Züri brännt: Texte zur Bewegung Feminist Killjoys: Interview mit Josy Meier

Politik

Natürlich, die Idioten, die jedes Wochenende auf die Barrikaden sind und gesagt haben, jetzt gehen wir uns prügeln, das waren schon fast alles Männer.

Frauenstreik in Zürich, 1980.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Frauenstreik in Zürich, 1980. Foto: strapazin

9. November 2022
1
0
7 min.
Drucken
Korrektur
00:00 Oder auch die, die sich immer ans Mikrofon gedrängt haben und dachten, was sie sagen, sei furchtbar wichtig, waren auch mehrheitlich Männer.

00:24 Aber wenn du an einer Demo geschaut hast oder einer Vollversammlung, dann hätte ich gesagt 50-50. Aber vielleicht war es ein Drittel-zwei Drittel. Aber in allen Arbeitsgruppen im AJZ gab es Frauen. Ob es Kino war, Kommunikation sowieso. In der Drogengruppe gab es Frauen, Ärztinnen… ich habe das Gefühl, das hat mit dem selektiven Blick zu tun.

00:52 Ich heisse Josy Meier, ich bin 61. Ich bin Drehbuchautorin, Hortleiterin, Buchhändlerin, Drehbuchberaterin… jetzt sind wir an einem meiner Arbeitsorte, in der Paranoia City Buchhandlung. Buch und Wein. Da arbeite ich jeden zweiten Samstag.

01:19 Ich bin in der Agglomeration aufgewachsen, in Dietikon. Ich bin aber schon mit 13 in Zürich aufs Gymnasium und habe später, als ich von zu Hause weggegangen bin in Zürich in Was gelebt. Am 30. Mai war ich auf Ibiza. Kurz vorher hatte ich mich in Zürich in einen argentinischen Strassenmusiker verliebt.

01:42 Der hat mich überredet, nach Ibiza zu kommen und das habe ich dann auch gemacht. War ein bisschen komisch, er hat mich dann fast nicht mehr gekannt. Er war da glaube ich nicht mehr so verliebt. Aber ich war dort und fand es extrem schön. In einem kleinen Dorf, wo lauter junge Leute aus Argentinien waren, die vor der Militärdiktatur geflohen waren.

02:03 So ein richtiges argentinisches Hippiedorf. Ganz abgeschieden. Da haben sie mir plötzlich gesagt, in Zürich geht's ab! In der Schweiz machen die Jungen Revolution! Ich war überhaupt nicht in der Anarcho-Szene oder so, ich habe studiert, Sozialpädagogik.

02:24 Aber als ich das gehört habe auf Ibiza, dass da etwas los ist, da wusste ich, wenn ich zurückkommen, bin ich dabei. Ich war vom ganzen Wesen her extrem rebellisch. Ich bin mit 16 von zu Hause abgehauen, weil die familiäre Situation katastrophal war. Von Autoritäten hatte ich genug.

02:47 Ob es die eigenen Eltern sind oder andere Orte. Habe aber das Gymnasium fertiggemacht. Ich hatte immer beides: Sehr rebellisch und gleichzeitig strukturiert, klar, wusste, was ich wollte. Wahrscheinlich war ich auch aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen hart und ich habe mich einfach hingestellt und gesagt, was ich denke.

03:14 Eine rebellische junge Frau, die sich auch sehr interessiert hat für alles, was aus den 68ern herausgekommen ist: Anti-AKW Bewegung, die Frauenbewegung und so. Ich fand es einfach verblüffend, dass es so interessante Bewegungen gibt, aber dass die Stadt Zürich so furchtbar ist.

03:31 Also dass sie geschlossen ist. Es gab keinen Platz für junge Leute, jetzt verglichen mit anderen Städten, die ich schon kannte, Amsterdam, Berlin, war es einfach sehr, sehr, sehr konservativ und sehr jugendunfreundlich. Es gab schon ein paar Ecken im Kreis 4 und eine lebendige WG-Kultur und dort, hatte ich das Gefühl, dort lebt es, dort brodelt es. Und da war man unter sich.

03:57 Aber die Stadt an und für sich, von der Infrastruktur her, aber auch was die Politik anging, war es furchtbar konservativ, es war eine Banken- und Unternehmensstadt. Vollversammlung im Volkshaus, das war das erste, wo ich hingegangen bin. Das war eine Stimmung, die nicht sehr schweizerisch war oder nicht sehr zürcherisch.

04:20 Man konnte mit allen Kontakt aufnehmen, alle haben miteinander geredet, es war sofort das Gefühl da, wir wollen einander kennenlernen, etwas gemeinsam durchziehen. Ich glaube, es war absolute Euphorie. Euphorie und das Gefühl, endlich! Jetzt legen wir los und uns gehört die Welt.

04:44 Ich habe auch sofort die WG gewechselt und bin zu den Anarchisten gegangen, weg von meinen Studis. Von da an immer alles. Fünf Jahre lang, bis 1985, dann bin ich nach Berlin gegangen, um Film zu studieren. Aber ich bin dort eingestiegen und auf der anderen Seite ausgestiegen.

05:07 Ich habe auch das Studium auf die Seite gelegt und ja, ein Aussteigerleben geführt, in einer Macherinnen- und Macherkultur, im Autonomen Jugendzentrum sehr aktiv in verschiedenen Arbeitsgruppen.

05:23 Richtig aktiv war ich in der sogenannten Spuntengruppe. Ich habe an der Weinbergstrasse gewohnt, wo eine wichtige Anarcho-WG war. Und wir hatten einfach einen Abend pro Woche, wo wir gekocht haben. Ziemlich eindrücklich, ich weiss nicht, ob es stimmt – ich habe in Erinnerung, dass es 120, 150 Mahlzeiten waren, die wir pro Abend gekocht haben.

05:47 Es gab damals schon Leute, die richtig kochen konnten. Das war das eine. Und das andere war die Frauengruppe. Wir haben früh die AJZ-Frauengruppe gegründet, mit unseren eigenen Räumlichkeiten, bis 1985. Und wir haben einfach Sachen gemacht und besprochen, die wir interessant fanden.

06:15 Am Anfang war das natürlich die Bewegung und die Rolle von Frauen in der Bewegung. Aber später… Alice Schwarzer hat damals eine Anti-Pornografie Kampagne gestartet. Der perfekte, stromlinienförmige Fetischkörper, den hat man sehr abgelehnt. Das kam nicht von irgendwo her, dass die PorNO-Kampagne dann so breit geworden ist, weil man auf etwas reagiert hat, als Antithese zu dem, was man selbst vertreten hat.

06:53 In den 70ern und frühen 80er Jahren gab es eine neue Frauenbewegung, die relativ stark und präsent war. Wir haben uns auch mit dem Thema auseinandergesetzt. Weil den Feministinnen Prüderie unterstellt wurde. Wir haben uns damals in unserer Frauengruppe ein Magazin herausgegeben, das hiess Prüdografie.

07:20 Wir haben uns mit der Fragestellung auseinandergesetzt, inwiefern wir strukturelle Ungleichsverhältnisse anschauen und wo Prüderie einsetzt. Ich hatte nicht das Gefühl, ich hätte mich in einer Männer-Bewegung befunden und es sei eine männlich dominierte Zeit gewesen.

07:47 Ich habe ja auch in Was gelebt und das war alles 50-50. Ich habe das Gefühl, ich kann das beurteilen. Ich gehe jede zweite Woche ins Fussballstadion und ich sehe das dort, das weiss ich seit vielen Jahren, dass das mehrheitlich Männer sind. Das nehme ich wahr.

08:08 Mich hat gab viel interessiert, das nicht besonders weiblich ist. Ich hab das einfach nicht so erlebt. Für mich war die Bewegung auch das, was auf der Strasse passiert ist, im Autonomen Jugendzentrum, im Arbeitszusammenhang… das war kein Männerverein.

08:32 Aber ich sehe uns in der Tradition der neuen Frauenbewegung nach 68. Aber sicher nicht so prägend wie die 68er, 70er Jahre Frauen es waren in Zürich. In der Jugendbewegung gab es nur einen Teil, der sich explizit mit Frauenfragen beschäftigt hat. Sonst hatten wir ganz andere Fragen. Nach öffentlichem Raum, nach einem autonomen, selbstbestimmten Leben, nach neuen Lebensformen…

09:11 Was bis heute geblieben ist? Es hat sich ein Netz gebildet von Macherinnen und Machern, die bis heute in der Stadt aktiv sind. Es gibt viele Leute, die sich heute noch kennen und wirklich gut und verbindlich kennen. Und die Freizeitkultur, das ist heute alles da. Das ist immer so, wenn eine Gruppe zusammen etwas macht: Viele Freundschaften.

09:41 Da bin ich absolut überzeugt, es kommt nicht von irgendwo, dass es in Zürich so eine starke Technobewegung und dass es die Streetparade gibt, das sind alles noch Fortsetzungen von dem Aufbruch und von dem die Strasse übernehmen. Die ganze Genossenschaftsbewegung, die neue ist auch so etwas.

10:07 Zum Beispiel hier, das Dreieck, das ist aus der 80er Bewegung hervorgegangen. Das ist auch das Kraftwerk, die Kalkbreite, das geht immer weiter. Natürlich kommen jetzt Generationen nach, das is auch super. Ich habe Zürich extrem gern, ich finde es eine sehr schöne Stadt. Bei allen Schattenseiten, die sie hat – sie hat eine Lebendigkeit, Offenheit und Dynamik, die ich echt super finde.

Interview aus Strapazin NO:137