UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Spionage-Software für die Golfstaaten | Untergrund-Blättle

4197

Werkzeug zur Massenüberwachung mit dänischer Lizenz Spionage-Software für die Golfstaaten

Wirtschaft

So verkauft ein britischer Konzern ganz legal heikle Cyber-Software zum Entschlüsseln in den Nahen Osten.

Proteste gegen Waffendeals mit Saudi Arabien in England, September 2017.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Proteste gegen Waffendeals mit Saudi Arabien in England, September 2017. Foto: Alisdare Hickson (CC BY-SA 2.0 cropped)

26. Juni 2017
1
0
4 min.
Drucken
Korrektur
Mit der Überwachungssoftware des britischen Rüstungsgiganten BAE (British Aerospace Electronic Systems) lassen sich unter anderem verschlüsselte Verbindungen abhören. Ihr Verkauf ist eigentlich ein nationales Sicherheitsrisiko. BAE konnte trotzdem ganz legal Verkäufe in die Golfstaaten tätigen, deckten die BBC und die dänische Zeitung «Dagbladet Information» in jahrelanger Recherche auf.

«Sie können [mit diesem System] jede Art von Internet-Traffic abfangen», sagt ein ehemaliger Angestellter der dänischen Firma ETI, die das System «Evident» auf den Markt brachte und 2011 von BAE übernommen wurde. «Wenn Sie ein ganzes Land überwachen wollen, können Sie das», beschreibt er dessen Kapazitäten. Die Software habe schon früh über Dechiffrierfähigkeiten verfügt.

Werkzeug zur Massenüberwachung mit dänischer Lizenz

«Evident» wurde von Anfang an zur Überwachung der Bevölkerung verwendet. Einer der ersten Anwender, der Geheimdienst Tunesiens, überwachte schon vor 2011 die Opposition für Diktator Ben Ali, bestätigte ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter der BBC.

Mit einer Exportlizenz, ausgestellt auf die dänische Tochterfirma, verkaufte BAE «Evident» weiterhin ganz legal in den Nahen Osten. Das geht aus Dokumenten hervor, deren Herausgabe die BBC und «Dagbladet Information» über Auskunftsbegehren erzwungen haben. Die hochsensible Überwachungssoftware wurde nach Saudi Arabien, Katar, Oman, Marokko und Algerien verkauft – Länder mit nach demokratischen Kriterien fragwürdigen Regimes.

Angriff auf die Menschenrechte

Nach dem Aufflammen des «Arabischen Frühlings» gingen arabische Regimes verstärkt auf die Suche nach modernen Überwachungssystemen. Ein gutes Geschäft für die Hersteller mit weitreichenden Folgen für die Zivilgesellschaften der Käuferländer, die ihre Bevölkerung mit neuster Technologe bespitzeln konnten.

Auch ohne direkte Folgen beweisen zu können: wer ständig damit rechne, abgehört zu werden, könne nicht frei reden und handeln, sagen Aktivisten wie Gus Hosein von der Organisation «Privacy International» und Menschenrechtsaktivist Ahmed Mansoor im Video der BBC. Politischer Widerstand werde so im Keim erstickt.

Viel Geld in Überwachungstechnologie investieren vor allem die Golfstaaten, die sich auf Anfrage der BBC noch nicht geäussert haben. BAE lehnte eine Interviewanfrage der BBC ab und verwies in einer Stellungnahme auf seine «verantwortungsvollen Geschäftsprinzipien».

Gefahr für die nationale Sicherheit

Eine neuere Version von «Evident» kann verschlüsselte Kommunikation offenlegen. Der Export solcher Systeme aus der EU wird streng kontrolliert. Bedenken der Briten hielten die dänischen Behörden dennoch nicht davon ab, Exportlizenzen auszustellen.

Das zeigt ein E-Mail-Austausch zwischen den britischen und dänischen Ausfuhrbehörden, welcher der BBC vorliegt. «Wir würden eine Exportlizenz für diese Kryptoanalysesoftware aus Grossbritannien verweigern», steht in einer E-Mail aus Grossbritannien. Man habe Bedenken betreffend der nationalen Sicherheit.

«Evident» könnte auch gegen Bevölkerungen in Europa eingesetzt werden, warnt Ross Anderson, Professor für Sicherheitstechnik an der Universität Cambridge. Die Abnehmer hätten beispielsweise Botschaften in europäischen Hauptstädten. «Was hält sie davon ab, dort Überwachungssysteme zu installieren und alle Telefonate zu entschlüsseln, die sie hören können?», fragt er.

Der Zweck heiligt die Mittel?

Weniger kritisch sieht das der ehemalige Cyber-Security-Verantwortliche des britischen Verteidigungsministeriums, Jonathan Shaw. Er beurteilt den Verkauf von Massenüberwachungssystemen als eine Art Handel. Wenn die betreffenden Staaten Menschen verfolgten, die eine Bedrohung für Grossbritannien seien, bräuchte man eben ihre Hilfe. Sprich: Informationen, die mit Mitteln erlangt wurden, die in der EU nur unter strengen Auflagen zulässig sind.

Die niederländische Parlamentsabgeordnete Marietje Schaake, eine der wenigen Politikerinnen, die sich auf Anfrage der BBC zum Export von Überwachungstechnologie äusserten, hält solche Kompromisse für einen gefährlichen Bumerang. «Jeder einzelne Fall, in dem jemand mit Hilfe von EU-Technologie zum Schweigen gebracht wird oder im Gefängnis landet, ist inakzeptabel», findet sie.

Red. / Infosperber

Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Berichts der CNN erstellt. Grosse Medien in der Schweiz haben bisher nicht darüber berichtet.

Mehr zum Thema...
alainalele
Verantworten Hersteller die Wahrung von Menschenrechten?Überwachungstechnologien

04.10.2013

- Überwachungstechnologien, die Europa hergestellt werden, finden Abnehmer auf der ganzen Welt. Auch in nicht-demokratischen Ländern. Was für Auswirkungen hat dieser Handel auf Menschenrechte?

mehr...
Das Ölfeld El Merk in Algerien.
Algeriens politisches und wirtschaftliches PotenzialBRICS-Erweiterung und die arabische Welt

21.11.2022

- Die aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika bestehende Vereinigung BRICS ist eines der wichtigsten Kooperationsformate auf der internationalen Bühne, weshalb inzwischen mehrere Staaten der Gruppe beitreten wollen.

mehr...
Die 10 Irrtümer über freie Software.
Open-Source-SoftwareDie 10 Irrtümer über freie Software

02.12.2015

- Der Anwalt Dr. Till Jaeger klärte in einem Vortrag die zehn grössten Irrtümer bezüglich freier Software auf. Der Vortrag gehört zur Veranstaltungsreihe „Monsters of Law“ des Wikimedia Deutschland e.V.

mehr...
Äthiopische Diaspora protestiert gegen Gewalt in Saudi Arabien

21.11.2013 - In Grossbritannien und den USA protestierten in den letzten Tagen Tausende von Äthiopier und Äthiopierinnen gegen die Repression in Saudi Arabien. Zehntausende ihrer Landsleute arbeiten nämlich – oft illegal - auf der arabischen Halbinsel.

Saudi-Arabien und der Rüstungsstopp

01.04.2019 - Vergangenen Dienstag jährte sich zum vierten Mal die Intervention eines von Saudi-Arabien angeführten und von den USA, Grossbritannien und Frankreich logistisch unterstützten Militärbündnisses im Jemen. Die Aggressoren stehen auf der Seite des entmachteten jemenitischen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi, der im Land nur von Teilen der Armee und sunnitischen Stammesmilizen unterstützt wird.

Dossier: Edward Snowden
Felipe Crespo
Propaganda
E-Mail-Selbstverteidigung

Aktueller Termin in Berlin

Solicafé Schlürf // Regenbogencafé

Hallo, heute wieder Kaffee und Kuchen (und/oder Sandwiches) im Schlürf gegen Spende, 12-18 Uhr.

Dienstag, 30. Mai 2023 - 12:00 Uhr

Regenbogencafe, Lausitzer Str. 22a, 10999 Berlin

Event in Düsseldorf

Schumann goes Hip-Hop: Rap-Workshop

Dienstag, 30. Mai 2023
- 17:30 -

Zakk

Fichtenstraße 40

40233 Düsseldorf

Mehr auf UB online...

Ein explizit queeres Datingformat ist die Produktion „Princess Charming“. Deutscher Fernsehpreis 2021 für die Macher:innen Kirsten Petersen, Irina Schlauch, Nina Klink.
Vorheriger Artikel

Den Traumprinz in 10 Folgen finden?

Trash TV – harmlose Unterhaltung oder pure Ideologie?

Scherbengericht (Ostrakismos, altgriechisch ὁ ὀστρακισμός ho ostrakismós; früher überwiegend latinisiert Ostrazismus) in der griechischen Antike.
Nächster Artikel

Wie die Macht der Politiker begrenzt werden kann

Der Ostrakismos muss wiederkommen

Untergrund-Blättle