Der aktuelle Protestzyklus Slowenien: Die Rolle der antiautoritären Linken in der Protestbewegung in Zeiten von Corona

Politik

Seit Ende April gehen die Menschen in Slowenien gegen die Corona – Massnahmen der rechten Regierung auf die Strasse.

Proteste in Ljubljana, Mai 2020.
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Proteste in Ljubljana, Mai 2020. Foto: TadejM (CC BY-SA 2.0 cropped)

30. September 2020
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Dabei dominieren nicht Coronaleugner*innen und Verschwörungstheoretiker*innen das Bild der Demonstrationen, sondern linke Gruppen und Themen. Was zuerst ein Protest gegen die Massnahmen war, entwickelte sich im Laufe der Zeit immer mehr zu einem Protest gegen die Regierung selbst.

Die Wurzeln der antiautoritäre Szene in Slowenien

Bis 1991 war Slowenien der nördlichste Teil von Jugoslawien. In Slowenien hatten Jugendliche es aufgrund der geografischen Lage einfacher an Informationen zu kommen als im restlichen Teil des Landes. Daher entstand in Slowenien bereits Ende der 70er Jahre eine subkulturelle Szene. Vor allem Punk fand eine grosse Verbreitung zu dieser Zeit im Land. Es gab unzählige Bands, Fanzines und Konzerte. Auch Graffiti war in Slowenien schon recht früh verbreitet. Dies bot die Möglichkeit aus der Subkultur heraus langsam eine antiautoritäre Szene zu aufzubauen.

Auch wenn diese Punk–Szene nicht immer politisch war, legte sie doch den Grundstein für die spätere autonome Szene, die sich in den 90er bzw. 2000er Jahren entwickeln sollte. 1976 kam es zu der ersten Hausbesetzung in Slowenien. Das Haus stand in der Erjačeva Strasse 29 und wurde nach zwei Wochen geräumt und es sollte einige Jahre dauern, bis es zur nächsten Hausbesetzung kam, aber während der 80er Jahre entstanden dann vielen Organisationen, die sich für freie Meinungsäusserung, die Gleichstellung von Frauen oder LGBTIQ einsetzten.

Kurz nach der Unabhängigkeit Sloweniens wurden zwei grosse Militärkasernen der ehemaligen jugoslawischen Armee von Aktivist*innen besetzt: AKC Metelkova in Ljubljana und die Pekarna in Maribor. Diese beiden, bis heute bestehenden Zentren, waren die Ausgangspunkte für weitere Besetzungen in Slowenien, zu denen es ab den späten 90er Jahren kam. Im Vergleich mit anderen Ländern mag die Anzahl der Besetzungen nicht besonders hoch erscheinen, aber angesichts der Grösse des Landes war dies eine beachtliche Anzahl.

1999 wurde eine ehemalige Zuckerfabrik in Ljubljana (die Cukarna) besetzt. Es war die erste Hausbesetzung die nicht von Künstler*innen oder Menschen aus dem Kulturbereich, sondern durch anarchistischen Aktivist*innen geprägt war. Die Cukarna führte zu einer Wiederbelebung der DIY / Punkszene in Ljubljana und anderen Städten und war auch ein Ort des Widerstandes gegen die aufkommende Neonazi-Szene im Land.

Im gleichen Jahr entstand das UZI (Urad za Intervencije / Büro für Intervention). UZI war ein loses Netzwerk von Aktivist*innen, die aus der radikalen Linken, der autonomen Szene oder LGBTIQ-Zusammenhängen kamen. UZI beteiligte sich auch international an Protesten, ob in Seattle, Genua oder auch Prag und die Mitglieder*innen organisierten einige No Border Camps in Slowenien. Nach der Räumung der Cukarna folgten weitere Besetzungen, vor allem in Ljubljana, z.B. die Vila Mara oder das AC Molotov. Leider wurden auch diese besetzten Häuser im Laufe der Zeit geräumt, aber 2006 wurde eine ehemalige Fahrradfabrik besetzt und es entstand das bis heute bestehende, Autonome Zentrum ROG. Sowohl Metelkova als auch das ROG sind mittlerweile nicht mehr von Räumung bedroht, ebenso die Pekarna in Maribor.

Neben Ljubljana und Maribor gab und gibt es auch in anderen slowenischen Städten viele weitere subkulturelle Zentren oder besetzte Häuser (leider wurden die meisten im Laufe der Zeit geräumt), in denen sich eine Protestkultur entwickeln konnte, wie z.B. in Izola, Koper, Kranj, Nova Goriza oder Ormož. Über die Subkultur in den 90-er bzw. 2000-ern gibt es eine gute filmische Dokumentation: „Odpadki druge generacije“ (eng UT)

Neben der Hauptstadt Ljubljana gibt es auch in anderen Städten Infoläden und anarchistische oder autonome Gruppen. Daneben existieren Gruppen gegen die Militarisierung, Gruppen die aktiv im Bereich Migrant*innen sind, oder radikal-feministische Zusamenhänge. Viele dieser Gruppen sind auch bei den aktuellen Protesten aktiv.

Vor den aktuellen Protesten gab es bereits viele Aktionen und Demonstrationen der radikalen Linken im Land. Die intensivsten Proteste gab es in den Jahren 2012 / 13.

Die Proteste begannen Ende 2012 in Maribor mit Demos gegen den rechtsgerichteten Bürgermeister. Gründe für die Proteste waren Korruption und Klientelismus. An den Demonstrationen nahmen mehrere tausend Menschen teil und es kam zu Riots und Verhaftungen. Die Riots werden als die heftigsten in der Geschichte des Landes beschrieben. Zum ersten Mal wurden Wasserwerfer gegen Demonstrant*innen eingesetzt. Es kam im Laufe der Aktionen zu heftiger Repression, über 300 Menschen wurden festgenommen.

Es gab massive Kritik in der Bevölkerung an der Polizei und den zum Grossteil willkürlichen Verhaftungen und Kontrollen, Menschen wurden beispielsweise in Präventivhaft genommen, wenn an ihrem Wohnort eine Versammlung angemeldet wurde. Gegen die repressiven Massnahmen gab es viele Proteste und Solidaritätsaktionen vor Gefängnissen und dem Innenministerium. Die Demonstrationen in Maribor und spätere in anderen Städten wurden dezentral und ohne Anführer*innen organisiert, vor allem über soziale Medien.

2012 befand sich Slowenien in einer schweren wirtschaftlichen Krise, daher wurde nicht nur die Korruption angeprangert, sondern auch der Sparkurs in der Krise. In manchen Städten wurde der Kapitalismus an sich in Frage gestellt. Neben einem politischen war es auch ein sozialer Aufstand. Wie bei den jetzigen Protesten wurde nicht nur in den grossen Städten im Land demonstriert, sondern in mehr als 45 Orten, verteilt über das ganze Land.

Vor diesen Demonstrationen war es bereits ein Erfolg, wenn zu Demonstrationen von antikapitalistischen / anarchistischen Gruppen 200 Menschen kamen.

Zu der grössten Demonstration im Februar 2013 in Ljubljana kamen aber nun über 20.000 Menschen. Linke Themen und Forderungen erhielten eine nie dagewesene Aufmerksamkeit im Land. Es waren mit die grössten Proteste in Slowenien, die bis dahin stattgefunden hatten. Im Unterschied zu noch grösseren Protesten, organisiert von Gewerkschaften, gingen die Menschen in ihren Heimatstädten zu den Demonstrationen und wurden nicht aus dem ganzen Land in die Hauptstadt Ljubljana gekarrt.

Die Proteste begannen zwar in Maribor gegen den damaligen Bürgermeister, aber bald richteten sie sich gegen weitere Politiker, da die Menschen genug von der Korruption, dem Klientelismus und den fast alltäglichen Skandalen hatten.. Den Menschen wurde zum ersten Mal bewusst, dass Wahlen nichts bringen würden, da dann nur ein das Land ausplündernder Mensch durch einen anderen ersetzt werden würde. Sie begannen über andere Politik- bzw. Organisationsformen zu diskutieren.

Zwar versuchten Oppositionspolitiker*innen und Gewerkschaften die Proteste für sich zu vereinnahmen, aber die Demonstrant*innen liessen dies nicht zu. Es wurde auf den Forderungen bestanden und auf keinerlei Kompromissvorschläge eingegangen, die die Situation befrieden sollten. Es war zwar nicht in allen Städten so, aber in den meisten Städten hatte der Protest einen offenen antistaatlichen und antikapitalistischen Charakter.

Nach dem Ende der Regierung Janša II kam es noch zu einer letzten grossen Protest Demo in Ljubljana, an der 9.000 Menschen teilnahmen. Danach verebbten die Proteste, es kam nur noch gelegentlich zu Demonstrationen.

Die Vorboten der Bewegung von 2012/2013 und die faschistische Organisierung

Bereits im Oktober 2011 war es zu ersten Protesten gegen die Austeritäts Massnahmen der Regierung im Rahmen der globalen 15. Oktober – Bewegung gekommen. Nach einer Demonstration wurde beschlossen, dass die Börse in Ljubljana symbolisch besetzt werden sollte. 150 – 200 Menschen beteiligten sich an dieser Besetzung. Im Laufe des Jahres 2012 löste sich die Besetzung dann jedoch nach und nach selbst auf. Auch diese Besetzung war basisdemokratisch organisiert und kann als erster Impuls und Vorläufer der späteren Proteste 2013/13 und 2020 angesehen werden.

Der Auslöser für die damaligen Proteste waren die Korruptionsvorwürfe gegen den Bürgermeister von Maribor, aber die Gründe waren tiefschichtiger.

Seit 2008 befand sich Slowenien in einer Wirtschaftskrise, die nicht nur die Unterschichten und die Arbeiter*innen betraf, sondern zunehmend auch die Mittelklasse traf. Galt Slowenien bis dahin als Musterland, dass die Transformation vom Sozialismus zum Kapitalismus von den Staaten des ehemaligen Ostblocks bzw. Jugoslawiens am besten gemeistert hatte, wurde nun offensichtlich, dass dies nicht so war.

Der eklatante Unterschied bezüglich der ökonomischen Situation zwischen den Vermögenden und dem Rest der Bevölkerung wurde immer grösser. Seit dem Beginn der wirtschaftlichen Krise gingen knapp 134.000 Arbeitsplätze verloren. Die öffentlichen Schulden stiegen enorm an, die Lebensbedingungen der Menschen verschlechterten sich ebenso massiv. Während sich Politiker*innen der verschiedenen Lager gegenseitig die Schuld für die wirtschaftliche Krise zuschoben, hatten die demonstrierenden Menschen genug von Ihnen und es war egal, wer an der Macht war. Einer der Slogans, der auf den Protesten gerufen wurde, war daher auch „Sie sind alle gleich“.

Im November 2012 griff eine Gruppe von Neonazis eine der Demonstrationen in Ljubljana an. Unter den Angreifern waren bekannte Mitglieder von Blood & Honour Slowenien, Headhunters Domzale und Hooligans aus dem Umfeld der Fussballvereine Olimpija Ljubljana und NK Maribor.

Bereits vor dem Angriff gab es Warnungen des Polizeichefs, dass gewisse politische Kreise die Proteste bewusst eskalieren lassen könnten, damit versuchte er die angebliche Gewalttätigkeit der Protestierenden zu lancieren. Gleichzeitig wurde ein Bericht des Inlandsgeheimdienstes zurückgehalten, in dem Verbindungen der regierenden SDS Partei zu Neonazis aus dem Umfeld von Blood & Honour nachgewiesen werden konnten. So waren führende Köpfe von Blood & Honour entweder Mitglied in der SDS (oder deren Jugendorganisationen) oder besuchten Veranstaltungen, auf die sie von SDS Mitgliedern eingeladen wurden.

Diese Verbindungen sind in der Dokumentation über die slowenische Neonazi-Szene „Koalicija sovraštva“ (Koalition des Hasses) gut dargestellt. Daher ist es ziemlich sicher, dass die SDS an den Ausschreitungen der Neonazis nicht unbeteiligt war.

Kurz noch ein paar Worte zu Janez Janša und seiner Partei, der SDS. Seit der Unabhängigkeit von Slowenien ist er eine der bestimmenden Figuren in der Politik Sloweniens. Im ehemaligen Jugoslawien war er noch Mitglied und Funktionär der kommunistischen Partei, seit der Unabhängigkeit des Landes wurde er und seine Politik immer rechter.

Seine politische Karriere war und ist geprägt von Skandalen, Affären, Korruptionsvorwürfen und politischen Machtspielen. Er musste kurz nach der Unabhängigkeit als Verteidigungsminister wegen einer Affäre zurücktreten und später als Regierungschef wurde er wegen Korruption zu einer Haftstrafe verurteilt. Er verbüsste eine kurze Spanne der Strafe im Hochsicherheitsgefängnis von Dob pri Mirna.

Bereits früh in seiner politischen Karriere entwickelte er einen Hang zu Verschwörungstheorien, z.B. dass es immer noch eine kommunistische Elite gäbe, die im Hintergrund in der Politik Sloweniens die Fäden ziehe. Bereits während seiner ersten Phase als Regierungschef versuchte er das Land zu einem autoritären Staat umzubauen. Auch in seiner zweiten Amtszeit um 2012/13 herum versuchte er dies und 2020 erneut an der Macht, begann er sofort mit dem Umbau des Staates nach seinen Vorstellungen. Mittlerweile ist er in seiner Denkweise vollkommen bei der alt-right Bewegung angekommen und benutzt die gleiche Rhetorik, sei es nun die des „tiefen Staates“ oder wenn er über „kulturellen Marxismus“ spricht. Daneben hat er auch keine Probleme damit offen rechtsextreme und verschwörungstheoretische Inhalte auf seinen social media Accounts oder in Interviews zu teilen, seien es Inhalte von Q-Anon, den Identitären oder neonazistischen Gruppen.

Auch seine Partei SDS, in der seit den früher 90er Vorsitzender ist, driftete mit ihm immer weiter nach rechts. Gegründet als sozialdemokratische Partei gibt es mittlerweile viele Berührungspunkte mit der rechten Szene in Slowenien, sei es durch Branko Grims, der Neonazis in das Parlament einlädt oder durch Žan Mahnič, der gerne seine Nähe zu den slowenischen Identitären zeigt. Die SDS hat auch gute Verbindungen zu rechts-klerikalen Kräften. Politisch könnte mensch die SDS am ehesten mit dem Flügel um Höcke in der AfD vergleichen.

Der aktuelle Protestzyklus

Aber zurück zu den aktuellen Protesten: Viele der Strukturen, die während der Proteste 2012/13 geschaffen wurden, werden auch 2020 genutzt. Die momentanen Proteste sind aber schwer mit jenen von damals zu vergleichen. In den Jahren nach den damaligen Protesten hatte sich die Wirtschaft erholt und sich die Lebenssituation der meisten Menschen verbessert. Das soziale Thema steht daher nicht so stark im Vordergrund, wie noch 2012/13.

Am 13. März 2020 kam Janez Janša wieder an die Macht als Regierungschef.

Die Entwicklungen, die dazu führten, spare ich an dieser Stelle aus, ebenso die Skandale, Affären und andere politischen Dinge, die seitdem passiert sind.

Nur einen Tag vor seiner Regierungsübernahme wurden in Slowenien Massnahmen zur Eindämmung des Coronaviruses ergriffen, indem der Pandemie Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Geschäfte aller nicht lebensnotwendigen Branchen, Universitäten, Schulen, etc. wurden geschlossen. Knapp eine Woche später wurden Versammlungen von mehr als fünf Personen verboten. Es gab natürlich noch weitere Massnahmen, wie Grenzschliessung, Einschränkung des Flugverkehrs, Maskenpflicht im öffentlichen Raum und so weiter.

Linke Gruppen machten sich kurz nach dem Bekanntwerde der ersten Massnahmen Gedanken, wie sie mit den am meisten von den Corona Massnahmen betroffenen Menschen solidarisch sein konnten. Gleichzeitig wollten sie eine Antwort finden auf die autoritären Massnahmen der Regierung. Da nun Versammlungen schwer möglich waren, war der erste Schritt die Städte mit antiautoritären und antifaschistischen Graffitis zu überziehen oder die Menschen trugen Banner mit politischen Messages beim Joggen oder Spaziergang. Welche Protestformen auch immer praktiziert wurde, sie gingen sofort online in den sozialen Medien, so dass der „leise“ Protest publik wurde. Eine weitere Aktion war beispielsweise, dass Menschen den Platz der Republik in Ljubljana mit schwarzen Kreuzen bemalten, die im Abstand von 1,5 Metern zueinander eingezeichnet waren. Dies war der Abstand, den die Regierung damals vorgab, um das “social distancing” einzuhalten. Durch die Kreuze wurde so markiert, wie mit Mindestabstand protestiert werden konnte.

Sofort nach der Regierungsübernahme begann Janša mit dem Umbau des Landes nach dem Modell “Ungarn 2.0 and beyond”. Durch die Massnahmen in Bezug auf Corona sollten sich die Menschen praktisch selbst einsperren und machtlos sein, beispielsweise war es auch verboten von einem Landkreis in den nächsten zu fahren. Es kam zu ersten Angriffen auf die Pressefreiheit. In wichtigen Institutionen wurden Mitarbeiter*innen durch die Gefolgschaft von Janša ersetzt werden. Es gab aber auch kurz nach der Regierungsübernahme einen ersten Fall von Korruption, der durch einen Whistleblower publik gemacht wurde. All diese Massnahmen steigerte die Wut der Menschen auf die Regierung.

Sie sollten Banner oder Plakate gegen die Massnahmen, die Regierung und ihren rechten Backlash in Fenstern oder auf Balkonen zeigen. An manchen Orten sangen die Menschen auch von ihren Balkonen. Dies funktionierte gut und bot die Möglichkeit, dass sich die Menschen in den Häusern besser kennenlernten bzw. sich über die Massnahmen der Regierung austauschten. Die Menschen begannen sich miteinander zu solidarisieren, statt entfremdet in den eigenen vier Wänden zu sitzen und vor dem Mitmenschen Angst zu haben.

Vor allem auf die oben genannte Rückbesinnung auf Familie und den eigenen Wohnort zielten dann die nächsten Schritte der Aktivist*innen. Alles was ausserhalb der eigenen vier Wände oder der Familie geschah, wurde von der Regierung als „böse“, „feindlich“, oder „gefährlich“ dargestellt. Eine Vorgehensweise, wie sie gerne von totalitären Machthaber*innen eingesetzt wird, um Menschen gegeneinander auszuspielen, sei es in Bezug auf Migrant*innen oder Minderheiten.

Daher forderten linke Gruppen aus der autonomen und antiautoritären Szene dazu auf, dass die Menschen auf ihren Balkonen oder in ihren Wohnungen demonstrieren sollten. Sie sollten Banner oder Plakate gegen die Massnahmen, die Regierung und ihren rechten Backlash in Fenstern oder auf Balkonen zeigen. An manchen Orten sangen die Menschen auch von ihren Balkonen. Dies funktionierte gut und bot die Möglichkeit, dass sich die Menschen in den Häusern besser kennenlernten bzw. sich über die Massnahmen der Regierung austauschten. Die Menschen begannen sich miteinander zu solidarisieren, statt entfremdet in den eigenen vier Wänden zu sitzen und vor dem Mitmenschen Angst zu haben.

Aber dieser Protest war nur im Kleinen sichtbar, daher kam es dann gegen Ende April zu den ersten Protesten auf der Strasse. Die Herausforderung war es, die Angst der Menschen vor dem Coronavirus zu nehmen und sie dazu zu bringen auf die Strassen zu gehen. Daher griffen die Aktivist*innen auf die Aktionsform der critical mass zurück. Durch das Fahrrad war es einfacher Abstand voneinander zu halten und gleichzeitig möglich in grösseren Gruppen durch die Strassen zu fahren. Wieder riefen die gleichen Gruppen, die schon zu den Aktionen auf den Balkonen aufgerufen hatten, zu den Demonstrationen auf.

Das Motto der ersten Demonstrationen war daher „Z balkonov na kolesa“ (von den Balkonen auf die Fahrräder). Unterstützt wurden sie bei dem Aufruf zur Demonstration von Umweltschutzgruppen, Menschen aus dem Bereich Kunst und Kultur, feministischen Gruppen und LGBTIQ – Gruppen. Bei der ersten Demonstration am 24. April waren in Ljubljana circa 500 Menschen auf Fahrrädern unterwegs. Die Innenstadt wurde durch die Menschen dicht gemacht und die Polizei war überfordert, da sie auf das Verkehrschaos nicht vorbereitet war. Für die Gegner der autoritären Regierung war dies ein positives Zeichen, dass es trotz Corona möglich war zu demonstrieren.

Die nächsten Demonstrationen fanden am 1. Mai statt. Daran beteiligten sich etwa 15.000 Menschen im ganzen Land. Diese massive Mobilisierung zeigte der Regierung, dass ihre autoritären Massnahmen nicht ohne Protest hingenommen werden würden. Neben vielen Menschen aus dem linken Spektrum nahmen auch viele Bürger*innen an den Demonstrationen teil, da es, wie bereits oben erwähnt, kurz nach der Übernahme der Regierung zu einem ersten Korruptionsfall kam.

Die Demonstrationen am 1. Mai wurden aber eindeutig von der politischen Linken in Slowenien dominiert und waren ein grosser Erfolg der antiautoritären Linken in Slowenien. Bei dieser und auch bei den späteren Demonstrationen waren Oppositionspolitiker*innen und Gewerkschafter*innen anwesend, aber wie bereits 2012/13 wurde verhindert, dass die Demonstrationen von ihnen vereinnahmt wurden. Es wurden nie Fahnen der Oppositionsparteien oder der grossen Gewerkschaften gezeigt oder Führungsmitglieder aus diesen Gruppen an das Mikrofon gebeten, um Reden zu halten.

Seitdem sind jeden Freitag ab 19 Uhr die Menschen in vielen Städten im Land auf den Strassen, um gegen die Regierung zu demonstrieren. Am 4. September war es die zwanzigste Demonstration an einem Freitag hintereinander. Mittlerweile finden die Demonstrationen nicht mehr auf dem Fahrrad statt. Die Zahl der Teilnehmer*innen schwanken dabei zwischen 2.500 und über 10.000 Menschen. Zwar gibt es keine Riots wie bei den Protesten 2012 / 13, aber diese Proteste sind trotzdem intensiver, da sie viel breiter aufgestellt sind.

An manchen Freitagen finden zwei bis drei Aktionen statt, zu unterschiedlichen Themen und Zeiten. Am Nachmittag wird z.B. vor Ministerien oder nach dem Tod von Georg Floyd vor der amerikanischen Botschaft demonstriert und ab 19 Uhr in den Strassen. Auch unter der Woche kam es zu Protestaktionen, z.B. vor dem Kulturministerium wegen der ausbleibenden Unterstützung für kulturelle Projekte oder vor dem Gebäude vom staatlichen Fernsehen, um gegen den Umbau der Medien zu protestieren und sich mit den Mitarbeiter*innen zu solidarisieren. Die Themen der freitäglichen Demonstrationen variierten von Woche zu Woche.

Stand an einem Freitag der Umweltschutz im Vordergrund, wurde am nächsten Freitag für die Rechte der Frauen demonstriert. Immer wieder gab es besondere Aktionen. Es wurde ein riesiges antifaschistisches Banner (ein durchgestrichenes Hakenkreuz, wobei das Hakenkreuz blau-gelb in den Farben der SDS gehalten war) auf dem Platz der Republik ausgebreitet oder eine überlebensgrosse Marionette von Jansa gezeigt. Mal traten antiautoritäre Gruppen als antikapitalistischer Block ganz in offen in schwarz auf, mal waren sie auf den ersten Blick nicht sichtbar. Durch die Variation in den Themen und den Aktionsformen konnte verhindert werden, dass die Demonstrationen zu einem Ritual wurden und etwas Statisches bekamen.

Organisiert werden die Proteste durch Versammlungen, die in Metelkova oder ROG stattfanden und finden. Eine weitere Rolle spielen bei der Organisation die sozialen Medien.

Natürlich gibt es auch in Slowenien Coronaleugner*innen, Impfgegener*innen, etc., aber im Gegensatz zu anderen Ländern sind diese nicht die Triebfeder der Proteste. Der Hauptunterschied zu anderen Ländern ist, dass die ersten Proteste von der anarchistischen und antiautoritären Linken initiiert wurden. Dadurch wurde der Diskurs von eben den Themen der radikalen Linken diktiert und nicht von anderen Gruppen. Es gab keinen Platz, um Verschwörungstheorien zu platzieren, da beispielsweise bereits im Aufruf zu den Demonstrationen stand, dass die Menschen sich sicher fühlen und jede*r Teilnehmende sich sozial verantwortlich verhalten und z.B. MNS anziehen und den Mindestabstand einhalten sollte. Gleichzeitig wurde gesagt, dass es soziale Solidarität gegen die Massnahmen der Regierung braucht.

Auch fanden die Verschwörungstheoretiker*innen kaum, bzw. keine Anknüpfungspunkte zu den Themen der einzelnen Demonstrationen. Beispielsweise soll der Militäretat in den nächsten sechs Jahren um 780 Millionen € angehoben werden, worauf die Coronaleugner keinen eigenen Standpunkt finden oder öffentlich artikulieren konnten.

Natürlich nahmen und nehmen auch Coronaleugner*innen, etc. an den Demonstrationen teil, aber sie sind nur Randerscheinungen. Im Juli / August 2020 spaltete diese Gruppe sich dann von den regierungsfeindlichen Demonstrationen ab, da ihre Themen nicht genug Gehör fanden oder völlig ignoriert wurden und sie organisierten eigene Demonstrationen jeweils freitags ab 19h, aber diese Demonstrationen blieben eine Randerscheinung und es kamen höchstens 150 Menschen zu diesen Protesten. Nach 3,4 Wochen fand die letzte eigene Demonstration statt (am 28.08.), ich habe das Video der Demo gesehen und es waren nur knapp 70 Menschen auf der Demo die in Ljubljana stattfand und es war ihre einzige Aktion landesweit.

Viel gravierender und gefährlicher für die Proteste war die Repression von Seiten der Polizei und das Auftauchen einer neuen faschistischen Gruppierung. Natürlich waren die Proteste der Regierung ein Dorn im Auge und nach ungefähr einem Monat fing die Polizei an repressiver gegen die Protestierenden vorzugehen. Die Anzahl der Cops, welche eingesetzt wurden, war für slowenische Verhältnisse ungewöhnlich hoch.

Es wurden nicht nur die Menschen im antikapitalistischen Block zum Ziel der Repression, sondern auch „Bürger*innen“, die mit Kreide Botschaften auf die Strasse malten oder Menschen, die Schilder mit der Aufschrift „Tod dem Janschismus“ mit sich trugen. An einem Freitag im Juni drangen Menschen in die Sperrzone vor dem Parlament ein, welche die Regierung errichten liess und lasen in der slowenischen Verfassung.

Sie wurden brutal von der Polizei abtransportiert. Teilweise wurde dabei eine einzige Person von 10 Polizisten abgeführt. Die Polizei führte auch am Rande der Demonstrationen Kontrollen durch, um an Informationen zu gelangen oder positionierten sich vor dem AZ ROG und kontrollierten alle, die entweder aus dem ROG kamen oder an der Kontrolle vorbeigingen und versuchte so die Menschen daran zu hindern oder einzuschüchtern an den Protesten teilzunehmen.

Die Kontrollen und die Repression bewirkten aber genau das Gegenteil von dem, was die Regierung sich davon erhoffte. Die Wut der Menschen richtete sich immer mehr gegen die Polizei. Bei einer Demonstration attackierte die Polizei den antikapitalistischen Block am Platz der Republik. Die Mehrheit der Demonstrierenden solidarisierte sich mit dem Block, rief Slogans gegen die Polizei oder stellte sich zwischen Polizei und den Block.

Ebenfalls als Reaktion auf diesen Angriff trugen viele der Protestierenden am darauffolgenden Freitag ebenfalls schwarze Kleidung, als Zeichen der Solidarität mit dem antikapitalistischen Block. Die Wut der Menschen richtete sich also sehr schnell auch gegen die Polizei. Bestimmt hatten die Ereignisse in den USA nach dem Mord an Georg Floyd einen Einfluss auf die Einstellung der Menschen gegenüber der Polizei. Auch zogen nach Verhaftungen Menschen aus allen Spektren vor die entsprechenden Reviere und blieben solange dort bis die Verhafteten wieder frei waren. Zum ersten Mal gab es auch bei den Protesten ein unabhängiges Monitoring von Polizeigewalt während Protesten in Slowenien.

Egal was die Regierung versuchte, um die Demonstrant*innen zu Gewalt zu provozieren und damit die erhoffte Diskriminierung zu starten. Es gelang ihr nicht. Sei es die Repression, die Diffamierung von einzelnen Menschen oder die Sperrung des prestigeträchtigen Platzes der Republik für Demonstrationen, die Menschen blieben gewaltfrei. Daher griff die Regierung zu einem letzten Strohhalm, um Gewalt zu provozieren.

Gegen Ende Juni tauchten zum ersten Mal Neonazis am Rande der freitäglichen Demonstration auf und versuchten zu provozieren und zu stören. Sie nannten bzw. nennen sich Rumeni Jopice (Gelbe Westen) und trugen eben diese auf ihren Kundgebungen. Schnell nach dem ersten Auftauchen wurden die Rumeni Jopice – Teilnehmer als Nazis geoutet, da die Verbindungen der regierenden SDS zu Neonazis bekannt sind und die Propaganda-Medien der Partei und alt-right Blogger anfingen die Rumeni Jopice als „Regierungsfreunde“ darzustellen, die nur pro-Regierung seien ohne einen ideologischen Hintergrund. Beispielsweise wurden Hitlergrüsse zu blosse Begrüssungsgesten umgedeutet oder eindeutige Nazi-Tätowierungen wurden als Jugendsünden heruntergespielt.

Bei den Rumeni Jopice handelte es sich teilweise um alte Bekannte, die bereits 2012/13 die Demonstration im November angriffen hatten oder durch Verbindungen zur SDS aufgefallen waren, so z.B. Nace Prosen (Blood & Honour Slowenien), Andrej Okorn (war bereits 2012 am Angriff beteiligt und gilt als ideologischer Kopf der Rumeni Jopice) oder Julijan Recko (Neonazi aus Celje, der den Hitlergruss zeigte). Es handelte sich also nicht um irgendwelche bedeutungslose Fusssoldaten, sondern unter dem Deckmantel der Rumeni Jopice sammelte sich die Spitzen der slowenischen Neonazi-Szene.

Das Auftauchen der Rumeni Jopice war also der letzte Versuch der Regierung, die Protestierenden zu provozieren, damit es zu Gewalt bei den Demonstrationen kam. Aber auch die Rumeni Jopice scheiterten. Beim zweiten Auftauchen waren die Nazis teilweise durch fanatische Anhänger der SDS und der Rechtsaussen – Partei DOM ersetzt worden, um aufzuzeigen, dass es sich eben doch um das „Volk“ handelte, welches die Regierung unterstützen möchte. Nach 3,4 Demonstrationen tauchten die überhaupt nicht mehr erkennbar auf. Dies mag an der mangelnden Mobilisierung gelegen haben, da höchstens 30 – 40 von Ihnen anwesend waren oder an dem schnellen Outen der Neonazis, wodurch das das Narrativ der Regierung von gewöhnlichen Protestierenden zerstört wurde. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie es einfach nicht geschafft haben, Gewalt zu provozieren oder gegenüber den Protestierenden auszuüben und sich daher schnell wieder verabschiedeten von ihrem offenen Auftreten.

Sie begannen dann mit Monitoring. Sie machten eine Zeit lang Fotos von Menschen auf den Protesten und outeten diese, aber die Kampagne hatte ebenfalls nicht den Erfolg, den sie sich davon versprochen hatten. Es war niemand eingeschüchtert. Sie kündigten im September ein Comeback in gelben Westen an, aber bisher sind sie nicht wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Lustigerweise tauchten nach den gelben Westen auf einer Demonstration Menschen in grünen Shirts auf, die Akkordeon spielten und ihre Sympathie mit der Regierung ausdrückten, aber auch dies war nur eine einmalige Sache.

Die Proteste gehen im ganzen Land weiter. Waren es im Sommer naturgemäss weniger Menschen, steigt die Zahl der Protestierenden seit September wieder an. Welche endgültige Wirkung die Proteste auf das Land haben werden, lässt sich jetzt noch nicht eindeutig abschätzen. Sie sind aber für die gegenwärtige Regierung nach wie vor ein Stachel im Fleisch. Immer noch kommt es in den Medien der SDS zu verbalen Angriffen gegen die Protestierenden. Auf der anderen Seite beeinflussen die Proteste jetzt schon die Menschen. Im August bildete sich eine Gruppe von jungen Aktivist*innen, die seitdem als geschlossener Block auf den Protesten erscheinen.

Wie es weitergehen wird, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.

Brigate Plavi

Der Artikel ist zuerst auf dem Blog Sūnzǐ Bīngfǎ erschienen.