Die imperialistischen Staaten (Zentren) sichern das kapitalistische System und den Weltmarkt global ab. Die subalternen Staaten, die obige Voraussetzungen nicht erfüllen und diesem System unterworfen sind, nennen wir Peripherien. Neben den Antagonismen zwischen Kapital und Arbeit (Klassenkampf) und zwischen Kapital und Natur sowie den Geschlechterverhältnissen (Patriarchat) existiert somit ein weiterer Widerspruch, der historisch auf den Kolonialismus zurückgeht. Erst zusammengenommen ergibt sich ein umfassendes Bild bürgerlicher Herrschaft.
Zur Erläuterung: Faschismus und Imperialismus
Um gegen eingebürgerte Gewohnheiten verständlich zu machen, worauf wir hinaus wollen, schauen wir uns zunächst einen anderen Begriff an, den des Faschismus. 1934 gab es in Österreich zwei faschistische Bewegungen, eine austro-faschistische[3] und eine deutschen Ursprungs, sich selbst „national-sozialistisch“ nennende. Diese haben sich zeitweise blutig bekriegt. Niemand würde nun aber auf die Idee kommen, einen Anhänger des Austrofaschismus und gleichzeitigen Gegner des NS-Faschismus als Antifaschisten zu bezeichnen: Faschisten bleiben Faschisten, auch wenn sie andere Faschisten bekämpfen.Um Antifaschist zu sein reicht es daher nicht aus, gegen nur eine faschistische Variante zu sein; ein Antifaschist ist ein Gegner des Faschismus an sich, also auch aller empirischen Faschismen – unabhängig von deren jeweilig konkreter Ausprägung. Beim Anti-Imperialismus aber wird diese widersinnige Logik angewendet, obwohl es hier genauso aussieht: Es reicht nicht, gegen eine einzelne, besondere imperialistische Macht zu sein, sondern die Opposition betrifft das globale imperialistische System als solches und ganzes; eingeschlossen sind folgerichtig alle imperialistischen Staaten. Antiimperialist kann also nur sein, wer in Gegnerschaft zur aktuellen Weltordnung und der ihr zugrunde liegenden Produktionsweise steht, und diese ist kapitalistisch.
Anti-Imperialismus in imperialistischen Ländern Anti-Imperialismus in den Zentren kann eben deshalb nur antifaschistisch sein, weil er sich gegen die eigene herrschende Klasse wenden muss! Dieser Gedanke lässt sich leicht nachvollziehen: Wie sollen deutsche Faschisten gegen den deutschen Imperialismus argumentieren? Dieser wird von ihnen als solcher überhaupt nicht identifiziert. Wenn überhaupt wenden sich solch vermeintlich „anti-imperialistische” Positionen nur gegen „fremde“, sprich konkurrierende Imperialismen.[4] Sie sind damit objektiv Befürworter des Klassenfeindes, des deutschen Kapitals, und verteidigen es, z.B. gegen das us-amerikanische.[5] Solche Positionen sind im Kern nicht anti-imperialistisch, sondern kulturalistische Ressentiments, die die Analyseebene der Politischen Ökonomie verfehlen. Geben wir wesentliche und konstituierende Kriterien auf, so geben wir auch den Begriff Imperialismus als politökonomischen insgesamt auf. Wer bereit ist, das anzuerkennen, wird damit selbst zum Kulturalisten. Ein anderes Beispiel geben Gruppen, die zu Russland tendieren und damit in letzter Instanz mit der russischen herrschenden Klasse gegen die westliche stehen.[6]
Auch wenn Russland im Moment global den ökonomisch weniger entwickelten und militärisch weitaus weniger aggressiven Imperialismus darstellt (gegenüber der Kriegspolitik der NATO Staaten), so kommt diese Position einem Verrat an linken und revolutionären Kräften vor Ort gleich, da sich hier mit einer bürgerlich-autokratischen Staatsführung solidarisiert wird, statt mit der emanzipatorischen Basis im Land.
Historischer Anti-Imperialismus als Anti-Kolonialismus
Historisch war es so, dass die Länder der Peripherie durch die imperialistischen Zentren militärisch besetzt und ausgeplündert wurden. Der Imperialismus trug im wesentlichen kolonialistische Züge, und die absolute Unterdrückung machte jede Emanzipation unmöglich. Die Voraussetzung für revolutionäre Befreiung war also, dass zunächst das Joch des Imperialismus abgeschüttelt wurde. Dieser Kampf war ein legitimer, anti-kolonialistischer Volkskrieg, der meist, wie für jene Epoche von der Komintern empfohlen,[7] von einem anti-imperialistischen, das meint hier klassenübergreifenden Bündnis geführt wurde. Ein solches Bündnis einte zunächst nur der Zweck der Beseitigung der Fremdherrschaft.Diese „objektiv anti-imperialistische“ Etappe der Befreiung beseitigt mit der direkten Abhängigkeit von den Zentren nur einen, aber einen grundlegenden historischen Widerspruch dieser Gesellschaften und konstituiert zugleich eine eigene Staatlichkeit, so dass die anderen Widersprüche innerhalb dieser Form zunehmen. Unter extrem ungleichen Ausgangsbedingungen bedeutet aber eine „antinationale“[8] Regierung einen anhaltenden Ausverkauf an die imperialistischen Länder, also eine Verewigung der Unterdrückung, während eine „nationale“ zumindest die Möglichkeit einer unabhängigeren Entwicklung und somit die Voraussetzungen für zukünftige Befreiung offen hält. Ob dieser Kampf gegen den äusseren Feind zur weiteren Emanzipation führt, hängt aber vom Klassencharakter der ihn tragenden Bewegung und dem bestehenden Kräfteverhältnis sowie stark auch von äusseren Bedingungen ab.
Heutiger Anti-Imperialismus in nicht imperialistischen Ländern
Heute ist die Voraussetzung eine andere. Kapitalismus und Nationalstaat haben sich weltweit durchgesetzt. Der globalen Ökonomie entspricht heute eine multipolare imperialistische Weltordnung, in der grosse Asymmetrien vorherrschen und verschiedene politische, militärische und ökonomische Formationen konkurrieren. Der Imperialismus heutiger Prägung ist neo-kolonialistisch und als globales System weniger die direkte Herrschaft,[9] sondern vielmehr ein komplexes Gefüge von Abhängigkeiten, Ungleichheiten und Ausbeutungsverhältnissen, dominiert von transnationalen Konzerne, imperialistischen Staaten und supranationalen Organisationen. Wie die Geschichte gezeigt hat, ist nach der Aufhebung der Kolonialherrschaft eine neue Form der Herrschaft entstanden.Die ehemaligen Kolonien sind weiterhin in den kapitalistischen Weltmarkt eingebunden und haben selten einen eigenständigen Entwicklungsweg verfolgen können; ihre Ökonomien bleiben auf externe Anforderungen ausgerichtet. Die einheimischen Eliten sind dabei mehr oder weniger vom Westen abhängig und als untergeordneter Teil imperialistischer Herrschaft an deren Aufrechterhaltung interessiert. Natürlich kann der anti-imperialistische Kampf heute diese nicht einschliessen, sondern umfasst neben dem Kampf gegen die imperialistischen Akteure notwendigerweise auch deren Sturz. Anti-Imperialismus meint also auch hier eine grundsätzliche Opposition zum imperialistischen System und aller es tragenden Elemente und enthält demzufolge einen positiven Bezug zur internationalen Klasse der Ausgebeuteten. Befreiung ist somit nur noch vorstellbar jenseits der Grenzen der einzelnen Staatsgebiete, die vom Imperialismus einst gewaltsam gezogen wurden.[10]
Schlussfolgerungen für eine revolutionäre Linke
All diese Verwirrungen kommen zustande, weil ein Ausweg aus einer lang anhaltenden Defensivsituation gesucht wird und weil bürgerliche Denkmuster Einzug in die Linke gehalten haben. Der offensichtlichste Ausdruck letzterer waren sogenannte „Antideutsche”, die behaupteten, die Kriege des Westens brächten der Peripherie den Fortschritt und sich deshalb mit dem westlichen Imperialismus solidarisierten.[11] Aber auch einige Optionen einer vermeintlich anti-imperialistischen Haltung sind klar und deutlich zu verwerfen: die bereits erwähnte, sich an der Seite eines imperialistischen Landes (des Klassengegners also) gegen eine andere imperialistische Macht zu positionieren, sowie diejenigen, mit reaktionären Bewegungen hierzulande[12] oder in der Peripherie[13] gemeinsame Sache gegen den Westen machen zu wollen. Dabei wird oft die Zusammenarbeit von imperialistischen Staaten und Reaktionären, die vermeintlich Anti-Imperialisten, in Wirklichkeit aber allenfalls zeitweise oder nur zu einem bestimmten Imperialismus in Widerspruch geraten sind, verkannt.[14]Auch an peripheren Staaten, sofern sie kapitalistisch sind, kann heutzutage unsere Hoffnung nicht mehr hängen[15]: Ein (semi-)peripheres System reproduziert ebenfalls kapitalistische Herrschaft und kann in Ausnahmefällen sogar selbst zum (sub-)imperialistischen Akteur werden, wenn eine bestimmte Stärke, Grösse oder Funktion sowie die Mittel dazu aus der Ausbeutung der eigenen Arbeiterklasse erreicht worden sind.[16] Wer jetzt einwendet, wir könnten auf den Begriff anti-imperialistisch dann doch verzichten und stattdessen einfach von antikapitalistisch sprechen, dem entgegnen wir, an obige Analogie anschliessend: Wir lassen doch auch nicht den Faschismusbegriff fallen, weil wir Faschismus als bürgerliche Herrschaft begreifen, sondern sind gegen bürgerliche Herrschaft im Allgemeinen und im Besonderen antifaschistisch.
Ausserdem ginge eine wichtige Kategorie in der Analyse des gegenwärtigen Weltsystems verloren. Zudem ist ein imperialistischer Staat ungleich aggressiver als ein nicht-imperialistischer. Heute wächst wieder die inner-imperialistische Konkurrenz und damit die Kriegsgefahr! Eine korrekte Einschätzung des heutigen Imperialismus aber ist die Voraussetzung für eine revolutionäre Strategie zu seiner Überwindung. Praktisch bedeutet das: Unsere Aufgabe als revolutionäre Linke sehen wir darin, Basisorganisierung zu betreiben, also perspektivisch den Aufbau einer internationalistischen, klassenkämpferischen, radikalfeministischen und -ökologischen Widerstandsbewegung voranzubringen.[17]
Unsere Solidarität gilt dabei jeder fortschrittlichen, revolutionären Kraft, die ein alternatives, nachhaltiges und an den Bedürfnissen der Menschen orientiertes Modell repräsentiert. Dieser konsequent kritische und radikale Standpunkt steht, ohne gleich ein fertiges Subjekt anbieten zu können, in der historischen Tradition des proletarischen Internationalismus als einem emanzipatorischen Universalismus, der den weltweiten Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung unter jeweils sehr unterschiedlichen Bedingungen proklamiert.[18] Mit reaktionären Gegnern des westlichen Imperialismus zu paktieren, bedeutet hinter diese Grundlage zurückzufallen. Einen prinzipiell positiven Bezug hingegen zu einem einzelnen imperialistischen Land zu haben, bedeutet eine Bankrotterklärung und fällt den dort dort um ihre Befreiung kämpfenden Menschen in den Rücken.