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Privatisiertes Gewaltmonopol: Besetzer:innen in der Schweiz drohen nun Räumungen durch Sicherheitsfirmen

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Verschärfter Eigentumsschutz gegen Hausbesetzer Privatisiertes Gewaltmonopol: Besetzer:innen in der Schweiz drohen nun Räumungen durch Sicherheitsfirmen

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Politik

Am 10. März 2025 hat der Nationalrat einer Änderung des Zivilgesetzbuches zugestimmt, die Liegenschaftsbesitzenden umfangreichere Selbsthilfe-Rechte einräumt.

Konzertbar im Keller des KuZeBs, 2022.
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Konzertbar im Keller des KuZeBs, 2022. Foto: Nick Koch (CC-BY-SA 4.0 cropped)

Datum 18. Juli 2025
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Künftig darf eine Eigentümerin etwa innerhalb angemessener Frist und mit verhältnismässiger Gewalt Besetzer:innen selbst entfernen, sobald sie von der Besetzung erfährt und die Polizei nicht sofort eingreifen kann. Bisher war Selbsthilfe nur unmittelbar zu Beginn einer Hausbesetzung erlaubt. Mit 123 gegen 64 Stimmen sprach sich eine bürgerliche Mehrheit für das Gesetz aus.

Die Vorlage stösst in der linken Szene auf scharfe Kritik - zurecht, denn damit wird das staatliche Gewaltmonopol auf private Sicherheitsfirmen ausgeweitet. Zwar bekräftigten die Befürworter, es gehe nur um einen begrenzten Ausnahmetatbestand. Doch selbst der wahrlich nicht für seine progressive Politik bekannte SP-Bundesrat Beat Jans erinnert daran, dass durch Selbsthilfe eine Ausnahme vom Gewaltmonopol geschaffen wird.

Die Vorlage blendet zudem das Grundproblem Gentrifizierung aus: In den grossen Schweizer Städten herrscht seit Jahren eine eklatante Wohnungsnot, und jedes leerstehende Haus hat eine sozialpolitische Brisanz. Sogar der Schweizerische Siedlungsverband lehnt das Gesetz deshalb ab und fordert stattdessen ein effektives Wohnraum- und Zwischennutzungs-Programm.

Konflikt mit konsumfreien Freiräumen

Die zahlreichen konsumfreien, selbstverwalteten Kultur- und Freiräume geraten so durch das neue Gesetz massiv in die Schusslinie von rechtskonservativen Lagern. Projekte wie das KuZeB Bremgarten oder die «Post» in Zürich-Wipkingen basieren bekanntermassen auf unkommerzieller Nutzung von leerstehenden Gebäude. Das KuZeB etwa ist ein „Autonomes Zentrum“, das 1992 aus einer Besetzung hervorging.

Bis heute dient es als Treffpunkt überregionaler sozialer, kultureller und politisch motivierter Aktivitäten der undogmatischen Linken. Was vor 30 Jahren als wilde Besetzung begann, hat sich seither dank dem Engagement von Aktivist:innen zu einer bekannten alternativen Kulturplattform entwickelt.
Diese Orte funktionieren seit jahrzenten ohne Gewinninteressen, getragen durch ehrenamtliches Engagement. Konzerte, Lesungen, Workshops oder offene Cafés werden meistens durch Kollekten, Spenden oder tiefe Eintrittspreise finanziert. Die Bewohner:innen früher besetzter Häuser mussten sich bereits mehrfach rechtlich und handfest wehren. Der SVP-Politiker Andreas Glarner etwa führte jahrelang einen juristischen Kleinkrieg gegen das KuZeB, glücklicherweise ohne Erfolg. Unter der neuen Regelung könnten Eigentümer bei einer Besetzung quasi selbst "Sheriff" spielen.

Obwohl die Polizei in Zürich sonst nur bei konkreten Bau- oder Nutzungsplänen räumt, könnten Eigentümer künftig „angemessen“ auf eigene Faust durchgreifen. Das bedeutet: Hunderte Freiwillige, die heute im KuZeB oder an der «Post» arbeiten, leben künftig in ständiger Angst vor einer gewaltsamen Räumung durch private Sicherheitsdienste. Langfristig droht die Verdrängung nicht-kommerzieller Kultur: Ohne Schutz und Geduld der Öffentlichkeit lässt sich kaum ein alternatives Projekt etablieren.

Gesellschaftliche Vielfalt durch selbstverwaltete Orte

Gerade jugendliche, soziale Randgruppen und kreative Freigeister mit kleinem Geldbeutel finden in konsumfreien Räumen einen wichtigen Ort. Die Besetzer der «Post Wipkingen» betonen, „das Bedürfnis nach Raum ist enorm gross“ – vor allem, wenn Stadt und Markt keine erschwinglichen Räume bieten.

Wie ein Aktivist in einem Tsüri-Interview erklärt: „Bei Kulturbesetzungen geht es darum, unkommerzielle Freiräume zu schaffen“, Räume, in denen man sein kann, ohne Konsumzwang oder elitäre Hürden.

Tatsächlich zeigen Projekte wie das Wipkinger «Post»-Squat, dass sich breite Teile der Bevölkerung solidarisch engagieren: Viele Nachbarinnen, sogar Senioren, unterstützten die Besetzer, und «selbst der offizielle Quartierverein Wipkingen steht hinter der Besetzung». In Bremgarten profitiert die Region von einem offenen Treffpunkt: Die überregionale Bedeutung des KuZeB geht weit über Partys hinaus.

Historisch betrachtet waren solche Räume sogar Auslöser gesellschaftlicher Bewegungen. So gab es in Zürich in den 80er-Jahren heftige Jugendunruhen, weil es kaum Kulturangebote für Jugendliche gab. Freiräume dienen heutzutage der sozialen Integration, Prävention von Vereinsamung und politischer Bildung. Sie bieten jungen Menschen, Migrantinnen oder Alleinerziehenden eine günstige Anlaufstelle.

Ein Unterstützerteam formuliert selbstkritisch: „Wir alle können mitbestimmen, was in unserer Stadt passiert“ – ein Appell, nicht allein auf Eliten und Investoren zu setzen. Wenn nun die legislative Antwort lautet, diese Räume auf dem Rechtsweg möglichst rasch zu räumen, verkennt das den gesellschaftlichen Mehrwert. Der mit öffentlichen Geldern kaum finanzierbare Nutzen fällt oft dem Eigentumsinteresse zum Opfer.

Privatisiertes Gewaltmonopol

Ein besonders heikler Punkt ist, dass das Gesetz de facto Teile des Staatsgewaltmonopols privatisiert. Dandrès (SP/GE) fasste pointiert zusammen: Die Vorlage drohe das staatliche Gewaltmonopol auszuhöhlen. Bisher durfte eine Besetzerin nur mit Polizeibegleitung gewaltsam entfernt werden; nun würden Eigentümer selbst zum De-facto-Sheriff. Dies kann zu gefährlichen Konfrontationen führen.

Politiker und Polizisten warnen, dass Vermieter möglicherweise Sicherheitsfirmen einsetzen oder gar selbst mit physischen Mitteln eingreifen, sobald sie „vernünftigerweise“ von einer Besetzung erfahren. De facto wird die Legitimation staatlicher Gewalt auf private Eigentümer delegiert.

Gleichzeitig schafft das neue Recht Druck auf Graue-zone-Projekte. Stadträte grüner und linker Parteien betonen, dass unbürokratische Zwischennutzungen und Sozialwohnungen dringend gebraucht werden. Der Fokus dürfe nicht allein auf Repression liegen. Stattdessen müsse man lieber Leerstand aktiv für gemeinnützige Projekte nutzbar machen.

Verschärfter Eigentumsschutz gegen Hausbesetzer

Aktuell gilt in Zürich etwa eine interne Vereinbarung, wonach leerstehende Gebäude nur geräumt werden, wenn ihre Nutzung gesichert ist. Das wurde 2023 sogar im Gemeinderat diskutiert. Das neue Gesetz umgeht solche Abwägungen: Ist die Polizei nicht sofort da, drängt es den Rechtsweg in den Hintergrund.

Die kürzlich verschärfte Rechtslage stärkt in erster Linie die Position von Immobilienbesitzern – auch wenn das argumentativ durch das Eigentumsrecht begründet wird. Dabei trifft sie gerade jene Initiativen, die mit minimalen Mitteln maximalen sozialen Nutzen stiften: konsumfreie Jugendzentren, selbstverwaltete Kulturzentren, Nachbarschaftswerkstätten. Wird ihre Freiheit zur Besetzung eingeschränkt, verschwindet ein Stück gelebter Solidarität und Kreativität.

Gleichzeitig werden die strukturellen Probleme ignoriert: Statt Wohnraummangel durch kooperative Zwischennutzung anzugehen, setzt der Staat auf schnellere Räumung. Kritikern zufolge verkehrt sich so das Gewaltmonopol vom Schutz instrumentalisierter Bürger in Schutz privater Investoren. Würde man wirklich den gesellschaftlichen Zusammenhalt und einen vielfältigen Kultursektor stärken wollen, müsste man die Rahmenbedingungen für Freiräume verbessern statt neue Hürden aufzubauen.

Andri Unteregger