Institutioneller Rassismus bei der Schweizer Polizei Black Lives Matter

Politik

Der Autor dieses Berichts ist dunkelhäutig. Immer wieder wird er von der Polizei kontrolliert – ein typischer Fall von racial profiling. Nun weigert er sich, seinen Ausweis zu zeigen. Wegen Nichtbefolgens polizeilicher Anordnungen wurde ein Strafverfahren gegen ihn eingeleitet.

Polizeiauto im Einsatz.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Polizeiauto im Einsatz. Foto: Rama (CC BY-SA 2.0 cropped)

26. Oktober 2016
3
0
9 min.
Drucken
Korrektur
Wenn Sie meinen, Afrikaner seien Drogendealer, Araber Taschendiebe und Vergewaltiger und Muslime Terroristen, dann ist es höchste Zeit, mit Ihrem Schubladendenken aufzuräumen. Schlimmer ist es jedoch, wenn fremdenfeindliche Bilder in den Köpfen von Polizeibeamt*innen solche Haltungen sogar noch bestärken.

Es darf doch nicht sein, dass die Polizei mich als Drogendealer sieht, nur weil ich eine stark pigmentierte Haut habe. Ich pendle regelmässig früh am Morgen von Bern nach Zürich, um als Dokumentalist an der ETH zu arbeiten und damit für meine beiden Kinder sorgen zu können. Es darf doch nicht sein, dass mein Kollege, dessen Mutter Schweizerin ist und dessen Vater aus Ägypten stammt, als Taschendieb, Vergewaltiger oder Terrorist dasteht, weil er einen Bart trägt. Wie andere Schweizer*innen fährt er jeden Morgen mit dem Zug, um als Berater zu arbeiten und so für seine beiden Kinder zu sorgen.

Institutioneller Rassismus bei der Schweizer Polizei

Die Rassenstereotypisierung der dunkelhäutigen Bevölkerung durch die Verknüpfung von Aussehen und Kriminalität ist leider ein gängiges Merkmal der Polizeikultur in der Schweiz. Die Vorstellung von Stereotypen, die dunkelhäutige Menschen pauschal als potentielle Kriminelle einstufen, ist bei der Polizei so allgegenwärtig, dass manche dunkelhäutige Menschen sich extra schick mit Anzug kleiden, wenn sie aus dem Haus gehen, nur um Polizeikontrollen zu vermeiden.

Der im September 2014 veröffentlichte Länderbericht der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI) sowie der Bericht des Committee an the Elimination of Racial Discrimination (CERD) aus dem Jahr 2014 zeigen auf, dass in der schweizerischen Polizeipraxis nach wie vor «dunkelhäutige Personen aufgrund des racial profiling häufiger von der Polizei kontrolliert werden, einschliesslich Verhaftungen, dem Zwang sich zu entkleiden und Körperdurchsuchungen nach Drogen».

Wir leben aber in der Schweiz des 21. Jahrhunderts, wo weiss und blond nicht die einzig wahren Bilder von Schweizer Bürger*innen sind. Deswegen plädiere ich dafür, gegen Polizeikontrollen, die auf einer Kategorisierung aufgrund der Hautfarbe basieren, sowohl rechtlich als auch politisch vorzugehen – sie verstossen gegen das Diskriminierungsverbot nach Artikel 8 der Bundesverfassung. Racial profiling muss gestoppt werden

Tabea Rai, eine Kollegin, wird anders behandelt als ihre Freund*innen. Vor zwei Jahren wurde sie beispielsweise am Hauptbahnhof vor allen Leuten von Polizist*innen grundlos herausgepickt, gestoppt und aufgefordert, sich auszuweisen. Gewaltfrei zog sie ihren Rucksack und ihre Jacke aus und übergab sie den Beamt*innen, damit sie alles durchsuchen konnten. Tabea Rai, die Sozialpädagogin ist, fragte die Polizei auf Berndeutsch, warum denn die anderen nicht kontrolliert würden. Sie bekam keine Antwort. Allerdings sagt sie: «Meine Erfahrungen, als Schweizerin wegen meiner Hautfarbe immer wieder als "Ausländerin" behandelt zu werden, nehme ich locker und mit Humor.»

Ein anderer Kollege, Mess Berry, wurde wie Tabea Rai wegen seiner dunklen Hautfarbe kontrolliert. Oder vielleicht wegen seiner Hip-Hop-Kleidung? «Ich habe schon Verständnis, wenn ich von der Polizei kontrolliert werde, allerdings sollte dabei mein Verhalten ausschlaggebend sein und nicht mein Aussehen.» Eine Klage gegen die Polizist*innen konnte er nicht weiterziehen, weil er sie sich finanziell nicht leisten konnte.

Seit 2015 weigere ich mich, mich auszuweisen, wenn ich als einziger aus einer Menschenmenge von der Polizei herausgepickt werde.

Die Aussagen machen deutlich: Polizeikontrollen werden von vielen Betroffenen nicht grundsätzlich als Problem wahrgenommen. Für viele ist klar, dass die Polizei das Recht hat, Menschen anzuhalten, zu kontrollieren und die Personalien aufzunehmen. Ohne Polizeikontrollen wären die Chancen geringer, Kriminelle präventiv zu bekämpfen. Höchst problematisch ist es aber, Menschen ausschliesslich aufgrund äusserer Merkmale, die auf ihre Ethnizität hinweisen, zu kontrollieren. Das ist racial profiling, eine rassistische Praxis.

Seit 2015 weigere ich mich, mich auszuweisen, wenn ich als einziger aus einer Menschenmenge von der Polizei herausgepickt werde. Dies insbesondere, wenn mein Verhalten keinerlei Anlass dazu gibt, dass Beamt*innen auf mich aufmerksam werden sollten. Immer wieder werde ich von Polizeibeamt*innen gestoppt und kontrolliert, sei es auf dem Weg zur Arbeit, vor der Zentralbibliothek Bern oder vor der Kita meiner Kinder. Ich bin es leid, immer wieder ins Visier der Polizei zu geraten, ungeachtet dessen, wo ich mich aufhalte und wie ich mich verhalte.

Fast alle meine Kolleg*innen mit dunkler Hautfarbe haben schon Polizeikontrollen erlebt. Demgegenüber wurden alle meine weissen Kolleg*innen nie kontrolliert, ausser wenn sie an einer Demo teilnahmen. Genau dies zeigt auf, dass racial profiling ein institutionelles Problem der Polizei ist, welches sie auf der Basis von rassistischen Narrativen wie Hautfarbe oder anderweitiger «nichteuropäischer» Erscheinungsmerkmale Entscheidungen treffen lässt.

Wie sollen sich Betroffene gegen Polizeikontrollen wehren?

Wenn man in eine Polizeikontrolle geraten sollte, ist es sehr wichtig, überlegt zu handeln, sich gewaltfrei zu verhalten und anständig zu kommunizieren. Ich verhalte mich immer kooperativ, auch wenn mich die Polizei in eine Ecke stellt oder auf den Polizeiposten mitnimmt. Entwürdigende Kontrollen lasse ich auch in der Öffentlichkeit widerstandslos über mich ergehen. Dazu muss man die Hände gut sichtbar hoch halten und auch die Beine spreizen, wenn die Beamt*innen dazu Anweisung geben - das alles stillschweigend. Die einzige polizeiliche Handlung, gegen die es ganz wichtig ist zu protestieren, betrifft die Fragen nach den Personalien. Auf Fragen – «Wie heissen Sie?», «Woher kommen Sie?» oder «Wohin gehen Sie?» – sollte man nicht antworten. Einfach stumm bleiben und nichts sagen: gewaltfrei protestieren. Gewaltlosigkeit ist das Grundgerüst im Kampf gegen rassistische Polizeikontrollen.

Allerdings muss sich jeder und jede bewusst sein, dass, wer sich weigert sich auszuweisen, mit einer Busse wegen Nichtbefolgens einer polizeilichen Anordnung rechnen muss. Es ist klar, dass sich dies nicht alle Betroffenen leisten können. Es hat Konsequenzen, die Polizei kritisch zu hinterfragen, ans Gericht zu gehen und eine Busse zu bekommen. Jede und jeder sollte selber entscheiden, wie er oder sie sich verhalten möchte. Opfer von rassistischen Polizeikontrollen, die sich wehren möchten, um ihre Würde zu behalten, sollten jedoch unbedingt eine gewaltlose Strategie wählen.

Die richtige Strategie anwenden

Seit einiger Zeit arbeitet eine Gruppe von Aktivist*innen und Jurist*innen an Strategien, wie es gelingen kann, das Thema racial profiling ernster zu nehmen und in der Öffentlichkeit sichtbarer zu machen. Konkret versuchen wir verschiedene Ebenen anzugehen, wie zum Beispiel die Rechtsentwicklung, eine Vertiefung der Problemstellung durch Dokumentation und Sichtbarkeit, die Kritik an der institutionalisierten Nachlässigkeit der Polizei. Um diese Ziele zu erreichen, sollen folgende Massnahmen getroffen werden:
  • Strafverfahren: Einsprache von Betroffenen gegen Strafbefehle wegen Nichtbefolgens einer polizeilichen Anordnung (Verweigerung der eigenen Personalien).
  • Kein Einzelfall: Es ist wichtig aufzuzeigen, dass racial profiling viele Menschen betrifft und kein Einzelphänomen ist.
  • Institutionellen Rassismus benennen: Racial profiling ist kein Problem, das sich einzig auf einzelne Polizist*innen und ihre Vorurteile beschränkt. Es geht um institutionellen Rassismus, der strukturell bekämpft werden muss.
  • Verwaltungsverfahren: In verwaltungsrechtlichen Verfahren soll die Polizei mit dem Vorwurf von Verstössen gegen das Diskriminierungsverbot konfrontiert werden.
  • Beratung und finanzielle Unterstützung: Um strategische Rechtsverfahren durchführen zu können, werden finanzielle Mittel und beratende Unterstützung benötigt. Hierfür soll ein Solifonds aufgebaut werden.
  • Mediale Berichterstattung und Dokumentation: Racial profiling soll deutlicher in der Öffentlichkeit thematisiert werden. Wichtig ist dabei, eine gute Balance aus Einzelfalldarstellungen und Beschreibungen von struktureller Gewalt zu finden. Hierfür braucht es sowohl gezielte Medienberichte als auch den Aufbau von Dokumentationsplattformen, die breite Informationen zu racial profiling zur Verfügung stellen (z.B. Humanrights.ch).
  • Dialog mit der Polizei: Überlegungen zu Aus- und Weiterbildungsangeboten für die Polizei. Vorbereitung von Round Tables, Beratungen und Schulungen zum Thema racial profiling

Wir müssen alles tun, um unsere Würde zu bewahren

Wir brauchen eine organisierte Bewegung, die das Problem des racial profiling behandelt. Aktivist*innen und Juristinnen, die sich für diesen Kampf einsetzen, sind unsere Kamerad*innen. Aber ihre Unterstützung ist nur halb so gut, wenn sie nicht mit Betroffenen zusammenkommen und sich aktiv austauschen. Aufgrund unserer Betroffenheit und unserer Erfahrung sind wir, die dunkelhäutige Bevölkerung in der Schweiz, wichtige Akteur*innen, um uns gegen racial profiling einzusetzen.

Racial profiling wird erst richtig wahrgenommen, wenn auch Menschen mit afrikanischer Herkunft ihre Betroffenheit wahrnehmbar machen. Ohne aktiv unsere Stimme zu ergreifen, werden wir stets auf die Jammer-Position reduziert und nur zu einem Dialog eingeladen, in welchem wir unsere schlechten Erfahrungen erzählen sollen, um uns dann am Ende anzuhören, dass die Polizei grundsätzlich legitimiert ist, uns zu kontrollieren. Wir hören immer die gleichen Argumente: Viele Schwarze würden an der Zürcher Langstrasse, in der Reitschule Bern, auf dem Place de la Riponne in Lausanne, im Genfer Quartier Plainpalais oder in der Basler Elisabethenanlage mit Drogen dealen. Dies ist bisher das Kernelement der Dialoge geblieben. Das muss sich ändern.

Ja, es gibt schwarze Drogendealer*innen. Es ist aber untragbar, alle Schwarzen in einen Topf zu werfen, nur weil ein paar wenige davon Drogendealer*innen sind.

Nein zu Schubladisierung und rassistischen Polizeikontrollen

Oder sind alle Weissen Rassist*innen, weil ein paar von ihnen Nazi-Anhänger*innen sind? Die Rechtfertigung der rassistischen Profilerstellung von schwarzen Menschen basiert auf wenigen Dealer*innen und sollte daher nicht toleriert werden. Ich verstehe schon, dass die Polizei in unsicheren Situationen relativ schnell reagieren und Kontrollen durchführen muss. Und mir ist auch der Artikel 215 der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO) bekannt. Gemäss diesem Artikel ist die Polizei ausdrücklich legitimiert, Personen anzuhalten und ihre Personalien zu erfragen und zu prüfen. Warum haben aber fast alle meiner Kolleg*innen mit dunkler Hautfarbe schon Polizeikontrollen erlebt und alle meine weissen Kolleg*innen wurden bisher so gut wie nie kontrolliert?

Wir Schwarzen müssen in dieser Thematik an vorderster Stelle kämpfen und aus der uns zugeschriebenen Opferrolle ausbrechen. Wenn wir nicht aktiv werden, wird uns niemand ernst nehmen, weder unsere weissen Kamerad*innen, noch die weisse Polizei. Wir werden als «Ärmste» und als «Drogendealer» etikettiert bleiben. Dagegen müssen wir kämpfen.

Black Lives Matter – das gilt in den USA wie auch in der Schweiz!

Mohamed Wa Baile
Papierlose Zeitung

Mohamed Wa Baile arbeitet an der ETH-Zürich. Er hat zwei Kinder, für welche er sich wünscht, dass sie nicht eines Tages mit dem Gefühl leben müssen, aufgrund ihres Namens, ihres Aussehens oder ihrer Religion verurteilt und diskriminiert zu werden, und dass sie die Polizei nicht bald als Gegner wahrnehmen werden. Kontakt: www.wabaile.com.