Friedrich August von Hayek und die Wiener Schule Hilfe! «Die Österreicher» kommen

Wirtschaft

Nein, nicht die Habsburger. Die viel gefährlicheren Ökonomen der Wiener Schule feiern im digitalen Zeitalter ein Comeback.

Friedrich August von Hayek im Januar 1981.
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Friedrich August von Hayek im Januar 1981. Foto: LSE Library (CC BY 3.0)

5. Juli 2015
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«Bitcoin – Geld ohne Staat» heisst ein kürzlich erschienenes Buch von Aaron Koenig. Es ist typisch für den aktuellen Zeitgeist. Der Autor ist jung und in der IT-Branche tätig. Der Inhalt beleuchtet aus deutscher Sicht, was im Silicon Valley schon länger in ist: Eine Glorifizierung der Wiener Schule der Volkswirtschaft.

Die Wiener Schule oder «die Österreicher», wie sie oft genannt werden, ist inzwischen mehr als hundert Jahre alt. Vor dem Ersten Weltkrieg und in den Zwischenkriegsjahren waren sie sehr einflussreich. Nach dem Zweiten Weltkrieg galten sie eigentlich als überholt. Das Comback wirft deshalb einige Fragen auf.

Wer sind «die Österreicher»?

Die bedeutendsten Vertreter der «Österreicher» sind die beiden Wirtschaftsprofessoren Ludwig von Mises und Friedrich August von Hayek. Sie lehrten und forschten in Wien, mussten aber, weil sie Juden waren, vor den Nazis ins Ausland fliehen. Mises verschlug es in die USA, Hayek an die London School of Economics. Zu den bekannten Vertretern der «Österreicher» gehören auch Murray N. Rothbard, Israel Kirzner und Jesus Huerta de Soto.

Sie vertreten das Ideal einer möglichst ungestörten Marktwirtschaft. Am meisten Wohlstand wird geschaffen, wenn die Wirtschaft nur durch die Preise gelenkt wird. Der Sozialstaat war für Hayek, wie er in seinem wohl bekanntesten Buch schreibt, «ein Weg in die Knechtschaft».

Ein zentrales Element der «Österreicher» ist die Geldpolitik. Sie setzen auf eine harte Währung, die durch nichts verwässert werden darf. Die Zentralbank und durch Kredit geschaffenes Fiat-Money der Geschäftsbanken lehnen sie strikte ab. Hayek plädiert gar für privates Geld, das einzig durch eine Golddeckung gesichert ist.

In dieser Frage gehen «die Österreicher» weiter als die Monetaristen, mit denen sie oft verwechselt werden. Milton Friedman, der Vater des Monetarismus, wollte mit einer Steuerung der Geldmenge durch die Zentralbank Einfluss auf die reale Wirtschaft nehmen. Hayek und von Mises hingegen vertreten die Ansicht, dass nur durch Konsumverzicht erspartes Geld zu einem nachhaltigen Kapitalaufbau führen kann.

Warum gerieten «die Österreicher» in Vergessenheit?

In den 1930er-Jahren wurde der britische Ökonom John Maynard Keynes der grosse Gegenspieler der «Österreicher». Anders als Hayek sah er die Ursache der Grossen Depression in einem Marktversagen. Hohe Arbeitslosigkeit und sinkende Löhne liessen die Nachfrage einbrechen und würgten die Wirtschaft ab. Eine sich selbst überlassene Marktwirtschaft führt daher in eine Verelendungsspirale, die nur mit Hilfe des Staates gestoppt werden kann.

Keynes sollte zunächst Recht behalten. Dank staatlichen Konjunkturprogrammen kam es nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem Boom der Weltwirtschaft. «Wir sind jetzt alle Keynesianer», erklärten daher sowohl der US-Präsident Richard Nixon als auch der deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt in den 1960er-Jahren.

Warum kommt es zu einem Comeback der «Österreicher»?

Wie die meisten Medikamente hat auch der Keynesianismus Nebenwirkungen – vor allem, wenn er exzessiv angewendet wird. Nach der Ölkrise verfiel die Weltwirtschaft in den 1970er Jahren in eine Stagflation. Darunter versteht man das gleichzeitige Auftreten von Inflation und wirtschaftlicher Stagnation.

Mit staatlichen Konjunkturprogrammen allein konnte diese Stagflation nicht überwunden werden. Vor allem die Inflation geriet ausser Kontrolle. Es kam daher zu einer neoliberalen Gegenrevolution, bei der «die Österreicher» schon eine wichtige Rolle spielten, aber nicht die Hauptrolle. Diese war zunächst den Monetaristen im Sinne von Friedman überlassen.

Jetzt aber schieben sich immer mehr «die Österreicher» in den Vordergrund. Schuld daran ist die Schuldenkrise. Das billige Geld der Zentralbanken und das durch Kredit geschaffene Fiat-Money der Banken haben zu einer Geldflut geführt, die den Menschen Angst macht. Die Vorstellung einer durch Gold oder eine andere Ware abgesicherten Währung gewinnt daher wieder an Popularität.

Warum fahren ausgerechnet die Nerds auf «die Österreicher» ab?

Die Techno-Kultur des Silicon Valley ist schon lange von den «Österreichern» mitgeprägt, hauptsächlich durch die Romane der Mises-Verehrerin Ayn Rand («Der Streik»). Kryptowährungen wie Bitcoins und Technologien wie der Blockchain verstärken nun diese Tendenz.

Bitcoins werden auch «digitales Gold» genannt, weil sie wie das gelbe Metall nicht beliebig vermehrt werden können. Die Kryptowährungen ermöglichen es daher, den alten Traum eines stabilen Warengeldes, wie es «die Österreicher» postulieren, wieder aufleben zu lassen.

Was für positive Folgen können die digitalen «Österreicher» haben?

Dezentralisierung ist das oberste Gebot der Techno-Szene, eine neue «Peer-to-Peer»-Ökonomie mit unabhängigen Kreisläufen ihr Ziel. Sie kämpfen gegen einen die Menschen bevormundenden Nanny-Staat und gegen eine allmächtige Zentralbank.

In der Theorie tönt dies gut, in der Praxis funktioniert es leider bisher noch nicht. Stattdessen besteht die Gefahr einer neuen Oligarchie, einer superreichen Elite, die gleichzeitig die Welt retten, aber auch beherrschen will. Google und Facebook sind die bekanntesten Auswüchse dieser Art.

Wo liegen die Gefahren der digitalen «Österreicher»?

Mises und Hayek misstrauen der Gesellschaft und setzen auf das vernünftige Individuum. «So etwas wie eine Gesellschaft gibt es nicht», erklärte die Hayek-Verehrerin Margaret Thatcher bekanntlich einst. Auch die digitalen «Österreicher» knüpfen an dieses Credo an. Sie wollen möglichst alles privatisieren, Schulen, Spitäler, Verkehrsmittel, selbst die Polizei und das Militär. Zentralbanken und der Staat sollten idealerweise wieder verschwinden und die Menschen in dezentralen digitalen Stämmen leben.

Das ist eine Illusion. Das lässt sich etwa am Beispiel der Altersvorsorge aufzeigen. Selbstverständlich wollen die digitalen «Österreicher» auch die staatliche Altersvorsorge wieder abschaffen. Die Folgen wären wohl verheerend. Die meisten Menschen sind nicht in der Lage, genügend Alterskapital anzusparen. Ohne staatlich organisierte Altersvorsorge und staatlich verordneten Sparzwang hätten wir eine grassierende Altersarmut.

Was ist also von den digitalen «Österreichern» zu halten?

Die dezentralisierte Techno-Gesellschaft der digitalen «Österreicher» ist der radikale Gegenentwurf zum Kommunismus – und führt genauso in die Irre. Die Vertreter eines digitalen Goldstandards erklären beispielsweise, dass Kriege auf diese Weise unmöglich werden, weil sie nicht mehr zu finanzieren seien. Die Geschichte hat dieses Argument bereits drastisch widerlegt: Der reale Goldstandard hat den Ersten Weltkrieg nicht verhindert, weil die Militärs ganz einfach die Druckerpresse angeworfen haben.

Die Wiedereinführung des Goldstandards nach dem Ersten Weltkrieg war zudem einer der grössten Fehler in der Geschichte der Ökonomie und hat direkt in die Grosse Depression geführt. Es gibt keinen logischen Grund, warum die Einführung eines digitalen Goldstandards heute nicht eine ähnliche oder noch schlimmere Katastrophe zur Folge haben würde – zumindest nicht unter der bestehenden Wirtschaftsordnung.

Philipp Löpfe / Infosperber

Dieser Artikel ist auf watson.ch erschienen.