Internationale Heimatkunde Brasilien: Der Elefant im US-Hinterhof

Politik

Brasilien verdankt seine Grösse – es ist nach Territorium das 5.-grösste Land der Welt – einigen historischen Zufällen.

Zentrum von São Paulo, Dezember 2020.
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Zentrum von São Paulo, Dezember 2020. Foto: RealityIllusion (CC-BY-SA 4.0 cropped)

4. Mai 2023
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I. HINTERHOF-ÜBERGRÖSSE

I. 1. Historisches

Der erste davon fand zur Zeit der Eroberungen im 16. Jahrhundert statt. Der von einem spanischen Papst vermittelte Vertrag, der die Welt in zwei Hälften teilte, sollte die überseeischen Beziehungen Spaniens im heutigen Lateinamerika gegen portugiesische Ansprüche absichern und letztere auf Afrika und Indien beschränken.

Die Linie ging so, wie sie festgelegt worden war, durch Südamerika. Damals, 1494, war jedoch das amerikanische Festland den Vertragsparteien unbekannt. Kolumbus hatte auf seinen ersten zwei Reisen nur Inseln der Karibik betreten. Erst auf seiner 3. Reise sichtete und betrat er das Festland im heutigen Venezuela. Zum Zeitpunkt seiner Rückkehr im November 1500 hatten die Portugiesen bereits den Seeweg nach Indien entdeckt. Ausserdem, aber das stellte sich erst im nächsten Jahr, bei der Rückkehr einer anderen portugiesischen Flotte heraus, hatte diese einen Küstenstreifen des heutigen Brasilien entdeckt und in Besitz genommen.

Zunächst war die brasilianische Küste eher eine Nebenfront des portugiesischen Kolonialismus. Der Gewürzhandel mit Indien hatte Vorrang. Mit dem Aufkommen des Zuckerrohranbaus und des Sklavenhandels gewann die Gegend jedoch an Bedeutung. Auf der Suche nach Gold und nach Bevölkerung, die man versklaven konnte, drangen die portugiesischen Glücksritter, die Bandeirantes, weit ins Innere des Subkontinentes vor. An der Küste wurden in beide Richtungen Forts und Siedlungen angelegt, um die Kolonie gegen Korsaren und konkurrierende Kolonialmächte abzusichern. Die Ausdehnung des portugiesischen Einflussbereiches war auch beeinflusst von der Erschöpfung der Humanressourcen Spaniens, sein grosses Territorium zu befestigen, verteidigen und verwalten. Schliesslich waren es die Jesuiten, die mit ihren Siedlungen wie Wehrdörfer funktionierten und der portugiesischen Expansion Einhalt gboten.

Der zweite historische Zufall war die besondere Art, wie die Entkoppelung der Kolonie vom Mutterland von sich ging. Sie wurde nämlich nicht in langen und blutigen Heerzügen und Schlachten in unzugänglichen Gegenden bewerkstelligt, wie im Falle Spaniens, sondern von der Chefität selbst ausgerufen: Der von den französischen Truppen vom Thron gestossene portugiesische Monarch entwich in die Kolonie und wertete diese durch seine Anwesenheit zum neuen Zentrum des Reiches auf. Später wurde dann noch ein Kaiserreich draus, was der Grösse des Territoriums angemessen war und die dortige Oberschicht befriedigte. Separatismus und Kleinstaaterei, gar Staatsgründungskriege wie im restlichen Teil Lateinamerikas erübrigten sich daher.

Diese Übergrösse war ein wichtiger Faktor im Verhältnis zu den USA, die Lateinamerika im Sinne der Monroe-Doktrin zu ihrem Hinterhof machten, anfänglich von Nord nach Süd und unter Hinausdrängung des britischen Empire.

Das daraus resultierende Spannungsverhältnis zwischen brasilianischen Präsidenten, die meinten, ihre grosse Nation sei zu Grossem berufen und den USA, die meinten, jede brasilianische Ambition hätte an US-Interessen Mass zu nehmen, hat im 20. Jahrhundert drei von ihnen das Leben gekostet, Brasilien eine Militärdiktatur beschert und die wirtschaftliche Entwicklung des Landes stark geprägt.

Sogar ein Präsident wir Jair Bolsonaro, der zu Beginn seiner Amtszeit sozusagen Liebkind der USA war, fiel bis zum Ende hin in Ungnade, weil er den Warenaustausch innerhalb des BRICS-Staatenbundes schätzte und nicht bereit war, sich wegen des Ukraine-Kriegs Sanktionen anzuschliessen, die er als schädlich für Brasilien ansah.

I. 2. Schwellenland

Brasilien gilt als klassisches Schwellenland, ähnlich wie andere seiner BRICS-Kollegen Indien und Südafrika.

Was ist mit diesem Begriff eigentlich ausgesagt? Um welche „Schwelle“ handelt es sich?

Gegenüber dem Begriff „Entwicklungsland“, der irgendwie die armen Hinterwäldler in Afrika, Asien oder der Karibik bezeichnet, die noch einen weiten Weg vor sich haben, soll es das Schwellenland weiter gebracht haben.

In beiden Fällen werden jedoch die erfolgreichen Staaten Europas und Nordamerikas als Ziel verstanden, zu dem sich andere hinbewegen sollten, sogar eigentlich in einer Art Geschichtsteleologie müssen. Es gibt kein Entrinnen, alle müssen sich zu marktwirtschaftlich begründeten Konkurrenzgesellschaften wandeln, dann dürfen sie sich auch an den gedeckten Tisch setzen – so die Vorstellung, die die Grundlage von Begriffen wie „Entwicklungs“- und „Schwellen“land ist.

Macht schön, was der IWF und ähnlich gelagerte Institutionen und unsere diversen „Berater“ euch sagen, und dann kommt ihr auch so weit – das ist die Vorstellung, mit der diese Staaten und ihre Regierungen „im globalen Süden“, wie sie inzwischen heissen, im Grund schon seit 1945 am Gängelband gehalten werden.

Klappt es nicht, so sind sie selber schuld, weil ihre Bevölkerung lernunfähig ist, ihre Eliten korrupt und geldgierig, und so weiter. Klappt es aber einmal schon, wie bei China – so ist es auch nicht recht und der glücklich im Entwicklungsparadies angekommene Kandidat wird als Spielverderber und Bösewicht schlecht gemacht, der sich nicht an die Regeln gehalten hat.

Die ewigen Schwellenländer sind dem Wertewesten weitaus lieber, weil sie sind klein genug, um weiter nach der Entwicklungs-Karotte zu schnappen, und gross genug, dass man mit ihnen gute Geschäfte machen kann.

Der Zusammenschluss von solchen Staaten mit Russland und China ist den USA und Europa überhaupt nicht recht. Das war der Grund für das Misstrauensvotum, das die Regierung von Dilma Rousseff gestürzt hat, und die Unterstützung des Sieges von Bolsonaro.

Bis dahin war aber ein holpriger Weg.

II. DER TEUFELSKREIS DER SCHULDEN

Der Versuch, über die Schwelle zu schreiten und eine ordentliche Kapitalakkumulation hinzulegen, anstatt sich lediglich Rohstofflieferant für die Industrien der USA und der ehemaligen Kolonialmächte zu bleiben, zeichnet nicht nur Brasilien aus, sondern auch andere Staaten Lateinamerikas.

In Argentinien versuchte Perón eine eigene Industrie aufzubauen, in Mexiko verschiedene Präsidenten der Einheitspartei, die das Land bis 2000 regierte. Auch in Brasilien tat sich diesbezüglich einiges.

II. 1. Der IWF und seine Schuldner

Neben dem Kapital, das nach 1945 in diese Richtung nördliche Vorbilder aufstrebenden Staaten wie Brasilien strömte – allerdings vor allem, um angesichts des eher schwachen inneren Marktes in Sparten zu investieren, die für den Export wichtig waren –, gesellten sich zunächst beim IWF und dann auch bei privaten Banken aufgenommene Kredite. Die Verschuldung der Staaten Lateinamerikas, Afrikas und des fernen Ostens nahm Anfang der 70-er Jahre zu, als die Umstellung des IWF von der Goldbindung auf Sonderziehungsrechte die Kreditvergabe des IWF anspornte und die Banken der USA und vor allem Europas aus verschiedenen Gründen zuviel Geld hatten und nicht wussten, wohin damit. Da erschien u.a. Lateinamerika als perspektivenreicher Kunde.

Der IWF wurde mit der Zeit und den Schuldenproblemen als Gläubiger deshalb so wichtig für einen Kreditnehmer, weil der IWF-Kredit eine Art Bürgschaft darstellt: Wenn der IWF ein Land für kreditwürdig hält, so geben die kommerziellen Banken ihm auch Kredit. Wenn also ein Staat auf dem Finanzmarkt Geld aufnehmen will, so muss er sich erst beim IWF verschulden.

Das Geld, das mit dem IWF garantiert und von der kommerziellen Finanzwelt verliehen wird, ist Weltgeld und verschafft demjenigen, der den Kredit erhält, Zugriff auf Waren der ganzen Welt. Das heisst: sowohl auf Konsumgüter als auch auf Produktionsgüter wie Maschinen oder Industrieanlagen.

Ausserdem ermöglicht ein IWF-Kredit das Anlegen bzw. die Pflege eines Devisen-, also Weltgeld-Schatzes, mit dessen Hilfe ein Staat die Konvertibilität seiner Währung garantieren kann. Das ist unbedingt notwendig, wenn dieser Staat bzw. seine Regierung ausländisches Kapital anziehen will. Mit der Konvertibilität kann er diesen Kapitalbesitzern garantieren, dass sie ihre Gewinne auch wieder in Weltgeld umwandeln und woanders hin verschieben können.

Der IWF war damals wichtig für Staaten, bei denen wenig Kapital akkumuliert worden war. Diejenigen Staaten, wo das Kapital sozusagen zu Hause ist, brauchten lange Zeit den IWF nicht als Kreditgeber – eher als Türöffner in andere Weltgegenden. Ihre Unternehmen exportierten selber genug Waren, um sich über den Welthandel die nötigen Devisen beschaffen zu können.

Diejenigen, die erst in diesen illustren Klub aufsteigen wollten, hatten vor, über Kredit eine Kapitalakkumulation in die Wege zu leiten. Sie waren von dem Willen getrieben, aus den Gewinnen der mit Kredit geschaffenen Unternehmen den Kredit zu bedienen bzw. auch irgendwann zu tilgen. Und das ist ja auch der Gedanke, der dem Begriff „Entwicklungsland“ zugrundeliegt. Hier geht es darum, den Weg der Entwicklung Richtung Westeuropa oder USA oder auch Australien zu beschreiten.

Wenn das nicht gelingt, so wächst die Verschuldung, und irgendwann einmal ist nicht genug da, um die regelmässig fälligen Zinsen zu zahlen – geschweige denn, den Kredit zurückzuzahlen und sich damit aus dem Schuldendienst zu befreien.

Zu dieser misslichen Lage tragen oftmals auch die Rohstoffpreise bei, die den Konjunkturen des Weltmarktes gemäss fallen oder ansteigen. Wenn sie fallen, so verringern sie damit die Einnahmen des Schuldnerstaates, der solche Rohstoffe oder Agrarprodukte liefert, und damit auch seine Fähigkeit zur Bedienung der Schulden – und erinnern ihn damit daran, dass er von seinen Plänen zur Erreichung eines kompletten Kapitalstandortes noch weit entfernt ist.

II. 2. „Importsubstitution“

In der Literatur zu den Bemühungen der grossen Staaten Lateinamerikas, sich in den Kreis derjenigen Nationen einzureihen, deren Währungen auch ohne die Hilfe des IWF konvertibel sind, weil sie auch ausserhalb der eigenen Landesgrenzen nachgefragt werden, wird diese Politik oftmals als das Streben nach „Importsubstitution“ bezeichnet. Dieser Begriff hat von vornherein etwas Missbilligendes an sich. Irgendetwas soll „ersetzt“ werden. Und dieses Irgendetwas, der Import, wird sozusagen als die natürliche, sozusagen prästabilisierte Harmonie aufgefasst. Damit ist gesagt, dass diese Staaten eigentlich importieren sollen, damit die „entwickelten“ Staaten, die mit dem richtigen, dem Weltgeld, ihren Krempel irgendwohin verkaufen können. Wenn Deutschland – und inzwischen auch China – Exportweltmeister sind, so muss es ja auch Staaten geben, die Import-, hmmm, -Champions sind.

Eine Sache ist, Dinge zu produzieren oder nicht zu produzieren. Man denkt zunächst einmal an Konsumgüter. Wenn es keine Fabriken für Waschmaschinen oder Staubsauger gibt, so muss man diese Güter eben aus dem Ausland beziehen. Das zweite ist aber die Zahlungsfähigkeit. Für diese ganzen Importe muss Weltgeld an Land gezogen werden, d.h., irgendetwas muss aus diesem Land auch hinausgehen. Und wenn ein Staat über wenig Bodenschätze verfügt, oder wenig fruchtbare Erde hat, – was die Handelsbilanz negativ beeinflusst – so bleiben noch Tourismus und Arbeitsemigration, um Devisen an Land zu ziehen.

Und wenn mit all diesen Wirtschaftszweigen immer zuwenig hereinkommt, so bleibt auch nur der Weg der Verschuldung – die sich in diesem Fall nicht aus Ambitionen Richtung wirtschaftliche Entwicklung ergibt, sondern aus einer negativen Zahlungsbilanz.

Diese negative Zahlungsbilanz zu überwinden, ist das, was mit gerunzelter Stirn als „Importsubstitution“ bezeichnet und auch oftmals als gescheiterte Wirtschaftspolitik verbucht wird, – mit dem Verweis auf Schuldenkrisen und natürlich die immer und überall vorhandene und daher auch problemlos als Ursache aller Übel verwertbare Korruption. Vom IWF wurde daher seit dem Anfang der Schuldenkrisen in Lateinamerika immer wieder empfohlen, die eigene Bevölkerung zu verbilligen und sich im Sinne der „internationalen Arbeitsteilung“ wieder zum Exporteur von Agrarprodukten und Rohstoffen und zum Importeur von Konsumgütern herzurichten und sich in dieser Rolle zu bescheiden.

II. 3. Die erste Schuldenkrise Brasiliens

„In den 1960er und 1970er Jahren hatten sich viele lateinamerikanische Staaten, insbesondere Brasilien, Argentinien und Mexiko, grosse Summen an Kapital von internationalen Gläubigern geliehen, um ihre Industrialisierung voranzubringen. … Zwischen 1975 und 1982 ist die Gesamtsumme der Forderungen kommerzieller Banken gegenüber Lateinamerika jährlich um 20,4 % gestiegen. Dieser Umstand führte zu einer Vervierfachung der lateinamerikanischen Auslandsschulden von 75 Milliarden US-Dollar (1975) auf mehr als 315 Milliarden US-Dollar im Jahr 1983, mithin 50% des Bruttoinlandsprodukts der gesamten Region. Der jährliche Schuldendienst (d. h. Tilgungs- und Zinszahlungen) stieg noch rasanter an und erreichte 1982 einen Betrag von 66 Mrd. US-Dollar (nach nur 12 Mrd. US-Dollar im Jahr 1975).

Als … der Ölpreis (in den 70-er Jahren) in die Höhe zu schiessen begann, bedeutete dies für viele Länder der lateinamerikanischen Region einen Wendepunkt. Viele Entwicklungsländer befanden sich plötzlich in einem extremen Liquiditätsengpass, weil sie durch die steigenden Rohstoff-“ (will heissen: Energie-)„preise in Zahlungsnot gerieten. Erdölexportierende Länder wurden hingegen mit Finanzmitteln aufgrund der gestiegenen Erdölpreise überschwemmt und investierten das Geld bei internationalen Banken, die dieses wiederum in Form von Krediten in Lateinamerika anlegten (sogenanntes Petrodollar-Recycling). Dadurch akkumulierten sich die Auslandsschulden dieser Staaten über die Jahre gefährlich. Im Anschluss begann die Schuldenkrise, als die internationalen Kapitalmärkte gewahr wurden, dass Lateinamerika seine Schulden nicht mehr zurückzahlen können wird.“ (Wikipedia, Lateinamerikanische Schuldenkrise)

Dazu muss man erwähnen, dass die Rückzahlung von Schulden inzwischen mehr oder weniger als unschicklich betrachtet wird. Der Schuldner soll seine Schulden bedienen und daher den Banken als ständige und verlässlich sprudelnde Geldquelle dienen.

Bei Staaten als Schuldnern heisst das, dass an bestimmten Terminen umgeschuldet wird: Sie nehmen neue Kredite auf, mit denen sie ihre alten zurückzahlen. Formell ist somit die Altschuld getilgt. An diesen Terminen beweist der Staat, dass er über Kredit verfügt und daher des weiteren Kredites würdig ist.

„Dies geschah im August 1982, als Mexikos Finanzminister Jesus Silva-Herzog öffentlich bekannt gab, dass Mexiko seinen Schuldendienst einstellt und den teilweisen Staatsbankrott erklärte.“ (ebd.)

Brasilien geriet also gar nicht in erster Linie deshalb in die Schuldenkrise, weil sich Einnahmen und Ausgaben nicht mehr im vorgesehenen Rahmen hielten, sondern weil sich am Kreditmarkt Misstrauen gegenüber den lateinamerikanischen Schuldnern breit machte und die Gläubiger Brasilien den Kredit abdrehten.

Wie sich später herausstellte, gab es aber noch andere Faktoren.

Aus dem Vertrag, den Brasilien 1983 mit dem IWF schloss, geht hervor, dass Brasilien mit seiner Industrialisierungspolitik relativ erfolgreich gewesen war. Von einem reinen Agrarexporteur hatte sich Brasilien in eine Ökonomie verwandelt, deren Export zu mehr als der Hälfte aus industriell hergestellten Waren bestand. Der Import bestand neben Produktionsgütern vor allem in Energieträgern, vor allem Erdöl. Und darin lag der eine Grund seiner Schuldenproblematik: Das Erdöl hatte sich sehr verteuert, dadurch flossen Devisen für Energie ab. Zweitens verteuerte sich der Kredit und damit stiegen auch die Schulden. Drittens fielen die Preise der Exportprodukte und sie trafen auf weniger Nachfrage aufgrund von Rezession in den Käuferländern. Das führte zu einem Kursverfall der brasilianischen Währung und zu galoppierender Inflation.

Im Gegenzug zu einem Stützungskredit in nicht genau festgelegter Höhe verpflichtete sich Brasilien, die Inflationsrate und das Budgetdefizit zu reduzieren. Die weiteren Punkte stellen eine Art Wunschzettel für IWF und internationales Kapital bzw. USA dar: Steigerung der Agrarproduktion zum Zwecke des Exports; Stimulierung der unternehmerischen Tätigkeit; massvolle Lohnpolitik, um „den Arbeitsmarkt zu erweitern“, „Preise, die die Produktion stimulieren sollen“, und in Folge überhaupt eine Freigabe der Preise, also auch für die bis zu diesem Zeitpunkt offenbar subventionierte Lebensmittel und Treibstoff. Gleichzeitig sollten die Steuern und Abgaben erhöht und dadurch die Staatseinnahmen erhöht werden.

Dieses und die folgenden Abkommen wurden nie erfüllt – all das konnte sich nicht ausgehen – und der Kredit floss stockend. Die daraus resultierenden wirtschaftlichen Probleme führten zum Ende der Militärregierung, und so – demokratisch und verschuldet – kam Brasilien in den globalisierten 90-er Jahren an.

III. AUF DER SUCHE NACH ÖKONOMISCHER UNABHÄNGIGKEIT

III. 1. DIE WÄHRUNGSREFORMEN

Zwischen 1967 und heute hat Brasilien einige Währungsreformen durchgeführt. Das ambitionierte Aufbauprogramm führte nämlich zu viel Geldausgabe – die damals durch keine IWF-Programme gestört war – und deshalb zu einer relativ hohen Inflationsrate.

Eine dieser Währungsreformen war der „Plan Cruzado“ im Jahre 1986. Die bisher übliche Währung „Cruzeiro“ (Kreuzfahrschiff bzw. Kreuz des Südens) wurde durch den „Cruzado“ (Kreuzritter, oder: durchgestrichen) ersetzt und 3 Nullen gestrichen.

Die schlauen Ökonomen, die sich diesen Plan ausgedacht hatten, hielten die Inflation für ein Ergebnis von Preissteigerungen und froren die Preise ein. Sie dachten, die Inflation käme zustande, weil in Preise, Verträge und Mieten die Inflation bereits eingepreist worden war. Inflation gebiert Inflation, man muss nur einmal das ganze stoppen und schon ist sie weg. Eine schlechte Gewohnheit, die man dem p.t. Publikum abgewöhnen muss. Stattdessen ging jedoch die Produktion zurück, die Importe überstiegen die Exporte, der Devisenschatz der Nationalbank schrumpfte, die Energieversorger-Firmen mussten vom Staat gestützt werden und am Schluss musste die Preisdeckelung aufgegeben werden.

Es war wohl ein ökonomisches Wunschdenken, das die Rolle der Notenbank und ihrer Geldemission aus dieser Inflationstheorie völlig ausgespart hatte.

Vom „Plan Cruzado“ blieb nur die neue Währung, die genauso wie die alte begann, rasant Nullen zu akkumulieren. Deswegen wurden 1989 ohne grosse Begleitmassnahmen wieder ein paar Nullen gestrichen und der „Neue Cruzado“ eingeführt – der auch nicht lange hielt. Als nächstes wurde die Währung wieder in Cruzeiro umbenannt, um wieder Nullen abwerfen zu können.

Die nächste – und auch bisher endgültige – Reform war die Einführung des Real 1994. Der Real war die Währung Portugals und seines Kolonialreiches bis 1911 und bedeutet „königlich“. Gleichzeitig heisst „real“ aber auch „wirklich, tatsächlich“ und deshalb wurde vermutlich diese Bezeichnung gewählt, um die Sehnsucht nach einer halbwegs beständigen Währung auch im Namen auszudrücken. Dass der Real sich aber mit Ach und Weh bis heute hielt, lag nicht am Namen, sondern an seiner Bindung an den Dollar. Die wurde jedoch nicht so genannt, aus verschiedenen Gründen. Statt des Dollar wurde die Bezeichnung „Wirkliche Werteinheit“ verwendet, die zufällig! gerade einem Dollar entsprach. Dazu kamen Aufkäufe der Währung durch die Nationalbank, um den Wechselkurs zu stabilisieren, und eine Politik des knappen Geldes, verbunden mit hohen Zinsen, die ausländisches Kapital anlockten.

Es war schliesslich nicht die Dollarbindung allein, die den Real bis heute über die Runden brachten. Argentinien ging 2001 pleite, auch dieses Land hatte eine Dollarbindung betrieben. Aber dort hatte sich die restliche Wirtschaft anders entwickelt.

III. 2. DER ENERGIESEKTOR

III. 2. 1. Die Wasserkraft

Da sich die Energieabhängigkeit jahrzehntelang als der Hemmschuh der wirtschaftlichen Entwicklung erwiesen hatte und eine der wesentlichsten Ursachen von Schuldenkrisen und Inflation war, so war es naheliegend, dass sich verschiedene brasilianische Regierungen seit den 80-er Jahren verstärkt darum bemühten, an dieser Ecke etwas weiterzubringen.

Die Wasserkraft wurde seit den 70-er Jahren mit grossem Schwung ausgebaut. Das bis heute wichtigste Wasserkraftwerk und lange nach Leistung das grösste der Welt ist das 1984 in Betrieb genommene Itaipú am Paraná. Praktisch gleichzeitig wurde weiter nördlich ein grosses Kraftwerk gebaut, um die energieintensive Aluminiumindustrie mit kostengünstigem Strom zu versorgen. Seither wird zügig weiter gebaut, wo es nur geht und mit relativ wenig Rücksicht auf die Folgen für Mensch und Natur. Gerade unter den PP-Regierung wurde auch wieder sehr auf die Wasserkraft gesetzt. Alle diese Kraftwerke decken aber nicht einmal die Hälfte des Strombedarfes Brasiliens ab, sodass die Energiefront weiter betreut werden musste.

III. 2. 2. Biokraftstoffe

Um eine Alternative zum lange nicht im Inland vorhandenen Erdöl zu finden, wurde Brasilien zum zweitgrössten Erzeuger von Bioethanol und Biodiesel – nach den USA, die Vorreiter bei dieser Art von Kraftstoffen waren und bis heute grösster Produzent sind.

Der Aussage von Hugo Chávez, dass es eigentlich verrückt sei, Lebensmittel durch den Auspuff zu jagen, während weltweit Menschen hungern, ist hier uneingeschränkt zuzustimmen. Ausserdem wurden und werden die Agrarflächen, auf denen die für diese Zwecke angebauten Pflanzen stehen, vorher dem Urwald entrissen, schaden also dadurch der CO2-Bilanz. Sie verringern die Absorptionsfähigkeit. Dennoch verkündet brasilianische Politiker immer wieder, dass ihr Land mit seinem Biokraftstoff-Anteil bei der CO2-Bilanz mindestens so gut, wenn nicht besser abschneide als andere Industriestaaten, weil die Biokraftstoffe gegenüber den fossilen den Ausstoss verringern.

In Brasilien haben sich jedenfalls die Landwirtschaft, die Autoindustrie und die Energieversorger auf diese Art von Kraftstoffen eingestellt. Sie stellen allerdings nur rund ein Viertel des durch Fahrzeuge verbrauchten Treibstoffs, sind also also vom Standpunkt der Energie-Autarkie eine Art Pausenfüller.

Der grosse Wurf – und das ist auch in Hinsicht auf die heutige Debatte über den Ersatz fossiler Energieträger durch erneuerbare Energien untersuchenswert – gelang erst mit Ölfunden und der Schaffung einer eigenen Erdölindustrie.

III. 2. 3. Die fossilen Energieträger. Petrobras

Magere Ergebnisse im Land

„Im Jahr 1953 verstaatlichte der damalige Präsident Brasiliens Getúlio Vargas unter dem Motto »Uns gehört das Öl!« die bis dahin in Brasilien vor allem amerikanisch kontrollierte Ölindustrie. Zu diesem Zweck wurde am 3. Oktober 1953 die Petrobras gegründet und mit einem Monopol für die meisten Sektoren der Rohölindustrie ausgestattet.“ (Wikipedia, Petrobras)

Die Formulierung ist missverständlich. Es gab praktisch keine Ölindustrie, die die USA kontrollieren hätten können. In den vergangenen Jahrzehnten hatten aber die Aktivitäten von US-Ölfirmen zu der Vermutung Anlass gegeben, dass sie die Versuche brasilianischer Behörden und Firmen, Ölvorkommen zu finden, hintertrieben hatten, um die wirtschaftliche Entwicklung Brasiliens zu hintertreiben und die Hand der USA auf alle Ölvorkommen des amerikanischen Kontinents – und der ganzen Welt – zu legen. (Im gleichen Jahr, als Petrobras verstaatlicht wurde, 1953, wurde Mossadegh gestürzt.)

Vargas überlebte diesen Akt nicht einmal um ein Jahr. Die Militärs, die ihn stürzten, beliessen allerdings, ähnlich wie Pinochet in Chile, die Verstaatlichungen ihres Vorgängers. Damals war jedoch die Erdölproduktion Brasiliens unbedeutend. Alle bisherigen Bohr- und sonstigen Versuche hatten einzig und allein Ölvorkommen in der Gegend von Bahía dingfest gemacht, deren Erschliessung jedoch nicht so recht vorankam. Einige kleinere Raffinerien entstanden im Lauf der Zeit, die vor allem importiertes Erdöl verarbeiteten. Der Bedarf der wachsenden brasilianischen Industrie hingegen wuchs ständig.

Aufs Meer!

Gerade als Petrobras in Folge der Ölkrise 1973, der hohen Preise für die Ölimporte und der mageren Perspektiven im Inland besonders vor sich hinkümmerte, wurden 1974 mit Hilfe neuerer Technologien im Meer vor der brasilianischen Küste Ölvorkommen entdeckt und in Folge mit Hilfe privater Sub-Firmen erschlossen. Da aber das in Brasilien vorhandene Kapital nicht ausreichte, wurden von der Regierung Cardoso (die auch den Real und seine Dollarbindung eingeführt hatte), 1997 private Firmen, auch ausländische, in begrenztem Masse zugelassen. Daneben wurde eine Aufsichtsbehörde eingesetzt, die dafür sorgen sollte, dass die zentrale Stellung von Petrobras und die nationalen Interessen Brasiliens bei allen Unternehmungen gewahrt bleiben würden.

Unter Beiziehung des Kapitals verschiedener Staaten – ohne US-Firmen! – wurde im Jahr 2000 im Meer die damals grösste und auch angeblich leistungsstärkste Ölplattform der Welt installiert. 10 Monate später sank sie aufgrund einiger Explosionen, nachdem alle Rettungsversuche gescheitert waren. (An was erinnert uns das?)

Es wurde aber nie von Sabotage ausgegangen. Die Plattform war von verschiedenen Firmen in verschiedenen Ländern um- und ausgebaut worden. Viele Köche verderben den Brei, das Design stammte offenbar vom Karneval in Rio und es mag sein, dass sie tatsächlich an irgendwelchen Geburtsfehlern verendet war.

Brasilien steckte den Verlust von 500 Millionen $ locker weg, als Besitzer fungierte sowieso eine italienische Firma. Vielleicht war es auch gross angelegter Versicherungsbetrug. Nachdem einige Jahre durch ein Ersatzschiff Öl gefördert worden war, weihte Lula 2007 die Nachfolgerin ein, die P-52-Ölplattform. Kosten ca. 1,1 Milliarden $.

Die Rolle Rousseffs

Der politische Aufstieg Dilma Rousseffs begann mit zwei Mandaten als Energieministerin der Regionalregierung der Provinz Rio Grande do Sul. Sie veranlasste ein Bauprogramm, das das Stromnetz der Provinz renovierte, um die ständigen Ausfälle und Abschaltungen zu beenden, die dort seit geraumer Zeit an der Tagesordnung waren. Später setzte sie ein ähnliches Programm auf Bundesebene durch. Es war ihre Leistung, darauf hinzuweisen, dass Energiepolitik nicht nur mit Energiequellen und -importen zu tun hat, sondern auch mit ihrer Verteilung an die Endverbraucher, ob Privathaushalte, Betriebe oder Behörden.

Als Energieministerin in der ersten PT-Regierung bestand sie darauf, beim Ausbau der Ölindustrie einheimische Firmen zu beteiligen. Damit begann der Aufstieg der Firma Odebrecht, die sich neben ihrem bisherigen Baugeschäft und dem Einstieg in die Petrochemie am Bau der Ölplattformen beteiligte. Mit staatlichen Grossauträgen wuchs das Unternehmen zu einem Konglomerat heran, dass sich auch an der Rüstungsproduktion und am Schiffbau beteiligte. Rousseff leitete neben dem Ministerium für Energie auch von 2002 bis 2010 die Firma Petrobras. In dieser Zeit überflügelte diese Firma die meisten anderen Ölkonzerne der Welt, durch Käufe in Argentinien, Bolivien, Venezuela und Peru und weitere erfolgreiche Bohrungen im Meer, die in der Installation weiterer Bohrinseln mündeten. 2009 war Petrobras nach Gewinnen der zweit-erfolgreichste Ölkonzern der Welt, nur noch übertroffen von Exxon Mobil.

Weder den grossen Ölkonzernen noch den USA gefiel dieser Aufstieg.

Das Fundament von Brasiliens Industrie

Zusätzlich stieg Petrobras auch in die Biotreibstoff-Produktion, das Raffineriegeschäft und die Petrochemie ein, alles in Zusammenarbeit mit Odebrecht.

2010 erweiterte Petrobras sein Aktienkapital mit einer Emission von 120 Milliarden Real (damals 58 Mrd. €), der damals grösste Umfang für ein Manöver dieser Art. Einen guten Teil dieser Aktien zeichnete der brasilianische Staat, der damit seinen Anteil an der Firma weiter erhöhte.

Damit war der vorläufige Höhepunkt der Ausdehnung von Petrobras erreicht. In den kommenden Jahren begann ein Rückgang, der verschiedene Ursachen hatte, darunter die weltweite Finanzkrise, die zu einem Rückgang der Produktion und zu einem Verfall des Ölpreises führte, auch innerbrasilianische Probleme wie die Finanzierung von Projekten, die keine Gewinne für Petrobras brachten, aber Infrastruktur schufen, und schliesslich politische Probleme wie der erzwungene Rücktritt Rousseffs und die Korruptionsermittlungen gegen Petrobras, die die Aktie der Firma weltweit abstürzen liessen. Nach einigen mageren Jahren konnte Petrobras jedoch im Jahr 2022 einen Rekordgewinn verbuchen.

Der am Sturz Rousseffs beteiligte Michel Temer und ihr gewählter Nachfolger Bolsonaro rührten auch nicht am Monopol, der gesetzlichen Stellung und der wirtschaftlichen Macht von Petrobras, obwohl sie aus Washington dazu gedrängt wurden.

Sie wussten, was sie damit aufs Spiel setzen: Die gesamte Wirtschaft Brasiliens, ihre Unterstützung unter den Eliten und dem Militär – und letztlich auch ihre eigene Unversehrtheit.

Unter dem Mandat von Rousseff begann jedoch eine fruchtbare Zusammenarbeit mit China, das sich über die 2014 Schanghaier Entwicklungsbank an der Erforschung und Erschliessung von Brasiliens Ölressourcen und anderer Energiequellen sowie Infrastrukturprojekten beteiligte.

IV. BRASILIEN UND DIE BRICS

IV. 1. Die „BRICS “ – Notgemeinschaft oder Schöpfer einer neuen Weltordnung?

Für die Inspirierung dieses Blocks aus „Schwellenländern“, die die Heimatländer des Kapitals des Kapitals vom Sockel stossen wollen, ist lustigerweise ein britischer Ökonom 2001 – bei einer Analyse für die US-Bank Goldmann Sachs – Pate gestanden. Zumindest geht auf ihn die Abkürzung zurück, weil er erstmals diese 5 Staaten miteinander verglich und ihnen aufgrund ihrer guten Wachstumsraten eine glänzende Zukunft voraussagte. Dabei ist es ziemlich vermessen, ein Land wie Russland, das sich gerade wie Phönix aus der Asche aus den Ruinen der Sowjetunion aufrappelte, als Schwellenland aufzufassen und ihm für seine wirtschaftliche Performance gönnerhaft auf die Schulter zu klopfen.

Ob es jetzt wirklich dieses britische Superhirn war, das den Anstoss gegeben hat oder ob die Akteure unabhängig davon tätig wurden – auf jeden Fall wurden die BRICS als loses Staatenbündnis 2004 in St. Petersburg gegründet, anlässlich eines Wirtschaftsforums. Sie vereinen über 40% der Weltbevölkerung, 25% des Festlandes der Erde, haben Bodenschätze, Industrie und Agrarflächen und ihre weisen Führer meinen, daraus liesse sich doch etwas machen. Ein Garant für Erfolg ist das allerdings nicht. Die Zeiten, als Menschen schaffende Hände und deshalb Reichtum bedeuteten, sind längst vorbei. Heute sind viele der Bewohner der Erde überflüssig und werden von vielen „Experten“ stöhnend als Problem betrachtet.

Die Ausnahme stellt hier wieder Russland dar, das traditionell und seit dem Zerfall der SU verstärkt mit Unterbevölkerung kämpft.

IV. 2. Die Neue Entwicklungsbank (NEB)

10 Jahre später gründeten die 5 Staaten die Neue Entwicklungsbank, um sich von den traditionellen Kreditgebern des US-basierten Weltmarktes zu emanzipieren. Das Stammkapital, der Kreditrahmen und alles andere sind in Dollar vorhanden bzw. werden in Dollar berechnet. Zur Überwindung des Dollar-Systems musste also ausgerechnet er selbst herhalten. Es gibt inzwischen Pläne für eine gemeinsame Digitalwährung, um zumindest ein Gegengewicht zum Dollar zu schaffen. Vorschläge gibt es bereits für den Namen: „5R“ (Real, Rubel, Rupie, Rand, Renminbi).

Nur um die Bedeutung dieser Bank auch richtig zu verstehen: Im Mai 2014 kämpfte die Eurozone mit einigen Jahren Finanz- und Eurokrise, Rezession, Rettungsschirmen, der Euro selbst war in Gefahr. Politisch war gerade der Maidan über die Bühne gegangen und der Krieg im Donbass hatte begonnen – der dem jetzigen Krieg voranging und laut OSZE-Angaben 14.000 Tote forderte.

Es krachte also ordentlich im internationalen System – und da sagen ein paar Staaten: Versuchen wir uns doch langsam von diesem Weltfinanzsystem abzunabeln und unsere Entwicklung selbst in die Hand zu nehmen!

Diese Entwicklungsbank ist seither die bedeutendste Konkurrenz von IWF, Weltbank und kleineren Banken für Entwicklung aller Art. Durch ihre Geldgeber und ihre Aufgabenstellung kann sie auch Verluste locker wegstecken. Wenn ein Projekt nicht besonders erfolgreich ist, so geht weder die Bank darüber zugrunde, noch das Projekt. Es wird eben weiter Geld hineingeleert, solange der entsprechende Staat darauf beharrt, oder es werden Kredite gestundet, oder es wird umgeschuldet.

Aber der Schatz der Bank ist schier unerschöpflich, weil er teilweise auf den Währungen von Staaten beruht, die die Grösse der Nation über die Geschäftskalkulationen ihrer Bürger stellen und auch ihre staatlichen Finanzen fest im Griff haben, so auch Indien mit der Rupie.

Seit 2021 sind weitere Staaten der Entwicklungsbank beigetreten, ohne jedoch bei den BRICS aufgenommen zu sein: Bangladesch, Ägypten, die VAR und Uruguay.

Seit ihrer Gründung hat diese Bank – teilweise im Rahmen der neuen Seidenstrasse – jede Menge Transportwege, andere Infrastrukturprojekte, Kraftwerke, Staudämme usw. finanziert, nicht nur bei den Mitgliedsstaaten.

IV. 3. Brasilien und die NEB

Brasilien ist derzeit der Staat mit den meisten gerade laufenden Projekten, deren Finanzierung durch die NEB genehmigt wurde. Diese Projekte wurden alle noch unter der Regierung von Jair Bolsonaro eingereicht. Sie wurden zwar von einzelnen Städten oder Provinzregierungen beantragt, aber man merkt, dass Bolsonaro hier nicht daran dachte, am Verhältnis zu den BRICS zu rütteln, weil die Wirtschaft und damit die Unternehmerschaft Brasiliens davon in einem Masse profitiert, dass jede Störung in den Beziehungen zu den BRICS und der NEB unerwünscht ist.

Diese Projekte enthalten die Verbesserung des öffentlichen Verkehrs in verschiedenen Städten, sei es durch Anschaffung von Bussen oder den Bau von U-Bahnen, Renovierung und Ausstattung von Schulen, Anti-Covid-Massnahmen, erneuerbare Energien und Umweltschutzmassnahmen, den Bau von Kläranlagen, usw. usf.

Lauter Dinge, die durch die Auflagen des IWF „zur Sanierung der Staatsfinanzen und Wiederherstellung der Kreditfähigkeit“ in Lateinamerika unterblieben oder gestoppt werden mussten, weil der Staat ja sparen musste!

Es ist angesichts dessen für jeden Bürger Brasiliens offensichtlich, dass sie mit dieser Bank und den BRICS besser fahren als mit den traditionellen Kreditgebern, den grossen Banken Europas und der USA – vor allem, wenn sie in ihr unglückliches Nachbarland Argentinien schauen, das mit seiner IWF-Partnerschaft schlecht gefahren ist und einen völlig unbe- und -abzahlbaren Schuldenberg vor sich herschiebt.

IV. 4. Ärger aus den USA

Man liest und hört immer von dem Unmut der USA über den wachsenden Einfluss Chinas in ihrem lateinamerikanischen Hinterhof. Aber es ist alles, vom Standpunkt der imperialistischen Ambitionen der USA, viel schlimmer. Die BRICS und die NEB sind ja nicht nur China. Auch Indien leistet einen bedeutenden Beitrag zu der Bank. Russland auch, es bietet ausserdem Erdöl-Abbau-Know-How und -Ausrüstung, es liefert Waffen und, wie kürzlich festzustellen war, Impfstoff. Jede Menge Produkte, die US-Firmen dort nicht mehr verkaufen können und die damit die Abhängigkeit von den USA verringern und die dortige Souveränität stärken.

Auch Europa ist inzwischen sehr abgemeldet in Lateinamerika. Man hätte zwar gerne weiterhin europäische Produkte, aber oft scheitern sie an der Finanzierung. Das Freihandelsabkommen mit der EU muss nachverhandelt werden und ist inzwischen auch gar nicht mehr so wichtig für Brasilien: Das Land hat sich ja nach dem Maidan 2014 den ganzen russischen Markt für seine Agrarprodukte erschlossen, und zu besseren Bedingungen, als sie die EU bietet. Und, was das Allerwichtigste ist: Es hat gemerkt, dass es über weite Strecken auch ohne Dollar und Euro auskommt.

Die USA mit ihrem gesamtem Apparat – CIA, USAID, Militär-Attachés, NGOs aller Art und inzwischen auch fundamentalistische Sekten, die vor allem unter dem Deckmantel der Religionsgesellschaft steuerfreie Geschäfte in diversen Staaten Südamerikas betreiben – arbeiteten nach dem gleichen Schema wie anderswo auch: Einfach die Regierung auswechseln, uns genehme Leute an die Macht hieven und die dann dazu bringen, das Schiff wieder auf proamerikanischen Kurs zu steuern.

Der erste Schritt gelang auch: Vor den Augen der Weltöffentlichkeit wurde die gewählte Präsidentin von einer auf Zuruf (und vermutlich auch Zuwendungen) aus den USA agierenden Parlamentsmehrheit abgesetzt, weil sie bei ihrer Regierung Buchungsfehler vorgenommen hatte! Dilma Rousseff ging nicht deshalb ihres Amtes verlustig, weil man ihr vorwarf, Geld in die eigenen Taschen gesteckt oder Schmiergeld an Unternehmen gezahlt zu haben. Sondern deshalb, weil sie Schulden ihrer Vorgängerregierung nicht gehörig deklariert und über Ein- und Ausnahmen irreführende Aussagen gemacht hatte. Buchhaltung: Nichtgenügend, setzen!

Es ist schon beachtlich, was alles im Hinterhof der USA möglich ist.

So, soweit lief alles glatt. Ihr interimistischer Nachfolger Temer tat alles mögliche, um das Vertrauen seiner Auftraggeber zu belohnen:

„Nach seiner Amtsübernahme kündigte Temer Kürzungen, Entlassungen, Privatisierungen, eine Rentenreform und die Liberalisierung des Arbeitsmarkts an. Im Sender TV Globo gab er bekannt, da er sich 2018 nicht zur Wahl stelle, könne er nun »unpopuläre Entscheidungen« treffen. Er kündigte eine »Regierung der nationalen Rettung« an und eine stärkere Betonung der Religiosität. In seiner Antrittsrede betonte er, seine Regierung werde die Ermittlungen im Korruptionsskandal Lava Jato um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras nach Kräften unterstützen.

Temer tauschte alle Minister aus und bildete die Institutionen um. Ganze Ministerien wurden aufgelöst. Unter den Staatsbediensteten fand ein umfassender Austausch statt. … Als eine der ersten Amtshandlungen entliess die De-facto-Regierung 4000 Staatsbedienstete. Es war das erste Kabinett seit 1979, dem keine Frau angehörte. … Zum Aussenminister bestimmte Temer José Serra; das 74-jährige Mitglied der rechtsgerichteten PSDB war zweimal in der Stichwahl um das Präsidentenamt geschlagen worden… Als Finanzminister ernannte Temer den 70-jährigen Henrique Meirelles, einstiger Vorstandschef der Bank of Boston und 2003–2010 Zentralbankchef. Er steht für eine marktfreundliche Finanzpolitik. Agrarminister wurde der umstrittene Gen-Soja-Grossunternehmer Blairo Maggi, der für die Zerstörung weiter Teile des Regenwaldes am Amazonas verantwortlich gemacht wird. Industrieminister wurde Marcos Pereira, ein evangelikaler Prediger und Bischof einer der grössten Pfingstkirchen Brasiliens. … Als Arbeitsminister wurde Ronaldo Nogueira ernannt, ein weiterer Prediger der evangelikalen „Assembleia de Deus“. Temer ernannte den General Sérgio Etchegoyen zum Minister für Nationale Sicherheit.“ (Wikipedia, M.Temer)

IV. 5. Zurück auf Kurs

Das Szenario war bereitet für Bolsonaro, in den von Washington aus grosse Hoffnungen gesetzt wurden – die er nicht erfüllt hat. In Brasilien wurde zwar einiges durcheinandergebracht, aber das Land blieb fest im Verband der BRICS verankert.

(Die sonstigen Hoffnungen, die die Trump-Regierung in Bolsonaro – und auch in Ivan Duque in Kolumbien – gesetzt hatte, doch in Venezuela einzumarschieren, erfüllten sich ebenfalls nicht. Brasilien weigerte sich dezidiert.)

Auch die durch die USA angestossenen Korruptionsuntersuchungen in Sachen Odebrecht, Petrobras usw. erwiesen sich teilweise als stumpfe Waffe, teilweise als Bumerang – und sind inzwischen, was man so mitkriegt, grösstenteils im Sand verlaufen, zumindest in Brasilien. Sie liessen sich nicht auf die PT beschränken, erfassten alle Parteien und Unternehmen und gefährdeten den Zusammenhalt der brasilianischen Unternehmerklasse – die immerhin Bolsonaro an die Macht gebracht hatte.

Michel Temer sitzt inzwischen wegen Korruptionsuntersuchungen im Gefängnis.

Bolsonaro ist unlängst aus den USA wieder nach Brasilien zurückgekehrt. Es ist anzunehmen, dass es Verhandlungen gegeben hat, ihn bei entsprechender Zusammenarbeit mit der neuen Regierung nicht strafrechtlich zu belangen, zumindest nicht wegen Korruption und dem Sturm auf Brasilia.

Die PT hat mit Lula als Präsidenten wieder die Macht in Brasilien übernommen, und Dilma Rousseff ist inzwischen – im März 2023 – zur Präsidentin der NEB ernannt worden.

Das bedeutet nicht nur eine noch intensivere Zusammenarbeit Brasiliens mit China und Russland, sondern könnte auch für Europa Bedeutung haben, im Zusammenhang mit Bulgarien: Sowohl an der Spitze der NEB als auch der des IWF stehen Damen, die zumindest Wurzeln in diesem Land haben und um dieses Schlusslicht der EU wetteifern könnten.

Amelie Lanier