiss?  An dieser Stelle möchte ich gerne zurück auf deinen Verein kommen. Worin besteht denn genau der Widerspruch, den Du und die "Zufriedenen Arbeitslosen" erreichen wollt?

B: Hmmm. Wie gesagt, zuerst wollen wir der Arbeitslosigkeit ein bisschen den Schrecken nehmen und quasi sagen: "Schaut, Leute, man kann sich schon mit der Arbeitslosigkeit arrangieren", man kann da das Beste draus machen, und das ist gar nicht mal so schlecht, eigentlich sogar ganz gut. Es hat ja auch was angenehmes, nicht jeden Tag früh um sechs aus dem Bett zu müssen und Abends gegen halb zehn fix und fertig zu sein.

T: Man hat bloss ein bisschen wenig Geld und manchmal vielleicht ein bisschen sehr viel Zeit zur Verfügung, die man nicht immer füllen kann. Ich meine, man kann ja nicht den ganzen Tag Fernsehen gucken, Zeitung lesen und spazieren gehen, man braucht doch eine sinnvolle und tagesfüllende Beschäftigung. Das ist eher das Problem, richtig?

B: Ja, richtig. Und jetzt kommt wieder die Gesellschaft ins Spiel. Ich meine zum Beispiel, das Problem mit der Übermasse an Freizeit und dem fehlenden Lebenssinn ist ganz eng gekoppelt mit der Atomisierung und Isolation des Individuums im Super-Kapitalismus. Gäbe es mehr zwanglose aber gleichwohl verbindliche Kontakte unter den Menschen, wäre das Problem zumindest entschärft. Die Leute würden sich mit ihrer Nachbarschaft befassen, freilich viel unvermittelter als wir es kennen, auch diese komische psychosoziale Verfremdung, die ja die meisten Beziehungen verzerrt, fiele hoffentlich weg.

Darüber hinaus entstände ein ganz urwüchsiges System der gegenseitigen Hilfe und Kooperation: Menschen lüden einander zum Essen ein, hilften sich beim Reparieren oder Renovieren, tauschten Dinge - das machte das Leben billiger und gleichzeitig komfortabler. In einem guten sozialen Umfeld kann man mit knapp 500.- DM im Monat viel angenehmer über die Runden kommen als in einem zerstörten.

Soziologen haben errechnet, dass in Zimbabwe, das ist ein afrikanischer Staat, die meisten Familien über nur umgerecht rund 200.- DM monatlich verfügen, indes, weil sie sich nachbarschaftlich so gut ergänzen, aushelfen und gemeinsam wirtschaften, auf einem Niveau leben als hätten sie 2300.- DM monatlich. Das meine ich als Beispiel dafür, wie weit eine urwüchsige und natürliche Nachbarschaftlichkeit die Lebensqualität spürbar und messbar steigern hilft.

T: 0.K., einverstanden; aber sind wird nicht bereits so arg zivilisationsgeschädigt, dass da kein Weg mehr hin zurück...

B: Es gibt Leute, die das so sehen; andere sehen es anders. Wieder Andere sprechen auch davon, den Massen fehle es an der, wie sie sagen: "sozialen Kompetenz" für solch eine freie Selbstorganisation des Zusammenlebens. Ich sehe das freilich anders. Gewiss gibt es kluge und dumme Menschen, aber es ist noch die Frage, ob klug und dumm gleichbedeutend ist mit nachbarschaftsfähig und unfähig. Das nämlich glaube ich auf gar keinen Fall! Ich vermute, jeder Mensch, und ich meine wirklich: Jeder, kann es zu einem sozialen Bewusstsein bringen, dass freie Selbstorganisation, Nachbarschaftlichkeit ermöglicht. Aber ich muss wohl zugeben, dass ich dies nur glaube und nicht beweisen kann. Vielleicht ist es auch mehr ein Wunsch als eine Ahnung.

T: Vielleicht sind es ja gerade die Führungseliten an der Spitze, die Herrschenden, reichen Geldsäcke und Börsenspekulanten, die korrupten Politiker und technokratischen Sozialmanager, die die sozial-unfähigen sind und dies durch Ideologien rationalisieren oder mit systematischen Absicherungen kompensieren müssen. Wird das Soziale nicht gezielt zerschlagen von den Mächtigen? Ruinieren die Mächtigen das Soziale nicht absichtlich, wie sie ja auch Sollbruchstellen in unsere Möbel und Verschleissteile in unsere Waschmaschinen hineinproduzieren?

B: Naja, das ist, glaube ich, Quatsch. Ausserdem bringt es nichts, sich auf so ein abstraktes und luftiges Feindbild zu versteifen. Was Du fürchtest, ablehnst und dir vom Hals halten willst, das fixiere klar und konkret, in transparenten und sauberen Begriffen, - so sagt es Arthur Schopenhauer, und ich denke, er hat recht damit.

T: Ach ja, Schopi! Genau..., gut, gut..., äh..., wo waren wir stehengeblieben? Wir sprachen gerade über das Problem mit einer auf die Arbeitslosen speziell zugeschnittenen Kultur. Habe ich Dich richtig verstanden, dass Du meinst, es müsste sich eine Art Kultur der Arbeitslosen und Sozialhilfeempfänger entwickeln, die auf Nachbarschaftshilfe und einem, von den herrschenden Schlagwörtern der Konsumindustrie gelösten Verständnis der Begriffe: "Glück", "Liebe", "Arbeit", "Erfolg", "Freundschaft"... basiert?

Also gewissermassen eine von der etablierten Kultur grundsätzlich und qualitativ verschiedene Nebenkultur der Tagediebe und Arbeitslosen?

B: So kann man's ungefähr ausdrücken, ja.

T: Warum sollten Wirtschaft und die Politik das zulassen? Ich meine, werden Wirtschaft und Politik nicht, ganz im Gegenteil, alles daran setzen, um zu verhindern, dass so eine Kultur entsteht?

B: Ich finde, Du drückst Dich zu aggressiv aus. Von so allgemeinen Verschwörungstheorien halte ich nicht sonderlich viel, muss ich gestehen. Wir wollen uns ja nicht vom Rest der Welt abschotten, dass wir uns etwa ein eigenes Ghetto bauen wollten, eine Art Staat der Arbeitslosen als Teilstaat im gesamten Staat. Nein, so ganz bestimmt nicht! Eher schon werden wir ein paar eigene kulturelle Ideen produzieren und leben, die zu den herrschenden kulturellen Ideen in Konkurrenz treten, aber auch neben ihnen bestehen können. Im Prinzip ringen wir um die Anerkennung als staatlich zu schätzende Subkultur. Wie die Homosexuellen und die Bewusstseinsfreaks ja ebenfalls.

T: Die werden aber nicht aus öffentlicher Hand finanziert.

B: Das stimmt. Aber ich möchte dennoch politische und finanzielle Gründe voneinander trennen. Ich meine, es ist noch eine Frage wert, ob wir Arbeitslose schikaniert werden, weil wir zu teuer sind oder weil wir zu den allgemeinen Werten und Normen nicht passen. Die finanziellen Probleme liessen sich womöglich vernünftig lösen, wenn wir uns ersteinmal von den überkommenden Idealismen wie "Arbeit macht froh" oder ähnlichen gelöst und verabschiedet hätten...

T: Ähm, ja. Ähm. Du möchtest also im Prinzip darauf hinaus, nie wieder arbeiten zu müssen und das ausserdem moralisch akzeptiert und sozial finanziert zu bekommen? Und Du möchtest für Deine Faulenzerei sozusagen gesamtgesellschaftliche Absolution erteilt kriegen? Ist das richtig?

B: Nee, das meine ich nicht. Es ist natürlich nur eine Notlösung, solange eben nicht genug anständige Arbeit für alle vorhanden ist. In einem guten Job würde ich gern arbeiten, aber im Augenblick gibt es nur schlechte. Wenn ich vor der Wahl stehe zwischen, Arbeitslos sein oder fettige Imbiss-Container mit Spülfix schrubben, entscheide ich mich natürlich für die Arbeitslosigkeit und finde, das ist korrekt. Grundsätzlich müsste ein Strukturwandel stattfinden, der die Wirtschaft, die Politik und die Kultur gleichermassen erfasst.

T: Nun gut, das lässt sich ja nicht so ohne weiteres erreichen... gehen wir mal von der Welt aus wie sie jetzt eben ist. Was würdest Du denn in ihr am liebsten machen wollen?

B: Oh, ich mag die künstlerischen Berufe. Ich wäre gerne Mode-Designer, Grafiker oder Journalist; vielleicht auch Buch-Verleger, das könnte mir, glaube ich, noch Spass machen.

T: Aha. Und was hast Du gelernt?

B: Ich habe drei Semester Ethnologie studiert und zwei Semester Geographie. Danach machte ich eine Lehre als Tischler.

T: Als Tischler! Wie kam's denn dazu?

B: Das Arbeitsamt bot es mir als Umschulungsmassnahme an. In den Jahren zwischen 1988 und 1995 wurden etliche Umschulungen zum Tischler angeboten und durchgeführt. Eine Zeitlang lag das mal voll im Trend. Ich vermute, die Arbeitsämter bevorzugten diese Massnahme, weil die Tischlerlehre eine Lehre ist, die stärker und mehr diszipliniert als andere. Viele der kleinen Tischlerbetriebe sind kleine reaktionäre Monarchien, in denen den Lehrlingen neben dem Handwerk vor allem preussische Tugenden eingepaukt werden. Natürlich kann ich es nicht beweisen, ich vermute nur, dass das auch ein wichtiger Grund mit ist.

T: Oh ja, gewiss, gewiss! Aber genützt hat es nichts, oder? Du bist jetzt fertig ausgebildeter Tischler und dennoch arbeitslos!

B: (lacht etwas resigniert und selbstironisch) Yes, yes, yes. Aber ein preussisch ganz und gar disziplinierter Arbeitsloser! Hähä.

T: Gehst Du manchmal ins Arbeitsamt und guckst in diese SIS-Computer, in denen man nach offenen Stellenausschreibungen fahnden kann?

B: Ja, manchmal. Aber ich habe die Theorie, dass auch mit diesen SIS-Computern vor allem eine suggestive psychologische Funktion verbunden ist. Indem die Arbeitslosen an diesen Monitoren hocken und potentiell alle freien Stellen der Republik offen vor ihnen ausgebreitet liegen, erleben sie ein Gefühl von unbegrenzten Möglichkeiten. Tatsächlich existieren vermutlich allein in Berlin dreihundert SIS-Computer, die täglich von jeweils hundert Leuten benutzt werden, und wenn man das multipliziert und die Anzahl der dort angebotenen Stellen dadurch dividiert, wird schon deutlich, denke ich, wie illusorisch dieses Hochgefühl, sozusagen über den Monitor und das Terminal der souveräne Herr aller ausgeschriebenen Stellen zu sein, ist. Vielleicht sind die meisten der ausgeschriebenen Stellen sogar gefälscht und die angegebenen Adressen reine Briefkastenscheinadressen, die im Auftrag des Arbeitsamtes installiert wurden...

T: (an die Bedienung gewandt) Kann ich bitte noch einen Kaffee bekommen? (an B) Möchtest Du auch noch einen?

B: (nickt) Oh ja, gerne.

T: Lass uns trotzdem Schluss machen mit dem Gespräch. Ja?! Ich schalte mal das Tonband jetzt wieder ab. (Laute, rappelnde Friemelgeräusche)

B: Mir fällt auch gar nix mehr ein, glaube ich.

T: Jedenfalls danke ich Dir (verbeugt sich).

B: Oh, es hat mir eine Menge Spass gemacht. (Klacken.)

ub