„Der Tag der Arbeit“ 1. Mai – Feiertag der Klassenversöhnung

Politik

Feiertage gelten für die meisten Menschen als etwas Positives: An diesem Tag muss man nicht arbeiten und kann sich endlich einmal um eigene Interessen oder die Familie kümmern.

1. Mai-Auftritt der Hamburger Polizei während der Corona-Pandemie 2021. Andere Berufsgruppe waren nicht zugelassen.
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1. Mai-Auftritt der Hamburger Polizei während der Corona-Pandemie 2021. Andere Berufsgruppe waren nicht zugelassen. Foto: Hinnerk11 (CC BY-SA 4.0 cropped)

30. April 2022
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Deshalb ist der Anlass für die Feier, dem der Tag gelten soll, den meisten Menschen eher gleichgültig. Schliesslich muss man nicht gläubig sein, um den Himmelfahrtstag oder Fronleichnam zu feiern. So begegnen die Mehrzahl der Menschen auch dem ersten Mai – dem Tag der Arbeit. Ein seltsamer Feiertag – denn was wird da gefeiert?

„Der Tag der Arbeit“

So lautet der Titel für diesen Feiertag, der in diesem Jahr bedauerlicher Weise auf einen Sonntag fällt und somit keine zusätzliche Freizeit verschafft. Der Titel ist eigentlich falsch, denn gefeiert wird ja nicht die Arbeit. Wie soll das auch gehen? Arbeit ist schliesslich überwiegend Anstrengung und Belastung. Auch wird nicht jede Arbeit gefeiert.

Der Tag der Arbeit gilt nicht der Hausarbeit oder der Gartenarbeit, sondern der Lohnarbeit, von der eigentlich keiner mehr reden will. Denn Lohnarbeit verweist auf die Abhängigkeit derer, die von ihrer Arbeit leben müssen, weil sie im Wesentlichen über nichts anderes verfügen als über sich selbst. Sie sind also arm, weil sie kein Kapital besitzen, auch wenn niemand das so sehen will. Und weil alles in dieser Gesellschaft Eigentum und Geschäftsmittel ist, sind diejenigen, die nur über sich als Eigentum verfügen, gezwungen, sich als Arbeitskraft zu verkaufen, um an Geld für den Lebensunterhalt zu kommen.

Dieses Zwangsverhältnis zu feiern ist natürlich absurd und so werden viele Anstrengungen unternommen, dieses Verhältnis schön zu reden. Da ist nicht mehr vom Gegensatz von Kapital und Arbeit die Rede, obgleich für Unternehmen der Lohn eine Kost darstellt, der den Gewinn beschränkt und daher gering zu halten ist. Vielmehr heisst es schon seit langem Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Eine seltsame Ausdrucksweise für ein Tauschverhältnis. So soll der Arbeitgeber etwas geben und dafür auch noch bezahlen und der Arbeitnehmer etwas bekommen und das gleich doppelt – Arbeit und Geld. Da steht die Welt auf dem Kopf.

Schliesslich gibt der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft zur freien Verfügung an den Arbeitgeber, der sie so in Anspruch nimmt, dass sie ihm mehr bringt als das, was sie kostet. Beschäftigung muss sich schliesslich lohnen und findet nur statt, wenn eine Rendite absehbar ist.

Um aus einem Abhängigkeitsverhältnis einen Feiertag zu machen, muss schon einiges passieren: „In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der 1.Mai ab 1933 durch die Nationalsozialisten zum gesetzlichen Feiertag. Das Reichsgesetz vom 10. April 1933 benannte ihn als 'Tag der nationalen Arbeit'.“ (Wikipedia) Gewürdigt wird mit dem Feiertag die Leistung, die Arbeiter und Angestellte für die Nation erbringen. Sie stehen zwar im Dienst eines Unternehmers und arbeiten für dessen Gewinn, aber der Staat profitiert immer auch vom Geschäftemachen seiner Wirtschaft durch Steuern und ist von daher interessiert an dessen Wachstum. Dafür braucht es eine billige und willige Arbeiterklasse.

Dieser Dienst wird an diesem Tag gewürdigt. Heute würde eher von Respekt gesprochen, den sie mit ihrer Leistung verdienen und für den sie sich nichts kaufen können.

„Internationaler Kampftag der Arbeiterklasse“

Auch dieser Titel wird dem 1.Mai zugeschrieben. Der verweist auf die Geschichte: „Anfang 1886 rief die nordamerikanische Arbeiterbewegung zur Durchsetzung des Achtstundentags zum Generalstreik am 1.Mai auf – in Anlehnung an die Massendemonstration am 1.Mai 1856 in Australien, welche ebenfalls den Achtstundentag forderte.“(Wikipedia)

Kämpfen am ersten Mai will heutzutage niemand. Zudem ist ein Generalstreik zur Erzwingung irgendwelcher Forderungen in Deutschland verboten und würde nicht zu einer Feier, sondern zu einem Einsatz der Polizei führen. Dabei haben sich die Gründe für einen Kampf seit über mehr als 150 Jahren nicht geändert. Vielfach wird die Klage über die Schwierigkeit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie geführt, womit zum Ausdruck kommt, dass die Zeit für das Verdienen des Lebensunterhalts kaum Zeit für die Familie lässt und auch heute die Frage der Arbeitszeit und ihrer Beschränkung aktuell ist. Auch der Lohn wird immer wieder von der Inflation aufgefressen und erfordert eine ständige Korrektur, die ohne Auseinandersetzung mit den Unternehmen nicht zu haben ist. Als lohnabhängig Beschäftigter wird man diese Probleme offenbar nie los. Somit spricht einiges für dessen Beseitigung.

Die Mehrzahl der Beschäftigten nutzt den freien Tag für sich und ist auf den Kundgebungen nicht zu entdecken. Schliesslich schafft die gefeierte Arbeit den Grund für das Erholungsbedürfnis, dem die meisten Bürger an diesem Tag nachgehen. Gründe für einen Kampf gibt es nach wie vor, doch dazu ist ein Feiertag wenig geeignet. Statt für eine Erhöhung des Lohns und eine Verkürzung des Arbeitstags einzutreten, verlängern viele Beschäftigte ihren Arbeitstag durch Überstunden oder Annahme eines Zweitjobs. Mehr Geld und weniger Zeit für das eigene Leben ist die Form, in der viele mit den durch die Lohnarbeit erzwungenen Verhältnissen sich arrangieren.

Gewerkschaften in Deutschland haben alles andere am 1.Mai vor, als Politik oder Unternehmen durch Demonstrationen oder Streik unter Druck zu setzen. An einem Feiertag kann man ja auch schlecht streiken, da fällt die Arbeit sowieso flach. Für sie ist der Feiertag nicht nur die Anerkennung der Leistungen der Arbeiter für die Nation, sondern auch der Beweis für die Anerkennung der Gewerkschaft als ihre politische Vertretung. Und so ist es nicht weiter verwunderlich, dass am 1. Mai neben Gewerkschaftsvertretern auch immer Politiker reden und für ihre Parteien werben dürfen.

Für die Gewerkschaft ist aus der Notlage von Lohnarbeitern längst eine positive Grundlage geworden. Weil Arbeitnehmer abhängig sind vom Gang des Geschäfts, sie nur zu einem Einkommen kommen, wenn das Geschäft lohnend ist. Und das nicht nur in einem Unternehmen, sondern in der gesamten Wirtschaft. Die Gewerkschaft hat sie es sich zur Aufgabe gemacht, mit für den Erfolg der Wirtschaft zu sorgen. Ihre Sorge gilt dem Erfolg der Nation, zu dessen Mitgestaltung sie sich herausgefordert fühlt.

„GEMainsam Zukunft gestalten“

...heisst deshalb auch die Parole des Deutschen Gewerkschaftsbundes und seiner Mitgliedsgewerkschaften. Das Motto lässt schon keinen Zweifel darauf aufkommen, hier gäbe es so etwas wie einen Gegensatz zur Wirtschaft oder Politik. Von daher ist nicht von höheren Löhnen als Ausgleich für die gestiegene Inflation oder ähnlichem die Rede, sondern sieht sie sich in der Gemeinschaft mit Unternehmern und Politikern in der Pflicht, für Frieden in der Welt und den Erfolg der deutschen Wirtschaft zu sorgen: „Und selten war ein Motto passender: Denn nicht nur die friedliche Zukunft Europas steht derzeit auf dem Spiel, wir müssen auch für eine gerechtere Zukunft kämpfen. Unsere Arbeitswelt steht aktuell vor tiefgreifenden Veränderungen - egal ob beim Klimaschutz, der Digitalisierung oder Globalisierung. Ein gigantischer Strukturwandel, der nur gemeinsam mit den Millionen Beschäftigten gestaltet werden kann: sozial, ökologisch, nachhaltig und demokratisch.“ (IGBCE 22.4.22) Sorgen bereitet diesen Arbeiterpolitikern die friedliche Zukunft Europas.

Stellt sich nur die Frage, wieso in der Zukunft? Beteiligt sich Europa doch schon heute sehr tatkräftig am Krieg in der Ukraine. Doch als Kriegsherrn oder Frauen wollen die Gewerkschafter ihre Politiker nicht sehen. Sie wollen ihnen nichts engegensetzen, damit die Kosten des Krieges nicht auf ihre Mitglieder abgewälzt werden. Schliesslich entwertet die Inflation ständig deren Einkommen. Wundern muss man sich auch darüber, wie die Gewerkschafter über das Lohnarbeitsverhältnis reden: „Unsere Arbeitswelt steht aktuell vor tiefgreifenden Veränderungen“. Wem gehört denn diese „Arbeitswelt“?

Auch wenn die Gewerkschaft das „unsere“ betont, werden ihre Mitglieder damit noch nicht zu Miteigentümern. Was sie mit den Unternehmen verbindet, ist ihre Abhängigkeit. Sie sind eben darauf angewiesen, Geld zu verdienen. Dass Unternehmen nur dann Arbeitnehmer beschäftigen, wenn das Geschäft erfolgreich ist, also lohnend, bedeutet in keiner Weise, dass damit auch die Existenz der Arbeitnehmer gesichert ist. Zur Sicherung des Geschäfts gehört eben auch immer dessen Rationalisierung, d.h. die Einsparung von Arbeitskräften durch Einsatz von zusätzlichen Technologien.

So spart der Einsatz von Wasserstoff in der Stahlherstellung – die sogenannte Direktreduktion – nicht nur Prozesse in der Stahlherstellung, sondern auch Arbeitskräfte ein. Digitalisierung betrifft in grossen Teilen die Verwaltung - aber auch die Überwachung und Steuerung von Produktionsprozessen - und macht dort Arbeitskräfte überflüssig. Die Gewerkschaftsvertreter betrachten es als ihre Aufgabe als Betriebsrate, Co-Manager oder Aufsichtsratsmitglieder diese Rationalisierungen mit zu gestalten, also die anfallenden Entlassungen durch Sozialpläne und Umschulungen zu begleiten. Dafür wollen sie die Unterstützung von Arbeitnehmern, die als Beitragszahler für diese Vereine und als Statisten für die Feierstunden der Gewerkschaften gefragt sind.

Der erste Mai bietet also alles andere als Gründe zum Feiern. Die Gründe zum Kämpfen hingegen bleiben, an diesem 1. Mai und an allen anderen Tagen.

Suitbert Cechura