Die Staatsschulden in Zahlen Der Schuldenstand in der EU

Wirtschaft

Über allen möglichen Grossereignissen und Stürmen im Wasserglas ist der Schuldenberg, den die EU vor sich herschiebt, etwas in den Hintergrund gerückt.

Graffiti am Bauzaun der Europäischen Zentralbank, Frankfurt am Main, Deutschland.
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Graffiti am Bauzaun der Europäischen Zentralbank, Frankfurt am Main, Deutschland. Foto: Norbert Nagel - Wikimedia Commons (Lizenz: CC BY-SA 3.0 cropped)

20. Januar 2017
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Dabei wächst er nach wie vor und entfernt sich immer weiter von den Gewinnen, die in Europa im Umsatz von Waren und Dienstleistungen (noch) gemacht werden.

Nur am Rande klingt das Thema noch an:

Italien erhält einen zusätzlichen Verschuldungsrahmen von 20 Milliarden Euro, um seinen Banksektor vor dem Kollaps zu retten. Die EZB verlängert ihr Anleihen-Aufkaufprogramm (für Staats- wie für Betriebsanleihen, angeblich sogar für Aktien). Schäuble warnt vor dem Zerbrechen des Euro.

Griechenland erfüllt seine Hilfspaket-Vorgaben nicht und wird unter Druck gesetzt, weitere Kürzungen von Pensionen und Sozialleistungen vorzunehmen. Griechische Obdachlose und Flüchtlinge erfrieren, und die Medien machen die griechische Regierung dafür verantwortlich. In Spanien muss wieder einmal eine Bank gerettet werden, und die spanischen Banken müssen nach Höchstgerichtsurteilen unrechtmässig kassierte Zinsen zurückerstatten. usw.

Die Staatsschulden in absoluten Zahlen

Die höchste Staatsverschuldung der gesamten EU weist heute Italien auf. Sie beträgt 2250,4 Milliarden, oder 2 Billionen 250, 4 Milliarden Euro. (Dagegen nehmen sich die jetzt für die Bankenrettung bewilligten 20 Mrd. sehr winzig aus.) Wenn man einen Zins von nur 1% jährlich annimmt – was sicher zu niedrig ist, da ja Italien immer höhere Zinsen als z.B. Deutschland oder Holland anbieten musste, um seine Anleihen loszuwerden – so kommt man auf einen Schuldendienst von 22,5 Mrd. Euro pro Jahr. Bei doppeltem Zins von 2% müsste Italien also 45 Mrd. Euro pro Jahr nur für Zinszahlungen aufwenden. Das wiederum heisst, dass es auf jeden Fall diese Summe als Neuschuld aufnehmen müsste. Dazu kommen noch Tilgungen der Altschuld, die ebenfalls durch Neuschulden beglichen werden müssen. Es ist also klar, dass Italiens Schuld nur wachsen kann, es fragt sich nur, bis wann? Es handelt sich immerhin um die 4-tgrösste Volkswirtschaft der EU und die 3-tgrösste der Eurozone.

Mit geringem Abstand hinter Italien folgen Frankreich und Deutschland mit 2170,8 und 2168,2 Milliarden Euro Schuld. Mit Modifikationen nach unten gilt natürlich auch für diese Staaten die Belastung durch Zinszahlungen und Tilgungen, wobei Deutschland eindeutig in der besseren Position ist, da die Bundesanleihe inzwischen als Referenzpapier am Wertpapiermarkt gilt, als eine Art sicherer Hafen, und Deutschland sich daher heute zum Nullzins, manchmal sogar zu Negativzinsen neu verschulden kann.

An 4. Stelle kommt Grossbritannien mit 2044,5 Milliarden Euro. Vor einem Jahr lag GB in absoluten Zahlen noch an erster Stelle der gesamten EU. Das Brexit-Referendum und der Fall des Pfundes gegenüber dem Euro haben GBs Schuld verringert. Daran sieht man, was für ein Vorteil es für ein Land ist, sich in seiner eigenen Währung zu verschulden.

Der Schuldendienst ist natürlich auch hier gewaltig. Bisher war es für GB kein Problem, sich Kredit zu günstigen Bedingungen verschaffen. Es bleibt abzuwarten, ob das auch in Zukunft so bleibt – ob vielleicht sogar das Pfund als Fluchtwährung gegenüber dem Euro punkten kann, und dadurch der Brexit vom Finanzkapital honoriert wird. Eine umgekehrte Entscheidung ist genauso denkbar – nämlich dass der Verfall der Eurozone das Pfund mit sich reissen wird.

Es folgt Spanien mit 1106,7 Milliarden, also fast der Hälfte Grossbritanniens. Hier muss bemerkt werden, dass Spanien lange relativ hohe Zinsen bezahlen musste, da es als Wackelkandidat galt, bis das Aufkaufprogramm der EZB den Zinsfuss drückte und die Kreditaufnahme sicherte. Man muss daher für Spanien einen höheren Zinsendienst annehmen als für D, Fr oder GB.

Hinzu kommt, dass Spanien bei statistischen Daten gerne jongliert mit dem, was es als „öffentliche Schuld“ einbekennt. Daher sind die Schulden der autonomen Provinzen und der Gemeinden kaum bis gar nicht erfasst. Das gilt übrigens für die ganze EU, wenngleich in geringerem Ausmass: Die öffentliche Schuld ist überall geschönt bzw. unvollständig aufgelistet, objektiv erfasst ist nur die in Anleihen und Schatzscheinen vorliegende eigentliche Staatsschuld.

Als nächstes folgen beinahe Kopf an Kopf Belgien mit 455,3 Mrd. und Holland mit 436,6 Schulden. Hier ist nur festzuhalten, dass die Schuld Hollands als „solide“, die Belgiens als problematisch gilt.

Die nächsten in der Reihe sind Griechenland mit 315,3 Mrd. und Österreich mit 298,8 Mrd. Euro Schulden. Hier liegen ein Problemstaat und ein Staat mit AAA-Rating beinahe Kopf an Kopf, wo aufgrund der unterschiedlichen Bevölkerungsanzahl die Pro-Kopf-Verschuldung Griechenlands mit 28.576,7 € deutlich unter der von Österreich mit 34.345,9 € pro Einwohner liegt.

Bei den folgenden Staaten Portugal mit 239,8 Mrd. und Polen mit 220,4 Mrd. ist festzuhalten, dass sich hier ein Eurozonen-Land und ein Land mit eigener und gleichzeitig abhängiger Währung miteinander vergleichen. Abgesehen von der Pro-Kopf-Verschuldung – bei Portugal 23.188 €, bei Polen 5.715 € pro Einwohner, also weniger als ein Viertel der von Portugal – handelt es sich bei der Schuld Polens um eine Schuld in zweierlei Währungen. Ein Teil der Schuld liegt in Euro vor, ein Teil in Zloty.

Um den Wechselkurs zum Euro stabil und ihre Währung konvertibel zu halten, müssen Staaten wie Polen regelmässig auf Euro lautende Anleihen auf Börsen der Eurozone begeben. Ein Teil ihrer Staatsschuld ergibt sich daher bloss aus der Währungspflege. Mit anderen Worten: sie müssen sich verschulden, um überhaupt am Weltmarkt teilnehmen zu können. Damit unterscheiden sie sich von Staaten wie Schweden oder Grossbritannien, deren Währung als Hartwährung anerkannt ist und die sie nicht durch Stützungskäufe kontrollieren müssen.

Sackt nämlich der Wechselkurs von Zloty, Forint usw. gegenüber dem Euro ab, ab, so verteuern sich nicht nur die Importe, sondern die Staatsschuld wächst im Verhältnis zur eigenen Ökonomie.

Als nächstes folgen Irland und Schweden mit 200,1 Mrd. und 196,4 Mrd. Irland weist hier die grösste Pro-Kopf-Verschuldung der Eurozone auf, mit 42.034 €. Die Schuld Irlands rührt hauptsächlich aus der Bankenrettung her, die nach dem Verfall der Immobilienpreise und der Hypothekarkredite den irischen – und in Folge auch deutschen – Banksektor bedrohte. Man kann sagen, Irland musste sich verschulden, um die Spekulationsgewinne kontinentaler Banken zu retten. Die Staatsschuld Irlands stieg von 47,2 Mrd. € im Jahr 2007 auf 215, 3 Mrd. im Jahr 2013, also um mehr als das Vierfache. Seither stabilisierte sie sich um die 203 Mrd., aber auch nur deshalb, weil Irland die Rückzahlung der Schuld aus dem Rettungsschirm bis 2038 gestundet wurde. (FAZ, 7.2. 2013) Dadurch erspart sich Irland den Schuldendienst gegenüber den Rettungsfonds. Ansonsten würde seine Staatsschuld weiter anwachsen.

Der Grund für diesen ungewöhnlichen Schritt war, dass die EU und EZB nach heftiger Kritik von innen und aussen (IWF) an den Rettungspaketen und Austeritätsprogrammen einen Erfolg und Beweis präsentieren wollte, dass die Massnahmen „greifen“ und der richtige Weg sind, um ein Land und seinen Bankensektor wieder zu sanieren. (Als der Effekt verpufft war und die restlichen Staaten weiter konkursgefährdet waren, wurde Anfang 2015 das EZB-Programm zum Ankauf von Anleihen begonnen, das bis heute läuft.)

Bei Schweden lässt sich keine annähernd so krisenhafte Entwicklung der Staatsschuld feststellen. Dabei war Schwedens Banksektor von 2008 bis 2014 aufgrund der im Baltikum vergebenen Fremdwährungskredite ausgesprochen gefährdet. Der schwedische Staat musste aber seinen Kredit nicht strapazieren, um einen Crash zu verhindern: Der IWF-Kredit zur Stützung Lettlands im Jahr 2008 und der spätere Euro-Beitritt dieses Landes 2014 halfen Schweden aus der Bredouille – aber auch Schweden ist ein Land, wo die Staatsverschuldung seit Jahren kontinuierlich wächst.

Soweit zu den Top 14 der EU-Staatsverschuldung.

Während es selbstverständlich ist, dass sich Staaten verschulden – trotz des propagandistischen Geschreis vom alles berappenden Steuerzahler – schauen alle leicht geniert weg, wenn das Kartenhaus einmal zusammenkracht, wie in Argentinien und Griechenland, und versuchen alle möglichen ausserökonomischen Gründe dafür dingfest zu machen, warum es hier schiefgegangen ist. So auf die Art: das konnte ja nicht gutgehen! Nie werden dafür Geld und Kredit ins Feld geführt, sondern immer angebliche personelle Fehlbesetzungen und Fehlentscheidungen. Einmal waren Politiker „unfähig“, dann wieder wurde irgendwer „getäuscht“ und liess sich über den Tisch ziehen, schliesslich waren Merkel & Co. umbarmherzig und bestehen auf einer „verfehlten“ Austeritätspolitik, die, wie man sieht, „nix bringt“. (Als ob die nicht schon weitreichende – verheerende – Folgen gehabt hätte, nur eben nicht im Sinne der Kreditgläubigen!)

Die Staatsschulden in relativen Zahlen

Das Verhältnis von Schulden zu Staatsschuld beruht auf einem ökonomischen Dogma, das es mit den Maastricht-Kriterien auch zu einer praktischen Anwendung gebracht hat. Dieser theoretische Unfug besagt, dass Schulden „solide“ sind, wenn sie in einem „richtigen“ Verhältnis zum Bruttosozialprodukt stehen. Dieses BIP selber ist wiederum ein sehr künstliches Produkt, in dem alle Geschäfte, die in einem Land gemacht werden, zusammengezählt werden – also auch jede Menge windige Geschäfte im Wertpapiersektor oder bei Immobilien, denen gar keine wie immer geartete Produktion entspricht. Man sollte sich sich diesen Umstand vor Augen halten, da vor 2008 grosse „Wachstums“-Zahlen verkündet wurden, denen gar keine tatsächliche Wertschöpfung gegenüberstand, sondern nur Spekulationsgewinne – deren Crash dann auf einmal als „Platzen“ einer „Blase“ besprochen wurde. Es ist also zu beachten, dass dieses BIP selber gar keine reale Grösse ist, sondern auf einer Konvention der Messung von Gewinnen innerhalb einer Volkswirtschaft beruht.

In einem Verhältnis zu diesen solchermassen gemessenen Gewinnen sollte ab damals – Dezember 1991 – die Schuldenaufnahme stehen. 60 % der gesamten Staatsschuld im Verhältnis zum BIP, und 3% jährlich Neuverschuldung – das galt als tragbar bis super. Niemand dachte damals, dass diese öffentliche Schuld problematisch werden könnte – die einzige Sorge galt damals der Inflation, die niedrig gehalten werden sollte.

Solchen Festlegungen offenbaren eine gründliche Gleichgültigkeit gegenüber der Qualität des solchermassen Gemessenen und ins Verhältnis Gesetzten. Was Wachstum und Gewinn zugrundeliegt – das Verhältnis von gewinnbringender Produktion, Verkauf und Zahlungsfähigkeit – und worauf die Schulden eines Staates beruhen; ob ein Land Standort oder Markt für Importware ist, und in was für einem Geld dort gezahlt und Schulden gemacht werden – all das ist gelöscht in dem blossen Verhältnis von Quantitäten. Daraus ergibt sich auch die Dummheit und Sattheit, mit der angenommen wird, durch die Festlegung eines solchen Verhältnisses monetäres Gleichgewicht und wirtschaftlichen Erfolg hervorrufen zu können.

Dementsprechend die Ratlosigkeit, als dieses ganze Zahlenspiel zerbröselte.

Die Staaten und ihre Schulden

Das Land, das die höchste Verschuldung im Verhältnis zum BIP aufweist, ist bekanntermassen Griechenland. Die Schulden betragen offiziell 179,2 % des BIP. Dem liegt ein Rückgang des BIP von 2008-2016 von 356 auf 196 Mrd. US-Dollar zu Grunde. (Es ist bemerkenswert, dass eine offizielle Statistik-Website der EU das BIP in US-$ misst.) Das ist ein Rückgang fast auf die Hälfte. Gleichzeitig wuchsen die Schulden in absoluten Zahlen von 2005 bis 2011 von 195 Mrd. € auf 355 Mrd. € an, dann kam der Schuldenschnitt und seither dümpeln sie zwischen 310 und 315 Mrd. Euro herum. Es ist nicht ganz klar, wie sich die 179 % der Überschuldung errechnen, weil das errechnete BIP für 2015 sind 196 Mrd. $ = (beim derzeitigen Kurs von 1,6 $ pro Euro) 122,5 Mrd. €. Die angegebenen Schulden von 314 Mrd. € würden 256% des BIP ausmachen.

Das Land mit der 2-thöchsten Verschuldung zum BIP ist Italien mit 135,5%. Italiens BIP ging seit 2008 unregelmässig zurück, von 2,402 Mrd. auf 1.852,5 Mrd. US-$. Die Verschuldung stieg gleichzeitig von 1,671,2 auf 2,214,2 Mrd. €. Wenn man jetzt wieder die Dollar in Euro umrechnet, so stehen einem BIP von 1.157,8 Mrd. € Schulden von 2.214,2 Mrd. gegenüber, was fast 200% Überschuldung ausmacht.

Entweder die Statistik-Website statista.com ist völlig daneben, oder die Zahlen für Überschuldung sind nach unten zurechtfrisiert und die ganzen Wirtschaftsfachleute und Politiker verlassen sich darauf, dass nie jemand nachrechnet.

Ähnlich verhält es sich beim dritthöchst verschuldeten Staat der EU, bei Portugal. Hier steht einer behaupteten Verschuldung von 131,7% eine errechnete von 185% gegenüber.

Und so weiter. Selbst wenn man sich auf die offiziellen Zahlen bezieht, die auf der deutschen Statistik-Seite angeführt sind, so lässt sich feststellen, dass gegenüber den in Maastricht festgelegten Konvergenzkriterien von 60 % Überschuldung auch die geringeren Defizite von anderen Staaten längst aus dem Ruder gelaufen sind. Von den 27 Mitgliedsstaaten der EU erfüllen nur 10 diese Kriterien, von denen der Eurozone gar nur 5: Luxemburg, die Slowakei und die 3 Staaten des Baltikums.

Gleichzeitig, und das grenzt schon an Kabarett, beschweren sich die EZB und verschiedene Wirtschaftsweise und sonstige Experten darüber, dass die EU trotz aller Geldschwemme keine ordentliche Inflation hinkriegt!

Fazit

Abgesehen davon, dass sich an der Debatte um die Schulden die Bodenlosigkeit und Begriffslosigkeit der heute gelehrten und geglaubten Wirtschaftswissenschaft offenbart – was lässt sich aus diesen Zahlen herauslesen? Erstens, dass viel mehr Ansprüche auf Gewinn innerhalb der EU erwachsen sind, als sich aus dem laufenden Geschäft auch nur annähernd befriedigen lassen. Zweitens, dass dieser Umstand dem Finanzkapital nur begrenzt Kopfzerbrechen bereitet – es setzt weiter auf die Kreditierung von Souveränen, wenngleich wesentlich selektiver als vor der Finanzkrise von 2008. In einem bemerkenswerten Einvernehmen zwischen Politikern, Notenbankchefs und dem privaten Finanzsektor scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass Kredit durch neuen Kredit beglaubigt wird und beglaubigt werden muss.

Der gleiche Grund, warum gegenüber manchen Staaten Misstrauen angesagt ist, wird gegenüber den angeblich „soliden“ Schuldnern in Anschlag gebracht: das Finanzkapital beruht heute zu einem guten Teil auf der öffentlichen Schuld, ihre Aufkündigung wäre das Ende des Geldsystems, und des Weltmarktes. Die Dialektik von Vertrauen gegenüber den USA und Deutschland und Misstrauen gegenüber Griechenland und Argentinien ist die Verlaufsform, in der das Festhalten an der Kreditierung von Staaten bekräftigt wird.

Amelie Lanier

Anmerkung

Quelle für die Schuldensummen: de.statista.com, für die Bevölkerungszahlen: Wikipedia