Die EU exportiert mehrere Tausend Tonnen «Bienenkiller», die auf ihrem Boden verboten sind Syngenta exportiert Tausende Tonnen «Bienenkiller»-Pestizide

Wirtschaft

Trotz wachsendem Protest aus Wissenschaft und Bevölkerung halten die Agrochemiekonzerne am Geschäft mit bienenschädlichen Pestiziden fest und lassen jede Kritik an sich abperlen. Gleichzeitig schauen Regierungen tatenlos zu.

Hauptsitz der Syngenta Group in Basel, Schweiz.
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Hauptsitz der Syngenta Group in Basel, Schweiz. Foto: Syngenta Group (CC BY-SA 4.0 cropped)

26. November 2021
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Gleichzeitig schauen Regierungen tatenlos zu. Innerhalb von lediglich vier Monaten wurden aus der EU rund 3900 Tonnen Insektizide auf Basis von Neonicotinoiden exportiert, obwohl diese in der Gemeinschaft selbst verboten sind. Der Basler Konzern Syngenta ist in diesem Geschäft mit Abstand die Nummer eins.

«Rettet die Bienen!» Das erschreckende Bienensterben hat über 1,2 Millionen Menschen in der Europäischen Union (EU) aufgerüttelt, die in einer Bürgerinitiative ein Verbot synthetischer Pestizide sowie drastische Massnahmen zum Schutz der Artenvielfalt fordern. Auch in der Schweiz ist die Bevölkerung angesichts der schädlichen Auswirkungen dieser Stoffe beunruhigt. Davon zeugen die politischen Debatten im Vorfeld der Abstimmungen zu Pestiziden – obschon die Vorlagen im Juni 2021 an der Urne scheiterten.

Schädlingsbekämpfungsmittel auf Basis von sogenannten Neonicotinoiden – Nervengifte, die das Zentralnervensystem von Insekten angreifen und seit den 1990er-Jahren grossflächig eingesetzt werden – machen immer wieder Schlagzeilen.

In diesen letzten dreissig Jahren sind drei Viertel der Fluginsekten aus den westeuropäischen Landschaften Westeuropa verschwunden.

Das Insektensterben hält bis heute an, mit verheerenden Folgen, denn weltweit sind drei Viertel aller Nutzpflanzen von Bienen und anderen Bestäuberinsekten abhängig, ebenso wie ein Drittel der gesamten Nahrungsmittelproduktion. Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) warnt denn auch, dass das Absterben der Insektenpopulationen, die auf Pestizide und andere Umweltfaktoren sehr empfindlich reagieren, eine «ernste Bedrohung für die weltweite Ernährungssicherheit» darstelle.

Dave Goulson, Biologieprofessor an der Universität von Sussex, vergleicht die «Bienenkiller» mit einem berüchtigten sowjetischen Gift aus dem Kalten Krieg: «Neonicotinoide sind für Bienen so giftig wie Nowitschok für Menschen», sagt der Autor von «Silent Earth», einem Buch über das Schicksal der Bestäuberinsekten. «Die Stoffe verbleiben jahrelang in Böden und Pflanzen und vergiften alles, was sich von diesen ernährt oder Nektar von ihren Blüten sammelt. Ausserdem gelangen sie in Gewässer und schaden den darin lebenden Lebewesen.» Neonicotinoide sind die meistverwendeten Insektizide überhaupt. Der weltweite Markt dafür entspricht 3 Milliarden US-Dollar, schätzte das britische Marktanalyseunternehmen Phillips McDougall im Jahr 2018.

Verbot aufgrund «inakzeptabler» Risiken

Aufgrund «inakzeptabler» Risiken für Bienen beschlossen die EU-Mitgliedstaaten im April 2018 ein Verbot der drei Neonicotinoide Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin für alle Freilandkulturen. Diese Entscheidung ist eine Weltpremiere und spiegelt gemäss FAO den «breiten Konsens» über die Notwendigkeit von Massnahmen zum Schutz von Bienen und anderen bestäubenden Insekten wider. Das Verbot kam zustande, nachdem juristische Attacken der beiden grössten Hersteller von Neonicotinoiden, Bayer und Syngenta, am Gericht der Europäischen Union gescheitert waren.

Vertrauliche Ausfuhrdaten analysiert

Obwohl die EU die Anwendung dieser Neonicotinoide auf ihren eigenen Feldern verbietet, erlaubt sie den Agrochemiekonzernen weiterhin, die Pestizide auf EU-Gebiet herzustellen und sie in Länder mit schwächeren Vorschriften zu exportieren. Public Eye und Unearthed, das Investigativ-Team von Greenpeace Grossbritannien, enthüllen nun zum ersten Mal das Ausmass dieses giftigen Geschäfts. Wir konnten vertrauliche Ausfuhrdaten analysieren, die wir gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz von der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingefordert haben. Dabei handelt es sich um Informationen, welche die Konzerne den europäischen Behörden melden müssen, wenn sie in der EU verbotene Chemikalien exportieren wollen.

Wir stellten fest: Zwischen September und Dezember 2020 genehmigten die europäischen Behörden 299 Exporte von Neonicotinoiden, die in der EU verboten sind.

Insgesamt geht es um rund 3900 Tonnen Pestizidprodukte, die über 700 Tonnen der Wirkstoffe Imidacloprid, Thiamethoxam oder Clothianidin enthielten. Eine Menge, die zur Behandlung von etwa 20 Millionen Hektar Ackerland reicht, also der gesamten Agrarfläche Frankreichs. An diesen Exporten sind neun EU-Länder beteiligt, wobei Belgien, Frankreich und Deutschland die grössten Player sind.

Dreimal die Fläche Belgiens

Der Grossteil dieser Exporte von «Bienenkillern» aus der EU war für Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen wie Brasilien, Indonesien und Südafrika bestimmt. Dort birgt der Einsatz gefährlicher Pestizide aufgrund schwacher Kontrollen besonders hohe Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt. In vielen dieser Länder ist die Artenvielfalt sehr gross. Etwa in Brasilien, das während des untersuchten Zeitraums mit 2241 Tonnen Pestiziden auf der Basis von Neonicotinoiden regelrecht überschwemmt wurde. Die Lieferanten: die schweizerische Syngenta und der deutsche Bayer-Konzern.

Gemäss unseren Daten ist Syngenta der mit Abstand grösste Exporteur von Neonicotinoiden, die in der EU verboten sind. Im Herbst 2020 meldeten Syngenta-Tochtergesellschaften in der EU die Ausfuhr von 3426 Tonnen an Pestizidprodukten, die insgesamt 551 Tonnen Thiamethoxam enthielten – mehr als drei Viertel der gesamten aus der EU ausgeführten Menge an verbotenen Neonicotinoiden. An zweiter Stelle steht Bayer mit Pestizidexporten von insgesamt 138 Tonnen – darin enthalten waren 60 Tonnen Imidacloprid und Clothianidin. Die beiden Unternehmen unterhalten zahlreiche Produktionsstandorte in Europa und waren im Untersuchungszeitraum für fast 90% der Exporte von verbotenen Neonicotinoiden verantwortlich.

Pestizidflut für Brasiliens Sojaplantagen

Dass Syngenta diese traurige Rangliste anführt, ist auf eine gewaltige Lieferung von «Engeo Pleno S» nach Brasilien zurückzuführen. Der Kassenschlager enthält neben Thiamethoxam auch Lambda-Cyhalothrin, ein für Bienen ebenfalls hochgiftiger Stoff. Diese aus Belgien exportierten 2,2 Millionen Liter Pestizidprodukte sind mehrheitlich für Brasiliens riesige Sojaplantagen bestimmt und reichen für die Behandlung einer Fläche aus, die drei Mal so gross ist wie das Exportland Belgien.

Gemäss unserer Recherche gehen die Exporte verbotener Neonicotinoide aus der EU auch nach Afrika: unter anderem nach Kenia, wo Landwirt*innen berichten, dass sie ihre Pflanzen von Hand bestäuben müssen, weil Bienen und andere wichtige Insekten verschwinden. Ghana erhielt 2020 mindestens 50 Tonnen Insektizide mit Neonicotinoiden aus der EU. Die Pestizide, die im grossen Stil auf Kakaoplantagen eingesetzt werden, belasten die Böden und mindern deren Fruchtbarkeit.

Ein 2019 von Forschenden aus 17 afrikanischen Ländern veröffentlichter Bericht stellt fest, dass der verstärkte Einsatz von Neonicotinoiden in Afrika die Bestäubung sowie die natürliche Schädlingsbekämpfung einschränkt und dadurch die Ernährungssicherheit des Kontinents gefährdet. Der Bericht fordert die Regierungen auf, zu verhindern, dass der wahllose Einsatz von Neonicotinoiden zu einer weiteren Verschlechterung der Nachhaltigkeit der Landwirtschaft und der Artenvielfalt in Afrika beiträgt.

Schluss mit der Scheinheiligkeit

Die EU selbst hält die Bedrohung für sehr ernst: Im Rahmen ihrer «Farm to Fork»-Strategie («Vom Hof auf den Tisch») plant die Europäische Kommission, die Einfuhr von Lebensmitteln zu stoppen, wenn darin Spuren von Pestiziden enthalten sind, die zu globalen Umweltproblemen beitragen, allen voran die Neonicotinoide. Diese «sind besonders giftig für Bienen und tragen erheblich zum Rückgang der Bestäuberpopulationen bei», wie die Kommission uns auf Anfrage schreibt. «Wir fänden es nicht akzeptabel, dass die Produktion von Lebensmitteln für den Import in die EU [...] eine ernsthafte Bedrohung für die Bestäuberpopulationen weltweit darstellt.»

Trotz dieser Erkenntnis erlaubt die EU ihrer eigenen Pestizidindustrie, diese giftigen Stoffe weiterhin auf europäischem Boden herzustellen und in Länder ausserhalb der EU zu exportieren. Jedoch zeichnet sich ein Kurswechsel ab: Nachdem wir bereits letztes Jahr auf Exporte verbotener Pestizide aufmerksam gemacht hatten, kündigte die Europäische Kommission im Oktober 2020 überraschend an, diese problematische Praxis beenden zu wollen. Und im Frühjahr 2021 begrüsste der EU-Rat «ausdrücklich» das Bestreben, international eine «Führungsrolle im vernünftigen Umgang mit Chemikalien und Abfällen einzunehmen». Unter dem Druck diverser Mitgliedstaaten – insbesondere Deutschland, Italien und Ungarn – äusserte sich der EU-Rat jedoch nicht eindeutig zu einem möglichen Exportverbot, wie es die Kommission vorgeschlagen hatte.

UN-Sonderberichterstatter will Taten sehen

Der UN-Sonderberichterstatter für giftige Stoffe und Menschenrechte, Marcos Orellana, hält nichts von diesen Ausflüchten. Im Juni 2021 forderte er die europäischen Institutionen auf, Nägel mit Köpfen zu machen. Angesichts unserer neusten Recherchen bekräftigt er seine Forderungen: Die EU müsse die «Externalisierung der Gesundheits- und Umweltkosten auf die Schwächsten» beenden. Es handle sich um «eine Form der Ausbeutung.»

Public Eye und Unearthed haben die Exportstaaten um eine Stellungnahme gebeten. Ungarn und Grossbritannien halten demnach das derzeitige System, das auf der vorherigen Zustimmung der Importländer basiert, für ausreichend. Belgien, Dänemark und Frankreich hingegen unterstützen die Bestrebungen nach einem Exportverbot aus der EU. In Frankreich tritt bereits im Januar 2022 ein nationaler Exportstopp für Pestizide, die in der EU aus Gründen des Umwelt- oder Gesundheitsschutzes verboten wurden, in Kraft. Diese Massnahme müsse auch in der EU «beschlossen und umgesetzt» werden, schrieb uns die französische Regierung. Es sei «nicht akzeptabel, die Gesundheit und die Umwelt [in] anderen Ländern» diesen Stoffen auszusetzen. Auch Spanien begrüsst ein Vorgehen «in diesem Sinn» und Deutschland erklärt, man freue sich auf die «konkreten Vorschläge der Kommission».

Anders die Konzernzentralen: die grössten Exporteure, Syngenta und Bayer, betonen auf Anfrage, dass ihre Produkte «sicher» seien, sofern sie vorschriftsmässig verwendet würden. «Die blosse Tatsache, dass ein Pflanzenschutzmittel in der EU nicht zugelassen oder verboten ist, sagt nichts über seine Sicherheit aus», schreibt Bayer uns. Die «agronomischen Bedingungen» und «lokalen Bedürfnisse» unterschieden sich von Land zu Land. Fakt ist jedoch, dass die Rolle der Neonicotinoide beim dramatischen Rückgang der Bienen- und anderer Bestäuberpopulationen gut dokumentiert ist. Die EU-Behörden kamen zum Schluss, dass jede Anwendung im Freien der drei Neonicotinoide ein hohes Risiko für Honigbienen und Wildbienen darstelle, insbesondere weil die Stoffe sich in den Pflanzen, im Boden und im Wasser anreichern. Dieses Problem kann keine «sichere» Verwendung lösen.

«Wir müssen selbst konsequent sein»

Der Ball liegt nun bei der Europäischen Kommission: Sie wird einen Vorschlag machen, wie die EU künftig Exporte verbotener Pestizide handhaben soll. Offenbar will sie nichts überstürzen. Auf die Frage von Public Eye, ob es ein Exportverbot für Neonicotinoide geben wird, antwortet die Kommission: «Es ist noch zu früh, um zu bestimmen, welche Chemikalien Gegenstand möglicher Massnahmen sein könnten, da wir noch prüfen, welche Schritte am besten geeignet sind.»

Die Kommission ist zwar der Ansicht, dass ein EU-Ausfuhrverbot «Drittländer nicht automatisch dazu veranlassen wird, die Verwendung dieser Pestizide einzustellen, wenn sie die Möglichkeit haben, diese aus anderen Ländern einzuführen». Gleichzeitig erinnert sie aber an ihr eigenes Versprechen, «sicherzustellen, dass gefährliche Chemikalien, die in der EU verboten sind, nicht für die Ausfuhr hergestellt werden können, gegebenenfalls auch durch die Anpassung entsprechender Rechtsvorschriften».

«Wir müssen selbst konsequent sein.» Damit ist zwar alles gesagt, aber noch nichts getan.

Exportiert auch die Schweiz «Bienenkiller»?

Nach dem Freilandverbot von Imidacloprid, Thiamethoxam und Clothianidin in der EU ab 2018 hat das Bundesamt für Landwirtschaft die Verwendung dieser Neonicotinoide auch in der Schweiz verboten. Jedoch unterliegen die Stoffe den schweizerischen Bestimmungen für die Ausfuhr gefährlicher Chemikalien frühestens ab 2022 – weshalb die Unternehmen heute noch nicht verpflichtet sind, ihre Exporte den Behörden zu melden. Wir konnten daher nicht klären, ob verbotene Neonicotinoide auch aus der Schweiz exportiert werden. Theoretisch ist dies möglich, da ein vom Bundesrat im Jahr 2020 verhängtes Exportverbot nur für fünf verbotene Pestizide gilt, die in den letzten Jahren aus der Schweiz exportiert worden waren. Zudem verfügt Syngenta in Monthey VS über einen Produktionsstandort von Weltrang, der für die Herstellung von Thiamethoxam geeignet wäre.

Public Eye