UB-Logo Online MagazinUntergrund-Blättle

Ukraine: Heftige Kämpfe in Oblast Saporischschja | Untergrund-Blättle

7476

Hat die drohende russische Offensive in der Südukraine bereits begonnen? Ukraine: Heftige Kämpfe in Oblast Saporischschja

Politik

Aus dem Südosten der Ukraine, aus der Region Saporischschja, werden derzeit heftige Kämpfe gemeldet.

Kriegsschäden in Bachmut in der Region Saporischschja, Januar 2023.
Mehr Artikel
Mehr Artikel

Kriegsschäden in Bachmut in der Region Saporischschja, Januar 2023. Foto: Donetsk Regional Military Civil Administration (CC-BY 4.0 cropped)

23. Januar 2023
2
0
4 min.
Drucken
Korrektur
Laut ukrainischen Medien wurden in dieser zwischen den Donbass und dem Dnjepr gelegenen Region in den vergangenen Stunden besonders starke Artillerieangriffe Russlands verzeichnet, während russische Stellen Geländegewinne und die Eroberung von Ortschaften melden. Sprecher der ukrainischen Armee bezeichneten die Lage im Donbass und Saporischschja als „schwierig“, so die Kiew Post.1

Russische Medien sprechen von etlichen eingenommenen Dörfern und einen Vorstoss auf die Stadt Orichiw, die eine strategische Rolle spielt.2 Orichiw sei demnach ein zentraler regionaler Verkehrsknotenpunkt, der russische Angriffe in Richtung der Grossstadt Saporischschja erleichtern könnte. Eine erfolgreiche russische Offensive entlang des Ostufers des Dnjepr würde die ukrainischen Armee im Donbass von ihren Versorgungslinien abschneiden. Die ukrainischen Verteidigungslinien in Saporischschja sollen an etlichen Stellen durchbrochen worden sein, was mit den blutigen Kämpfen um die ostukrainische Stadt Bachmut in Zusammenhang stehen dürfte.

Um Bachmut zu halten, hat die ukrainische Armeeführung Truppen aus etlichen Frontabschnitten abgezogen – und so die ukrainischen Verteidigungspositionen vielerorts zwangsläufig geschwächt. Vor Kurzem sind Einschätzungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) zur militärischen Lage im Osten durchgesickert, laut denen sich die ukrainische Armee inzwischen in einer schwierigen Lage befindet.3 Demnach verliert die Ukraine allein in Bachmut, das längst symbolisch aufgeladen ist, täglich eine „dreistellige Zahl an Soldaten“. Überdies drohten bei einem Verlust der Stadt „weitere Vorstösse ins Landesinnere“ der russischen Truppen, da die gesamte ukrainische Verteidigungslinie aufgegeben werden müsste (siehe hierzu auch „Kiews verpasste Chance?“)4.

Mörderischer Wettlauf

Die Angriffe der russischen Söldner-Truppen um Bachmut gehen derweil mit unverminderter Intensität weiter. Die ukrainische Armee muss nun entscheiden, wie sie ihre verbliebenen Reserven einsetzen wird: im Donbass, um weiterhin Bachmut zu halten und einen Rückzug auf eine neue Verteidigungslinie bei Slowjansk/Kramatorsk weiter zu verzögern, oder in Saporischschja, um den russischen Vormarsch in Richtung Norden aufzuhalten. Zudem verfügt Moskau weiterhin über hohe Reserven, die noch in die Schlacht geworfen werden können. Mehrere hunderttausend Mann, die bislang noch nicht in die Kämpfe eingegriffen hätten, stünden demnach dem Kreml für weitere Angriffe zur Verfügung. Ukrainische Stellen sprachen gegenüber US-Medien von rund 200 000 Mann.5 Andere Schätzungen, die den derzeit einberufenen Jahrgang von Wehrpflichtigen im Fall einer allgemeinen Mobilmachung durch den Kreml berücksichtigen, kommen auf mehr als 500 000 Mann.

Die plötzlichen Angriffe des russischen Militärs in der strategisch entscheidenden Region Saporischschja – wo Russland zu Beginn der Invasion eine Landbrücke zwischen Donbass und der Krim erobern konnte, scheinen im Zusammenhang mit den jüngst beschlossenen westlichen Waffenlieferungen zu stehen, die mitunter sehr wirkungsvolle Systeme beinhalten.6 Zwar blockierte Berlin die Lieferung deutscher Panzer, doch wird Kiews bald weitreichende Artilleriesysteme (GLSDB) erhalten,7 die den russischen Nachschub und die Kommandosysteme effektiv stören können. Der Kreml will offensichtlich nun seinen imperialistischen Eroberungszug intensivieren, solange die neuen Waffensysteme noch nicht auf dem Schlachtfeld zum Einsatz kommen, was aufgrund der schwierigen Lieferung und notwendigen Ausbildungszeit mitunter Wochen, wenn nicht Monate dauern kann.

Es ist faktisch ein mörderischer Wettlauf zwischen westlichen Waffenlieferungen und russischen Vormarschbemühungen, bei dem der Kreml die ohnehin geplante Offensive gerade in der Region zu entfachen scheint, in der Russland am verwundbarsten ist. Die Region Saporischschja wäre auch ein wichtiges Ziel für eine ukrainische Gegenoffensive, bei der die Landbrücke zwischen Donbass und der Krim zurückerobert würde, was eine Vorbedingung jeglicher Offensivbemühungen gegen die Krim wäre.

Russland hat die Krim schon 2014 okkupiert und später auch formell annektiert. Mitte Januar liessen US-Medien aber durchblicken, dass die Vereinigten Staaten künftig der Ukraine auch dabei helfen wollen, die Krim direkt anzugreifen – die Moskau längst als russisches Territorium betrachtet.8 Bislang weigerte sich Washington, Kiew entsprechende Waffensysteme zu liefern. Moskau schient gerade durch diese Überlegungen getriggert worden zu sein, um in einer – eventuell verfrühten? – Offensive in Saporischschja diese ukrainische Offensivoption zunichtezumachen.

Tomasz Konicz

Fussnoten:

1 https://www.kyivpost.com/post/11362

2 https://twitter.com/rybar_en/status/1616486643090718743

3 https://www.deutschlandfunk.de/bnd-besorgt-ueber-lage-im-osten-100.html

4 https://www.konicz.info/2023/01/19/kiews-verpasste-chance/

5 https://thehill.com/policy/defense/3818361-russia-is-planning-a-major-offensive-heres-what-that-might-look-like/

6 https://www.nytimes.com/2023/01/19/podcasts/the-daily/ukraine-russia-war-weapons.html

7 https://mil.in.ua/en/news/stryker-and-glsdb-to-enter-new-aid-package-from-us-to-ukraine-politico/

8 https://www.nytimes.com/2023/01/18/us/politics/ukraine-crimea-military.html


Ich finanziere meine journalistische Tätigkeit grösstenteils durch Spenden. Falls Ihnen meine Texte zusagen, dann können Sie sich gerne daran beteiligen – entweder über Patreon, oder durch direkte Banküberweisung nach Absprache per Mail.

Mehr zum Thema...
Russische Militäreinheit in der Nähe von Cherson, März 2022.
Ein militärisches Desaster zeichnet sich für Russlands Armee in der Nordostukraine abWendepunkt in der Ukraine?

12.09.2022

- Es kommt Bewegung in den Krieg im Osten – und es ist die ukrainische Armee, die offensichtlich die Imitative ergreifen konnte.

mehr...
Einheiten der Streitkräfte von Russland in Novoaidar, 6. März 2022.
Eine kurze Einschätzung der militärischen Lage in der UkraineDrohender Kollaps im Osten?

21.03.2022

- Die Invasion der Ukraine ist für Russland ein Desaster, die Verluste sind hoch, daran besteht kein Zweifel.

mehr...
Die Stadt Kostjantyniwka (in der Region Donetsk) nach einem russischen Bombardment am 28. Januar 2023.
Die Verwüstung ganzer Regionen im OstenKiews verpasste Chance?

30.01.2023

- Im Krieg um die Ukraine droht ein abermaliger Wendepunkt – und eine weitere Eskalation mit unkalkulierbaren Folgen.

mehr...
Krim: Medien spüren den festen Griff Moskaus

19.03.2015 - Vor einem Jahr wurde die Krim von russischen Truppen besetzt und anschliessend offiziell von Russland annektiert. Eine Volksabstimmung, bei der es gar nicht die Möglichkeit gab, gegen den Anschluss an Russland zu stimmen, hat die Annektion nur bemäntelt.

In der Ukraine wird eine Deeskalation gewünscht

27.01.2022 - Die Ukraine ist derzeit Mittelpunkt einer internationalen Konfrontation zwischen den USA und Russland. Russland hat erneut Truppen an der Grenze zum Land gesammelt.

Dossier: Ukraine
Reporteros Tercerainformacion
Propaganda
Volkstrauertag

Aktueller Termin in München

Leben & Lernen auf Kuba

Leben & Lernen auf Kuba

Samstag, 3. Juni 2023 - 17:00 Uhr

Barrio Olga Benario, Schlierseestr 21, 81541 München

Event in Berlin

FLINTA* Bar Abend @ Tristeza

Samstag, 3. Juni 2023
- 18:00 -

Tristeza

Pannierstraße 5

12047 Berlin

Mehr auf UB online...

Poster von Goldrausch.
Vorheriger Artikel

Goldrausch (Chaplin)

Ein Königreich für einen Schuh

West London.
Nächster Artikel

Angry Workers: Class Power! Über Produktion und Aufstand.

Erfahrungsberichte der Selbstorganisation

Untergrund-Blättle