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Lieferando schluckt Foodora

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Sieg im Liefer-Krieg? Lieferando schluckt Foodora

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Wirtschaft

Massenentlassung von Kurier-Fahrern und erhöhte Restaurant-Gebühren zu erwarten.

Ein Kurier von Foodora in Tampere, Finnland.
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Ein Kurier von Foodora in Tampere, Finnland. Foto: Tiia Monto (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

Datum 1. Februar 2019
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Kurz vor Weihnachten 2018 erfuhren die Beschäftigten von Foodora in Deutschland (Delivery Hero AG) aus der Wirtschaftspresse, dass sie für 930 Mio. Euro an die Konkurrenz verkauft wurden. Lieferando übernimmt. Foodora Deutschland gehört jetzt zum niederländischen Konzern Takeway – ebenso wie die Schweizer Foodora-Tochter Foodarena.com. (1)

Das Foodora-Management äusserte sich bis heute gegenüber seinen Fahrrad-Kurieren nicht zu der feindlichen Übernahme, obwohl die Veränderungen dramatisch sein werden: Massenhafte Entlassungen und eine Erhöhung der Gebühren für Restaurants können nach Äusserungen von Lieferando-Manager Jitse Groen in der Fachpresse als sicher gelten. (2)

Die Frage ist auch, was aus den Foodora-Betriebsräten in Köln und Hamburg wird.

Es herrscht Funkstille

Eigentlich müssten die BR-Gremien im Zuge des Betriebsübergangs übernommen werden; zu befürchten ist aber, dass sie durch Nicht-Verlängerung befristeter Verträge und andere Manöver entsorgt werden. Eine Betriebsratsgründung bei Foodora in Münster hängt seit Februar 2018 durch juristische Trickserei und Verzörgerungstatktiken in der Luft (siehe unten).

Bei den Fahrer*innen machen sich Verunsicherung und Lustlosigkeit breit. Die Null-Kommunikation des Managements befördert den Frust, auch Betriebsrat und Gewerkschaft NGG wissen nicht mehr als in der Presse steht.

Wenn nicht jetzt, wann dann? Betriebsrat gründen!

Bevor Beschäftigte das Handtuch schmeissen, ist Folgendes zu bedenken: Jetzt wäre eine sehr günstige Gelegenheit, um Betriebsratswahlen voran zu treiben. So würden Massenentlassungen erschwert und es könnten Sozialpläne mit ordentlichen Abfindungen heraus springen.

Dabei ist zwar mit Gegenwind zu rechnen – Lieferando erklärte, dass Betriebsräte nicht „zur Firmenkultur gehören“, Foodora reagiert auf BR-Gründungen mit juristischen Tricks und Schikanen – aber die Mannschaft eines untergehenden Schiffes kann ein bisschen mehr Wellengang wohl kaum erschrecken.

Betriebsratsverhinderung durch Schliessung des lokalen Büros

In Münster hängt eine Betriebsratsgründung bei Foodora seit Februar 2018 in der Warteschleife. Daran sind zwei Dinge bemerkenswert:
  • die Unverfrorenheit der juristischen Konstruktion
  • die Verzörgerung des Verfahrens durch das Arbeitsgericht.
Die Berliner Rechtsanwältin Anja Mengel (seit 1.1.2019 zur Kanzlei Schweibert Lessmann gewechselt, vorher Kanzlei Altenburg) bedient sich einer extravaganten juristischen Argumentation.

Als die Gewerkschaft NGG im Februar 2018 eine Versammlung zur Wahl eines Wahlvorstands einberief, schloss Foodora sein Münsteraner Büro handstreichartig. Man rückte keine Wählerliste heraus, weil in Münster keine Betriebsstätte mehr vorhanden sei und kein Weisungsbefugter des Arbeitgebers vor Ort wäre. Somit könne in Münster kein Foodora-Betriebsrat gewählt werden.

Interessante Frage: Ist die App eine Weisungsbefugte des Arbeitgebers?

Die Foodora-Fahrer*innen werden von einer App koordiniert, die aus Berlin gesteuert würde. Somit sollten sie – laut Prof. Anja Mengel – in Berlin wahlberechtigt sein oder in Köln, wo ein Büro und ein Betriebsrat existieren. (Leider vergass man aber, die Münsteraner Fahrer*innen zur Neuwahl des Betriebsrats einzuladen, die am 12. Januar 2019 in Köln stattfand.)

Unsere Meinung: Hier wird wider besseres Wissen fadenscheiniger Unsinn verzapft. Ziel ist die Betriebsratsbehinderung. Die handstreichartige Schliessung des Münsteraner Foodara Büros ist Teil eines bauernschlauen Winkelzuges, der das Arbeitsgericht täuschen soll. Hier wird juristisch verkleidetes Union Busting betrieben. (3)

Man muss es sich nochmal vor Augen führen: Da die Fahrer-App in Berlin gesteuert würde, sei Berlin die Betriebsstätte für Münster. Als ob Foodora ernsthaft in Erwägung ziehen würde, eine Münsteraner Kurierfahrerin in Berlin einzusetzen! Dass eine Anwältin, die derartigen Mumpitz verzapft, in Deutschland als renommiert gilt, lässt tief blicken… (4)

Zu prüfen wäre, ob hier nicht Prozessbetrug zum Zweck der Betriebsratsbehinderung (§119 BetrVG) vorliegt.

Der zweite Skandal: überlange Wartezeit

Das Arbeitsgericht Münster trägt zur erfolgreichen Betriebsratsverhinderung bei Foodora bei, indem es Termine verschleppt und verzögert, anstatt ordentlich auf die Tube zu drücken, um demokratische Rechte durchzusetzen.

Die Versammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes sollte im Februar 2018 stattfinden. Es folgte am 11 Mai 2018 eine völlig überflüssige Güteverhandlung – nach oben geschilderter Sachlage gibt es hier absolut nichts zu schlichten – dann verschiedene Terminverschiebungen. Anfang Januar gab das Gericht endlich den Termin für die erste Verhandlung bekannt: 11. April 2019 (11:15 Uhr, Arbeitsgericht Münster, 1. OG.) Vermutlich ist die Marke Foodora bis dahin schon Geschichte.

Die aktion ./. arbeitsunrecht fordert ein deutlich schnelleres Eingreifen der Gerichte (Betriebsräte stärken, kriminelle Unternehmer bekämpfen!). Bei der Neugründung eines Betriebsrats muss es dem Arbeitsgericht möglich sein, innerhalb von drei Wochen einen Wahlvorstand einzusetzen und das Unternehmen unter Androhung empfindlicher Zwangsmassnahmen zur sofortigen Herausgabe einer Wählerliste zu zwingen.

Hintergrund der Foodora-Übernahme: Monopoltendenz der Plattform-Ökonomie

Der niederländische Liefersevice Lieferando (Takeaway) legte im Dezember 2018 930 Mio. Euro auf den Tisch, um mit Foodora den bisherigen Marktführer aus Deutschland zu verdrängen.

Foodora und Lieferando lagen mit rund 23 Millionen Bestellungen zwischen Januar und September 2018 in Deutschland in etwa gleich auf. Der Umsatz lag für beide bei rund einer halben Milliarde Euro, wobei Lieferando deutlich weniger an Gebühren kassierte. Bei Delivery Hero blieben in den drei ersten Quartalen 2018 76 Mio. Euro an Liefer-Gebühren hängen, bei Lieferando waren es nur 60 Mio. Das sind recht bescheidene Summen.

Gegenüber dem Handelsblatt deutete Lieferando-Chef Jitse Groen an, dass er Foodora komplett einstampfen und nur noch eine vergleichsweise kleine Flotte an festangestellten Fahrern unterhalten will. Auch die Marken Lieferheld und pizza.de sollen verschwinden – sie wurden ebenfalls von der Delivery Hero AG übernommen. Zudem sollen Restaurants bald mehr bezahlen oder sich durch Extra-Zahlungen im Ranking verbessern können.

Der Übernahme-Deal sei seit Jahren im Gespräch gewesen, äusserte Groen gegenüber dem Handelsblatt:

„Wir sind 2016 an die Börse gegangen aus einem einzigen Grund: um den deutschen Markt zu erobern.“

Nach einer Gewinnwarnung und Kursverlusten der Delivery Hero AG im Herbst 2018 war es dann soweit (Handelsblatt, 10.01.2019).

Branchenkenner sind sich einig, dass die Essensauslieferung nur profitabel werden kann, wenn am Ende eine Plattform übrig bleibt, die als Monopolist die Preise und Bedingungen diktieren kann.

Essenskuriere bislang kaum profitabel

Groen hat sich offenbar von der Vorstellung verabschiedet, die Lieferando-Flotte aus E-Bike-Fahrern könne profitabel unterhalten werden. Er betrachtet die festangestellten Fahrer*innen, die derzeit bei Lieferando deutlich mehr verdienen als bei der Konkurrenz, als Zuschuss-Geschäft. Die orangefarbenen Lieferando-Kuriere sollen Marken-Präsenz in den Innenstädten herstellen und der Konkurrenz optisch paroli bieten. Denn die Marktführerschaft ist keineswegs auf Dauer gesichert: Deliveroo, Uber eats und Amazon Restaurants stehen Gewehr bei Fuss.

Aus Groens Überlegungen im Handelsblatt folgt aber zwangsläufig, dass das fahrende Personal durch die Fusion nicht wachsen dürfte. Es werden höchstwahrscheinlich hunderte Jobs gestrichen.

Das Flixbus-Prinzip

Bislang arbeitet nur ein Essenskurier in Europa profitabel: Just eat aus Grossbritannien. Foodora, Lieferando, Deliveroo verbrennen hingegen das Geld ihrer Investoren, um eine vermeintliche Zukunftsbranche zu erobern.

Just eat arbeitet nach dem Flixbus-Prinzip: Das Münchner Unternehmen integriert über seine Online-Plattform selbständige, lokale Bus-Unternehmen. Deren Fahrzeuge werden gemäss der Corporate-Identity umlackiert, bleiben aber Eigentum der Bus-Unternehmen. Diese kommen für Anschaffung, Unterhalt, Versicherungen auf. Und sie heuern die Fahrer an.

Just Eat integriert analog dazu die Fahrer*innen von Pizzerien, Asia-Imbissen oder auch grösserer Ketten und hat somit selbst keine Kurier-Fahrer unter Vertrag, muss keine Lohn- oder Honorar-Abrechnungen machen, übernimmt keinerlei soziale oder gesellschaftliche Verantwortung für die Kuriere.

Die Marke erscheint juristisch als reine Fassade, die nur durch Branding, Marketing, Vertrieb existiert – als realer Arbeitgeber existiert sie nur für IT-Spezialisten, das Management, Buchhaltung und Marketing-Abteilung in der Zentrale. Auf Seiten der Fahrer*innen zerfällt das Unternehmen in ein Mosaik aus scheinbar selbständigen Einzelunternehmen. Die gewerkschaftliche Organisierbarkeit der Beschäftigten ist damit erheblich erschwert, da sie keinen gemeinsamen Arbeitgeber haben. Mitbestimmungsrechte werden so ausgehebelt.

Die Plattform-Ökonomie ist demnach eine radikalisierte Weiterentwicklung des Franchise-Modells, das seit den 1970ern in Deutschland von McDonald's voran getrieben wurde. Mittlerweile hat die Franchise-Hölle längst den Einzelhandel erobert (Edeka, Rewe) sowie Speditionen, Paket- und Kurier-Dienste (DHL, DPD u.a.).

Sozialschädliches Geschäftsmodell

Die weiter gehende Frage ist, ob auf diesen strukturellen Angriff nicht eine politische Antwort gefunden werden muss, etwa durch eine Generalunternehmerhaftung.

Wo Lieferando, Flixbus, DHL etc. draufstehen, müssen Lieferando, Flixbus, DHL auch gerade stehen und haften. Es kann nicht sein, dass die Zentrale nur absahnt, während die Lasten und Risiken voll und ganz auf Beschäftigte, Sub-Unternehmer und die Allgemeinheit (Krankenkassen, Sozialversichtung, Arbeitslosengeld II) abgewälzt werden.

Schöne neue Dienstleistungswelt?

Was ist die Alternative? Vielleicht doch besser selbst einkaufen und mit Freunden oder Familie kochen…

Redaktion
arbeitsunrecht.de

Fussnoten:

(1) Mehrheitseigner von Takeaway ist das Amsterdamer Unternehmen Gribhold B.V., das von Lieferando-Chef Jitse Groen gleitet wird.

(2) Christoph Kapalschinski / Georg Weishaupt: Was Lieferando nach der Übernahme von Delivery Hero vorhat, Handelsblatt, 10.01.2019, https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/lieferdienste-was-lieferando-nach-der-uebernahme-von-delivery-hero-vorhat/23849862.html

(3) Anja Mengel arbeitet seit 2017 als Honorarprofessorin für die Hamburger Union-Busting-Schmiede Bucerius Law School und veröffentlich Fachliteratur im Beck-Verlag. Sie ist Mitglied des Ausschusses Corporate Social Responsibility des DAV (Deutscher Anwaltverein e. V.). Sie ist Teil der elitären Vereinigung fachanwalt forum arbeitsrecht (ffa). Quiellen: http://www.schweibertlessmann.de/charaktere/prof-dr-anja-mengel/ , abgerufen 28.1.2019 | https://www.smartlaw.de/smartlaw-rechtsexpertin-anja-mengel | https://www.beck-shop.de/Prof-Dr-Anja-Mengel-LL-M-/trefferliste.aspx?action=author&author=11847

(4) Eine Münsteraner Beschäftigte klagt zudem gegen Foodora, weil sie über die Fahrer-App weiterhin Aufträge erhielt und annehmen konnte, obwohl ihr befristeter Vertrag bereits ausgelaufen war. Sie klagt auf Fortbestand und Entfristung ihres Vertrages. Die Studentin war nach Ablauf noch einen ganzen Tag gefahren.

Foodora spricht der Fahrer-App in diesem Fall die Befähigung ab, Arbeitgeberaufgaben zu unternehmen. Im Falle der Betriebsratsgründung in Münster argumentiert Anja Mengel geradewegs umgekehrt.