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Rechtsextremismus in Frankreich

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Ein Blick auf die rechtsextreme Szene in Frankreich Rechtsextremismus in Frankreich

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Politik

Nach dem Tod des 18-jährigen französischen Antifaschisten Clément Méric: Eine Kritik an unkritischen Medienberichten und ein Blick hinter die Kulissen der französischen extremen Rechten.

Sorgte für die Wiederbelebung des „Troisième Voie“ - Serge Ayoub, alias «Batskin».
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Sorgte für die Wiederbelebung des „Troisième Voie“ - Serge Ayoub, alias «Batskin». Foto: Gauthier Bouchet (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

Datum 3. November 2013
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Zuerst herrschte grosse Betroffenheit. Der Schock sass tief: Seit 1995, als Brahim Bouaram, ein junger Araber, am Rande der 1. Mai-Demonstration in Paris von rechtsextremen Skinheads in die Seine geworfen wurde und ertrank, starb in Frankreich offiziell kein Opfer rechtsradikaler Gewalt mehr [1]. Doch schon bald schlug die Stimmung um. In vielen Medien war nunmehr von einer „Auseinandersetzung“ zwischen „Linksextremen und Rechtsextremen“ zu hören und zu lesen. Fakt ist: Der 18-jährige Clément Méric, Mitglied der Action Antifasciste Paris-Banlieue und der Gewerkschaft SUD-Etudiants, starb am 6. Juni infolge mehrerer Schläge gegen den Kopf.

Der mutmassliche Täter, ein 20-jähriger Nazi-Skinhead, der gemäss unterschiedlichen Quellen den rechtsextremen „Jeunesses Nationales Révolutionnaires“ nahestehen soll, sitzt in Untersuchungshaft und wird voraussichtlich der fahrlässigen Tötung angeklagt – obwohl der wenige Tage nach Mérics Tod veröffentlichte Autopsiebericht bestätigte, dass der junge Antifaschist an den Folgen eines oder mehrerer Schläge an den Kopf starb. Und nicht wie ursprünglich in vielen Medien berichtet wurde, weil er beim Hinfallen mit dem Kopf auf einen Metallpfosten aufgeschlagen war.

Vom genauen Tathergang bestehen inzwischen zusammengefasst folgende zwei Versionen: Diejenige, die von den meisten Massenmedien und Internetportalen verbreitet wird: Clément Méric und zwei weitere „Linksextremisten“ hätten den Täter und seine Freunde während eines Kleiderverkaufes als Rechtsextreme erkannt und daraufhin angepöbelt. Sie hätten – nach einigen Quellen – die Faschisten zu einem Kampf auf der Strasse aufgefordert oder – nach anderen Berichten – ihnen auf der Strasse abgepasst und begonnen Schläge auszuteilen.
Die zweite Version, aus dem Umfeld von Méric, sagt hingegen aus, dieser und seine Freunde seien nach dem Kleiderverkauf auf der Strasse von den rechtsradikalen Skinheads umzingelt und zusammengeschlagen worden. Der genaue Tathergang wird wohl nur schwer festgelegt werden können. Zwei andere Dinge zeigen sich dagegen deutlich: Einerseits wie solche Taten medial aufgearbeitet und umgedeutet werden. Und andererseits, wie sich die rechtsextreme Szene in Frankreich in den letzten Jahren wieder zunehmend radikalisiert hat.

Die Extremismusfrage

Wenn von „Linksextremisten und Rechtsextremisten“ die Rede ist, so werden die beiden Bewegungen sowohl grammatikalisch als auch semantisch
auf die gleiche Ebene gestellt – beides sind „Extremismen“ beziehungsweise „Extremisten“. Dabei stellt sich die Frage, ob ein Engagement in einer Student_
innengewerkschaft, für Tierrechte und die Rechte von Homosexuellen auf Eheschliessung als extrem gelten kann. Und ob Antifaschismus auf einen Extremismus
reduziert und somit dem Faschismus gleichgestellt werden kann?

Ein Blogger des französischen partizipativen
Online-Mediums „Mediapart“
mit dem Pseudonym „Silvagni“ schrieb
am 6. Juni dazu: „Der Antifaschismus
ist kein Extremismus. Der Antifaschismus
ist ein Kampf, der lebenswichtig
ist für unsere Gesellschaft.“ Es gibt
Antifaschist_innen in erster Linie, weil
es immer noch Faschist_innen gibt.
Und doch analysiert sogar die Westschweizer
Zeitung „Le Courrier“, die
ursprünglich weit linker stand als die
Schweizer Sozialdemokrat_innen, in
einem Artikel vom 8. Juni den Tod Clément
Mérics als Resultat „ritualisierter
Kämpfe zwischen Faschisten und Antifaschisten“.
Dass selbst der „Courrier“
das Bild der sich bekämpfenden
Extreme aufgreift, zeigt, wie weit die
Entpolitisierung der Berichterstattung
über faschistische Gewalt schon fortgeschritten
ist.

Dabei zeugt die Gleichstellung von
Rechtsextremismus und Linksextremismus
nicht nur von Naivität und ist
äusserst vereinfachend, sie ist auch
gefährlich. Der rechtsextreme Autor
und Verschwörungstheoretiker Alain
Soral beispielsweise, dessen Thesen
in Frankreich und in der Westschweiz
immer mehr Anhänger_innen finden,
stützt sich auf dieses Bild der linken
und rechten Extreme, die sich in ewige,
sinnlose Kämpfe verwickeln und die es
deshalb zu überwinden gilt (Soral war
Mitglied der französischen Kommunistischen
Partei, bevor er zum rechtsextremen
„Front National“ wechselte,
den er ebenfalls enttäuscht verliess).

Soral vermischt denn auch komplexfrei
linke Globalisierungskritik (und holt
damit die hiesigen Verlierer_innen der
Globalisierung ab und schafft es, ihre
Frustration zu kanalisieren) und rechtes
Gedankengut wie Judenfeindlichkeit,
Patriotismus und Wertkonservatismus.
Die von ihm gegründete und präsidierte
Bewegung „Egalité & Réconciliation“
(Gleichheit und Versöhnung) präsentiert sich mit dem Slogan: „Linke der
Arbeit, Rechte der Werte: für eine nationale
Versöhnung“.

Ähnliche Argumente benutzt auch die
Bewegung „Troisième Voie“ (Dritter
Weg), die in den 80er-Jahren gegründet,
Ende der 90er-Jahre aufgelöst und
vor knapp zwei Jahren wiederbelebt
wurde von Serge Ayoub, einem sehr
aktiven rechtsradikalen Skinhead, auch
bekannt unter dem Namen „Batskin“.
Ayoub betrieb eine kurze Zeit lang eine
Bar mit … Alain Soral. Die Bewegung
„Troisième Voie“ besitzt einen äusserst
gewaltbereiten Arm, der häufig als Sicherheitsdienst
an Demonstrationen zu
sehen ist und den Namen „Jeunesses
Nationales Révolutionnaires“ (JNR)
trägt – diejenige Gruppierung also, der
der Täter im Fall Méric nahestehen soll.

Das Imageproblem des Front National

Es ist nicht zuletzt Soral und Ayoub zu
verdanken, dass die rechtsradikale Bewegung
in Frankreich – und auch in
der Westschweiz, mit der verschiedene
Gruppierungen enge Beziehungen
unterhalten [2] und wo sich in letzter Zeit
zunehmend französische Rechtsradikale
niedergelassen haben – wieder vermehrt
aktiv ist und brutaler geworden
ist. Seit dem Tod Mérics versucht sich
Ayoub jedoch in allen möglichen Medien
aus der Verantwortung zu reden.
Und auch Marine Le Pen verursacht
diese neue Gewaltbereitschaft ein immer
grösser werdendes Imageproblem.
Die Tochter von Jean-Marie Le Pen,
dem Gründer der rechtsradikalen Partei
„Front National“ (FN), hat im Januar
2011 von ihrem Vater die Präsidentschaft
der Partei übernommen. Seither
versucht sie, dem FN ein friedlicheres,
gesellschaftstauglicheres Image zu verpassen.

Ihre Losung „Keine Glatzköpfe
mehr an FN-Demonstrationen“ wird
aber nur bedingt eingehalten: Die französischen
Medien zeigen regelmässig
Bilder von hohen FN-Mitgliedern, die
öffentlich mit rechtsradikalen Skinheads
schäkern. Zudem kann Marine
le Pen schlecht verneinen, dass die Sicherheitsdienste
des FN hauptsächlich aus rechtsradikalen Schlägerbanden bestehen
und die Wahlpropaganda – Plakate
kleben, Flyer verteilen – häufig von
rechtsradikalen Gruppierungen übernommen
wird.

Selbst Serge Ayoub hat
vor den Präsidentschaftswahlen 2012
auf dem Marktplatz von Hénin-Beaumont
Werbung für die FN-Präsidentschaftskandidatin
gemacht – niemand
anderes als Marine Le Pen. Diejenige
Marine le Pen, die seit dem 6. Juni
krampfhaft versucht, jegliche Nähe des
FN zu den „JNR“ abzustreiten, obwohl
inzwischen bekannt geworden ist, dass
sie Serge Ayoub mehrere Male persönlich
getroffen hat. Le Pens Reaktion auf
die vom französischen Premierminister
Jean-Marc Ayrault angekündigte Auflösung
der „JNR“ war denn übrigens, auch
ein Verbot der Antifa Paris-Banlieue zu fordern, die sie als „sehr gewaltbereite
Schlägergruppe“ bezeichnet.

Nazi-Skinheads und Priester

Diesen drei Polen – dem intellektuellen
von Alain Soral, dem offen gewaltbereiten
Ayoubs und dem politischen, repräsentiert
durch den Front National – kann
noch ein vierter angefügt werden, der
gerade in letzter Zeit häufig von sich zu
reden gemacht hat: der konservativ-katholische,
der dem französischen Klerus
nahe steht. So waren an den Demonstrationen
gegen das Recht zur Eheschliessung
homosexueller Paare (das diesen
Frühling verabschiedet wurde), nicht
selten Glatzköpfe mit klar an das dritte
Reich erinnernden Tätowierungen Seite
an Seite mit gemässigter auftretenden FN-Mitgliedern und katholischen Priestern
zu sehen.

Auch wenn die konservativ-
katholische Gesellschaftsschicht nur
ungefähr fünf Prozent der französischen
Bevölkerung ausmacht, so hat sie doch
einen grossen Einfluss auf gesellschaftliche
Fragen und eine erstaunliche Mobilisierungskraft
– in den letzten Monaten
kamen regelmässig hunderttausende
Demonstrant_innen zusammen, um gegen
die „Heirat für alle“ [3] zu protestieren
– und hat sich in letzter Zeit bedeutend
radikalisiert.

Davon zeugen mehrere
zum Teil äusserst brutale Übergriffe auf
homosexuelle Paare in den letzten Monaten.
Auch die sich verschlechternde wirtschaftliche
Situation in Frankreich
wird häufig als Erklärung der wieder erstarkenden extremen Rechten und
der zunehmenden Gewaltbereitschaft
herangezogen – was für die Zukunft
nichts Gutes verheisst. Allein seit Anfang
Juni wurden neben Clément Méric
vier weitere Opfer rechtsextremer Gewalt
bekannt, eine Person liegt immer
noch auf der Intensivstation. Diese
Gewalt auf „ritualisierte Kämpfe zwischen
Links- und Rechtsextremen“ zu
reduzieren, heisst nicht nur den politischen
Inhalt des Antifaschismus zu
verkennen, sondern auch die ökonomische,
gesellschaftliche und politische
Entwicklung Frankreichs der letzten
Jahre auszublenden.

Yolanda Féin
di schwarzi chatz Nr. 25

[1] Tatsächlich gab es seither eine beträchtliche Anzahl von Übergriffen, darunter mehrere Morde, die von Behörden und Medien allerdings nicht als rechtsextrem motiviert angesehen werden.

[2] so ist der Anführer von der faschistischen Gruppe „Genève non-conforme“ des Öfteren an Demonstrationen mit den „JNR“ zu sehen.

[3] „mariage pour tous“, Leitspruch der Befürworter_innen des Eherechts für homosexuelle Paare.