«Bürger zahlen, damit Nestlé Wasser exportieren kann» Wegen Nestlé: Bewohner von Vittel sitzen bald auf dem Trockenen

Wirtschaft

Im französischen Kurort Vittel pumpt Nestlé grosse Mengen Quellwasser ab. Seitdem sinkt der Grundwasserspiegel bedrohlich.

Champs-Élysées, Paris.
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Champs-Élysées, Paris. Foto: sacratomato_hr (CC BY-SA 2.0 cropped)

8. Juni 2018
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Die Gemeinde Vittel in den Vogesen ist bekannt für seine Mineralquelle. Doch die rund 5000 Einwohner sitzen zunehmend auf dem Trockenen. Laut einem Bericht des ZDF-Magazins «Frontal21» sinkt der Grundwasserspiegel jedes Jahr um 30 Zentimeter – in den letzten 40 Jahren ging er um 10 Meter zurück.

Umweltschützer sind alarmiert und geben Nestlé die Schuld. Denn der Schweizer Lebensmittelkonzern besitzt die Wasserrechte und zapft seit Jahren das Mineralwasser aus der dortigen Quelle ab, um es europaweit unter der Marke «Vittel» zu verkaufen. Mehr als 2 Millionen Liter Vittel-Wasser füllt Nestlé jeden Tag in Plastikflaschen. Zu viel, wie kritische Bürger meinen. Wenn das so weitergehe, befürchten sie, müsse das Trinkwasser für die Bewohner bald von auswärts herbeigeschafft werden.

Schon jetzt bekommen die Einheimischen zu spüren, dass die Quelle nicht ewig sprudelt: Vor allem in den heissen Monaten wird das Wasser für die Bewohner knapp. Im Sommer sei der Bürgermeister gezwungen, Wasser mit einem Tankwagen aus Nachbargemeinden zu holen, sagt ein Schäfer zu «Frontal21». Deshalb sollen die Leute vor Ort weniger Wasser verbrauchen: An einem öffentlichen Brunnen, wo jedermann Mineralwasser abfüllen kann, mahnt ein Schild: «Maximal sechs Flaschen täglich».

Zuerst kommt Nestlé, dann kommen die Bürger

Die Bewohner in Vittel sind aufgebracht. Eigentlich wäre genug Wasser für alle vorhanden, doch das natürliche Quellwasser ist vor allem Nestlé vorbehalten. «Das ist, als würde man Menschen am Atlantik vorschreiben, in einem Pool zu baden mit Wasser aus dem Mittelmeer», sagt ein Anwohner im Beitrag von «Frontal21».

Nestlé ist Grossgrundbesitzer in der Region. 3000 Hektaren Land rund um Vittel gehören dem Konzern – eine Art Wasserschutzgebiet. Die Behörden erlauben Nestlé, pro Jahr eine Million Kubikmeter Quellwasser zu fördern, doch die einheimischen Schäfer dürfen das Wasser unter ihren Weiden nicht nutzen. «Das sei nicht möglich, kompliziert, verboten. Wir hätten kein Recht zu bohren», erzählt ein Schäfer. Sie müssen sich deshalb jeden Tag auf den Weg machen, um ausserhalb des Schutzgebiets Wasser für ihre Tiere zu holen.

Von einer akuten Wasserknappheit in Vittel will Nestlé indes nichts wissen. Das Schild am Brunnen habe man nur angebracht, «damit die Schlangen vor dem Brunnen nicht zu lang werden». «Der Schutz aller Quellen hat für uns oberste Priorität», heisst es in einer Stellungnahme auf der Webseite des Konzerns. «Daher engagieren wir uns seit über 25 Jahren für eine nachhaltige Wasserwirtschaft in der Region rund um Vittel». So habe man im Laufe der vergangenen zehn Jahre die Wasserentnahme freiwillig auf 750'000 Kubikmeter pro Jahr reduziert. Zudem weist Nestlé im Beitrag von «Frontal21» darauf hin, dass der Konzern ein wichtiger Arbeitgeber in der Region sei und auch happige Steuern zahle – 14 Millionen Euro für die Abfüllanlage von Vittel und der benachbarten Stadt Contrex.

«Bürger zahlen, damit Nestlé Wasser exportieren kann»

Doch auch Nestlé hat inzwischen gemerkt, dass das unterirdische Reservoir der «Bonne Source» in Vittel nicht unerschöpflich ist. Der Grundwasserspiegel sinkt, selbst wenn weniger Quellwasser gefördert wird. «Derzeit ist die aus diesem Bereich entnommene Wassermenge höher als die Menge, die durch Regenwasser kompensiert wird. Die Behörden schätzen diese Fehlmenge auf jährlich rund eine Million Kubikmeter», teilt Nestlé mit. Das könnte ab 2050 die Wasserversorgung ernsthaft gefährden. «Es besteht daher dringender Handlungsbedarf», schreibt Nestlé auf der Homepage.

Auf das profitable Geschäft mit Vittel-Wasser will Nestlé aber nicht verzichten. Stattdessen soll eine Pipeline die lokale Bevölkerung künftig mit Wasser aus umliegenden Gebieten versorgen, berichtet «Frontal21». Die Kosten für die neue Wasserzufuhr wird aber nicht etwa Nestlé bezahlen – zu Kasse kommen die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Steuergeldern. «Rund 20 Millionen Euro, damit Nestlé weiter unser Wasser exportieren kann», kritisiert Odile Agrafeil, Mitglied der Umweltkommission CESER Grand Est die Pläne. «Das ist doch Unsinn. Denn Wasser ist ein Grundrecht.»

Fragwürdige Geschäfte mit Wasser

Immer wieder steht Nestlé wegen seiner Geschäfte mit Wasser in der Kritik. Indem Nestlé Wasserrechte kauft und jedes Jahr Unmengen an Wasser abpumpt, schlägt der Schweizer Konzern Profit aus einem Allgemeingut – auf Kosten der Umwelt und der Einheimischen in den betroffenen Gebieten. Oft zahlt Nestlé für die Wasserrechte nur einen Spottpreis, zum Beispiel im US-Bundesstaat Michigan. Dort zahlt Nestlé gerade einmal 200 Dollar für die Nutzung der Quellen – und pumpt dafür bislang jährlich fast 500 Millionen Liter Wasser.

Im Frühjahr 2017 stand Nestlé wegen seines Wassergeschäfts in Äthiopien am Pranger. Damals kämpften die Menschen in Ostafrika mit der schlimmsten Dürreperiode seit fünf Jahrzehnten. Rund 42 Millionen Äthiopier waren ohne Trinkwasser. Doch gleichzeitig eröffnete Nestlé gemeinsam mit dem lokalen Getränkeherstellers Abyssinia Springs eine Wasserabfüllanlage. Laut «The Guardian» werden dort pro Stunde 50'000 Liter Wasser in Flaschen abgepumpt. Das Nachsehen haben die Einheimischen, die sich das teure Flaschenwasser nicht leisten können.

Red. / Infosperber