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Nicht „Putins Krieg“ ist irre…

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Die Ukraine – Söldnertruppe des Westens? Nicht „Putins Krieg“ ist irre…

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Politik

…er folgt politischen und militärischen Kalkülen - sondern die Berichterstattung über ihn: Moralische Aufrüstung, die jede sachliche Beurteilung mit dem Zwang zur Parteinahme erschlägt.

Ukrainische Soldaten an der Front, August 2022.
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Ukrainische Soldaten an der Front, August 2022. Foto: Mil.gov.ua (CC BY 4.0)

Datum 6. Oktober 2022
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Dass Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat, ist Fakt. Aussergewöhnlich ist Derartiges nicht. Wenn in den letzten 30 Jahren die USA, die einzig verbliebene Supermacht, im Bunde mit willigen NATO-Kumpanen Kriege starteten, wurde darum nicht viel Aufhebens gemacht – selbst wenn die rechtfertigenden Lügen (Saddams Atombomben, Bin Ladens Versteck am Hindukusch etc.) mit Händen zu greifen waren. Jetzt aber soll ein solcher Sachverhalt für sich selber sprechen: Ein Irrer führt Krieg als sadistisches Privatvergnügen, wie es sich nur Diktatoren leisten können.

„Putins Krieg“

Die Frage danach, warum Russland die Ukraine angegriffen hat – welche politischen Kalkulationen hier im Spiel waren und auf welchen Gegner sie trafen –, ist verpönt. Wer sie sich dennoch stellt oder versucht, eine Erklärung zu finden, wird gleich als Putin-Versteher, also als fünfte Kolonne des Feindes, diffamiert. Denn: Wer einen Krieg beginnt oder ein Land angreift, ist schuld und damit zu verdammen, so die – neuerdings – allseits verbreitete Auffassung. Deshalb gehört es zum guten Ton für Politiker wie Journalisten, bei jeder einschlägigen Äusserung das Mantra vom völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg zu bemühen, um so die zwingende moralische Verurteilung mit zu liefern. Wer diese Floskel weglässt, hat sich schon von vornherein mit seiner Wortmeldung unmöglich gemacht.

Was daherkommt, wie ein Kant'scher Imperativ, ist dabei so selbstverständlich gar nicht. Als Aserbeidschan kürzlich Armenien angriff, war von einer Verurteilung des dortigen Regimes weit und breit nichts zu vernehmen. Nachfragen beim werteorientierten Aussenministerium ergaben, dass ein Aggressor einfach nicht feststellbar sei. Das galt nicht als eine Kritik an den eigenen Geheimdiensten oder der Unfähigkeit des ministeriellen Ladens. Und ein Schelm ist, der Böses dabei denkt und meint, es hätte etwas damit zu tun, dass die Europäische Union gerade ein Abkommen mit dem dortigen Potentaten über Gaslieferungen geschlossen hat.

Bezeichnend auch: Der ehemalige deutsch Bundeskanzler Gerhard Schröder wird wegen seiner Putin-Nähe gescholten, nicht wegen seiner Beteiligung am Angriffskrieg gegen Serbien und der damit verbundenen Bombardierung (die auch die Infrastruktur und Stadtgebiete traf, dabei zivile Opfer produzierte). Hatte doch sein grüner Aussenminister für diesen Krieg eine moralische Begründung in die Welt gesetzt, d.h. freihändig zusammenkonstruiert: Serbien wolle die Kosovaren vernichten und nicht etwa in seinem Territorium behalten.

Auch der Angriffskrieg der Nato gegen Afghanistan führte zu keiner moralischen Verurteilung, wurde vielmehr als Verteidigungsakt der USA verkauft. Dabei hatte nicht Afghanistan die USA angegriffen, sondern eine politische Gruppe, deren Führer sich zu diesem Zeitpunkt in Afghanistan aufhielt und schliesslich in Pakistan von den USA hingerichtet wurde. Die Mitglieder dieser Gruppe stammten aus verschiedenen Ländern des Nahen Ostens, vorwiegend aus Saudi-Arabien, einem engen US-Verbündeten. Viele von ihnen wohnten zeitweilig in Deutschland und wurden in den USA ausgebildet. Folgt man der Logik der moralisch einwandfreien Begründung für den NATO-Überfall auf Afghanistan, dann hätten auch noch ganz andere Länder ins Visier geraten können – wäre es wirklich um eine kriminalistische Aufarbeitung des Falls gegangen. Doch die war ja nicht gewünscht, das betreffende „Urteil“ hatten die USA ja schon in der selbstherrlich angemassten Rolle des Weltpolizisten, Anklägers und Richters gesprochen!

Für die Gründe des Überfalls interessierte sich damals wie heute niemand, wurde doch an Afghanistan eindeutig demonstriert, womit Islamisten, die Amerika feindlich gesinnt sind (und ihm nicht wie im antisowjetischen Afghanistankrieg die Drecksarbeit abnehmen), zu rechnen haben. Und so wurde die Legende geschaffen, der Krieg (den man in der BRD zehn Jahre lang so nicht nennen durfte) sei eine Hilfsaktion, quasi eine „Spezial-Operation“ für Menschen in Not. Dabei wurde niemand daran irre, dass man zum Brunnenbohren keine Maschinengewehre benötigt und dass Soldaten mit Schützenpanzern keine Bildungsbegleiter für Mädchen und junge Frauen sind. Nachdem das Land dann zerstört und somit eindeutig demonstriert war, womit Gegner des freien Westens zu rechnen haben, konnte die NATO Afghanistan sich selbst überlassen.

Zudem besteht mit der Drohnentechnologie die Möglichkeit, jedes Land aus der Luft zu terrorisieren und Menschen, die die US-Präsidenten aus eigener Machtvollkommenheit auf eine Todesliste setzen, zu liquidieren. Die dabei anfallenden toten Zivilisten – die Zahlen gehen bekanntlich in die Tausende – gelten denn auch nicht als Kriegsverbrechen, sondern als Kollateralschäden des moralisch einwandfreien Freiheitskampfes. Amerikanische Präsidenten oder deutschen Kommandeuren drohen daher auch keine Kriegsverbrecherprozesse. Wer hier – wie Julian Assange – mit Enthüllungen querschiessen will, wird einfach weggesperrt.

Moralisten wissen eben sehr genau, dass moralische Gebote – wie die völkerrechtlichen Normen (siehe den Kommentar zu „unseren“ Werten – immer nur bedingt gelten, und sie wägen ab, wann sie in Anschlag zu bringen sind und wann nicht. „Unsere“ Werte beschreiben einen Sollzustand, der wünschenswert ist, aber wegen der widrigen Umstände oft nicht eingehalten werden kann. Vor der widrigen Realität oder zur Sicherung des privaten wie nationalen Erfolgs haben diese hohen Werte dann immer mal wieder zurückzutreten. Das gilt dann nicht als Abweichung von der Moral, sondern als Einsicht in die realpolitischen Bedingungen, als Pragmatismus, der diesen Moralisten dann ebenfalls zu Gute gehalten werden kann und nicht als Opportunismus oder als Doppelmoral zu verurteilen ist.

Die Ukraine – Söldnertruppe des Westens?

Inzwischen gilt der Krieg auch als „unser Krieg“. Denn Russland hat nicht nur die Ukraine angegriffen, heisst es, sondern damit auch den ganzen freien Westen. Das ist mehr als seltsam. Schliesslich wehrt sich nicht der geballte freie Westen und tritt in den Krieg ein, sondern die Ukraine hat die ganze Last des Krieges zu tragen und für „uns“ zu kämpfen.

In der Vergangenheit wurden Soldaten, die nicht als Untertanen für ihr Land, sondern gegen Bezahlung für eine fremde Herrschaft kämpfen, als Söldner bezeichnet. Wenn man heute die Ukraine als die Söldnertruppe des Westens einstuft, wird das bestimmt für Aufregung sorgen. Dennoch wäre dieser Sachverhalt hier gerade festzuhalten! Die Ukrainer sollen ja ihren Kopf für ein fremdes, (welt-)herrschaftliches Interesse hinhalten, nämlich dafür, dass Russland in Zukunft nicht mehr in der Lage ist, irgendein Land anzugreifen; was nichts anderes bedeutet, als dass Russland der Militärmacht des Westens in Zukunft nichts Relevantes mehr entgegensetzen kann.

Dafür werden ukrainische Soldaten von Nato-Staaten ausgebildet, mit Waffen ausgerüstet und dirigiert, und dafür wird mit Milliarden-Summen der ukrainische Staat finanziert, dessen wirtschaftliche Grundlage ruiniert ist. Gesteuert wird dieser Kampf durch die Aufklärung der Nato und die Ausstattung wie Anleitung des Militärs. So wird sichergestellt, dass der Krieg auch seine beabsichtigte Wirkung erreicht.

Gelobt wird der Kampfesmut des ukrainischen Volkes, dessen Angehörige sich nicht nur als Soldaten, sondern auch als Zivilisten dem Feind entgegenstellen, die sich für den Volkswiderstand bewaffnen und Molotow-Cocktails („Bandera-Smoothies“) auf Panzer werfen. Die dabei anfallenden Toten liefern der Presse und den Politikern dann den Beweis für die Unmenschlichkeit russischer Kriegsführung. Die soll einfach keine Rücksichtnahme auf ukrainische Zivilisten kennen, da sie sie einfach als Feinde behandelt, wenn sie aus dem Hinterhalt schiessen oder als Schutzschilde fürs Militär ihrem Land dienen, eben im Sinne des „totalen Verteidigungskriegs“ agieren, den die Kiewer Führung ausgerufen hat.

Zudem beweisen die Folterkeller der Russen und die eindeutigen Spuren an Leichen die Rückständigkeit russischer Kriegsführung. Amerika verfügt da über ein ganz anderes Spektrum von Massnahmen, die vom „Outsourcing“ der Drecksarbeit bis zu elaborierten Methoden der Folterung (dauerhafter Schlafentzug, Beschallung mit Pop-Musik, Waterboarding …) reichen – Massnahmen, die keine Spuren am Opfer hinterlassen oder einfach als adäquate Behandlung von „Terroristen“ gelten. Und so ist bei den Russen die moralische Verurteilung angebracht, während Guantanamo kein öffentliches Thema mehr ist, obgleich das Lager – bald zehn Jahre nach der Ankündigung seiner Schliessung durch Friedensnobelpreisträger Obama – immer noch existiert.

Die Bürger der Ukraine verteidigen ihr Vaterland, ihre Lieben und überhaupt den westlichen Wohlstand in Freiheit, wird berichtet. Nur verfügen die meisten Bürger des Landes gar nicht über einen nennenswerten Besitz, ja noch nicht einmal über den „Besitz“ eines Arbeitsplatzes, weshalb sich ein Grossteil der Bevölkerung auswärts, im europäischen Niedriglohnsektor, verdingt. Und sofern sie etwas besitzen oder ihre Heimat verteidigen wollen, müssen sie feststellen, dass beides gerade durch den Krieg zerstört wird.

Mit der Verteidigung der Lieben verhält es sich ähnlich, werden deren Leben doch gerade durch den immer weiter eskalierenden militärischen Einsatz gefährdet. Dass es bei der Verteidigung des Landes gar nicht ums Volk, sondern um den Schutz der Herrschaft seines Landes geht, das wollen diese Helden meist gar nicht wahrnehmen.

Solidarität mit der Ukraine

Einigkeit herrscht in weiten Kreisen der deutschen Gesellschaft bis hin zu den Linken, dass Solidarität mit der Ukraine zu üben ist. Gemeint ist damit, dass die Menschen hierzulande sich zumindest ideell auf die Seite der angegriffenen Nation stellen sollen. Das gilt, obwohl von dieser Einstellung für den Verlauf des Krieges gar nichts abhängt. Denn die hiesigen Bürger sind ja nicht die Akteure dieser gewalttätigen Auseinandersetzung. Praktisch werden sie ja auch nicht gefragt, wie sie in diesen Konflikt eingebunden sein wollen. Sie werden vielmehr mit den Folgen des Wirtschaftskriegs konfrontiert und haben mit den daraus resultierenden Preissteigerungen zurechtzukommen. Die Bürger hier – wie die Bürger in der Ukraine oder Russland – sind eben die Manövriermasse ihrer Regierungen, die sie nicht nur praktisch einspannen, sondern auch verlangen, dass sie ideell Partei ergreifen.

Solidarität ist dabei ein eigenartiger Imperativ: Sie war einmal ein Kampfbegriff der Arbeiterbewegung, die Aufforderung, die Konkurrenz untereinander einzustellen und sich gemeinsam gegen Kapital und Staat zur Wehr zu setzen. Jetzt wird der Begriff gerade im Gegenteil für eine Ansage „von oben“ benutzt, um die Gemeinsamkeit von Bürgerschaft und Staat über alle Klassengrenzen hinweg verbindlich zu machen. Dabei lohnt sich dieses Zusammenhalten nur für die einen, die wie immer ihre Gewinne, neuerdings sogar „Übergewinne“, machen, während er für die anderen das Sich-Abfinden mit den Preissteigerungen und den daraus resultierenden Einschränkungen bedeutet.

Ein viel gescholtener Autor des neunzehnten Jahrhunderts hat einmal geschrieben, dass Proletarier, die heute Arbeitnehmer heissen, kein Vaterland besitzen, und damit zum Ausdruck gebracht, dass sie von ihren Regierungen nichts Positives zu erwarten haben – ausser der Hilfe, weiter die Lasten zu tragen, die andere reich und den Staat mächtig machen. Für ihn hat sich daraus die Forderung ergeben, dass sich die Proletarier aller Länder vereinigen sollten, um die Herrschaft ihrer nationalen Herren abzuschütteln, statt aufeinander zu schiessen. Unterschätzt hat dieser Autor die moralische Macht des Nationalismus der Arbeiter, die als Bürger ihrer Länder – letztendlich, wenn die finale Opferbereitschaft eingefordert wurde – noch immer brav als Soldaten in jeden Krieg gezogen sind. So, wie sich heute auch Linke in die nationale Einheitsfront einreihen, standen Sozialdemokraten schon mit Beginn des Ersten Weltkriegs auf Seiten ihres Kaisers, bewilligten Kriegskredite fürs Schlachtfeld und verkündeten den Burgfrieden an der Heimatfront.

Die Verteidigung unserer Werte geht über Leichen

In dem Krieg gegen Russland, steht viel auf dem Spiel, wie es heisst: Die Verteidigung unserer Werte wie Freiheit und Rechtsstaat. Gerade die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock wird nicht müde, immer wieder die Werte hochzuhalten. Doch wenn es um die Freiheit geht, dann stellt sich schon die Frage, um wessen Freiheit es sich da handelt. Die Freiheit der männlichen Bürger zwischen 18 und 60 ist in der Ukraine per Dienstverpflichtung massiv eingeschränkt – was jetzt an Russland kritisiert wird. Die Regierung in Kiew vertraut nicht einfach auf die nationalistische Begeisterung der Massen, sondern hat eine Wehrpflicht verordnet. Ob man will oder nicht, man muss den Kopf für die Nation hinhalten. Sollte man dabei umkommen, wird man als Held geehrt, der sich für die Nation hingegeben hat – ganz so, als ob man sich beim Tod fürs Vaterland frei entscheiden könnte. So siegt auch in dem Fall die Moral in Form der erfundenen Opferbereitschaft.

Und diejenigen, die nicht an der Front eingesetzt werden, dürfen ihre Freiheit in den Bunkern ausleben, während hierzulande die Folgen dieses Freiheitskampfes hinzunehmen und keineswegs mit Protest zu kontern sind: Dass viele Menschen sich einschränken müssen, weil ihr Einkommen angesichts der steigenden Preise hinten und vorne nicht mehr reicht, darf allein unter dem Blickwinkel betrachtet werden, ob das Ganze auch gerecht, also als Verteilung der Lasten auf alle Schultern, vor sich geht.

Auch die Meinungsfreiheit, bekanntlich eins der höchsten Güter in der „freien Welt“, gilt es zu verteidigen. Hier droht die Gefahr, dass sich die Bürger doch glatt die Sicht des Gegners anhören oder antun könnten. Solchen Gefährdungen der richtigen Sicht auf den Krieg muss vorgebeugt werden, und zwar durch die entsprechenden Verbote feindliche Sender. Eine Gleichschaltung der heimischen Medien braucht es dagegen kaum – weder in Russland noch im Westen –, sind sich Journalisten in der Regel doch ihrer nationalen Verantwortung bewusst und übernehmen schon von daher die Sicht ihrer Politiker, denen sie allenfalls vorhalten, zu lasch gegenüber dem Gegner zu sein und damit den Sieg über ihn zu verhindern.

So haben Journalisten in ihrem Job einiges zu tun. Klar ist z.B., dass die Eroberung eines Atomkraftwerkes dieses beschädigen und damit unter Umständen eine Atomkatastrophe auslösen kann. Dieser Vorwurf kann den Russen daher nicht erspart bleiben. Nur geht der Wiedereroberungsversuch der Ukrainer das gleiche Risiko ein – aber das ist für die freie Presse natürlich etwas ganz anderes. Die Bomben, die laufend aufs AKW Saporischja fallen, werden nicht verschwiegen, aber von einem Beschuss durch die ukrainische Armee ist auch nicht die Rede; irgendwie sollen die Angriffe von den Russen, die das Kraftwerk bereits besetzt haben, selber ausgehen. Über die Absurdität dieses Vorwurfs lacht die moralisch gefestigte Öffentlichkeit natürlich nicht, sondern nimmt sie selbstverständlich hin. Und wenn sich dann noch der russische Präsident erdreistet und auf diese Absurdität hinweist, dann zeigt dies nur dessen Abgebrühtheit. Schliesslich sind westliche Partner über jeden Verdacht erhaben und es disqualifiziert sich jeder, der dies in Frage zu stellen wagt.

Bei der Besprechung des Krieges und seiner Parteien werden westliche Politiker dann auch noch sehr grundsätzlich: Es gehe in diesem Konflikt um die Prinzipien der Herrschaft, um die Alternative Demokratie versus Autokratie. Zwar lässt sich auch ein Putin wählen wie ein Orban oder ein Kaczynski in der EU oder wie ein Erdogan beim NATO-Mitglied Türkei, doch gilt der russische Präsident als Autokrat, während letztere sich in den Reihen der Demokraten wiederfinden, auch wenn sie im Rahmen der europäischen Konkurrenz einige Beschwerden einstecken müssen.

Demokraten stützen sich auf die Zustimmung ihres Volkes und somit geht ihre Herrschaft in Ordnung, während Autokraten sich nur durch Gewalt halten können, so die Behauptung. Wie Letzteres funktionieren soll – müsste doch im Prinzip hinter jedem Bürger ein Polizist oder Aufseher stehen –, ist zwar rätselhaft, wird aber vielfach geglaubt und von den Journalisten der Leitmedien eifrig kolportiert.

Hinzu kommt übrigens bei dieser prinzipiellen Alternative, dass zu den Verbündeten der ehrenhaften demokratischen Regierungen solche sinistren Gestalten gehören wie der saudiarabische Prinz Salman, der sich gerade des Besuchs des deutschen Kanzlers erfreut, oder der Putschist al Sisi aus Ägypten. Sie stehen – irgendwie – im Lager der Demokratie und werden daher reichlich mit deutschen Waffen ausgestattet, um mit uns – im Falle des Falles – gegen Autokraten zu kämpfen.

Die Macht der Moral – Futter für Mitmacher

Die Regierenden aller Länder sind auf die Loyalität ihrer Bürger angewiesen und auch ein Putin kann nicht hinter jeden Volksgenossen einen Büttel seines Sicherheitsapparats stellen. Natürlich berufen sich alle Regierungen darauf, dass ihre Herrschaft ganz dem Wohl des Volkes verpflichtet ist, doch spürt der Einzelne, wenn er zum gewöhnlichen Fussvolk gehört, in der Regel wenig davon. Denn das Wohl des Volkes ist eben etwas anderes ist als das Wohl des einzelnen Bürgers. Mit dem Wohl des Volkes bzw. der Nation ist der Erfolg des eigenen Staates gemeint, dessen Macht in der Welt gestärkt werden soll, um die Konkurrenz mit anderen Staaten zu bestehen; dafür haben die Bürger ihren Dienst zu leisten.

Also können Politiker nicht einfach auf die positiven Seiten ihres Handelns verweisen, das den Bürgern selbstverständlich Nutzen bringt. Denn auch ein Entlastungspaket für den kleinen Mann, das eine hilfreiche Leistung für „sozial Schwache“ darstellen soll, ist ja ein Schadensmilderungspaket, macht das Leben nicht leichter, sondern allenfalls die Schädigung erträglicher. Die politische Klasse führt daher ständig höhere Werte – in leicht abgewandelten Varianten – an, denen sie in ihrem Handeln verpflichtet ist.

In schweren Zeiten gilt es in besonderem Masse die Moral zu bemühen: Da wird die Gemeinschaftlichkeit beschworen, obwohl die einen mit dem Lebensunterhalt der Leute – nicht nur in der Krise – ihre Geschäfte machen und die anderen sich einzuschränken haben. Auch sollen die neuen Einschränkungen nicht das Resultat des Wirtschaftskrieges gegen Russland sein, der noch nicht einmal so heissen darf, sondern die Folge der Boshaftigkeit Putins oder eben wirtschaftlicher Prozesse, die nicht aus der Gestaltung der Wirtschaft durch die Politik erfolgen, sondern sich irgendwie sachzwangmässig ergeben.

Es braucht eben moralisch gefestigte Bürger mit der entsprechenden Sicht auf die Dinge, damit sie nicht nur die Kriegsfolgen an der Heimatfront hinnehmen, sondern gegebenenfalls auch auf wildfremde Bürger anderer Staaten schiessen, wenn das Kommando von oben kommt.

Suitbert Cechura