Der Fetischbegriff in der Lehre von Karl Marx Die Bewältigung der gegenwärtigen Kulturkrise ist eine Frage des Bewusstseins

Politik

Den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass der platonische Idealismus von der Katholischen Kirche übernommen wurde, so dass er bis heute entscheidend für das menschliche Denken und Handeln geblieben ist.

1. Dezember 2022
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Der katholische Idealismus hat die Erde eine lange Zeit als einen menschlichen Übungsplaneten erachtet, durch den sich der Mensch nach dem Verständnis der idealistischen Theorie den reinen göttlichen Ideen immer mehr annähern kann. Dadurch ist eine idealistische Hierarchie im menschlichen Weltbild entstanden, die zwischen den reinen göttlichen Ideen und einer minderwertigen irdischen Existenz unterschieden hat.

Dieses idealistische Konzept hat sich auch auf die kapitalistische Theorie übertragen, so dass das Kapital und das Eigentum als idealistische Ideen bis heute eine Art göttlichen Status beibehalten haben. Gegen die Folgen und Symptome dieser idealistischen Konstruktion kann sich der „niedrige“ irdische Mensch bis heute nicht durchsetzen. Der idealistische Mensch neigt daher heute nicht nur zur Anwendung einer idealistischen Hierarchie, sondern auch zu einer absolutistischen Polarisierung seiner Gedankengänge und seines Weltbildes durch eine religiöse Gut-Böse-Dualität. Dadurch werden auch politische Idealvorstellungen in einer absolutistischen Weise verherrlicht, während das Alltagsgeschehen in vieler Hinsicht abgewertet oder gar verurteilt wird. Es ist daher wichtig, dass sich der heutige Mensch mit dem platonischen Idealismus auseinandersetzt und sich davon bewusst verabschiedet, damit er zu einer konstruktiven Betrachtung seiner eigenen Existenz und zu einer empathischen Beziehung mit der Natur der Erde finden kann.

Die idealistische Ausrichtung der gegenwärtigen Kultur ist heute im Begriff bodenlos auszuarten, da man nur dem Idealen, dem Perfekten, dem Makellosen und der strahlenden Schönheit unbedingte Anerkennung zollen will und das Fehlerhafte, das Relative und damit auch das Natürliche abwertet oder einfach ignoriert. Solange der Mensch daher das Leben durch die Brille des Idealismus sieht, verliert er notwendig die Freude an der Natur und an sich selbst, weil alles relative Sein durch die Konstitution des Idealismus grundsätzlich als minderwertig erachtet wird. Ein Ergebnis dieser tragischen Konstitution ist die heute überaus lebendige fixe Idee des Menschen, das natürliche Leben nicht nur durch ein „höher, schneller, weiter und effektiver“ zu verbessern, sondern auch durch eine „perfektere“ maschinisierte Welt zu ersetzen. Dadurch kultiviert der Mensch unter anderem eine „effektive“ industrialisierte Landwirtschaft, die sich gegen alle relativen Prinzipien der Natur vergeht.

Der Mensch schädigt sich durch den Idealismus selbst, da auch der Mensch als ein relatives natürliches Wesen aus der idealistischen Perspektive nie gut genug ist. Viele Menschen können sich dadurch heute nicht mehr wirklich entspannen, da sie irgendeiner Anerkennung hinterherlaufen, die sie in einer idealistisch geprägten Gesellschaft nur durch übernatürliche Leistungen erreichen können. Entsprechend neigt der „einfache“ Mensch dazu´, sich selbst auf eine fatale Weise abzuwerten, wenn er eine solche Anerkennung nicht erreicht. Dieses Phänomen kann zu dem führen, was die Psychologie als eine manisch-depressive Erkrankung bezeichnet. Eine Religion oder Ideologie, die eine idealistische Polarisierung des menschlichen Weltbildes und des gesellschaftlichen Kulturlebens zur Folge hat, kann daher dem Menschen durchaus gefährlich werden.

Wer die negativen Auswirkungen des idealistischen Konzeptes begriffen hat, der kann auch nachvollziehen, weshalb die ideologische Konzeption von Karl Marx so eine grosse allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. Karl Marx hat diese Konzeption selbst definiert:

„Meine dialektische Methode ist der Grundlage nach von der Hegelschen [Idealismus; Anm. d. Verfassers] nicht nur verschieden, sondern ihr direktes Gegenteil. Für Hegel ist der Denkprozess, den er sogar unter dem Namen Idee in ein selbständiges Subjekt verwandelt, der Demiurg des Wirklichen, das nur seine äussere Erscheinung bildet. Bei mir ist umgekehrt das Ideelle nichts anderes als das im Menschenkopf umgesetzte und übersetzte Materielle“ (MARX, MEW 23, S. 27).

Der Fetischbegriff in der Lehre von Karl Marx, durch den Karl Marx die bodenlose Durchsetzung des Kapitalismus auch gegen alle sozialen und natürlichen Interessen erklärt, weist mit dem politischen und religiösen Absolutismus in der Kulturgeschichte eine innere Verwandtschaft auf. Bereits in den Hochkulturen Mesopotamiens und Ägyptens wurde eine höhere Götterwelt mit einer niedrigen irdischen Welt durch ein hierarchisches Weltbild der absolutistischen Art normalisiert. Dieses Weltbild hat sich durch eine Standeseinteilung der Menschen mit verschiedenen Rechten und Pflichten bis heute immer mehr zu einem „selbstverständlichen“ Weltbild verfestigt. Eine der wesentlichen Folgen dieser übernatürlichen Gesellschafts-Konstellation war und ist noch immer die menschliche Tendenz, eine latente Panik oder eine allergische Reaktion auf eine asozial sich gestaltende Kulturrealität zu entwickeln.

Es geht daher heute angesichts dieser und anderer wesentlicher Kultursymptome nicht mehr darum, einen neuen Klassenkampf oder irgendwelche anderen Machtkämpfe zu führen, sondern darum, die Klassengesellschaft zu überwinden. Löst der Mensch dabei alle fetischistischen, absolutistischen und idealistischen Organisationskonzepte auf, dann kann er eine konstruktive Demokratie des gegenseitigen Respekts und der gelebten Achtung vor der irdischen Natur erreichen. Karl Marx hat dieses Ziel durch den Begriff der klassenlosen Gesellschaft definiert, ein Ziel, das der Mensch erreichen muss, um wahrhaftig im Sinne seiner symbiotischen Natur zu sein.

Karl Marx war eine Ausnahmeerscheinung der menschlichen Entwicklungsgeschichte, da er erkannt hat, was im Grunde mit allen idealistischen Ideen geschieht, die in einer Standeskultur kultiviert werden. Sie entwickeln einen zwanghaften Charakter, der die Freiheit, die in allem Leben wohnt, zersetzt, da der Idealismus, der Absolutismus und der Fetischismus jeweils die innere Tendenz zur Suchtbildung und damit auch zur Verwirklichung einer Diktatur oder Tyrannei aufweisen. Aus diesem Grund hat sich Karl Marx auch gegen die Verabsolutierung seiner Theorien und gegen die Verherrlichung seiner Person gewandt:

„Alles, was ich weiss, ist, dass ich kein Marxist bin.“ (MEW 37, S. 436)

Da auch Karl Marx, wie viele Menschen der Standeskultur, eine Neigung zu allergischen Reaktionen auf die kapitalistischen Methoden und auf die totalitäre Machtpolitik seiner Zeit hatte, ist es zu einigen brisanten Aussagen in seinen Werken gekommen, die von anderen aufgegriffen wurden, um damit einen absolutistischen staatlichen Kommunismus zu untermauern. Die allergische Neigung von Karl Marx kann vor allem derjenige nachsehen, der sich mit der Zeit zwischen den Preussischen Reformen ab 1806 und der Revolution von 1848/49 näher beschäftigt.

Die hohe Anfälligkeit der Menschen einer Standeskultur, panische oder allergische Reaktionen zu entwickeln, hat eine andere Ausnahmeerscheinung der menschlichen Entwicklungsgeschichte erkannt und durch ein besonderes Verhaltensrezept zu lösen versucht: Jesus. Sowohl die Panik als auch die Allergie sind natürliche Verhaltens-Konzeptionen für eine akute Lebensbedrohung und dienen dazu alle Kräfte zu bündeln, um eine entstandene Lebensgefahr durch ein entsprechendes Handeln abzuwenden. Die absolutistische asoziale Konstitution einer Standeskultur generiert eine ständige latente Gefahr für den Einzelnen, da sich eine Standeskultur nur durch eine hinreichende Zahl von „Dienermenschen“ aufrecht erhalten kann, die in der täglichen Praxis weniger Rechte geniessen als die Herrenmenschen. Diese strukturelle Gewalt führt notwendig auf die Dauer zu allergischen Reaktionen der Dienermenschen auf ihr kulturelles „Schicksal“. Zudem zersetzt die „normale“ Teile und Herrsche-Politik einer Standesgesellschaft die natürlichen zwischenmenschlichen Beziehungen, so dass sie oberflächlich werden und die betroffenen Menschen zu einem Einzelkämpfertum tendieren. Dadurch bleibt der Bürger stets anfällig für äussere Beeinträchtigungen und für entsprechende panische Reaktionen.

Jesus hat dies als einer der wenigen frühen Menschen in seiner ganzen Konsequenz begriffen, so dass er zur Vermeidung von panischen und allergischen Kulturreaktionen das Rezept „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ und auch das Rezept „Liebe deine Feinde“ proklamiert hat. Für den heutigen Menschen hat der Begriff Liebe eine komplexe Bedeutung, so dass Viele diese Aufforderungen von Jesus als übertrieben erachten und sich damit überfordert fühlen. Wesentlich ist und bleibt jedoch, dass der Mensch bewusst eine gewisse Freundlichkeit oder Neutralität selbst für den von der Machtsucht beherrschten Herrenmenschen aufrecht erhält. Dadurch kann er es vermeiden, panisch oder allergisch auf andere Menschen oder auf die eigene kulturelle Realität zu reagieren. Im Zustand der Panik und der Allergie wird das normale Denken des Menschen ein gutes Stück weit blockiert. Ein Mensch, der latent panisch oder allergisch reagiert, kann daher oft über längere Zeit keinen klaren Gedanken fassen oder nüchtern über etwas nachdenken. Dadurch wissen heute die meisten Menschen, dass eine Panik oder eine allergische Reaktion kein guter Berater ist und mitunter schwerwiegende Folgen zeitigt. Durch ein bewusstes Vermeiden von panischen und allergischen Reaktionen kann der Mensch auf eine nachhaltige Weise über alles vernünftig nachdenken und seine natürliche Fähigkeit, ein empathisches Einfühlungsvermögen zu entwickeln, in allen Lebensangelegenheiten gezielt nutzen.

Die Lehren von Karl Marx und von Jesus machen deutlich, dass viele ideologische Konzepte, die sich auf den ersten Blick unterschiedlich ausnehmen, verschiedene Kinder ein und desselben menschlichen Strebens nach einer Erfüllung der menschlichen Natur sind, so dass sie sich gut ergänzen. Durch eine solche bewusste Ergänzung kann der Mensch aus seiner Geschichte das Wesentliche lernen, einen grossen Teil seiner kulturellen Probleme lösen und sich gezielt auf eine biologische und soziale Selbstorganisation ausrichten. Diese Möglichkeit eröffnet sich dem Menschen auch heute, da gegenwärtig immer deutlicher wird, dass die Standeskultur als ein gesellschaftliches Organisationsmodell nicht länger für den Menschen und für die Natur der Erde tragbar ist.

Wolfgang Hauke