Wie wir den Faschismus des postfaktischen Zeitalters bekämpfen sollten Lachen und Politik

Politik

Die AfD im Bundestag, Hetze im Netz an der Tagesordnung. Sollte uns das Lachen vergehen, ist der Kampf gegen den Faschismus verloren?

Street Art aus Marseille.
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Street Art aus Marseille. Foto: x1klima (CC BY-ND 2.0)

14. Februar 2018
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Nein, denn Affekte sind gut, auch in postfaktischen Zeiten. Der Theatermacher und Berliner Gazette-Autor Alexander Karschnia holt aus und schlägt zu: Gegen sinnlose Ideologiekritik, billige Affekt-Hascherei und den soldatischen Mann. Ein Appell für einen aktiven, affektiven, affirmativen Antifaschismus:

Ich fürchte, eine sehr alte Frage ist gerade wieder sehr aktuell: Warum kämpfen Menschen für ihre Knechtschaft als ginge es um ihr Seelenheil? Das ist die Frage seit Spinoza, vielleicht der erste wirklich freie Geist in Europa, lange Zeit geächtet als Atheist oder Pantheist. Er wurde immer wieder wiederentdeckt, nicht zuletzt durch Deleuze & Guattari. Aber auch Hardt & Negri verdanken ihm viel. Ihren zentralen Begriff multitude (des und der Vielen) und die Idee einer „absoluten Demokratie“. Sie preisen die Liebe als schöpferische Leidenschaft und feiern die Demokratie als lebendigen Gott.

Was macht diese spinozistischen Spinner so interessant? Vielleicht der Versuch, konsequent immanent zu denken. Der politischen Theologie entkommt man nicht, aber man kann sich entscheiden zwischen einem Modell der Transzendenz à la Carl Schmitt: Gott, bzw. der Staat als sterblicher Gott schwebt losgelöst über der Gesellschaft. Oder der Immanenz: die göttliche Substanz ist in allem (Spinoza).

Denn es gibt auch eine „Theologie des Theaters“, sie beginnt mit der Trennung von Körper und Geist. Doch „wer sagt, der Geist übe Herrschaft über den Körper aus, weiss nicht, was er sagt“ – sagt Spinoza. Gleich zu Beginn seiner Affektenlehre steht der betörend schöne Satz: „Freilich, was der Körper vermag, hat bisher noch niemand festgestellt…“ Spinoza selbst definiert den Körper als Macht, zu affizieren und affiziert zu werden. Beides zugleich und das macht diese Definition so interessant, denn sie ist vor allem eines nicht: repräsentativ.

Der Körper ist kein Schauspieler

Kein X, das uns ein U vormachen will, sondern ein X, das U affiziert und dabei selbst von U affiziert wird. Der Körper mag vieles sein, aber eines ist er mit Sicherheit nicht: Er ist kein Schauspieler. Der Körper spielt kein Theater, wenn Theaterspielen schlicht heisst: ein A spielt eine Figur B vor einem C vor. Im Verhältnis von Körper und Geist verhält es sich eher so, dass ein A (der Körper) vor einem B (dem Geist) den A spielt, damit der B den B spielen kann – wobei der B nicht bemerkt, dass er gerade den B spielt, während der A genau weiss, dass er den A nur spielt, damit der B der B bleiben kann.

Spinoza war der erste, dessen Denken diese dualistischen Schemata subvertiert hat – damit ist er auf der Höhe der Zeit, bzw. unsrer Zeit voraus, die sich wieder in solch einem Denken in schlichten Oppositionen einrichten möchte – nicht nur im Theater. Das Ärgerliche daran ist, dass es denjenigen, die so denken nicht nur um Ästhetik geht, sondern ums grosse Ganze: um Politik. Und sie machen damit auch Politik. Sie greifen uns, die Freie Szene, das performative Theater an – werfen uns Populismus vor, vergleichen uns also mit Typen wie Trump. Die Begründung: Auch wir seien gegen Repräsentation.

Dabei geht ihnen nicht nur um eine, sondern um die Kritik des Theaters – so der erste Titel eines polemischen Buches, das diesen Kulturkampf gegen die Freie Szene eröffnet hat. Aber schon Marx hat einen Text mit dem Titel Kritik der kritischen Kritik geschrieben – gegen die Junghegelianer. Natürlich blieb auch er Hegelianer, weshalb dann Denker wie Deleuze wiederum auf Spinzoa zurückgriffen für eine „Kritik der kritischen Kritik“, einer Kritik der Ideologiekritik, der es eben nicht gelingen will zu sagen, warum die Menschen für ihre Knechtschaft kämpfen.

Aufguss alter Debatten

Was wir jetzt erleben ist ein öder Aufguss älterer Debatten, Stichwort: neue Realismus-Debatte. Zitat: „Es gibt eine Realität und wir können sie erkennen.“ AMEN. Es ist ein Denken in Zeichen – und überall, wo Zeichen sind, bedarf es der Zeichenleser, Übersetzer – Dramaturgen, die sich berufen fühlen, auch die Zeichen der Zeit zu deuten und Auskunft zu geben, wie es dazu kommt, dass hierzulande so viele Menschen auf die Strasse gehen, rechtsextreme Parteien wählen usw.

Dabei geht es dann nicht um das, was die Menschen selbst sagen, sondern immer um etwas anderes. Es geht nicht um Nationalismus und Rassismus, sondern um Neoliberalismus usw. Diese Art von Ideologiekritik hat der Linken noch nie gut getan, da man so nicht verstehen kann, warum Menschen für ihre Knechtschaft kämpfen statt gegen sie. Die Menschen hätten ihre wahren Interessen nur noch nicht erkannt, seien getäuscht worden, besässen kein „richtiges“, sondern „falsches Bewusstsein“. Nun ist Bewusstsein immer falsch, wenn es im Gegensatz steht zum Unbewussten, zur Emotionalität, zu den affektiven Zuständen des Körpers.

Spinozas Ethik weist einen andren Weg zu einem affektiven Rationalismus, der nicht von einer Trennung zwischen Körper und Geist ausgeht, sondern von Affektionen zwischen Körpern: über Eindrücke, körperliche Spuren und Vorstellungsbilder – eine imaginäre Bewegung. Phantasie nicht als Gegensatz zur Realität, sondern als Weg dorthin und wieder zurück, als Verbindung zwischen Körpern. Selbsterweiterung statt Rückzug in die eigenen Grenzen.

Da bedarf es der Kraft der Affirmation. Um es mit Spinozas Begriffen zu sagen: Affekte, die unsere Aktivität steigern statt reduzieren. Und er selbst sagt: „Freude ist an und für sich nicht schlecht, sondern gut; Traurigkeit hingegen ist an und für sich schlecht.“ (Ethik, 41. Lehrsatz des IV. Teils) Beweis: Freude ist ein Affekt, durch welchen das Tätigkeitsvermögen des Körpers vermehrt oder gefördert wird; Traurigkeit hingegen ein Affekt, durch den Tätigkeitsvermögen des Körpers vermindert oder gehemmt wird; und folglich ist Freude an und für sich gut w.z.b.w.

Die Todesangst der Nazis vor dem Orgasmus

Das bedeutet aber nicht, dass die Zirkulation von Affekten fröhlich ist. Niemand kennt im Voraus die Affekte, derer er oder sie fähig ist. Im Affekt ist man nie alleine. Er führt in eine offene Situation, in ein Werden. Von Aussen kommend – von jenseits der Bühne, Buchseite oder Leinwand – führt er nach Draussen und führt uns dabei vor, dass es kein Innen gibt. Er zeigt, dass das Innen, die Bühne im Saal, eine künstliche Anordnung ist, die durch Ausschluss zustande gekommen ist.

Das unterscheidet sie von der herkömmlichen Psychoanalyse, die den Affekten zwar Raum geben will, sich dabei aber auf die Suche macht nach Ursache, Verantwortung, Identität, Bewusstwerdung. Und die führt zwangsläufig nach Innen – wie in das Innere eines Theaters. Gegen diese Analogie zwischen Psychoanalyse und Theater haben Denker wie Deleuze aufbegehrt: Warum dieses Theater, warum der Rückgriff auf Repräsentation? Warum setzt Freud das Unbewusste so in Szene, statt Es (grossgeschrieben) als eine Fabrik zu beschreiben, in der etwas produziert wird?

Das, was dort produziert wird, ist Realität. Es gibt kein Realitätsprinzip, nur Realitätsproduktion. Wunschproduktion und gesellschaftliche Produktion lassen sich nicht trennen, schreiben Deleuze & sein Ko-Autor, der Psychiater Felix Guattari in ihrem Buch Anti-Ödipus. Das bedeutet nicht, dass die Wunschproduktion immer fröhlich ist.

Wilhelm Reich, der Dissident der internationalen psychoanalytischen und kommunistischen Bewegung, ist der einzige, der konsequent auf Apologie durch Ideologie verzichtet hat: Die Massen sind nicht getäuscht worden, sie haben nicht die Lage verkannt, sie haben in diesem Augenblick und unter diesen Umständen den Faschismus gewünscht. Die Machtergreifung der Nazis war keine Machtergreifung. Es war eine Machtübertragung, eben auch durch die Massen, denen seine Partei, die KPD, eine andere Aufgabe vorgesehen hatte, nämlich die Abschaffung der Herrschaft des Menschen durch den Menschen. Und nicht seine Verabsolutierung.

Warum? Die Nazis hatten „Todesangst vor dem Orgasmus“, schreibt Reich. Damit verbleibt er innerhalb der Repressionstheorie. Die Frage bleibt unbeantwortet: Warum begehrt das Begehren seine eigne Unterdrückung? Die Antwort: Weil selbst das Begehren nach der eignen Unterdrückung noch – ein Begehren ist. Und – es gibt nichts ausser dem Begehren, also: lieber die Unterdrückung begehren als das Begehren zu unterdrücken. Statt die Knechtschaft nur zu erleiden, kämpft man für sie.

Die Realität des Faschismus

Die Macht wirkt eben nicht nur repressiv, sondern auch produktiv. Und was produziert wird, ist Realität. „Wenn wir akzeptieren, dass es eine faschistische Art und Weise gibt, die Realität zu produzieren und diese dabei als eine in bestimmter Weise entstellte Form der Wunschproduktion ansieht,“, schreibt Klaus Theweleit, „dann ist eine Auseinandersetzung mit dem Faschismus deshalb so dringend nötig, weil er dann als ständig präsente oder mögliche Form der Produktion des Realen unter bestimmten Bedingungen auch unserer Produktion sein kann und ist.“ (1. Band Männerphantasien).

Ein Buch über den autoritären Charakter in seiner widerlichsten Form: den soldatischen Mann. Den Typ des Konterrevolutionärs, des aktiven Faschisten. Er hat reihenweise Autobiographien dieser Tätertypen studiert und dabei ist ihm aufgefallen, dass eine Psychoanalyse des faschistischen Terrors nicht auf die Freudschen Modelle bauen kann. In der Lektüre ihrer Berichte wird man zum Zeugen von affektiven Köperzuständen, wie ein kompletter Kollaps nur verhindert werden kann durch extreme Gewalt.

Es zeigt sich, je intensiver ihnen Leben (Affekte, Emotionen) entgegen treten, desto aggressiver greifen sie an und versuchen, sie unschädlich zu machen (Spannungsabfuhr). Dabei fällt auf: Es wird nicht(s) verdrängt. Gewaltphantasien werden offen geschildert, oft direkt vor oder nach der Begegnung mit Frauen (die meistens namenlos bleiben). Es ist, als ob das Unbewusste unmittelbar aus ihnen spräche – keine Personen, sondern Zustände der Wahrnehmung, Affektintensitäten, die vom Bewusstsein nicht verarbeitet werden: z.T. halluzinatorische, rauschartige Zustände.

Das wiederum eine sehr aktuelle Erfahrung. Ein Blick auf die Kommentarspalten im Netz zu einschlägigen Themen wie Flüchtlingskrise, weiss das.

Lachen und Gesellschaft

Das Neueste Buch von Klaus Theweleit heisst „Das Lachen der Täter“ – hier vergleicht der den Massenmörder Anders Breivik, den er als „frei-flottierenden SS-Mann“ bezeichnet, mit den dschihadistischen Tätertypen (Breivik selbst könnte mit gleichem Recht auch als nordisch-christlicher Dschihadist beschrieben werden – und die Dschihadisten als frei-flottierende SS).

Dabei ist ihm das Lachen aufgefallen als eine Gemeinsamkeit. Das Lachen ist eine ambivalente Form der Spannungsabfuhr, sie kann sowohl extrem gewaltförmig sein (so haben sie z.B. Adorno & Horkheimer beschrieben), als auch von Gewalt befreiend. Am Tag nach der Bundestagswahl konnte man es als Triumphgeheul auf der Dresdner Pegida-Demo vernehmen.

Vor diesem Hintergrund ist es von einer unheimlichen Aktualität über die „Lachkultur der Renaissance“ (Karneval usw.) zu hören, das Lachen sei kein Teil der Gesellschaft, sondern Ausdruck der Unsicherheit, was Gesellschaft überhaupt sein könnte.

Ein „Verlust jeglicher Sicherheit“ (Claude Lefort) – das ist unsere Erfahrung: Es ist einerseits die Erfahrung der Demokratie, der grundlose Grund, auf dem die Demokratie beruht – wird dieses Fehlen jedes Fundaments allerdings als Vakuum empfunden, droht die Gefahr des Faschismus.

„Nichts ist wahr, alles ist möglich“

Die ungeheure psychologische Anziehungskraft, die der Nazismus ausübte, rührte weniger von seinen falschen Versprechungen, befand Hannah Arendt, sondern von seiner unverhohlenen Anerkennung dieses Vakuums. Daher – und nicht aufgrund einer „Täuschung“, Verkennung oder Illusion – rührt der Erfolg ihrer Propagandalügen.

Das faschistische Begehren emanzipiert sich vom so genannten „Realitätsprinzip“. Das merkt man an der geringen Wirksamkeit der Aufklärungsarbeit von Faktencheckern, die gegen fake news anzugehen versuchen. Auch gegen die Attraktivität von post-truth politics, die versucht, die Unterscheidung von Wahrheit und Lüge aufzuheben, lässt sich schwer angehen. Hannah Arendt hat das mit der Formel beschrieben: „Nichts ist wahr, alles ist möglich.“

Das ist der Nihilismus: eine Ideologie ohne Inhalt, die leere Bereitschaft, alles zu glauben und zugleich darauf gefasst sein, im nächsten Moment zu erfahren, dass nichts davon stimmt. Diese Geisteshaltung entspricht den prätotalitären Realitäten, sie entspringt dem Gefühl eines Vakuums. Man kann also sagen, so Hannah Arendt weiter, dass der Faschismus der alten Kunst zu lügen gewissermassen eine neue Variante hinzugefügt hat – die teuflischste Version, die man sich vorstellen kann: das Wahrlügen.

Kunst und Lügen

Hannah Arendt hat viel nachgedacht über die Lüge in der Politik und sie ist zu dem Schluss gekommen, dass die Lüge in der Politik und der Impuls, Kunst zu machen, derselben Wurzel entstammen. Doch während fake news versuchen, durch Wahrlügen Reales zu produzieren, verläuft der künstlerische Impuls in die andere Richtung: Durch die Lüge, die Erfindung, das Als-Ob die Wahrheit sagen.

Es geht darum, die Imagination zu nutzen und Affekte zu mobilisieren. Darin besteht ihre schwache Kraft: Sozialen Medien wie Facebook dagegen sind „Affektindustrien“. Sie nutzen das, was Spinoza als „Affekt-Imitation“ beschrieben hat. In diesem Sinne interpretiert Spinoza auch die Geschichte des Sündenfalls: Die Menschen essen vom Baum der Erkenntnis und beginnen, die Affekte der Tiere nachzuahmen.

Bis dahin waren sie frei, sie hatten keinen Begriff von Gut oder Böse. Spinoza geht davon aus, dass wir diesen Zustand wieder erreichen könnten, einen Zustand der „Glückseligkeit“. Doch selbst wenn wir davon ausgehen, dass uns der Garten Eden für immer verschlossen bleibt und Demokratie niemals „absolut“ sein wird, bleibt die Erkenntnis, dass sich eine „Politik des Affekts“ (Brian Massumi) nicht auf eine Ratio verlassen kann, die dem Affekt gegenübersteht, sondern dass Affekt-Modulation nur durch Affekt-Modulation bekämpft werden kann.

Zeit für eine imaginäre Bewegung

In den Worten Spinozas: „Ein Affekt kann gehemmt oder aufgehoben werden nur durch einen entgegengesetzten und stärkeren Affekt, als der zu hemmende ist.“ (IV, 69) Der stärkste Affekt, daran lässt Spinoza keinen Zweifel, ist die Liebe als politische Leidenschaft. Ob man die Demokratie als lebendigen Gott betrachtet oder nicht, was immer deutlicher zu Tage tritt, ist, dass sie tödlich bedroht ist. Ihre Neuerfindung wird täglich nötiger, denn der Versuch, gefährliche Affekte durch den Filter der Repräsentation zu neutralisieren ist dabei zusammen zu brechen.

Im letzten Herbst ist die AfD in den Bundestag gewählt worden. Seither versucht die Partei noch intensiver, Rassismus und Geschichtsrevisionismus auf die Bühne der Bundespolitik zu heben. Das Gute an dieser Situation ist ihre Klarheit – es muss nicht weiter analysiert werden, die Arbeit ist getan. Was jetzt benötigt wird, ist eine kollektive Vorstellungskraft zu entwickeln.

Es ist Zeit, dass eine imaginäre Bewegung die Bühne betritt: Wir sind viele, jeder Einzelne von uns – und wenn wir gemeinsam dorthin gehen, ist das eine ganze Menge. Vergessen wir nicht: der Nihilismus hasst die Vielen und das Werden.

Bilden wir einen Block des Werdens: Bejahen wir das Viele als Vieles und das Werden als Werden, d.h. dass die Bejahung selbst vielfältig ist und dass sie sie selbst ein Werden ist; das Werden und das Viele sind Bejahungen: ein grosses JA gegen die vielen kleinen NEINs. Nicht vergessen: Freude ist an und für sich gut! Für einen aktiven, affektiven, affirmativen Antifaschismus!

Alexander Karschnia
berlinergazette.de

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