Der Verdrängungswettbewerb im Automobilmarkt Kündigungsverzicht bei Daimler

Wirtschaft

Beim Autobauer Daimler soll es, so vermeldet die Stuttgarter Zeitung, bis Ende 2020 keine betriebsbedingten Kündigungen für Beschäftigte mit unbefristetem Arbeitsvertrag geben.

Das neue Mittel im moderne Verdrängungswettbewerb. Senkung der Lohnstückkosten und sinkende Verkaufspreise bei gewaltig wachsendem Produktenausstoss.
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Das neue Mittel im moderne Verdrängungswettbewerb. Senkung der Lohnstückkosten und sinkende Verkaufspreise bei gewaltig wachsendem Produktenausstoss. Foto: Diego Delso (CC BY-SA 3.0 cropped)

21. September 2015
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Management und Betriebsrat haben sich auf die Verlängerung einer entsprechenden Vereinbarung namens „Zukunftssicherung“ geeinigt, die Ende nächsten Jahres ausgelaufen wäre.

Grundlage für diese Fortschreibung waren nach Angaben des Unternehmens die für die einzelnen Werke ausgehandelten Betriebsvereinbarungen, in denen das Unternehmen milliardenschwere Investitionen zusichert. Das viele Geld fliesst keineswegs nur in die Entwicklung emissionsfreier, selbstfahrender Zukunftskarossen, es fliesst auch und vor allem in die Produktionsanlagen, um diese „zukunftsfähig“ d. h. die Produktion kostengünstiger zu machen. Die Arbeitsproduktivität soll steigen, also die vorhandene oder reduzierte Belegschaft mit fortschrittlicher Technik in gleicher Zeit mehr Fahrzeuge herstellen.

Das senkt die Lohnkosten für jedes produzierte Auto bzw. steigert die Anzahl der Autos, die eine gezahlte Lohnsumme erbringt. Darauf kommt es dem Betrieb an. Bezogen auf den Output ist die Produktion damit nämlich billiger geworden, sofern die Einsparung an Lohnaufwendungen für diesen Output grösser ist als die Investitionssumme, die, umgerechnet auf ihre mutmassliche Funktionsdauer, für die technischen Neuerungen aufgebracht werden muss, mit denen derselbe Output nun erzeugt wird. Dann kann ein Auto für weniger Geld oder – was im Premium-Segment vielleicht mehr zählt – fürs gleiche Geld „mehr Auto“ angeboten werden, um den Konkurrenten Marktanteile abzujagen. Gleichzeitig steigt wegen der gelungenen Stückkostensenkung der Gewinn, der trotz gesenkten Marktpreises pro Produkt eingestrichen werden kann.

Das Ganze geht nur auf, wenn die gesteigerte Anzahl an produzierten Fahrzeugen zum kalkulierten Preis verkauft werden kann. Im Verdrängungswettbewerb, der inzwischen auf dem Automobilmarkt herrscht, trifft Daimler da auf Konkurrenten, die ihrerseits das gleiche Mittel einsetzen, die gleichfalls investieren in im marktwirtschaftlichen Sinne produktivere Produktion, also in Senkung der Lohnstückkosten und sinkende Verkaufspreise bei gewaltig wachsendem Produktenausstoss. Alle machen Arbeit ergiebiger um pro produziertem Stück weniger davon bezahlen zu müssen bzw. aus der bezahlten Arbeit mehr Stücke herauszuholen.

In diesem Wettkampf um Stückpreissenkung einen Vorsprung zu erzielen, ist das Mittel, um mit ordentlicher Gewinnspanne den Markt zu erobern. Dieser Vorsprung ist allerdings, falls er erzielt wird, nie von langer Dauer; dann zieht die Konkurrenz nach oder vorbei und unterbietet ihrerseits den kalkulierten Kampfpreis. Dem kann nur, und am besten im Vorfeld, begegnet werden durch weitere Investitionen in technische Neuerungen, die wiederum bezahlte Arbeit einsparen.

Das Dauerprogramm „Kostensenkung“ führt dazu, dass für wettbewerbsfähige Produktion inzwischen immense Kapitalsummen vorzuschiessen sind, die zu einem immer grösser werdenden Teil für Maschinerie und Produktionsverfahren aufgewendet werden und zu einem immer geringeren Anteil für daran und damit stattfindende Arbeit. Die relative und oft genug auch absolute Reduzierung bezahlter Arbeit ist Waffe in der kapitalistischen Konkurrenz, betriebsbedingte Kündigungen sind also Mittel des betrieblichen Erfolgs.

Wenn darauf, wie jetzt bei Daimler vereinbart, verzichtet wird, dann nur, weil und wenn der Ab- und Umsatz soweit steigt, dass die mit gleicher Belegschaft fabrizierte Produktenmasse gewinnbringend losgeschlagen wird. Da sieht es bei Daimler derzeit gut aus: „Im ersten Halbjahr hat Daimler den Gewinn um mehr als ein Drittel gesteigert, der Umsatz legte um 18 Prozent zu. Auch für das Geschäftsjahr peilt Konzernchef Dieter Zetsche deutliche Zuwächse an.“

Trotz gesteigerter Arbeitsproduktivität machen Entlassungen momentan also gar keinen Sinn. Und dass die Gewinnspanne stimmt, dazu tragen die „Zukunftskonzepte“, die Daimler an allen Standorten bereits aus der Taufe gehoben hat, ihren Teil bei: “Die Arbeitnehmerseite hat im Gegenzug Regelungen zugestimmt, mit denen die Fertigung flexibler werden soll und die Kosten gesenkt werden.“ Höhere Leistungsanforderungen und Schichteinsatz nach Auftragslage durch Zugriff des Betriebs auf die angesammelten Freizeitkonten der Belegschaft senken ganz direkt die Betriebskosten und gehören an allen Standorten vereinbarungsmässig gesichert zur Zukunft der verbleibenden „Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen“.

Für ihren Beitrag zum vergangenen und künftigen Betriebserfolg erhalten diese von Daimler warme Worte: „Wir wollen den Beschäftigten mit der verlängerten Daimler-Zukunftssicherung in dieser Phase des Erfolgs unser Vertrauen und unseren Dank für die Arbeit der vergangenen Jahre ausdrücken“, sagte Personalvorstand Wilfried Porth. Die Vereinbarung sei zugleich ein Bekenntnis zum Standort Deutschland.“ Der „Dank“ besteht schlicht darin, dass sie weiterhin beschäftigt werden, weil der Betrieb bombig an ihnen verdient. Und „Vertrauen“ setzt der Betrieb wohl dahinein, dass auch weiterhin an der Lohn/Leistungs-Front Verzichtbereitschaft der Beschäftigten zu erpressen ist.

Garniert ist das Ganze jedenfalls mit dem dezenten Verweis darauf, dass ihre Kostengünstigkeit auch künftig Auftrag und Aufgabe bleibt – oder wie soll man den Hinweis auf die Existenz ausländischer Fertigungsstandorte sonst verstehen?

Vom Gesamtbetriebsrat ergeht ein gleich lautender Glückwunsch: „Mit der Verlängerung verfolgen wir konsequent unser Ziel weiter, dass die Daimler-Belegschaften auch auf lange Sicht sichere Arbeitsplätze, faire und gute Arbeitsbedingungen und klare Perspektiven haben“, sagte Gesamtbetriebsratschef Michael Brecht. Die Beschäftigten, so Brecht, profitierten damit von der derzeit hervorragenden Geschäftsentwicklung.“ Solange der Laden brummt, sind die Arbeitsplätze sicher. Solange! Und dass er brummt, dafür haben die Belegschaften eben zu sorgen. Dass die Arbeitsbedingungen gerade erst verschlechtert wurden, spricht offensichtlich gar nicht gegen „fair und gut“. Schliesslich haben sich die Geschäfte hervorragend entwickelt, und die Arbeitsbedingungen, die perspektivisch gewährt werden, haben die klare Perspektive, dass das so zu bleiben hat. Weil ohne hervorragende Geschäftsentwicklung …

Berthold Beimler