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Schuhe „Made in Europe“ – zu Hungerlöhnen

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Tiefere Löhne als in China Schuhe „Made in Europe“ – zu Hungerlöhnen

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Wirtschaft

„Made in Europe“ steht für Qualität und faire Arbeitsbedingungen. Mehrere Recherchen, die die Erklärung von Bern zusammen mit internationalen Partnern durchgeführt hat, zeigen erstmals die wahren Realitäten in der Schuhindustrie auf: von den Gerbereien in Italien bis zu den Schuhfabriken in Osteuropa, wo zehntausende Arbeiterinnen „italienische“ oder „deutsche“ Schuhe herstellen – zu oft noch tieferen Löhnen als in China.

Von der Kuh zum Schuh. Eine exemplarische, aber nicht vorbildliche Lieferkette.
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Von der Kuh zum Schuh. Eine exemplarische, aber nicht vorbildliche Lieferkette. Foto: evb

Datum 21. Juni 2016
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Weltweit wurden im Jahr 2014 24,3 Milliarden Paar Schuhe produziert – mehr als drei Paare pro Mensch. Und es werden immer mehr: Allein in den letzten vier Jahren hat die weltweite Produktion um 16 Prozent zugenommen. Zwar werden die meisten Schuhe weltweit in Asien hergestellt, aber allein 2014 wurden in Europa 729 Millionen Paar Schuhe produziert, 90 Prozent davon sind für den eigenen Markt bestimmt.

Bis ein Lederschuh in den Geschäftsregalen steht, haben viele Menschen in mehreren Ländern und Kontinenten Hand an ihn angelegt. Am Anfang steht das Rind. Die USA und Brasilien sind die grössten Hersteller von Rohleder aus Kuhhäuten. Die Lederindustrie zeichnet von sich gerne das Bild eines Restverwerters, der die Häute der Rinder nutzt, die wegen der Fleischproduktion sowieso getötet würden. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit. Ein beträchtlicher Teil des Erlöses der Viehzucht wird durch den Verkauf der Häute erzielt, er ist Teil des Geschäftsmodells. Die brasilianische Firma JBS etwa, einer der grössten Fleischproduzenten der Welt, schlachtet 100 000 Rinder, 70 000 Schweine und 25 000 Schafe – pro Tag. JBS verkauft nicht nur das Fleisch, sondern auch das rohe oder bereits gegerbte Leder.

Unfälle, Allergien Tumore

Schon von der Tierhaut zum Rohleder sind mehrere beschwerliche Arbeitsschritte – entfleischen, enthaaren, beizen – nötig. Danach wird das Leder in Gerbereien weiterverarbeitet. Jenes, das für europäische Schuhe bestimmt ist, oft in Italien. Im Distrikt Santa Croce in der Toskana alleine gibt es 240 Gerbereien, in denen über 12 000 Personen arbeiten. Es ist keine schöne Arbeit: Rohleder ist schwer, schmutzig und stinkt. Kein Wunder, werden zum Grossteil MigrantInnen beschäftigt, insbesondere aus dem Senegal.

Und die Arbeit in den Gerbereien ist gefährlich: Unfälle sind ebenso an der Tagesordnung wie Gelenkschäden wegen des Hebens der schweren Häute und Allergien oder gar Tumore, ausgelöst durch den Kontakt mit chemischen Substanzen. Einer der gefährlichsten Stoffe ist Chrom. 80 Prozent allen Leders wird heute mithilfe des Mineralsalzes Chrom III gegerbt. Das Problem: Bei oder nach der Gerbung kann es zur Bildung von Chrom VI kommen – einem krebserregenden und allergenen Stoff, der nicht nur für die ArbeiterInnen und die Natur schädlich ist, sondern auch für jene, die die Schuhe später tragen.

Tiefere Löhne als in China

Bevor ans Tragen zu denken ist, müssen aus dem Leder erst einmal Schuhe entstehen. Die arbeitsintensiven Schritte bei der Produktion von "italienischen" Lederschuhen werden oft nach Osteuropa und in die Balkanländer ausgelagert, aus zwei Gründen: Die Nähe zum europäischen Markt (im Vergleich zu den asiatischen Produktionsstätten) sorgt für kurze Lieferzeiten, und das Lohnniveau ist äusserst tief. Der neue Bericht der EvB, Labour on a Shoestring, zeigt die Realitäten in den Schuhfabriken von sechs europäischen Ländern auf. Das Hauptproblem sind die viel zu tiefen Löhne: Der gesetzliche Mindestlohn in Albanien, Mazedonien oder Rumänien liegt mit 140 bis 156 Euro pro Monat sogar unter dem von China.

Die Löhne müssten vier bis fünf Mal höher sein, damit Albanerinnen, Mazedonierinnen oder Rumäninnen – die Fabrikarbeitenden sind vorwiegend Frauen – und ihre Familien davon leben könnten. Weil viele Arbeiterinnen pro Stück bezahlt werden, arbeiten sie oft weit mehr als acht Stunden täglich, um ihre Lebenskosten halbwegs decken zu können. Oder sie verzichten aus Produktivitätsgründen auf Sicherheitsmassnahmen, die sie vor Leim und Chemikalien schützen würden. In vielen Fabriken ist es im Winter sehr kalt und im Sommer so heiss, dass immer wieder Arbeiterinnen kollabieren.

„Made in Europe“ steht also nicht per se für bessere Produktionsbedingungen als etwa jene in asiatischen Ländern. Die systemimmanenten Probleme der Bekleidungs- und Schuhindustrie – Tiefstlöhne, unbezahlte Überzeit, fehlende Arbeitssicherheit – machen keineswegs halt vor Europa. Die Schuhfirmen – auch jene aus der Schweiz – stecken noch in den Kinderschuhen, wenn es darum geht, für faire Produktionsbedingungen zu sorgen. Das zeigt die Firmenumfrage, die das Change Your Shoes-Netzwerk, das in der Schweiz von der EvB koordiniert wird, durchgeführt hat.

Die EvB fordert von den Markenfirmen und Detailhändlern, dass sie eine umfassende Due-Diligence-Prüfung vornehmen, um die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten entlang ihrer kompletten Lieferkette zu garantieren. Insbesondere müssen die Löhne sukzessive auf eine existenzsichernde Höhe hin angehoben werden.

evb