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Sicherheitskonferenz in München Gaucks Kingdom

Politik

Bundespräsident Joachim Gauck sprach auf der Sicherheitskonferenz in München. Peter Schaber-Nack übersetzt die wichtigsten Passagen aus dem diplomatischen Softcore-Jargon in Klartext.

Gauck Maske an der Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz 1.2.2014 in München.
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Gauck Maske an der Demonstration gegen die Sicherheitskonferenz 1.2.2014 in München. Foto: blu-news.org (CC BY-SA 2.0 cropped)

3. Februar 2014
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Schon das Podium, auf dem er spricht, er, der er gerne „Bürgerrechtler“ wäre und doch nur rechter Bürger ist, weist die Richtung. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz treffen sich die grossen Männer und Frauen der westlichen Wertegemeinschaft, um im engen Rahmen auszubaldowern, wen man als nächsten mit den Segnungen des Kapitalismus und der dazugehörigen Demokratie beglücken könnte. Ein legitimes Anliegen, kann man doch auf die Erfolgsgeschichte Afghanistan zurückblicken, auf die blühende Demokratie des Irak und den erst kürzlich geschaffenen Wohlfahrtsstaat Libyen. Wo wären wir ohne die Opferbereitschaft von NATO und EU?

Joachim Gauck war nun geladen, man musste ihn wohl auch laden, denn aus irgendeinem Grund ist der hauptberufliche Wirrkopf Bundespräsident eines Landes geworden. Und so kam Er, und sprach:

„Deshalb möchte ich heute über den Weg der Bundesrepublik sprechen – und darüber, wo er in Zukunft hinführen kann. Denn wir Deutschen sind auf dem Weg zu einer Form der Verantwortung, die wir noch nicht eingeübt haben. Kurzum: Ich möchte sprechen über die Rolle Deutschlands in der Welt.“

„Verantwortung“, als Theologe kennt er sie nur zu gut. Doch die, von der er hier spricht, ist nicht die vor Gott, es ist die, von der auch Ursula von der Leyen, die neue Verteidigungsministerin kürzlich schwärmte. Es ist die Verantwortung vor dem Kapital und dem Staat, die Verantwortung zur Stabilisierung der bestehenden Macht-, Herrschafts- und Ausbeutungsverhältnisse, ob mit militärischen Mitteln oder jenen formalbürokratischer Diktate.

Zwang vor kurzem die „Verantwortung gegenüber Europa“ die Peripheriestaaten der Union dazu, ihre Volkswirtschaft auf das Niveau des zaristischen Russland zurückzusparen – samt Massenarbeitslosigkeit, Lohnkürzung und polizeistaatlicher Brutalität zur Durchsetzung des von der Verantwortung Geforderten –, treibt die Verantwortung uns jetzt noch weiter fort, nämlich nach Afrika, Asien, wer weiss wohin. „Verantwortung“, das ist die Bürde des weissen Mannes, überall dort, wo der unterentwickelte Farbige nicht allein zurecht kommt, völlig uneigennützig nach dem Rechten zu sehen und zu schlichten. Dass die ökonomische Ungleichzeitigkeit kapitalistischer Entwicklung, die internationalen Machtverhältnisse und die imperialistischen Interventionen die Konflikte erst hervorbringen, die man dann als verantwortlicher deutscher Präsident mit erneutem militärischen Eingreifen lösen will – wen interssiert´s?

Denn wir können jetzt den anderen wieder zeigen, wo´s lang geht, weil:

„Dies ist ein gutes Deutschland, das beste, das wir kennen. Das auszusprechen, ist keine Schönfärberei. Als ich geboren wurde, herrschten die Nationalsozialisten, die die Welt mit Krieg und Leid überzogen. Als der Zweite Weltkrieg endete, war ich ein Junge, fünf Jahre alt. Unser Land war zerstört, materiell und moralisch. Schauen wir uns an, wo Deutschland heute steht: Es ist eine stabile Demokratie, frei und friedliebend, wohlhabend und offen. Es tritt ein für Menschenrechte. Es ist ein verlässlicher Partner in Europa und der Welt, gleich berechtigt und gleich verpflichtet.“

Würde er diese Rede in Griechenland halten – „gleich berechtigt und gleich verpflichtet“-, es könnte gut sein, dass er von Parlamentariern verdroschen wird. Auf der Strasse würde er es in jedem Fall. Das Deutschland-Bild des obersten Labersacks der Republik könnte verzerrter nicht sein. Er kennt die zerstörerische Wirkung der deutschen EU-Politik nicht, die permanente Auswüchse von Polizeigewalt in der BRD, den staatlich geförderten Neonazi-Terror, die Waffenexporte in Krisengebiete, die verheerenden „Friedensmissionen“ der Bundeswehr, die katastrophale Flüchtlingspolitik – die Liste wäre endlos. Für Gauck geht Deutschland über alles, und es mag ja auch so sein, dass es sich im Präsidentensitz so anfühlt.

Weil Deutschland so geil ist, darf es jetzt aber auch mal wieder ran. Viel zu lange haben wir stillgehalten, während sich die anderen Machtblöcke die Welt aufgeteilt haben. Wir wollen wieder mitspielen im Game of Thrones:

„Eine Welt, in der ökonomische und politische Macht wandert und ganze Regionen aufrüstet. Im Nahen Osten drohen sich einzelne Feuer zu einem Flächenbrand zu verbinden. Just in diesem Moment überdenkt die einzige Supermacht Ausmass und Form ihres globalen Engagements. Ihr Partner Europa ist mit sich selbst beschäftigt. Im Zuge dieser Entwicklungen zu glauben, man könne in Deutschland einfach weitermachen wie bisher – das überzeugt mich nicht.“ Eine neue Offensive muss herm aber ausgewogen: „Aber wenn schliesslich der äusserste Fall diskutiert wird – der Einsatz der Bundeswehr –, dann gilt: Deutschland darf weder aus Prinzip „nein“ noch reflexhaft „ja“ sagen.“

„Aus Prinzip ‚nein‘“, das wollte der Schwur der Häftlinge des KZ Buchenwald. Von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen, so die Hoffnung. Das aber wäre nur realisierbar gewesen, wenn nicht in einem Teil Deutschlands die ökonomischen Machtverhältnisse samt ehemaligem Nazi-Personal nahtlos demokratisch kaschiert weiterbestanden hätten. So entschied sich schon der grüne Bellizist Joschka Fischer für die Neuauflage moralisch motivierter Waffengänge und seitdem bemüht man sich, der Bevölkerung immer mehr derartige Einsätze schmackhaft zu machen. Gauck und von der Leyen blasen nun zum Generalangriff. Das Tabu soll weg. Sicher, das alles klingt vorsichtig, ist es aber nicht.

Gauck kehrt die Begründungsbedürftigkeit um. Jene, die argumentieren, der deutsche Imperialismus hätte schon genug Leid verursacht, müssen sich rechtfertigen: „Ich muss wohl sehen, dass es bei uns – neben aufrichtigen Pazifisten – jene gibt, die Deutschlands historische Schuld benutzen, um dahinter Weltabgewandtheit oder Bequemlichkeit zu verstecken.“ Am Ende der Rede dann das offene Bekenntnis:

„Als Deutsche einst ihr Land „über alles“ stellten, entwickelte sich ein Nationalismus, der von forciertem Selbstbewusstsein über Selbstblendung bis zur Hybris alle Stadien eines unaufgeklärten Nationalbewusstseins durchlief. Unser heutiges „ja“ zur eigenen Nation gründet in dem, was dieses Land glaubwürdig und vertrauenswürdig macht – einschliesslich des Bekenntnisses zur Zusammenarbeit mit unseren europäischen und nordatlantischen Freunden. Nicht weil wir die deutsche Nation sind, dürfen wir vertrauen, sondern weil wir diese deutsche Nation sind.“

Was heisst das denn, wenn man es genau liest? Es heisst: Früher, gemeint ist der NS-Faschismus, stellte man „Deutschland über alles“ – das war Hybris und Nationalismus. Unser heutiger Nationalismus (was anderes ist denn das „Ja zur eigenen Nation“?) ist aber keine Hybris, denn er gründet „in dem, was dieses Land glaubwürdig und vertrauenswürdig“ macht. Das vormalige „Deutschland über alles“ war falsch, aber das heutige „Dieses Deutschland über alles“ ist gut begründet.

Peter Schaber / lcm

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