UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Sharing Economy: Die Uber-isierung der Welt

3665

Neotaylorismus und Uber-wachung Sharing Economy: Die Uber-isierung der Welt

barcode-677583-70

Wirtschaft

Du sitzt in einem Uber-Auto, der Fahrer hält an der Bahnschranke und fängt an, wie wahnsinnig auf seinem Smart-Phone rumzuhacken. Was ist da los? Heisser Liebesbrief an den Schatz?

Taxi-Streik in Frankreich gegen den Online-Vermittlungsdienst Uber.
Mehr Artikel
Mehr Artikel
Bild vergrössern

Taxi-Streik in Frankreich gegen den Online-Vermittlungsdienst Uber. Foto: Gyrostat (Wikimedia)CC BY-SA 4.0 cropped)

Datum 19. Oktober 2016
0
0
Lesezeit9 min.
DruckenDrucken
KorrekturKorrektur
Nichts da, wenn Du nachfragst. Es ist ein Arbeitsinput für einen zutiefst gehassten Sklaventreiber: Amazon. Du erkennst, neben Dir sitzt für die kurze Zeit an der Schranke ein „mechanical turk“, ein Amazon-Sklave. Seine Arbeit: er sucht für Amazon online Verstösse gegen die „guten Sitten“ aus einem digitalisierten Text. Zwei Sklaven in einer Person? Genau das. Ein Hybrid-Sklave also.

Intro – Der Hybridsklave

Der Uber-Sklave schliesst die kurze Zeit der Nichtbeschäftigung an der Schranke mit Arbeit für Amazon. Er schliesst die Poren arbeitsfreier Zeit. Als Hybrid-Sklave verlinkt er zwei Einsatzfelder der grossen IT-Innovationsoffensive, die die Welt seit drei Jahrzehnten mit zunehmender Gewalt überrollen: der Bereich der Dienste im Logistikunternehmen und in der grossen weiten Welt persönlicher Dienstleistungen.

Der Link verbindet nicht etwa zwei Welten. Er verbindet Felder, in dem derselbe „Neo-Taylorismus“ als Strategieprinzipien eines neuen kapitalistischen
Kommandos über die Welt zum Einsatz gelangen. Das zeigen wir zuerst für „Uber“ als dem Vorreiter der „Sharing- oder besser: On-Demand-Ökonomie“. Und dann für Amazon, einem der führenden Arbeitsausbeuter der neuen Ökonomie. Und so verwandelt sich
unter dem Kommando desselben Arbeitsmanagements der Hybrid-Sklave während einer Fahrt eigentlich nur in zwei Gestalten desselben Sklaven. Und es bleibt
zu hoffen, dass sich darüber auch die Kämpfe gegen Uber und Amazon und andere ähnliche Herren miteinander verbinden.

Uber-isierung, das ist ein aktuell mit grosser Wucht von den „on-demand“-Unternehmern entfesselter Schock zur Unterwerfung von Alltagsverhalten und seiner
Erschliessung als neue Quelle von Arbeit und Wert, in dessen Zentrum Uber agiert.
„Es gibt immer Blut an der Wand, wenn eine grosse, neue Welle von Innovationen durchgesetzt wird“, erklärte der Londoner Venture-Kapitalist Fred Destin Anfang dieses Jahres. Er hat Millionen in ein unternehmerisches Projekt der „Sharing-Economy“ gepumpt, zu der auch Uber gehört. Destin meint das Blut der von dieser Innovationswelle betroffenen Menschen. Blut in wirklicher und übertragener Bedeutung als Lebens- und Überlebenschance der auf „Uber“ und ähnliche Unternehmen angewiesenen verarmten Unterklassen. So geht denn auch das Blut auf Uber's Konto, das bei den heftigen Kämpfen gegen dieses Unternehmen vergossen wurde. Und das ist nicht gerade wenig. In Johannesburg, Nairobi, Amsterdam, Paris gab es Angriffe auf Uber-Autos mit Waffengewalt und Sachbeschädigungen bis zum Abfackeln.

Die „Sharing“-Unternehmer und ihre Sklav*innen

Die Gegenwehr gilt einer Innovationsstrategie, die
im Kern des technologischen Angriffs angesiedelt ist
und die man sich zentraler kaum denken kann. Es geht
in der von Uber angeführten Schockwelle um nichts
weniger als um die Zerstörung eines ganzen Spektrums
tradierter Formen von alltäglichen beruflichen
und privaten Diensten und Gefälligkeiten bis hin zu
freundschaftlicher Hilfe und ihre Unterwerfung unter
ein verschärftes Kommando von Arbeit und Inwertsetzung.

Das wurde anfänglich wohltönend und absichtlich
missverständlich „sharing“-Ökonomie genannt,
inzwischen grossteils „on-demand“-Ökonomie. Die Reorganisation
des Verhaltens läuft über die im Innovationsangriff
entwickelten Technologien. Über eine App
fordert man (darum auch „on-demand“) Transportund
andere Dienste an, die dann auf informationstechnischem
Wege über grosse Server mit spezifischen
Algorithmen an Nachfrager*innen vermittelt werden.
Verrichtet werden die „Dienste“ dann von den über
GPS zugeordneten „Sklave*innen“ - so werden sie
inzwischen auch in der „seriösen“ Literatur genannt.
Diese „Sklav*innen“ kommen mit ihrem eigenen Arbeitsgerät,
z.B. Autos -darum sollen sie angeblich auch
„Selbständige“-, um die Leistungen zu erbringen.

Die „Sklav*innen bestehen zu einem grossen Teil aus
Menschen der „subprime-“ (unter Standard) -Kasten,
die durch die Entwertungsoffensiven unter der Führung
der amerikanischen Zentralbank (Fed) in die neue Armut
getrieben wurden – oftmals aus den nunmehr verarmten
und verelendeten ehemaligen Mittelschichten
der fordistischen Ära. Und die dann in der „subprime“-
Offensive mit seinem Crash im Jahre 2008 nochmals tiefer in die Armut gestossen wurden.

Es ist genau dieser Hintergrund, auf dem Uber im Jahre 2009 gegründet wurde. Denn jetzt war der ökonomische Druck unausweichlich, der viele zu mehreren Beschäftigungsverhältnissen trieb. Befragungen von „on-demand“-Arbeiter*innen ergaben, dass sie von ihrer „Hauptbeschäftigung“ ohne einen Zuverdienst auf dem „on-demand“-Sektor“ nicht mehr leben könnten (das gilt auch z.B. Wohnungsüberlassung über Airbnb, wie die Kämpfe etwa in Berlin gezeigt haben).

Das Geheimnis der Uber-Ökonomie ist Vermögensungleichheit“, titelte die Zeitschrift Quartz vor zwei Jahren. Aber die Untersuchungen haben auch ergeben, dass „on demand“-Arbeiter*
innen ebenfalls nicht von ihrer Arbeit auf
diesem Sektor leben können (grob 75%). Sie sind auf
beides oder gar weitere Quellen angewiesen. Die
ausgepressten Profi te dagegen sind satt. Uber behält
ca. 20% des Fahrpreises ein. Seine Marktkapitalisierung
liegt bei über 60 Mrd. $.

Die Ausweitung der Uberisierung

Bis Anfang dieses Jahres – mit einem kleinen Knick
zum aktuellen Zeitpunkt – strömte das Venture-Kapital
wie entfesselt in den ganzen „on demand“-Sektor.
Die Herstellungen von „on demand“-Apps und Gründungen
von Start-ups nach Uber-und Airbnb-Vorbild
schäumen regelrecht hoch. „Ein Uber für alles“ titelte
der Guardian Anfang Mai. Gierige Nerds gründen
Start-ups auf dem „on demand“-Sektor fast im Stundentakt,
besonders im Bereich der Liefer-Dienstleister
(in England etwa Deliveroo, Deliver-Hero, in Deutschland
Lieferheld und und und).

In Mayfair trafen sich dieser Tage Venture-Kapitalisten
des „on demand“-Sektors, um sich darüber
auszutauschen, wie sie diesen „Uber-inspirierten
Goldrausch“ vorantreiben und weiter ausbeuten, bzw.
schürfen können. Silicon Valley reisst inzwischen darüber
schon seine Witze: Ein Uber für Suff zu später
Stunde? Für „Massage“? Parken? Lehrervermittlung?, Barkeeper?, Brief-zur-Post-bringen? In-Warteschlangen
stehen (z.B. für Konzerte, wenn der Herr keine Zeit
hat und einen Wartesklaven braucht)? Obwohl – einige
davon gibt's schon. Welche wohl? Schlange stehn
z.B. Erraten? „Denkt an irgendeine Dienstleistung, und
wenn jemand noch keinen Uber dafür erfunden hat,
arbeiten sie wahrscheinlich gerade daran“, sagt der
Valley-Beobachter. Das Lachen sollte einem im Hals
stecken bleiben.
Die Uberisierung der Welt steht gerade am Anfang
und die Zertrümmerung der alten Welt auf dem Servicesektor
wird Jammern und ungeahntes Elend der
Sklav*innen bringen. Und mehr noch der Nicht-Sklav*
innen, die in den Reservelagern vor den Pforten auf
Zulassung zu einem ordentlichen Sklavenstatus warten
oder den Sklav*innen-Status wegen mangelhafter
Selbstoptimierung verloren haben.

Neotaylorismus, Uber-wachung und weitere Punkte

Die Komplexität des „on demand“-Angriffs ist gewaltig.
Und sie ist, da er sich auf dem Dienstleistungsbereich
als dem mittlerweile zentralen Sektor des
gegenwärtigen Innovationsangriffs entfaltet, nicht
hoch genug zu schätzen. Hier sollen nur einige Schwerpunkte
kurz erörtert werden:

1. Uber steht als führender Akteur auf dem „on demand“-Sektor beispielhaft und beispielgebend
für die Zerstörung eines
tradierten Sektors und eine
exemplarische Politik der Entwertung
von Menschen und ihren
Tätigkeiten und der Errichtung
eines völlig neuen kapitalistischen
Kommandos.

Dazu gehört die oben schon angesprochene Flexibilisierung
und Unterordnung des Alltagslebens unter die
„on demand2-Technologien in allen Lebensbereichen.
Diese Entwertung kann man auch als eine Form der
„Kapitalisierung“ fassen. Sie kapitalisiert zuvor unverwertete
im Kompetenz- und Verfügungsbereich der
Individuen stehende Gegenstände und individuelles
Verhalten zu solchen, die nunmehr „in Wert gesetzt2
werden, zu „Assets“. Dazu gehören die Gegenstände
(Autos, die ja Uber nicht gehören). Dazu gehört vor
allem menschliches Verhalten, auf das es zuvor auch
keinen Zugriff gab, sondern zum autonomen Bereich
der einzelnen Individuen gehörte.

Sie werden nunmehr
als Verhaltens-Kapital, Wissenskapital und materialisiertes
Kapital (Autos etc.) zu Mitteln der Wertschöpfung.
Im Grunde genommen setzt dies den Zugriff auf den
Häuserbereich fort, der durch die „subprime“-Offensive
nach 2000 in Wert gesetzt wurde. Damit unterwirft
die Strategie zugleich die über grosse Server organisierten
Verhaltenspartikel der Dienstleister*innen unter
ein von der IT-Ebene aus organisiertes Regime.

Hierin liegt eine „Taylorisierung“ neuer Stufe

Taylors Ziel war ja, das Verhalten auf Produktionsebene
in derart eng defi nierte und damit zugleich
standardisierte Partikel zu zerschlagen, dass
es möglich wurde, sie in seriellen Verhaltensketten
(etwa Fliessband) zu organisieren und das Kommando
und die Kontrolle über die Arbeit „in die Hände
des Managements“ abzusaugen. Eine entsprechende
Zerstörung bzw. Enteignung von Autonomie wird auf
neuem historischem Niveau mit den Technologien der
Innovationsoffensive vorangetrieben. Sie ist in gleichem
Masse unerbittlich. Ein Algorithmus bestimmt, wo
du hingeschickt wirst, wie du abzurechnen hast, wie du
zu fahren hast, wie du dich zu benehmen hast, wie das
eingebrachte Auto und die Wohnung etc. auszusehen
haben.

Dadurch wird ein gewaltiger Druck zur Verhaltensunterwerfung
auf die Dienstleistenden entfesselt, der
nicht nur zur genauen Defi nition gesollten Verhaltens
führt, sondern über Konkurrenzmechanismen enorme
Reservoirs an Selbstoptimierung und Selbstrationalisierung
innerhalb enger Korridore von zugestandenen
Freiheitsgraden erschliesst.

Du musst selbst herauskriegen, wie
du deine Optimierung vorantreibst,
um weiter im Job zu bleiben, und
damit zugleich deinen Verdienst
und die Profi tspielräume der
Herren erweiterst. Wenn Du hinter
den Erwartungen zurückbleibst und
ein(e) andere(r) es besser macht,
Pech für Dich. Zugleich liegt darin
eine Zurichtung und Standardisierung
des Verhaltens, die in andere
Bereiche ausstrahlt.
Hier verlinkt
sie sich mit den neotayloristischen Strategien der
inneren Arbeitsorganisation etwa bei Amazon. Diese
„Uberisierungs“-Strategie in den Servicesektor steht
noch am Anfang, sowohl hinsichtlich ihrer Eingriffstiefe
in die Subjekte als ihrer Erweiterung und der damit
betriebenen sozialen Homogenisierung. Die aber läuft
rasant. Sie zielt auf die Übertragung in Bereiche, an
die wir als Kinder der überkommenen Lebensweise
noch gar nicht denken würden. An Airb&b haben wir
uns ja schon gewöhnt, vielleicht auch an die Möglichkeiten
der Organisation eines Peer-to-Peer- Kreditwesens.
Aber die Berufstätigkeiten mittelständischer
Selbständiger?

Dem Vernehmen nach stehen Initiativen eines
„Uber-Legal“, einer Uberisierung der Rechtsberatungsdienstleistungen
vor der Tür. „Rechtsanwalt-
on-demand-Apps“, sowie „Quicklegal und
UpCounsel ebenso wie „medicast-App“ zur Herbeirufung
eines Arztes und „Upwork“ zu Beschaffung eines
Freelance-Artikelschreibers gibt es schon. Die Welt
des Verhaltens wird unerbittlich umgepfl ügt, ein Ende
ist nicht abzusehen.

2. Die tayloristische Erschliessung und Rationalisierung
auf dem Dienstleistungssektor reinigt Freiheit und Unbestimmtheit
heraus. Sie verschliesst die Poren (Marx),
die kleinen Luft- und Freiräume des noch nicht in Dienst
genommenen Verhaltens, und zwar in tendenziell
totalisierender Weise. Sie unterwirft unerschlossenes
Verhalten damit dem Marktgeschehen. Es ist die technologische
Subsumption, die Unterwerfung von Verhaltensbereichen
auf neuer historischer Stufe jenseits des
Taylorismus/Fordismus.

3. Uber und sein Konkurrent Lyft arbeiten in Konkurrenz
untereinander und zu Apple, facebook und
google an der Entwicklung IT-gesteuerter, fahrerloser
Autos. Die Einbeziehung von GPS erlaubt Bewegungsprofi
le und macht den Datenraub besonders gefährlich.
Das hat die bisherige Auswertung zu möglichen
One-Night-Stands durch Uber drastisch gezeigt.

4. Und, ach ja: „Sharing Economy“? Eine Ökonomie
der kooperativen gegenseitigen Gefälligkeiten und
Dienste? Killefi tt! Diese Friede-Freude-Eier -Vorstellung
wird inzwischen als geradezu peinlich abgetan,
die Diskrepanz zwischen rosa Bild und Wirklichkeit
ist zu gross. Als alternative Namen werden neben
„on-demand-economy“ auch „matching-economy“
oder „gig-economy“ angeboten. Dieter Schlenker,
Vorsitzender von Taxi-Deutschland, bietet aus gut sozialdemokratischer
Altbackenheit den Titel „Heuschreckenökonomie“
an.

Materialien / ab