Die Querfront der „anarchistischen“ Szene Den Strich ziehen – „Nationalanarchismus“

Politik

Bei Telegram gibt es seit 6.8.2018 einen Kanal zum sogenannten „National Anarchist Network“.

Den Strich ziehen – „Nationalanarchismus“.
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Den Strich ziehen – „Nationalanarchismus“. Foto: Mario Sixtus (CC BY-NC-SA 2.0 cropped)

15. September 2020
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Was sich hauptsächlich als Ausdruck verwirrter Köpfe im Internet präsentiert, sollte bei den 400 Abonnenten vielleicht nicht der Rede wert sein. Allerdings sind die Zeichen dann doch allzu deutlich: Zunächst lachst du über diesen völlig verdrehten Schwachsinn – dann aber landest du im tiefsten und widerlichsten braunen Esoteriker-Sumpf, nämlich bei Peter Töpfer, der sich laut Selbstauskunft von 1999 bis 2006 dem „Nationalanarchismus“ widmete. Seiner Homepage leicht zu entnehmen ist, dass Töpfer den Irrationalismus zum Programm gemacht hat.

Dem Wahnsinn einer Gesellschaft, welche massive Zerstörung von Leben und menschlicher Gemeinschaftlichkeit hervorbringt, auf Gewalt und Zwang beruht, kann jedoch nicht damit begegnet werden, selbst wahnsinnig zu werden und dies zu propagieren, wie Töpfer es seit Jahren tut. Das eigene wahnhafte Weltbild jedoch zur (unterdrückten, unverstandenen, ausgegrenzten) Wahrheit zu erklären und alle anderen der Verblendung, dem Mitläufertum und der Verschwörung zu bezichtigen, ist jene esoterisch-verdrehte Herangehensweise aller Verschwörungsideolog*innen und bildet damit den Kitt der Querfront, welche ja nicht aus „Linken“ und „Rechten“ besteht, sondern aus grundlegend verwirrten Personen und Nazis.

Nun ist es äusserst problematisch, das Label der psychischen Störung auf die politischen Feind*innen anzuwenden, im Wissen darum, dass dies umgekehrt genauso von diesen getan wird, vor allem aber vom hegemonialen Diskurs, in welchem der Anarchismus als genauso gestört diffamiert wird, wie die widerliche Scheisse, welche sich unter anderem unter dem Label des „Nationalanarchismus“ eine imaginäre Gemeinschaft erschafft. Dennoch fehlen mir die Worte, um diesen offensichtlichen Schwachsinn anders, denn als solchen zu bezeichnen.

Damit zu den inhaltlichen Punkten:

Der Anarchismus ist von seiner Entstehung her vom aufklärerischem Denken durchdrungen. Wenn man ihn kritisieren sollte, dann für seine Wissenschaftsgläubigkeit, die mit einem zunächst ungebrochenen Glauben an die Aufklärbarkeit und den sozialen Fortschritt der Menschheit verbunden war. Dies ist zu relativieren. Es gibt auch andere Rationalitäten, als jene der westlichen Moderne. Geschichte verläuft nicht gradlinig und gesetzmässig, sondern irregulär und als Produkt sozialer Auseinandersetzungen.

Im sogenannten „Nationalanarchismus“ wird hingegen die Irrationalität gefeiert. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Bezugnahme auf „Stämme“, den „Tribalismus“ – welche pseudokritisch als vermeintlich ursprüngliche Gemeinschaft gegen den Nationalismus der Moderne angebracht wird. Wie beim ganzen Neuheidentum und Germanenfetischismus der braunen Esos handelt es sich um leicht zu durchschauende, billige Konstruktionen, welche meines Empfindens nach schlichtweg peinlich sind. Für ihre Anhänger*innen erzeugen sie hingegen den Mythos von Ursprünglichkeit, Eigentlichkeit, Festigkeit in einer komplexen und widersprüchlichen Welt. Beim Kanal der „Nationalanarchisten“ ist alles dabei: Sonnenwendfeiern, Odin und Runenkitsch.

Ins Auge fällt allerdings, dass die Idioten dann doch immer wieder bei der Nation und dem deutschen Volk herauskommen – welches sie dann auch glauben, gegen den Staat zu stellen. Dies ist falsch. Was sich vorgestellt wird als „deutsches Volk“ - stammesmässig und über der dergleichen Fiktionen begründet - ist ja erst Produkt des Prozesses der Nationalstaatenbildung zwischen dem 16. und 20. Jahrhundert. Auch hierbei offenbart sich der grundlegend ahistorische Charakter der gesamten nationalanarchistischen Konstruktion.

Der Anarchismus hingegen ist eine explizit antinationale soziale Bewegung, welche sich dezidiert gegen die modernen Nationalstaaten und ihre Folgeerscheinungen wie Imperialismus, Weltkriege, Grenzziehungen und homogenisierte Zwangskollektive, richtete. Es kann keinerlei logische Verbindung zwischen Anarchismus und Nationalismus geben.

Tatsächlich wendeten sich Anarchist*innen und andere Antiautoritäre gezielt gegen den Rückzug der sozialdemokratischen Parteien auf die Nation als Referenzraum, ab den 1890ern, die schliesslich in die Zustimmung vieler sozialistischer Politiker zum Ersten Weltkrieg mündete. Aus diesem Grund wird sich das skurrile Gemengelage des „Nationalanarchismus“ auch in rechten Strömungen nicht breiter durchsetzen, denn diametrale Pole lassen sich nur scheinbar versöhnen, wenn wiederum allzu grosse Abstriche beim Alltagsverstand gemacht werden.

Die Querfront angeblich von der „anarchistischen“ Seite her aufzuziehen bedeutet für die „Nationalanarchisten“ verschiedene Quellen kontextlos zu zitieren und nebeneinander stehen zu lassen. Zitate von Bakunin, besonders aber Thoreau oder Erich Fromm, werden neben jene vom faschistischen Evergreen Ernst Jünger gestellt. Die Querfront, welche sich „anarchistisch“ dünkt, bezieht sich dahingehend auf Leute wie Rainer Mausfeld, einem von der Kritischen Theorie und Sozialpsychologie her kommenden Herrschaftskritiker, welcher sich jedoch nicht zu Schade (respektive zu verblendet) ist, bei Ken FM zu diskutieren. Für viele, die nicht die Zeit haben, sich intensiv mit politischen Ideologien zu beschäftigen oder in einer politisierten Gemeinschaft leben (z.B. indem sie Klassenbewusstsein entwickeln), bleiben diese Vermischungen von Positionen schwer zu durchschauen.

Die Referenz auf Nietzsche, die Kritik am „verweichlichenden“ und zugleich „grausamen“ Christentum und Anleihen bei der Tierrechtsbewegung dürfen dabei natürlich nicht fehlen. Wenig überrascht, dass auch der Zivilisationskritiker John Zerzan zitiert wird. Hierzu kann man geteilter Auffassung sein. Dennoch handelt es sich um den Versuch der Adaption einzelner anarchistischer Positionen. Dabei tut sich eine eindeutige Schnittmenge mit der Anthroposophie auf, sei es, was biologische Landwirtschaft oder was alternative Heilkunde angeht. Nicht ohne Grund sind bei den Querfront-Protesten gegen die Massnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie überproportional viele Leute aus diesen Kreisen dabei.

Um sich davon abzugrenzen, gilt es allerdings auch für Anarchist*innen sich deutlicher zu positionieren. Beispielsweise wird ein Zitat von Rudolf Steiner gepostet, welcher leugnet, dass Viren Krankheiten verursachen. Nun ist die Verbindung von Faschismus und Esoterik ja keine neue, sondern ganz im Gegenteil eine althergebrachte, man könnte fast sagen „ursprüngliche“. Umso mehr gilt es einen Keil zwischen faschistisch-esoterischen und potenziell emanzipatorisch-kritischen Alternativbewegung zu schlagen, um zu trennen, was nicht zusammen gehört.

Der vermeintliche „Nationalanarchismus“ ist ein logischer Widerspruch in sich. Dies zeigt sich in Hinblick auf das Verständnis von Rationalität und Moderne, auf den Nationalstaat und Geschichte, auf die Esoterik und Alternativbewegungen. Anarchist*innen haben mir dieser Gruppe Querfrontler nichts gemeinsam. Deren Vereinnahmung kontextloser anarchistischer Versatzstücke, ihre Feier des (barbarischen) Individuums, ihre Betonung von (stammesmässiger, imaginärer) Gemeinschaft, sollten darüber nicht hinwegtäuschen. Zu viel Aufmerksamkeit sollte den „Nationalanarchisten“ nicht gezollt werden. Was sie können ist im Wesentlichen Memes, wirre Assoziationen und ein gefaktes Zugehörigkeitsgefühl zu produzieren.

Doch Anarchist*innen sind tolerant. So wäre es durchaus vorstellbar, eine „nationalanarchistische Zone“ einzurichten, in welcher diese Leute dann mit Fellen bekleidet, ihre Sonnenwendfeiern abhalten und die Bilder davon auf Instagram oder sonstwo posten können, bis möglicherweise eine Epidemie ihren Stamm dezimiert. Klar, sie wäre natürlich nur „anarchistisch“, wenn auch alle Bewohner*innen freiwillig dort wären. Wer aus dem Live-Rollenspiel jedoch aussteigen will, dem würde dafür jede Möglichkeit geboten werden. Die Auffrischung der Geschichtskenntnisse in einem Kurs und die Herausbildung einer stabilen Persönlichkeit, mit welcher gesellschaftliche Widersprüche ausgehalten werden können, wäre jedoch obligatorisch.

Jonathan Eibisch