Politik gerät immer mehr in den Malstrom von Casting, Skandal und Seifenoper Österreich: Philippa als Evita

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Wen interessieren schon Themen? Derer gäbe es zwar genug: Wohnen, Gesundheit, Bildung, Verkehr, Arbeit, ja sogar Klimaschutz.

Mitglieder des ÖVP-Klubs, Juni 2018.
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Mitglieder des ÖVP-Klubs, Juni 2018. Foto: Dedi30 (CC BY-SA 4.0 cropped)

23. September 2019
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Sie kommen zwar vor, aber sie verursachen durch Phrasen und Chiffren, durch Stehsätze und Nullaussagen lediglich ein Rauschen im Hintergrund. Wird über sie gesprochen, werden sie nicht erörtert, sondern zerredet. Politik wird zusehends zu einem Brei und als vermeintlichen Befreiungsschlag scheint nur noch der Populismus möglich. Der reüssiert, mag er unmittelbar auch etwas schwächeln.

Tatsächlich hat man (nicht erst seit dieser Wahl) das Gefühl, dass es in den hiesigen Wahlkämpfen primär um leidige Korruption und persönliche Verfehlungen geht. Wichtiges und Nichtiges sind dabei leicht zu verwechseln, weil schwer zu unterscheiden. War die Rendi gar in St. Tropez? Wem können wir was anhängen?, fragen sich hochdotierte Campaignisierer und Coaches. Welches Gschichterl drücken wir rein?

Neudeutsch nennt sich das dann Framing bzw. Reframing. Zuletzt kam die ÖVP wiederum in Bedrängnis, weil sie angeblich via doppelter Buchführung ihre Wahlkampfausgaben verschleiern wollte. Diese unterliegen in Österreich einer Obergrenze. Die Volkspartei behauptet nun, dass die Daten gestohlen und manipuliert worden sind. Das ist nicht ganz auszuschliessen, wenn auch nicht wahrscheinlich. Das Reframing soll so funktionieren: Da gab es eine Hacker-Attacke! Waren es die Russen oder der Silberstein oder einer der Mitbewerber? Auf jeden Fall soll ein Narrativ von einem anderen Narrativ abgelöst werden. Mutmassliche Täter transformieren sich zu vermeintlichen Opfern. Näher liegend ist freilich, dass in der ÖVP-Zentrale Maulwürfe sitzen, die aus welchen Gründen auch immer das kreative Rechnungswesen verraten haben. Dass hingegen gerade Putin ein vorrangiges Interesse haben sollte, die Christkonservativen zu bespitzeln, ist abwegig. Da heuert er doch lieber deren Spitzenrepräsentanten nach ihrem politischen Abtritt an.

Wahlkämpfe reduzieren sich immer mehr zu einem allumfassenden Casting der Spitzenkandidaten. Da geht es inzwischen Schlag auf Schlag, d.h. wer schlägt wen? Nirgendwo ist die Dichte an Fernsehduellen so hoch wie in Österreich. Die direkten Konfrontationen gleichen einer Endlosschleife: Jeder gegen Jeden, Alle gegen Alle. Und das auf diversen Sendern. Ziel muss sein, atmosphärisch zu punkten. Auf allen einschlägigen Kanälen werden Kandidaten gleich Kampfhühnern in die Arena geschickt.

Politik als Show zu kritisieren, ist zwar keine falsche Diagnose, aber doch eine hilflose, eben weil die ganze Gesellschaft mittlerweile auf die Kulturindustrie konditioniert ist und nach ihr tickt. Der mediale Selbstlauf vermag allen Bekenntnissen zum Trotz nichts anderes anzustellen. Gefragt ist schlicht die Performance. Politik gerät in die Castingmaschine, wo dann sogleich eine Jury die Haltungsnoten mitliefert. Auch das Publikum spielt da mit. Das Trollen, das Haten, das Shitposten gehört inzwischen zum unguten Ton. Nie zuvor war es so einfach, Dreck durch die Gegend zu schicken. Das Kanalsystem der sozialen Medien wird immer grösser.

Wie kommt nun diese Dynamik in die Politik? Warum lässt sie sich nicht stoppen, sondern verschärft sich zusehends, nicht nur in Österreich. Ist das die Rückseite der allseits beschworenen Werte? Geht es hier gegen die Demokratie oder verpuppt sich diese gerade zur Kenntlichkeit? Quasi als Pluralismus diverser Unmöglichkeiten. Warum gewöhnt man sich diese Politik zum Abgewöhnen akkurat nicht ab? Woher rührt die Stärke dieses Sogs?

Das ständige Jagen, Aufdecken, Überführen, Anpatzen wirkt indes angeschlagen, wenn auch nicht ausgereizt – man spürt das auch, es ermüdet. Als Alternative zu alledem wird indes gerade das populistische Gepolter wahrgenommen, also nicht das Gegenteil von dem, was läuft, sondern der Komparativ des Gehabten. Viel Aufwand wird getrieben die Politikverdrossenheit klein zu halten. Insgesamt haben die Österreicher nämlich die Nase ziemlich voll, so oft wählen gehen zu müssen. Seit 2016 gibt es nun bereits sechs bundesweite Urnengänge.

Es ist auch wirklich kurios. Diese Wahl gibt es nur aufgrund es Ibiza-Videos. Die Regierungskonstellation, die wir vorher hatten, werden wir wohl auch nachher wieder haben. Die ÖVP wird etwas stärker und die FPÖ etwas schwächer geworden sein. Dass Sebastian Kurz siegen wird, ist fix, es fragt sich bloss mit wie viel Vorsprung. Am meisten zugewinnen werden aber die Grünen. Sie haben nicht nur aufgrund der Klimakrise Konjunktur, viele Wähler wollen sie auch dafür entschädigen, dass sie das letzte Mal den abtrünnigen Peter Pilz oder gleich die SPÖ gewählt haben und die Ökopartei deswegen aus dem Nationalrat geflogen ist.

Der FPÖ wiederum hat Ibiza kaum geschadet. Die Freiheitlichen würden nur dann abstürzen, wenn Ex-Parteichef Heinz-Christian Strache auszuckt. Gelegentlich war er, der bloss zwischenzeitlich Ausgeschiedene, auch nahe dran, doch letztlich fügte er sich dem Deal mit dem designierten Parteichef, Norbert Hofer: „Strache ist jetzt sehr ruhig und stört Wahlkampf nicht“, sagt dieser. Dafür bekommt seine Frau Philippa auch ein Nationalratsmandat. Die Nahversorgung ist somit gesichert. Die Parteibasis hält aber noch immer fest zu ihm, die Parteigranden hingegen sind erzürnt über das Video. Nicht, dass man das nicht sagen darf, aber welch Trottel lässt sich dabei schon filmen. Von einem Ende der Karriere sollte man indes nicht ausgehen. Im Interregnum macht Philippa auf Evita und heilt die Wunden. „FPÖ schafft mit Philippa das Comeback“, schreibt das Boulevardblatt Österreich. Es grenzt nicht nur an eine politische Soap Opera, es ist eine. Häufen sich die Peinlichkeiten und Blamagen, sind es keine mehr.

„Unproduktive Empörung“ (Karl Kraus) beherrscht die Szene. Aufregung ist überall, und wo sie nicht ist, wird sie erzeugt. Doch sie verpufft auch schnell wieder. Im Nu ist man auf etwas fixiert, aber die Fixierung ist eine fluktuative, keine dauerhafte. Tritt eine neue Affäre aufs Tapet, ist die letzte schon vergessen. Die unzähligen Eindrücke können gar nicht verarbeitet und sortiert werden. Da man nicht mehr weiss, was man glauben soll, glaubt man halt, was man glauben will.

Der grosse Skandal ist, dass fast nur noch Skandal ist. Man versinkt förmlich im Morast der Affären. Permanent wird etwas mit oft dubiosen Methoden aufgedeckt und durch undurchsichtige Kanäle weitergeleitet. Verdächtigungen und Anschuldigungen haben Saison. Politik erscheint als Dunkelkammer. Nicht, dass es diese schwarzen Räume nicht gibt, soll behauptet werden, aber ihre Relevanz wird überschätzt. Ohne Protektion keine Politik. Skandale stossen mehr ab als sie anspornen. Vor allem führen sie zu der bahnbrechenden wie falschen Erleuchtung, dass alle Politiker Gauner sind. Oder noch konzentrierter, dass alle ausser den ganz grossen Lumpen, Lumpen seien. Nur so ist es erklärbar, dass gerade die FPÖ, die Partei mit der höchsten Skandalquote, als Kämpferin gegen Korruption und Postenschacher aufzutreten vermag.

Wenn dann zu allem Überfluss aus Sebastian Kurz Mund der Begriff „neue Politik“ fällt, kann einem bloss noch schlecht werden. Das ist gelinde gesagt, eine Drohung und keine Hoffnung. Kann die Sprüche von Transparenz und Sauberkeit noch jemand hören? Vielmehr wäre es erkenntnisreich, Politik als das zu nehmen was sie ist und nicht als das, was sie zu scheinen hat. Anstatt sich also über die Korruption der Kavaliere zu echauffieren, sollte man mal sich hinsetzen und in Ruhe konstatieren, dass es so läuft. Straches paradigmatischer Satz: „Novomatic zahlt alle“, sollte als grundsolide Aussage über das Verhältnis etwa des mächtigen Glücksspielkonzerns zu den Parteien ernst genommen werden. Tut man das, gerät freilich einiges mehr ins Rutschen als das eh schon der Fall ist. Der Skandal wäre nicht als Abweichung sondern als Funktion der Norm zu denken.

Franz Schandl
streifzuege.org