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Mark Fisher: Capitalist Realism | Untergrund-Blättle

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Sub-Realistic Fatalism - Ein nachträglicher, polemischer Kommentar Mark Fisher: Capitalist Realism

Politik

„Is there no alternative to capitalism“, fragte sich der kulturkritische Denker Mark Fisher 2009 im Untertitel seiner weit verbreiteten Flugschrift Capitalist Realism.

Mark Fisher in Amsterdam, November 2014.
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Mark Fisher in Amsterdam, November 2014. Foto: Institute of Network Cultures (CC BY-SA 2.0 cropped)

2. August 2022
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Der zaghafte Antwortversuch ist so richtig wie unkonkret: Es bräuchte ein neues politisches Subjekt, welches den Staat nicht übernehmen, sondern jenen – entgegen dem fast total Interesse des Kapitals – einem neu zu formierenden Allgemeinwillen unterwerfe. Im Endeffekt geht es damit also um eine Art sozialdemokratisches Projekt für das 21. Jahrhunderts, das mit kommunistischer Sehnsucht gefüttert wird. Dass jenes unrealistisch erscheint, liegt jedoch nicht allein an der Integration herkömmlicher Organisationen in sozialistischer Tradition. Noch liegt es darin begründet, dass es eben doch keine „Hoffnung“ mehr auf Veränderung geben könne. Vielmehr ist das Fisher'sche Transformationsdenken insgesamt als verkürzt zu betrachten.

Zweifellos schreibt der Autor kluge Dinge über die systematische Produktion von Hoffnungslosigkeit durch die Kulturindustrie, vor allem anhand von Filmen illustriert, welche zwar Kapitalismus schonungslos thematisieren, zugleich jedoch mit jeder Perspektive auf ein Ausserhalb zynisch brechen. Für Leute, die sich gern mit Sozialpsychologie bzw. psychoanalytisch inspirierter Gesellschaftstheorie beschäftigen ist das kleine Büchlein ebenfalls nett zu lesen. Allerdings sollte der Warnhinweis darauf abgedruckt werden, dass die Lektüre vorhandene Depressionen verstärken könnte. So viel neoliberale, auf die individuellen Konsument*innen heruntergebrochene, Gesundheitsfürsorge sollte schon sein!

Abgesehen davon, dass Fisher Slavoj Žižek in Erwähnungen ziemlich in den Arsch kriecht, was ich an sich schon peinlich finde, scheint sein Gedankengang doch vor allem einer Selbstbearbeitung zu entsprechen. Und dies ist völlig legitim – sollte dann aber transparent gemacht werden. Nachvollziehen kann ich, dass einen die Tätigkeit als Universitäts-Lehrer an einer neoliberalen Uni schier in den Wahnsinn treiben kann, angesichts der unkritischen, zugleich permanent gestressten und gelangweilten Studierenden, die als Produkte eines durchkapitalisierten Systems keine Vorstellung mehr von Widerstand gegen es entwickeln. Was ihnen nicht individuell vorzuwerfen ist, denn psychische Erkrankungen haben nachweislich stark zugenommen in den letzten dreivier Jahrzehnten. Dies zu thematisieren, in die Analyse und Bestrebungen einzubeziehen, muss Aufgabe eines emanzipatorischen Projektes heute sein – auch darin ist Fisher zuzustimmen.

Letztendlich ändert dies aber nichts daran, dass es sich um eine Verelendungstheorie des 21. Jahrhunderts handelt. Würden die deformierten Subjekte westeuropäischer Gesellschaften ihrer Entfremdung ernsthaft begegnen, entstünde möglicherweise ein kritisches Bewusstsein, dass Widerständigkeit und Handlungsfähigkeit nährt – so scheint mir der hinter allem Fatalismus verborgen Ansatz zu sein. Die Wahrheit über die eigene Situation zu erkennen, ist die Voraussetzung dafür, um sie verlassen zu können, statt in ihr verhaftet zu bleiben, z.B. durch Kiffen, sinnlose Serienschauen oder Fastfood.

Wie alle geupdateten orthodoxen Marixist*innen hält Fisher aber eine Wahrheit für die Wahrheit schlechthin – und das ist seine. Damit handelt es sich – trotz des Gehalts seiner Analyse – um eine subjektiv gefärbte Weltsicht. Mit dieser lädt er alle zynisch-fatalistischen Linken ein, einen systemischen Grund für ihre Passivität anzugeben: Es ist der kapitalistische Realismus, der alles überformt und aus dem es eigentlich keinen Ausweg gibt, da er auch den Widerstand gegen ihn, integrieren kann.

So weit so richtig. Wer sich also sehr klug fühlen, dabei nichts verändern und jegliche Veränderungsbestrebungen als verkürzt, widersprüchlich, unzulänglich und sinnlos abtun möchte, findet bei Fisher viel Inspiration für die eigene Bequemlichkeit und Lethargie. Dass sich Menschen weltweit selbst organisieren und täglich für ein Leben in Würde kämpfen, kann damit als blosse Oberflächenerscheinung abgetan werden. Damit wird allen, die aufbegehren, abgesprochen, handelnde Subjekte zu sein. Denn nichts genügt der post-orthodoxen marxistischen Doktrin für die Projektion ihrer Sehnsüchte auf das per Definition unerreichbare Ganz-Andere.

Wie angedeutet ist sicher nichts dagegen einzuwenden, dass Fisher zwei Jahre vor seinem Selbstmord so ein Buch geschrieben hat. Zu denken geben sollte allerdings dessen anhaltende Popularität bei sich für intellektuell haltenden Linken. Ist eine Perspektive, welche Menschen nur als Produkte abstrakter gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse ansieht wahrer als eine, welche andersherum von ihrem Handeln ausgeht und sie – trotz allem – für fähig hält, für die grundlegende Veränderung ihrer Lebensbedingung zu kämpfen? Ich denke nicht. Vielmehr scheint der orthodox-marxistische Realismus Teil der kritisierten Hoffnungslosigkeitsmaschine zu sein, statt intellektuelle Werkzeuge zu ihrer Sabotage zur Hand zu geben.

Jonathan Eibisch

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