Flüchtlingspolitik Ein einziges Mal

Politik

Habt ein einziges Mal den Mut, euch einzugestehen, dass ihr Mitschuld am Tod von tausenden Menschen tragt. Und dann zieht, ein einziges Mal, die Konsequenzen. Offener Brief an die Bundestagsfraktion von CDU und SPD.

Grenzzaun mit Wachturm zwischen Europa und Marokko in der spanischen Enklave Ceuta.
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Grenzzaun mit Wachturm zwischen Europa und Marokko in der spanischen Enklave Ceuta. Foto: Xemenendura (CC BY-SA 3.0 unported - cropped)

20. Februar 2015
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Über tausend Menschen sind alleine während der vergangenen zehn Tage im Mittelmeer ertrunken. Mindestens 23.000 sind es, die in den vergangenen 15 Jahren bei dem Versuch, die EU-Aussengrenzen zu überqueren, gestorben sind. Diese Todesfälle sind kein unausweichliches Geschick, keine Naturkatastrophe. Sie sind das Ergebnis sich abschottender Metropolen des relativen Wohlstands, das Ergebnis einer Politik, die die Habenichtse, die Vergessenen und Unsichtbaren, an jenen Plätzen festhalten wollen, an denen sie still und ohne viel Aufsehen sterben, in Libyen, in Somalia, in Syrien, Nigeria oder sonstwo.

Diese Politik, die den kalten Mord durch Militarisierung der EU-Aussengrenzen als selbstverständlichen Bestandteil einschliesst, diese Politik des Sterbenlassens aus Bequemlichkeit, ist eure Politik. Es ist euer Handeln. Ihr, die ihr da sitzt, fett und saturiert, und davon redet, dass „wir nicht noch mehr tun können, als wir schon tun“, ihr tragt Mitschuld.

Ihr schüttelt den Kopf? Wir doch nicht, sagt ihr euch. Dann erklärt es uns doch. Waren es denn nicht eure Parteien, die schon in den 1990er-Jahren die Forderungen des brandschatzenden rechten Mobs auf der Strasse in Gesetzesform gossen und das Asylrecht aushöhlten? Sind es nicht eure Parteien, die Waffenexporte genehmigen und Kriegseinsätze beschliessen? Seid es nicht ihr, die an der Militarisierung der „Festung Europa“ mitarbeiten? Frontex, die berüchtigte „Grenzschutzagentur“ – ist sie nicht eure Einrichtung, die ihr mit Abermillionen an finanziellen Mitteln versorgt? Seid nicht ihr diejenigen, die die Dublin-Regelungen miterfunden haben? Seid nicht ihr diejenigen, die nun erneut an einem „Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“ arbeiten, der als Inhaftierungsprogramm von Flüchtlingen gelten kann? Ihr seid es, die die Auswahl treffen. Wer ist eine „Fachkraft“, die man in den Verwertungsprozess des Kapitalismus eingliedern kann, um die Volkswirtschaft voranzubringen? Und wer ist ein „Wirtschaftsflüchtling“, manche von euch sagen auch: Schmarotzer, der im Mittelmeer ersaufen muss?

Macht es euch nicht zu einfach. Schaut in den Spiegel und fragt euch: Kann ich wirklich guten Gewissens sagen, ich hätte keine Mitschuld am Tod von tausenden Menschen, die an unseren Aussengrenzen abprallen und zerschellen? Diejenigen von euch, die immer noch sagen: Nein, ich nicht, ich mache alles richtig – an diejenigen wenden wir uns nicht. Ihr, ihr Grausamen und Kaputten, ihr Niederträchtigen, euch kann man nicht mehr helfen. Ihr habt euren letzten Rest an Menschlichkeit seit langem verloren. Eigentlich sollten wir mit euch Mitleid haben, deren Leben nichts als das von Charaktermasken ist. Doch ihr seid gefährlich, denn Euer Handeln bedeutet Tod. Nicht Mitleid, sondern Hass ist was wir für euch übrig haben.

Den anderen, die doch der eine oder andere Zweifel plagt, haben wir etwas zu sagen. Wir werden keine Freunde, soviel steht fest. Aber ihr könntet euch selbst ein mal, ein einziges Mal den Gefallen tun, keine Heuchler, keine Feiglinge und Konformisten zu sein. Redet nicht viel über eure Trauer, die nichts als Hohn ist. Lasst taten sprechen und verweigert die Zustimmung zur Fortschreibung jener Politik, die nach Verwesung stinkt. Fangt mit einem kleinen, ersten Schritt an: Verhindert den „Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“! Tut es für Euch selbst. Damit ihr einmal, ein einziges Mal, in den Spiegel sehen könnt und sagen könnt: An diesem Tag war ich kein Arschloch. Und vielleicht findet ihr Freude an dem Gefühl.

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